Moses ben Maimon

Das Maimonides Denkmal in Córdoba, der Geburtstadt des RaMBaM.

H. Simon und M. Simon
Aus: Geschichte der jüdischen Philosophie

Zu den bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters gehört Moses ben Maimon (1135-1204), auch als Maimonides oder Maimuni bekannt. Nach den Anfangsbuchstaben seines Namens, Rabbi Moses ben Maimon = RMBM, wird er auch als Rambam bezeichnet. Sein wissenschaftliches Werk hat nicht nur die Entwicklung des Judentums in außerordentlich starkem Masse beeinflusst, sondern auch auf die europäische Scholastik, namentlich auf Albertus Magnus und Thomas von Aquino eingewirkt.
Maimonides sah es als seine Aufgabe an, aristotelische Philosophie und Offenbarungsreligion zu einer Synthese zu bringen, und zwar nicht auf dem Wege der weitgehenden Identifizierung, wie es Abraham ibn Daud letztlich erfolglos versucht hatte, sondern durch die Abgrenzung des wissenschaftlich Beweisbaren von demjenigen, das als Offenbarung hingenommen werden muss. (Anm. Sein wichtigstes und deutlichstes Werk in dieser Richtung ist der „Moreh Newukhim“).

Durch die starke Wirkung über den jüdischen Kreis hinaus ist Maimonides der wohl allgemein bekannteste jüdische Denker des Mittelalters geworden. Die Formulierung, er sei der größte mittelalterliche jüdische Philosoph gewesen, sollte man allerdings vermeiden, ohne dass auf diese Weise seine wissenschaftliche Bedeutung eingeschränkt oder herabgesetzt wird: Er war nach seinem Selbstverständnis kein Philosoph, denn als Philosophen wurden diejenigen bezeichnet, die die Philosophie, vor allem die aristotelische, als alleinigen Forschungsgegenstand und als Basis ihres Weltbildes akzeptierten. Es kann auch in Frage gestellt werden, ob der Versuch, Wissenschaft und Religion zu harmonisieren, die höchste Aufgabe der Philosophie sei. Jedenfalls wäre das Aufstellen einer Rangordnung gemäß der Bedeutung der Gelehrten Ergebnis einer weitgehend subjektiven Wertung.

Über das Leben des Maimonides sind wir relativ gut in formiert, besser als über das der anderen jüdischen Denker des Mittelalters. Er wurde 1138 in Cordova geboren und entstammte einer vornehmen und einflussreichen Gelehrtenfamilie. Sein Vater war Mitglied des Rabbinatskollegiums und hat sich durch eine Reihe wissenschaftlicher Werke einen Namen gemacht. Als im Jahre 1148 Cordova in die Hand der vor allem gegen Andersgläubige intoleranten Almohaden fiel, verließ die Familie die Stadt und hielt sich einige Jahre in verschiedenen Orten Spaniens auf. Gegen 1159 siedelte sie dann nach Fes in Nordafrika über. Da auch diese Stadt zum Herrschaftsbereich der Almohaden gehörte, ist es nicht klar, warum die Familie des Maimon sich gerade dorthin wandte, denn die Verhältnisse dürften in Fes im Prinzip kaum günstiger gewesen sein als in Spanien.

Für die häufig vertretene Ansicht, die Familie habe zum Schein den Islam angenommen, gibt es keine Beweise. Wohl aber zeigt eine Schrift des damals noch nicht dreißigjährigen Maimonides, die in Fes verfasst wurde, eine weitgehende Anpassung an die drückenden und schwierigen Verhältnisse. Dieses in arabischer Sprache verfasste Schreiben über den Glaubenszwang, stellte die Antwort auf ein Gutachten eines jüdischen Gelehrten dar, der erklärt hatte, ein Scheinbekenntnis zum Islam sei als Götzendienst anzusehen und darum müsse jeder, der gezwungen werde, sich zum Islam zu bekehren, den Märtyrertod auf sich nehmen. Wie uns Maimonides mitteilt, befand sich der Verfasser dieses Gutachtens allerdings an einem Ort, wo das Problem nicht akut war, so dass es ihm leicht fiel, einen kompromisslosen Standpunkt einzunehmen, weil er für ihn selbst ohne Konsequenzen blieb.

