Am Anfang

Am Anfang stand die Idee von dem einen einzigen, nicht sichtbaren, aber allmächtigen G’tt. Das war vor über 3.000 Jahren und mit diesem Konzept revolutionierte das Judentum das Religionsverständnis für immer. Zugleich lieferte es so eine Art Blaupause für die zwei anderen großen monotheistischen Weltreligionen, und zwar das Christentum und den Islam. Denn beide beziehen sich sowohl auf jüdische Texte, als auch Protagonisten der jüdischen Überlieferung.

Die Bezeichnung Judentum leitet sich von dem hebräischen Wort „Jehudi“ ab, womit ein Bewohner des Königreichs Juda gemeint war, das sich von ungefähr von 925 bis 586 v.d.Z. über den südlichen Teil des heutigen Staates Israel sowie des Westjordanlandes erstreckte. Dieses wiederum ging aus dem Gebiet hervor, das die Nachfahren von Juda, dem vierten Sohn des Stammvaters Jakob sowie seiner ersten Frau Leah, besiedelt hatten. Bereits hier deutet sich eine gewisse Komplexität an. Denn „jüdisch“ kann als eine religiöse, ethnische, aber auch als eine kulturelle oder nationale Kategorie gelesen werden.

Die Religion ist demnach älter als der Begriff Judentum selbst. Ihre Ursprünge lassen sich in der Torah, den fünf Büchern Moses, nachlesen. Die Geschichte beginnt mit Abraham, der als erster Erzvater – eine andere gängige Bezeichnungen lautet Patriarch – Israels gilt. Mit ihm schloß der Torah zufolge G’tt einen Bund (hebr. Brith), der gleichfalls für dessen Nachkommen gelten sollte, weshalb er in das Land Kanaan gezogen ist. Und über Abrahams Enkel, den bereits erwähnten Jakob, heißt es in der Genesis ferner, dass er am Fluß Jabbok von einem Mann angegriffen und verletzt wird, der sich als himmlisches Wesen zu erkenne und ihm daraufhin den Namen „Israel“ (hebr. „Der mit G’tt kämpft“) verleiht. Aus Jakobs zwölf Söhnen aus gingen letztendlich die Zwölf Stämme Israels hervor, die zusammen mit ihren Familien aufgrund einer Hungersnot in Kanaan nach Ägypten zogen, wo sie in eine 400 Jahre andauernde Sklaverei gerieten, aus der erst Moses sie befreien konnte.

Die Torah (hebr. Weisung, Lehre, Gesetz) ist die wohl wichtigste heilige Schrift im Judentum, weil sie von G'tt offenbart wurde. Sie besteht aus den fünf Büchern Mose und ist der erste Teil des Tanachs, der hebräischen Bibel. Am Anfang findet sich darin der Schöpfungsmythos zur Entstehung der Welt, gefolgt von  den Wanderungen der Stammeltern, woran sich der erzählerische Bogen über den Exodus bis hin zu Landnahme Kanaans, der Offenbarung sowie der Bund mit G'tt bis hin zum Tod von Moses spannt. Darüber hinaus gibt es noch die Nevi'im (hebr. Prophetenbücher), die die Aufzeichnungen der Geschichte Israels enthalten, sowie die Ketuvim (hebr. Schriften), also Texte über die Reaktionen der Menschen auf die Offenbarung G'ttes, sowie Chroniken, die die Zeit der Könige und den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem im 6. Jahrhundert v.d.Z. thematisieren. Alle drei zusammen bilden den Tanach, was ein Akronym ihrer Anfangsbuchstaben ist, Dieser ist ebenfalls als Hebräische Bibel bekannt, die im Christentum Altes Testament heißt.

Der Auszug aus Ägypten, eine 40 Jahre andauernde Wanderung durch die Wüste, deren Details im Buch Exodus geschildert werden, leitete nicht nur den Transformationsprozess zu einem Volk ein. Auf dem Weg in das verheißene Land Israel empfing Moses am Berg Sinai ebenfalls die Zehn Gebote. Bereits das erste davon bringt das Wesen des Judentums auf den Punkt. „Ich bin der Ewige, dein G’tt, der ich dich geführt aus dem Lande Ägypten, aus dem Knechthause. Du sollst keine fremden Götter haben vor mir.“ (2. Buch Mose, 20:2–3). Damit war der Schritt hin zum Monotheismus endgültig vollzogen und institutionalisiert. Das Judentum brach aber nicht nur mit der Vorstellung von der Existenz einer Vielzahl von Göttern, was auf den ersten Blick nur eine quantitative Veränderung mit sich brachte. Es war ebenfalls eine qualitative – schließlich sollte dieser eine G’tt ja einzigartig sein.

