Gegen Missionierung

Sie arbeiten mit zahlreichen jüdischen Symbolen: Davidstern, Menorah (siebenarmiger Leuchter), Tallit (Gebetsschal), Schofar (Widderhorn). Sie erklären die jüdischen Feiertage unter christologischem Aspekt und verwenden Wörter, die in ihren Kreisen ansonsten nicht üblich sind (z.B. Tora statt „Altes Testament“). Christliche Missionierungsversuche sind oft gut getarnt, die Absicht dahinter aber eindeutig.

Von MiJu

Strategien und Konzepte der Judenmission

„Seltsames passiert hier, nicht leicht zu verstehen. Dabei sieht zunächst alles ganz normal aus: Es ist Schabbat, man trifft sich zum Gottesdienst. Die Türen… öffnen sich. Viele russische Laute erklingen, „Schalom“ ist aus allen Mündern zu hören. Die Frauen sind deutlich geschminkt, die Männer tragen eine Kippa auf dem Hinterkopf – jüdische Zuwanderer aus den früheren Staaten der Sowjetunion gehen ihren religiösen Pflichten nach. Klar.

Doch dann wird deutlich: Dies ist eine Kirche. Ein Kruzifix an der Stirnwand des von der Sonne gewärmten Saales wird mit einem Wandteppich verdeckt – auf ihm ist ein Jude mit einem Gebetsschal zu erkennen, der in ein Widderhorn (Schofar) bläst. Zwei israelische Flaggen werden aufgehängt, ein weiteres Kreuz am Predigerpult durch die blauweiße Flagge Jerusalems verhüllt. Eine kleine Band mit Blockflöten und drei Sängern probt Lieder, die nach Kirchentagshits klingen. Und in einer Ecke üben junge Frauen in blauen Röcken Tänze, die an Folklore erinnern.

Was ist das? Ein Treffen philosemitischer Christen? Ein Gottesdienst durchgeknallter Juden? Feiern hier … Christen oder Juden? Genau das ist das Problem. Die hier versammelten Mitglieder des „Beit Schomer Israel“ (Haus des Behüters Israels) verstehen sich als beides. Es sind „messianische Juden“. Sie begreifen sich in der Regel als Juden, als Nachkommen des auserwählten Volkes Abrahams und Jakobs, die jedoch Jesus von Nazareth als den Messias anerkennen.

Das ist ein Widerspruch in sich. Denn etwas verkürzt gilt: Entweder man ist Jude, dann glaubt man, dass der Messias noch nicht gekommen ist – alles andere ist Häresie. Oder man ist Christ, weil man daran glaubt, dass Jesus Christus der Messias ist. Das ist, obwohl beide Weltreligionen den gleichen Gott anbeten, der Graben zwischen Judentum und Christentum. Die „messianischen Juden“ leben in diesem Graben, auch wenn dies theologisch mehr als fragwürdig ist.“

So beschreibt der Journalist Philipp Gessler seine ersten Eindrücke. Was hier vorzufinden ist, ist nicht nur für ihn verwirrend.

Messianische Gemeinden sind so konzipiert, daß sie „jüdisch“ wirken, doch im Hintergrund sind fundamentalistische Gruppen und Kirchen, die traditionelle jüdische Symbole benutzen, um Juden anzulocken und in ihre Reihen zu ziehen. Sie zielen insbesondere auf jene, die am anfälligsten und verwundbarsten sind.

Wer sind diese Missionare?

Um die Dynamik, die hinter diesen Aktivitäten steht, zu verstehen, ist es hilfreich, sich bewusstzumachen, wer diese Leute sind, die sich auf Judenmission konzentrieren. Wir benutzen der Einfachheit halber – um deutlich zu machen, worauf diese Aktivitäten ausgerichtet sind – die Worte „Judenmission“ und „Missionar“, obwohl der politisch korrekte Sprachgebrauch in diesen Gruppen sich in den letzten Jahren geändert hat – nicht zuletzt um Juden nicht abzuschrecken. Juden sollen sich dem Judentum nicht entfremdet fühlen, sondern den Eindruck gewinnen, dass sie dadurch, dass sie Jesus als Messias annehmen jüdischer werden als sie es jemals vorher waren. Deshalb wird in den letzten Jahren zunehmend die Terminologie „messianisches Zeugnis für Israel“ verwendet. Dies ermöglicht es auch den Judenmissionaren, sich entrüstet von jeglicher Form der Judenmission zu distanzieren. Sie wollen doch Juden nicht zu Christen machen, sondern ihnen dabei helfen zu besseren – sprich vollkommeneren – Juden zu werden.