Da dieses Gutachten die Juden im Reich der Almohaden in erhebliche Gewissensnöte brachte, sah sich Maimonides veranlasst, zu dem Problem Stellung zu nehmen: Er vertrat die Meinung, die Aufforderung zur Selbstaufgabe gehe über das Ziel hinaus und laufe dem Geist der jüdischen Religion zuwider. Der Mensch solle mit den göttlichen Geboten leben, nicht aber durch sie sterben. Da von den Juden jetzt nichts weiter als eine verbale Anerkennung des Prophetentums Mohammeds gefordert werde, ohne dass sie zu irgendwelchen Handlungen genötigt würden, die gegen die göttlichen Gebote verstoßen, so könne man sich durchaus einem solchen Zwang beugen und zu überleben suchen. Maimonides steht also der Situation durchaus realistisch gegenüber. Allerdings rät er seinen Glaubensbrüdern, ein Land, in dem sie solchem Druck ausgesetzt sind, nach Möglichkeit zu verlassen.

Die Familie des Maimon hat diese Konsequenz gezogen, allerdings erst einige Zeit später: 1165 verließ sie Nordafrika und segelte nach Akko. Nach kurzem Aufenthalt in Palästina nahm sie dann in Fustat (Altkairo) ihren ständigen Wohnsitz: In Ägypten, das damals unter der Herrschaft der Fatimiden stand, war die Lage der Juden günstiger; die persönliche Situation des Maimonides jedoch wurde bald schwierig. Der Vater starb kurz nach der Ankunft in Ägypten, und nicht viel später kam der jüngere Bruder des Maimonides, der durch einen Juwelenhandel die Familie erhielt, auf einer Geschäftsreise nach Indien bei einem Schiffbruch ums Leben. Bis dahin hatte sich der Denker ausschließlich seinen Studien widmen können, nun musste er danach trachten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. So begann er, als Arzt tätig zu sein. Im Gegensatz zum christlichen Europa stand ja im arabischsprachigen Raum die Medizin in engem Verhältnis zur Philosophie, und der Erwerb medizinischer Kenntnisse gehörte zur philosophischen Ausbildung, so dass Maimonides entsprechende theoretische Kenntnisse besaß, die er nun praktisch anwenden konnte.

Er war als Arzt sehr erfolgreich und brachte es schließlich bis zur Position eines Leibarztes am Hof der Ajjubiden, die das Fatimidenkalifat beseitigt hatten (1171) und Ägypten de facto souverän beherrschten. Auf Grund seines großen talmudischen Wissens nahm Maimonides außerdem eine führende Position innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Ägypten ein und wurde später auch offiziell das geistige und politische Oberhaupt der ägyptischen Juden, so dass er eine sehr große Arbeitslast zu bewältigen hatte. Er starb in Fustat (1204); seine Leiche wurde nach Tiberias in Palästina gebracht, wo sein Grab heute noch erhalten ist.

Die Werke des Maimonides lassen sich grob in drei Hauptgruppen einteilen: seine Arbeiten auf talmudischem Gebiet, seine philosophischen Schriften und seine medizinischen Abhandlungen. Damit ist das Arbeitsgebiet des Maimonides nur sehr ungenau umrissen, wenn man nicht berücksichtigt, dass zur Philosophie im mittelalterlichen Sinne auch die gesamte Naturwissenschaft gehört und dass die Verzweigtheit des talmudischen Stoffes den auf diesem Gebiet Tätigen auf Themen aus allen Lebensbereichen führen kann.

Uns mögen diese drei Hauptarbeitsgebiete des Maimonides als äußerst heterogen erscheinen; für Maimonides selbst jedoch besteht zwischen ihnen ein sehr enger Zusammenhang. Die Grundlage des Lebens der Menschen sind die Satzungen, die für die Juden ihre Kodifizierung im Talmud gefunden haben. Folglich befasst sich die Arbeit des Maimonides auf talmudischem Gebiet im Grunde mit der Reglementierung des Lebens des einzelnen und der Gesellschaft, also mit letztlich ethischen Fragen. Die philosophischen Schriften des Maimonides beschäftigen sich mit dem Sinn und Zweck der Gesetze; sie geben die rationale theoretische Begründung für die Verbindlichkeit der rechtlichen Normen.

Medizin

Die Medizin erhält bei Maimonides eine ethische Fundierung und wird dadurch in seine philosophische Gesamtkonzeption einbezogen. Da das Übel in der Welt etwas Negatives ist und die G’ttgewollte Harmonie der Welt stört, hat der Mensch die Aufgabe, durch den Kampf gegen das Übel an der Verwirklichung der göttlichen Absicht mitzuwirken. Auf diese Weise wird der Kampf gegen die Krankheit, und vor allem auch die Erhaltung der Gesundheit, zur religiösen Pflicht. Maimonides kennt den Wert der Prophylaxe und legt infolgedessen großen Wert auf die Hygiene; außerdem postuliert er, dass zur ärztlichen Tätigkeit die seelische Behandlung gehören müsse. Den Grundsatz, die Heilung von Krankheiten müsse man G’tt überlassen, lehnt er mit aller Schärfe ab, und ebenso schroff wendet er sich gegen Wunderkuren aller Art.