Diese Einzigartigkeit drückte sich in der Vorstellung einer Transzendenz sowie einer Abstraktion des Göttlichen aus, die sich ebenfalls in den Verboten wiederfindet, Götzen anzubeten, Bilder von G’tt herzustellen oder seinen Namen in Worte zu fassen, weshalb bis in die Gegenwart hinein im Alltag und im G’ttesdienst Umschreibungen wie „Haschem“ (hebr. Der Name) oder „Adonai“ (hebr. Mein Herr) üblich sind und im Schriftlichen Formulierungen wie „G’tt“. Und zu den Zehn Geboten kamen noch die in der Torah enthaltenen „Mizwot“ (hebr. Gebote) hinzu. Ihre Gesamtzahl beziffert der Talmud (hebr. Belehrung, Studium), auf 613. Sie alle unterteilen sich in 365 Verbote sowie 248 Gebote. Die bekanntesten davon beziehen sich auf die Einhaltung des Schabbats und der „Kaschrut“ (hebr. Reinheit), den jüdischen Speisegesetzen, wie zum Beispiel das Verbot des Verzehrs von Tieren, die keine Wiederkäuer sind und keine gespaltenen Hufe haben.

Der Talmud (hebr. Belehrung, Lehre) lässt sich als Gründungsdokument des nachbiblischen Judentums bezeichnen. Das zwischen der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 v.d.Z. und bis gegen die Mitte des 7. Jahrhunderts entstandene Werk beinhaltet die Mischna (hebr. Wiederholung), also der Sammlung der wichtigsten Religionsgesetze, sowie die Gemara (aram. Vollendung), womit man die narrativen Überlieferungen meint, die alle miteinander verwoben sind. Alles zusammen hat einen Umfang von rund 10.000 Seiten und existiert in gleich zwei Versionen, und zwar dem weitaus bedeutenderen, weil überall verbreiteten Babylonischen Talmud sowie dem weniger umfangreichen und in seinen Bestimmungen etwas laxere Jerusalemer Talmud.

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Zugleich prägten bereits sehr früh Diaspora-Erfahrungen das Judentum, zuallererst in Ägypten. So wurden die Israeliten aber auch im 8. Jahrhundert v.d.Z. von den Assyrern und im 6. Jahrhundert v.d.Z. von den Babyloniern aus dem Land zwischen Mittelmeer und Jordan verschleppt. Im Unterschied zu der Zeit in Ägypten war die „Galut“ (hebr. Exil) in den beiden anderen Fällen alles andere als freiwillig. Die Prophetenbücher Jesaja, Jeremia und Ezechiel skizzieren diese Verbannung aus dem Land Israel und die Zerstreuung unter den Völkern als Strafen dafür, dass das Volk Israel es die Bündnispflicht mit seinem G’tt ebenso wenig genau nahm wie mit der Einhaltung der Torah. Zugleich beinhaltet dieses Konzept aber immer einen Moment der Erlösung, und zwar die durch G’tt eingeleitete Beendigung des Exils und die Zusammenführung aller Exilierten. Vor allem in diesem Punkt unterscheidet sich das Judentum von anderen Religionen.

Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 sowie der gescheiterten Bar-Kochba-Revolte sollte dieser Zustand der Zerstreuung fast 2000 Jahre andauern, was zu einer Herausforderung werden sollte, weil ein zentraler Bezugspunkt des Judentums nicht mehr existierte und Eretz Israel (hebr. Land Israel) wie auch die Stadt Jerusalem faktisch für die Mehrheit der Juden unerreichbar wurde. Darüber hinaus gewann nun die Frage an Bedeutung, wie die Integration von Juden in ein anderes soziales und kulturelles Umfeld bei gleichzeitiger Wahrung der Zugehörigkeit zum Judentum funktionieren kann. Die Galut erforderte besondere Regeln, was sich vor allem in der Beibehaltung des in Eretz Israel gültigen Kalenders mit all seinen Feiertagen zeigte, sowie in der Liturgie, die immer wieder in Gebeten eine Wiederherstellung Zions zum Thema hatte. Wie nachhaltig diese Prägung ausfallen sollte, beweist die Tatsache, dass selbst nach der Gründung des Staates Israels im Jahr 1948 die im Abschluss von Feiertagen wie Pessach oder Yom Kippur übliche Formel „Nächstes Jahr in Jerusalem“ weiterhin in Gebrauch ist.

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