Missverständnisse und Fehlwahrnehmungen

Für die jüdische Gemeinschaft sind die Worte „Missionar“ oder „missionarisch“ bzw. „evangelistisch“ mit einer Fülle von Missverständnissen und Fehlwahrnehmungen beladen. Meist löst das Wort „Missionar“ die Assoziation an Leute aus, die an Straßenecken stehen und religiöse Schriften verteilen, Gespräche anbieten und zu Veranstaltungen einladen, um Menschen zu überreden an Jesus zu glauben.

Möglicherweise denken wir auch an Organisationen mit Mitgliedsstrukturen, Mailinglisten, Gebäuden, bei denen wir genau sagen können: Dort befindet sich die Zentrale der XY-Organisation oder das Zentrum der YZ-Gruppe.
Dies ist nur eine der Fehlwahrnehmungen wie wir sie im Hinblick auf Missionare und wie sie arbeiten haben.

Unser zweiter Fehler ist, dass wir dazu neigen die christliche Welt als monolithische Gruppe zu sehen, die im wesentlichen alle ein und dasselbe glauben. In Wirklichkeit ist das Christentum sehr komplex und mit seinen mehreren hundert Konfessionen und Denominationen auch in seinen theologischen Lehren zu grundsätzlichen Inhalten sehr unterschiedlich

Die römisch katholische Kirche ist die größte christliche Kirche. Nach einer Geschichte, die grausamste Verfolgungen und ungeheures Leid über Juden brachte, sind die meisten Katholiken heute nicht mehr daran interessiert, Juden zu missionieren.

Ein anderer wichtiger Teil der Christenheit sind die protestantischen Kirchen. Für unseren Zweck reicht es, wenn wir uns deutlich machen, dass es in dieser Gruppe zwei große Lager gibt.

In Deutschland sind dies erstens die evangelischen Landeskirchen (Lutheraner, Reformierte und Unionskirchen), die in der EKD (Evangelischen Kirche in Deutschland) zusammengeschlossen sind und zweitens die Freikirchen. Die größte Freikirche in Deutschland sind die Baptisten oder auch „evangelisch freikirchliche Gemeinden“ genannt mit etwa 100.000 Mitgliedern.

Die liberalen Protestanten in den Landeskirchen sowie auch die Methodisten und Unitarier sind nicht an der Judenmission interessiert. Einige Landeskirchen haben Synodenerklärungen verabschiedet, in denen sie sich ausdrücklich von jeglicher Form der Judenmission distanzieren, andere beließen es bei halbherzigen Statements. Eine Minderheit fundamentalistischer „wiedergeborener Christen“ innerhalb der Landeskirchen befürwortet die Judenmission. Wenn diese Gruppen oder freien Werke innerhalb der Landeskirche „Israelgebetskreise“, in denen für die Errettung der Juden gebetet wird, starten oder Räume an freikirchliche Gruppen für judenmissionarische Aktivitäten zur Verfügung stellen, so schreiten die Landeskirchen hier nicht oder nur höchst selten ein, denn diese Klientel gehört zu den treuesten und beständigsten in den Gemeinden vor Ort.

Der größte Teil judenmissionarischer Aktivitäten wird gefördert und unterstützt von fundamentalistischen Gruppen aus dem evangelikalen und charismatischen Spektrum:

  • der Freikirchen (Baptisten, Assemblies of God. Freie Christengemeinschaft, Heilsarmee…)
  • der evangelischen Landeskirchen (evangelische Allianz) sowie
  • freie Werke innerhalb der evangelischen Landeskirchen (Bund für entschiedenes Christentum, CVJM, Liebenzeller Mission, Stadtmissionen) und
  • Gruppen außerhalb der Kirchen, die eingetragene Vereine gegründet haben (EDI = Evangeliumsdienst für Israel, Ebenezer Hilfsfonds, Exobus, Internationale christliche Botschaft, Christliche Freunde Israels, diverse Jesuszentren…)

Kurz gesagt, es handelt sich um fundamentalistische „wiedergeborene Christen“, deren Ziel es ist, daß jeder Jude zum Glauben an Jesus kommt.