Die medizinischen Werke des Maimonides fanden nicht nur im arabischsprachigen Raum, sondern auch im christlichen Europa weithin Beachtung und Anerkennung. Jedoch sind die Arbeiten des Autors auf talmudischem und philosophischem Gebiet von weit größerer Originalität und nachhaltigerer Bedeutung (vgl. M. Meyerhof, The Medical Work of Maimonides, in: Essays an Maimonides, ed. S. W Baron, New York 1941, 265-299).

Religion

Noch während seines Aufenthaltes in Spanien begann Maimonides, in arabischer Sprache einen Kommentar zur Mischna, der mündlichen Lehre, zu verfassen, den er im Jahre 1168 in Ägypten zum Abschluss brachte. Dieser Kommentar, dessen hebräische Übersetzung vielen Mischnaausgaben beigedruckt ist, zeichnet sich durch das Bemühen um eine Systematisierung des Stoffes aus. Maimonides liebt es, die allgemeinen Regeln und Grundsätze jeweils zusammen zufassen und geordnet darzustellen. Das geschieht besonders in den Einleitungen, die er dem ganzen Werk und der Behandlung einzelner Mischnatraktate voranstellt. Unter philosophischem Aspekt sind besonders die »Acht Kapitel« von Interesse, die Einleitung zum Traktat Awot, den »Sprüchen der Väter«, einer Sammlung von Sentenzen jüdischer Schriftgelehrter. In dieser Einleitung bietet uns Maimonides einen Abriss seiner Ethik, deren Aufgabe es sei, die Eigenschaften des Menschen zu veredeln und seinen Charakter zu vervollkommnen. Er behandelt in diesem Zusammenhang auch die menschliche Seele und ihre Kräfte, die Frage der menschlichen Willensfreiheit, die Prophetie und die G’tteserkenntnis als Ziel des menschlichen Daseins.

Auch das religionsgesetzliche Hauptwerk des Maimonides, der hebräisch geschriebene Mischne Tora, zeigt das Bemühen, Lehren der Religion mit dem Stand der Wissenschaft zu harmonisieren, und ist darum in philosophischer Hinsicht ebenfalls wichtig. Der im Jahre 1180 abgeschlossene Mischne Tora – der Titel ist dem Bibeltext entnommen, und die Septuaginta übersetzt die Worte mit »Deuteronomion« – ist ein Talmudkompendium, das den gesamten gesetzlichen Lehrstoff zusammenfasst und systematisiert. Die literarische Anlage des Talmuds, in dem den Lehrsätzen der Mischna, der mündlichen Lehre, sich jeweils die Diskussionen der Gelehrten, die Gemara, anschließen, machen dieses Werk außerordentlich unübersichtlich, da sich die Diskus sinnen oft weit von den Problemen entfernen, von denen sie ausgehen. Daher erscheinen Rechtsentscheidungen der Gelehrten häufig in Zusammenhängen, wo sie nicht zu er warten sind. Da jedoch der Talmud die Grundlage des gesamten Rechts bildete und der Richter aus ihm seine Entscheidungen abzuleiten hatte, waren äußerst subtile Kenntnisse erforderlich, die nicht immer ohne weiteres vor ausgesetzt werden konnten. Maimonides begründet die Notwendigkeit seines Werkes mit dem Rückgang der rabbinischen Bildung und stellt darum die dem Talmud zu entnehmenden juristischen Entscheidungen nach sachlichen Gesichtspunkten und infolgedessen übersichtlich zusammen. Der Intention nach umfasst der Mischne Tora alle Vorschriften des Judentums für das religiöse und profane Leben, wenn wir hier zur Verdeutlichung diese Sphären unterscheiden wollen, obgleich eine solche Differenzierung dem gesetzestreuen Judentum unbekannt ist. Die rituellen und kultischen Vorschriften werden ebenso behandelt wie das Zivil und Strafrecht; auch alle Satzungen, die seit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem und durch das Leben in der Diaspora keine aktuelle Bedeutung mehr besassen, sind enthalten. Nicht nur durch die systematische Zusammenfassung des Zusammengehörigen unterscheidet sich der Kodex des Maimonides von der talmudischen Darstellungsweise; sondern auch dadurch, dass der Verfasser nur die Ergebnisse der talmudischen Diskussionen bietet und abweichende Ansichten der Gelehrten unberücksichtigt lässt. Da es indessen im Talmud nicht nur klare Entscheidungen gibt, sondern vielfach die Festlegungen verschiedene Auslegungsmöglichkeiten offen lassen, ist die Tatsache, dass Maimonides Entscheidungen fällt, ohne anzumerken, worauf sich diese stützen, bereits bei seinen Zeitgenossen auf Kritik gestoßen.