Viel Geld fließt und die Logistik gedeiht

Sie haben dafür eine weitreichende Logistik entwickelt und nutzen auch die modernen Kommunikationstechnologien. Meist geben sie vor, über Israel aus jüdischer Sicht informieren zu wollen. Sie arbeiten mit zahlreichen jüdischen Symbolen (Davidstern, die Menorah (siebenarmiger Leuchter), den Tallit (Gebetsschal), das Schofar (Widderhorn) und erklären die jüdischen Feiertage unter christologischem Aspekt (siehe unten) und verwenden Wörter, die in ihren Kreisen ansonsten nicht üblich sind (Tora statt „Altes Testament“).

Durch den massiven Aufkauf stichwortrelevanter Internetadressen versuchen sie Leser von den etablierten jüdischen Websites abzuziehen und für sich zu gewinnen. Die meisten dieser „messianischen Seiten“ sind verlinkt mit national-religiösen Seiten und Radiostationen in Israel (Aruz Schewa), sie unterstützen die Siedlungsbewegung und verurteilen die israelische Friedensbewegung.

Grundregeln

Es gibt zwei Grundregeln, die man im Hinblick auf Judenmissionare im Hinterkopf behalten muss:

Der Christ, der den Initialkontakt mit einem Juden knüpft ist in den allermeisten Fällen kein professioneller Missionar, der von irgend jemand dafür bezahlt wird. Meist ist es ein „Laie“, ein Kollege, eine Zimmergenossin im Studentenwohnheim oder jemand vom Sportverein oder jemand, der sich regelmäßig im Umfeld von jüdischen Aktivitäten aufhält oder Heime besucht, in denen russische Juden untergebracht sind.

Erst nachdem diese Person den Kontakt aufgebaut hat, wird ein professioneller Missionar hinzugezogen, der dann den eigentlichen Konversionsprozess initiiert und vorantreibt.

Der Laie, der den wichtigen Erstkontakt schließt, ist meist ein „wiedergeborener Christ“. Erst danach treten „messiansche“ Juden – also Leute, die als Juden geboren sind – in deren Fußstapfen.

Missionsgesellschaften wie „Jews for Jesus“ (Juden für Jesus) oder Chosen People Ministries sind im Wesentlichen Zuliefererbetriebe für die evangelikalen und charismatischen Freikirchen. Im Gegenzug stellen die jüdischen Missionare und Missionsgesellschaften einen Teil ihrer Ressourcen und ihres Personals zur Verfügung, um in den Freikirchen oder freien Werken innerhalb der Landeskirchen Veranstaltungen (Vorträge, Seminare, Konzerte) abzuhalten, z.B. über Israel oder ihre Sicht jüdischer Feste – oft unter dem Tenor „die jüdischen Wurzeln des Christentums“. Diese dienen sowohl der Information als auch der Rekrutierung neuer Laienmitarbeiter.

Von Fall zu Fall gibt es dann Kooperationen, wie z.B. Seminare, in denen die Laienmitarbeiter für ihre Missionstätigkeit vorbereitet werden sowie christliche Pessach-Seder, Chanukka-Feiern oder Laubhüttenfeste – gelegentlich mit Kulturfestivals verknüpft.

Warum die Juden?

Unvermeidlich taucht die Frage auf, warum es diesen Gruppen so wichtig ist, ihre Aktivitäten auf die Bekehrung von Juden zu richten – gibt es doch in diesem Land genug säkulare Menschen, Ex-Christen oder Angehörige anderer Religionen. Warum ist die verhältnismäßig kleine Gruppe der Juden ein so begehrtes Missionsobjekt?

Hier sind einige Gründe:

Jesus sagt: „Geht nicht zu den Heiden und zu den Samaritanern, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Haus Israel“ (Matthäusevangelium Kapitel 10,5-6)

– Die Priorität des Neuen Testaments liegt also auf der Bekehrung von Juden. Der Apostel Paulus nimmt dies im ersten Kapitel des Römerbriefes Vers 16 auf, wenn er erklärt:

„die Juden zuerst und dann die Griechen“

(gemeint sind nach christlichem Verständnis mit den „Griechen“ die „Heiden“ im Allgemeinen). Im Neuen Testament findet sich immer wieder die Betonung – besonders in den Evangelien – daß die Juden zuerst erreicht werden sollten.

– ein zweiter Grund liegt in der Faszination, die gerade die Lehre von der Eschatologie auf fundamentalistische Christen ausübt. Eschatologie bedeutet die Lehre vom Ende der Zeiten. Evangelikale und charismatische Christen beschäftigen sich sehr viel mit den prophetischen Aussagen und mit der Fragestellung, wann der Messias kommen – in ihrem Verständnis wiederkommen – wird:
Wie wird sich das abspielen?
Was wird vorher passieren?
Welche Nationen meint der Prophet Jecheskel, wenn er in den Kapiteln 38 und 39 davon spricht, daß die Nationen gegen Jerusalem aufstehen werden vor es schließlich zur entscheidenden Stunde kommt, die zum messianischen Zeitalter führt.
Christliche Buchläden haben ganze Regalmeter, die sich mit „Endzeit“, „Apokalypse“ und „Wiederkunft Jesu“ beschäftigen, im Sortiment.

Was aber haben diese apokalyptischen Spekulationen mit unserem Thema zu tun?

Am Ende des Matthäusevangeliums (Kapitel 23,39) wird Jesus mit einer wichtigen Aussage zitiert:

„Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“.

Da Jesus zu einer jüdischen Zuhörerschaft sprach als er diese Aussage machte, haben Christen diese Aussage so verstanden, dass Jesus nicht zum zweiten Mal kommen wird bevor sich die Juden bekehrt haben. Bei einer messianischen Chanukka-Feier in einer freikirchlichen Gemeinde hieß es in der Ansprache:

„Wir brauchen die Juden für unsere Erlösung“

Fundamentalistische Christen gehen auch davon aus, dass Jesus etwa 2000 Jahre nach seiner Geburt zum zweiten Mal kommen wird. Deshalb müssen Juden in großer Zahl bekehrt werden, weil sonst die Wiederkunft nicht stattfinden kann.

Der bedeutendste Grund in der Beschäftigung mit den Juden liegt jedoch im Glaubwürdigkeitsproblem, das die Existenz der Juden für das Christentum darstellt.

Der Messias und seine Bedeutung im Christentum

Jesus war Jude, und Christen gehen davon aus, dass er der verheißene Messias ist, von dem die Propheten gesprochen haben. Die Idee des Messias – der am Ende der Tage kommen wird um eine Gesellschaft des Friedens, der Liebe und des Wissens um Gott zu errichten – ist jüdisch. Fundamentalistische Christen bestehen darauf, daß Juden wenn sie nur in ihre eigenen Schriften schauen würden und sich darin auskennen würden, Jesus aus jeder Seite entgegen springen würde. Deshalb müssten Juden nach ihrem Verständnis eigentlich die ersten sein, die Jesus als Messias annehmen und an ihn glauben, wenn er der verheißene Messias ist. Jedoch waren die Juden diejenigen, die Jesus nicht als Messias akzeptierten.

Dies war eine verstörende und verwirrende Angelegenheit für die christliche Kirche seit ihren Anfängen. Deshalb bezog die christliche Kirche einen wesentlichen Teil ihrer Glaubwürdigkeit daraus, ob und in welchem Ausmaß sich Juden bekehren. Dies ist für sie also viel mehr wert als wenn sich säkulare Menschen oder Gläubige anderer Religionen dem Christentum zuwenden.

Wenn wir uns aber anschauen, wie die Geschichte gelaufen ist, dürfte es kaum ein anderes „Programm“ geben, das ein so weitreichender Fehlschlag für die Kirche war wie die fortwährenden Anstrengungen Juden zum Christentum zu bekehren.

Trotz der schwierigen Bedingungen, die Juden im Exil hatten und den zahlreichen Verfolgungen, denen sie durch Christen ausgesetzt waren, hat sich – insgesamt gesehen – nur eine relativ geringe Zahl bekehrt. Mit dem Ende des zweiten Jahrtausends nach der Geburt von Jesus sind evangelikale Christen nun mit einem – aus ihrer Sicht – ernsthaften Dilemma konfrontiert: Wie können sie das jüdische Volk dazu bringen, Jesus zu akzeptieren?