Maimonides hat den Talmud nicht nur systematisiert, er hat ihn auch modernisiert, indem er alles das übergeht, was seiner Meinung nach vom Standpunkt der Wissenschaft nicht mehr haltbar ist. Dazu gehören Lehren und Schlussfolgerungen, die auf dem Glauben an Dämonen beruhen, und astrologische Anschauungen, die die Menschenschicksale von Gestirnkonstellationen abhängig machen. Ebenso ließ er solche Lehren aus, die den seit der talmudischen Zeit erheblich gewachsenen medizinischen Kenntnissen wider sprachen. Statt dessen nutzt er die naturwissenschaftlichen Kenntnisse seiner Zeit und baut sie in sein Werk ein. Daher ist der Mischne Tora nicht nur eine Zusammenfassung der bereits vorliegenden talmudischen Vorschriften, sondern das Werk steht auch gleichzeitig auf der Höhe der Wissenschaft der Zeit, indem es sich griechischer Wissenschaft und griechischer, und zwar aristotelischer Philosophie bedient. Das Vorgehen des Maimonides ist wie das Wirken jedes Reformers heftig angegriffen worden und hat auf der anderen Seite auch leidenschaftliche Befürworter gefunden. Der Autor selbst rechtfertigte sein Vorgehen einmal in einem Brief mit den Worten: »Die Augen sind vorne und nicht hinten.«

Seine Absicht, die rechtlichen Vorschriften des Talmuds mit dem neuesten Stand der Wissenschaft zu verbinden, wird in seinem Religionskodex vor allem daran sichtbar, dass er das erste Buch dieses aus 14 Büchern bestehenden Werkes zunächst den Problemen der Physik und der Metaphysik widmet, das infolgedessen eine Art religionsphilosophisches Lehrbuch darstellt. Der Autor sammelt und systematisiert in diesem »Buch der Erkenntnis« genannten ersten Buch seines Religionskodex Mischne Tora nicht nur dasjenige, was sich an philosophischen Gehalten verstreut im Talmud findet, sondern bringt vieles, was im Talmud nicht nur nicht enthalten, sondern ihm auch nicht gemäß ist. Da das Judentum eine Gesetzesreligion ist, geht es bei einer Kodifizierung weniger um weltanschauliche Lehrmeinungen als um die Reglementierung des Handelns. Daher ist es zunächst nicht ohne weiteres ersichtlich, warum Physik und Metaphysik in diesen Rahmen gehören. Besonders betrifft das den Bereich der Physik, die ganz im Sinne der aristotelischen Philosophie von Maimonides behandelt wird. Er findet aber einen Weg, diese dem Judentum ursprünglich fremden Anschauungen als Voraussetzung für die Rechtsvorschriften sinnvoll einzubauen, indem er die Physik ethisiert. Maimonides knüpft sie an das Gebot der G’ttesliebe und der Ehrfurcht vor G’tt:

Nur wenn wir das Weltall betrachten, können wir zur Liebe G’ttes gelangen, denn aus der Ordnung der Welt, aus dem Verständnis ihres Aufbaus und ihres Funktionierens wird uns G’ttes Weisheit bewusst, die uns dazu bringt, G’tt zu lieben. Ebenso erwächst in uns, wenn wir unser kleines Ich dem großen All gegenüberstellen, ein Gefühl der Ehrfurcht G’tt gegenüber. Die Behandlung der Metaphysik, besonders des Problems der G’tteserkenntnis, erklärt sich durch die rationalistische Einstellung des Maimonides, dass die Liebe zu G’tt aus der G’tteserkenntnis resultiere. Auch Probleme der Ethik werden im ersten Buch des Mischne Tora behandelt. Obwohl die Grundlegung der Ethik auf der Religion beruht, hält sich Maimonides im einzelnen weitgehend an die Nikomachische Ethik des Aristoteles. Er übernimmt die Aristotelische Einteilung der Tugenden in ethische und dianoetische und erkennt den letzteren wie Aristoteles den Vorrang zu. Die Aristotelische Definition der Tugend als Mitte zwischen zwei Extremen findet Maimonides bereits in der Bibel, indem er den Satz »Richte gerade das Geleise deines Fusses« (Sprüche 4,26) im Sinne des Wägens versteht, bei dem die Waagschalen ins Gleichgewicht gebracht werden. Der Einbau philosophischer Lehren in ein religionsgesetzliches Werk machen den Mischne Tora zu etwas unerhört Neuartigem, so dass sich schon zu des Maimonides Lebzeiten der Kampf der Orthodoxie gerade gegen das erste Buch dieses Kodex richtete.