Diese Quadratur des Kreises ist keine kleine theologische Herausforderung. Als das Jahr 2000 in Sichtweite war, haben sich die Bemühungen um die Judenmission in Form von Konferenzen und Erklärungen verstärkt. Die ersten beiden Konferenzen fanden bereits in den 70iger Jahren in der Schweiz und in Thailand statt.

Das Public Relations Problem

Das erste Problem, das sie entdeckten, war, daß die Kirche ein schwerwiegendes Kommunikationsproblem hat: Bedingt durch ihre historischen Erfahrungen neigen Juden dazu, alles was mit Christentum und christlicher Kirche zu tun hat, mit Verfolgung und Diskriminierung gleichzusetzen. Juden fühlen sich oft äußerst unwohl, wenn sie Worte hören wie „Jesus Christus“, wenn sie Kreuze oder christliche Abbildungen sowie Ikonen sehen. Das ruft keine Gefühle der Zuneigung in ihnen hervor.

Dieses Kommunikationsproblem vor Augen entwickelten diese Evangelisten einen einmaligen Zugang, dessen Grundmuster folgendermaßen ist:

„Du bis Jude? Wir Christen lieben das jüdische Volk. Verfolgung? Nein! Jeder Christ, der einen Juden im Namen von Jesus verfolgt hat, kann kein wirklicher Christ sein. Ein wahrer Christ liebt das jüdische Volk!“

Diese neue Strategie ermöglicht es Christen, in aller Freiheit zu missionieren und sich gleichzeitig von ihren christlichen Vorgängern zu distanzieren. Auf diese Art und Weise sollen sich jüdische Konvertiten dem Christentum nicht entfremdet fühlen.

Aber Juden würden sich nicht einfach deshalb in Massen zum Christentum bekehrten, weil Evangelikale den Antisemitismus verurteilen. Den Evangelikalen wurde bewußt, daß das Überschütten von Liebe an sich noch nicht effektiv genug ist. Sie verstanden, dass der wesentliche Grund, warum Juden sich nicht bekehren darin liegt, dass Juden nicht aufhören wollen jüdisch zu sein und Christentum sich zum Judentum antithetisch verhält.

Also muss diese Antithese aufgehoben werden

Diese Wahrnehmung führte dazu, dass die Missionare einen ganz neuen und bemerkenswert einfachen Zugang entwickelten Juden zu evangelisieren. Das Grundmuster ist folgendes:

„Wenn du an Jesus glaubst, dann konvertierst du nicht zu einer anderen Religion. Im Gegenteil: Du wirst ein „erfüllter Jude“ – ein „vollkommener Jude“. Vor allem: Jesus war ein Jude. Seine Freunde und Jünger waren Juden, deshalb ist der Glaube an Jesus das jüdischste was du überhaupt tun kannst. Ohne Jesus bist du ein unerfüllter – also ein unvollkommener Jude“.

„Messianische „Synagogen“ halten keine christlichen Feiertage ein. Man wird dort keinen Adventskranz und keinen Weihnachtsbaum finden. Stattdessen begehen diese Gemeinden jüdische Feiertage mit einer „christologischen“ Deutung. Überall auf der Welt gibt es beispielsweise sehr gut ausgearbeitete Vorlagen für messianische Pessach Seder.

Auf den ersten Blick sieht ein messianischer Seder-Tisch aus wie ein traditioneller. So enthält der Sederteller alle Zutaten wie sie auf einem traditionellen Sederteller üblich sind.

Neu ist jedoch, dass den Teilnehmern zu Beginn des Rituals gesagt wird, dass der Wein das Blut von Jeschua / Jesus repräsentiert und die Mazzen seinen Körper. Der wahre Grund, warum es drei Mazzen gäbe, sei der, dass diese die Trinität symbolisieren (Vater, Sohn und Heiliger Geist). Die Mazzen haben Löcher, weil Jeschua / Jesus durchbohrt worden sei als er am Kreuz hing. Warum haben die Mazzen Streifen? Weil Jesus als er geschlagen und gefoltert wurde auf seinem Rücken Striemen hatte. Warum sind die Mazzen von einem weißen Tuch bedeckt? Weil Jesus als er begraben wurde in weiße Tücher eingehüllt wurde. Warum wird die mittlere Mazze gebrochen? Weil Jesus am Kreuz gebrochen wurde …

Messianische Gemeinden werden in den „gelben Seiten“ oder Gottesdienstanzeigern der Tagespresse niemals unter „Kirchen“ geführt. Außerdem hat die messianische Bewegung ein bemerkenswertes Werkzeug für die Evangelisation von Juden entwickelt. Es handelt sich um einen Flyer, der in Kurzfassung darüber Auskunft gibt, was zu tun oder zu lassen ist, wenn man mit Juden ins Gespräch einsteigt um den potentiellen jüdischen Konvertiten nicht abzuschrecken oder zu verprellen:

„Sag nicht Jesus Christus – sag Jeschua
Sag nicht Konvertit – sprich von „messianischen, vollkommenen, erfüllten Juden“
Sag Gemeinde und nicht Kirche
Sag Gläubiger und nicht Christ…“

Die wesentlichen Bemühungen der Judenmissionare laufen darauf hinaus, die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum zu verwischen um so Juden zu ködern, die ansonsten der christlichen Botschaft widerstehen würden. Zum Schrecken der jüdischen Gemeinschaft muss gesagt werden, dass diese Strategie einen bemerkenswerten Erfolg hat unter den verwundbarsten Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft, nämlich den sehr jungen, den alten sowie den russischen Juden.

Welche Gruppen sind besonders gefährdet?

Wie wir gesehen haben, besteht das Hauptanliegen der messianischen Bewegung darin, die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum zu verwischen – letztlich aufzuheben – um diejenigen unter den Juden anzulocken, die der christlichen Botschaft ansonsten widerstehen würden.

Das ist eine Taktik – die zum Schrecken der jüdischen Welt – einen bemerkenswerten Erfolg hat, und zwar in den Teilen der jüdischen Gemeinschaft, die in besonders verletzlichen Lebenssituationen sind:

  • Jugendliche und junge Erwachsene
  • ältere Menschen
  • russische Juden
  • Menschen aus gemischten Partnerschaften

Warum sind gerade Juden, die zu diesen Gruppen gehören so enorm anfällig für die gegenwärtig stattfindenden Missionsattacken? Warum gelingt es den Evangelikalen so relativ leicht, bei jüdischen Jugendlichen Gehör zu finden?

Sicherlich unternehmen die evangelikalen Gruppierungen große Anstrengungen bei ihren Missionsaktivitäten, aber was jüdische Jugendliche und junge Erwachsene betrifft, so kommen noch einige ungünstige Faktoren hinzu:

Junge Menschen sind oft besonders verwundbar und beeinflussbar. Sie sind unsicher in ihrem Selbstwertgefühl, in der Wahrnehmung der Welt um sich herum und in Bezug auf das Erwachsenwerden. Junge Menschen sind auf der Suche. In dieser Situation der Unsicherheit sind sie sehr offen für alle möglichen spirituellen Angebote. Hinzu kommt die Situation nach der Schoah. Jüdische Erziehung und Infrastruktur ist oft nicht in dem Maß zu gewährleisten, wie es notwendig und wünschenswert wäre.

Für die meisten jungen Erwachsenen ist es die Zeit, wo sie das Elternhaus verlassen und ein Studium aufnehmen und sich selbst in unterschiedlichen Bereichen ausprobieren (Studium, Partnerschaft etc). Nur eine Minderheit unserer jungen Leute hat eine umfassende jüdische Erziehung gehabt. Missionare wissen sehr genau um diese Situation und engagieren sich deshalb sehr stark im universitären Bereich, wo sie zu Bibelgruppen, Workshops, Wochenendfreizeiten, G-ttesdiensten und anderen Aktivitäten einladen.

Auch ältere Menschen sind in besonderem Maße anfällig. Es kann kein Zufall sein, dass es gerade in Südflorida, wo viele Ältere wohnen, so viele messianische Gemeinden gibt wie nirgends sonst in Nordamerika wenn man Gebiete mit gleicher Größenordnung wie Florida heranzieht.

Vielmehr als an den altersbedingten körperlichen Einschränkungen und Krankheiten leiden viele unter Einsamkeit und dem Gefühl, dass sie nicht mehr gebraucht werden. So begegnet den Laienmissionaren bei ihren Besuchen in Seniorenheimen nur wenig Widerstand. Ein freundliches Lächeln und eine sanfte Berührung bedeuten diesen allein gelassenen alten Menschen sehr viel. Sie hungern nach Zuwendung und Trost. Daher sind sie anfällig für missionarische Aktivitäten.

Bekanntlich sind gerade die russischen Juden das vorrangiger Ziel evangelikaler Missionsbemühungen. Sie sind in einem System aufgewachsen, in dem sie keinen Zugang zu jüdischer Erziehung und dem Reichtum ihres jüdischen Erbes hatten. Nur sehr wenige unter ihnen wissen über jüdische Feiertage oder andere Inhalte der jüdischen Tradition bescheid.

Ferner bedeutet die Emigration in ein anderes Land immer auch einen Kulturschock und die Auseinandersetzung mit neuen Lebensbedingungen. Wer aus einem System kommt, in dem alles in die Details des Alltags geregelt ist, ist oft in einer Umwelt, die auf Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Entscheidungen setzt, mehr oder weniger überfordert. Die festen Strukturen einer fundamentalistischen Gruppe spiegeln Sicherheit vor.

Außerdem engagieren sich viele evangelikale Gruppen bei der Hilfestellung in Alltagsdingen. Sie besuchen russische Juden in den Übersiedlerheimen, unterstützen sie bei Behördengängen, beschenken sie mit Kleidung oder Gegenständen des Alltagsbedarfs und bieten Kinderstunden an oder eben auch einmal einen Schabbat-Abend. Gelegentlich werden auch finanzielle Vorteile in Aussicht gestellt. Die personellen Kapazitäten, die judenmissionarische Gruppen hier haben, stehen der jüdischen Gemeinschaft nicht zur Verfügung.

Für die älteren russischen Juden spielt auch die Erfahrung der Abwertung und Dequalifikation eine Rolle. Ihre beruflichen Qualifikationen – meist im akademischen Bereich – werden hier nicht anerkannt. Viele müssen – auch wenn sie gerne arbeiten würden – von Sozialhilfe leben. Außerdem verändern sich die Familienstrukturen, d.h. ihre Position in der Familie, durch die Emigration.

Andererseits werden sie durch ihre Situation als Arbeitslose oder Rentner zur Betreuung der Enkel herangezogen. Dies nützen die Judenmissionare sehr geschickt in ihrem Sinn aus: Wer die alten russischen Juden hat und für sich gewinnt, hat damit auch Einfluß auf die Enkelgeneration, die von diesen betreut und geprägt wird.

Eine weitere Gruppe, die gefährdet ist, sind Menschen, die aus religiös gemischten Partnerschaften kommen. Auf den ersten Blick scheint das mehr diejenigen zu betreffen, die einen jüdischen Vater und eine nicht-jüdische Mutter haben, denn sie sind nach dem Verständnis des jüdischen Religionsgesetzes keine Juden. In messianischen Kreisen spielt diese Unterscheidung keine Rolle, denn dort ist Jude, wer ein „Nachkomme Abrahams“ ist. Deshalb können Menschen mit einem jüdischen Vater hier auf Anerkennung hoffen, die ihnen im Bereich jüdischer Gemeinden nicht zuteil wird.

Auch wenn Leute eine jüdische Mutter haben und somit vom Religionsgesetz her Juden sind und somit keine Schwierigkeiten in der jüdischen Gemeinde haben, sind sie unter bestimmten Umständen empfänglich für die Botschaft der Judenmissionare. Wenn in Familien keine klaren Absprachen über die Erziehungskonzepte sind und so keine Zugehörigkeit zu einer Gruppe erlebt werden kann, weil die Botschaften sich widersprechen, kann daraus eine diffuse Identität entstehen. Außerdem scheint „messianisches Judentum“ auf einer psychologischen Ebene die Möglichkeit zu geben Loyalitätskonflikte zwischen der christlichen und der jüdischen Seite so zu lösen, so dass man zu beiden gehört.

Dank an Rabbi Tovia Singer für einige hilfreiche Hinweise

–> Eine Fehlform der Liebe
–> Fest vernetzt – Messianische Juden und christliche Fundamentalisten
–> „Beit Hesed“ – Kirill Swiderskis Gemeinde