Als das vom philosophischen Standpunkt bedeutsamste Werk des Denkers gilt sein »Führer der Unschlüssigen«, der gegen 1190 vollendet wurde. Das in arabischer Sprache geschriebene Buch, dessen Originaltitel »Leitung der Rat losen« lautet, wurde bereits zu Lebzeiten des Maimonides von Samuel ibn Tibbon, der in der Provence lebte, ins Hebräische übertragen. Diese Übersetzung ist in ständiger Konsultation mit dem Autor angefertigt worden, der sie sachlich gebilligt und auch den hebräischen Titel »Führer der Unschlüssigen« sanktioniert hat. Die hebräische Übersetzung des Samuel ibn Tibbon, die unmittelbar vor dem Tode des Maimonides im Jahre 1204 abgeschlossen wurde, hat den Text den Juden außerhalb des arabischsprachigen Gebietes zugänglich gemacht. Wenig später wurde durch den Dichter Jehuda Alcharisi eine zweite Übersetzung des »Führers« hergestellt, die sich von der des Samuel ibn Tibbon durch größere sprachliche Eleganz, aber geringere Genauigkeit unterscheidet. Sie ist insofern zu philosophiehistorischer Bedeutung gelangt, als sie, nicht aber die Übersetzung des Samuel ibn Tibbon, zur Grundlage der lateinischen Version wurde, aus der die europäische Scholastik ihre Kenntnis der Lehren des Maimonides bezogen hat. Bei den Juden hat sich die hebräische Übersetzung des Samuel ibn Tibbon durch gesetzt, während die Arbeit seines Rivalen, der zwar in sprachlicher und stilistischer Hinsicht gewandter; im Verstehen und exakten Wiedergeben der gedanklichen Inhalte jedoch weniger erfolgreich war, in den Hintergrund trat.

Die Aufgabe; die sich Maimonides im »Führer der Unschlüssigen« stellt, ist die Leitung derer, die sich nicht ent scheiden können, welchen Weg sie einschlagen sollen, die zwischen demjenigen schwanken, was die religiöse Überlieferung vorschreibt, und dem, was die Ratio, ‚das philosophische Denken für wahr erkennt. Es geht dem Autor also um das für das Mittelalter zentrale Problem des Verhältnisses von Glauben und Wissen. Das ist eine durchaus philosophische Fragestellung, trotzdem aber ist es schwer, den »Führer« ein philosophisches Werk zu nennen. Maimonides selbst formuliert die Aufgabe, die er sich gestellt hat, mit den Worten: »Das Ziel dieser Darlegung … ist die wahre Wissenschaft des Gesetzes, (das Werk) hat den Zweck, demjenigen eine Anleitung zu geben, welcher der Religion kundig und mit dem Gesetz vertraut ist, der an die Wahrheit der Tora glaubt und in seinem Glauben und Charakter untadlig ist, der aber Philosophie studiert hat und ihre Probleme kennt und den die menschliche Vernunft angezogen hat …« (I, Einleitung). Die wahre Wissenschaft des Gesetzes ist im Gegensatz zur Gesetzeswissenschaft, die Maimonides im Mischne Tora behandelt, mit den Grundlagen des Religionsgesetzes befasst, ist also dasjenige, was die islamische Tradition als Kalam bezeichnet. Zwar identifiziert sich Maimonides weder mit den Methoden noch mit den Thesen der Vertreter des Kalam; im Gegenteil, er lehnt sie nachdrücklich ab. Aber doch besteht eine Übereinstimmung in der Zielsetzung, denn auch Maimonides geht es um den Beweis der Richtigkeit der Religionslehren. Verstehen wir Philosophie in dem Sinne, wie Maimonides sie aufgefasst hat, nämlich als das aristotelische System in derjenigen Form, die ihm Alfarabi und Avicenna gegeben hatten, als umfassende und für das Verstehen aller Welträtsel im Prinzip völlig ausreichende wissenschaftliche Erklärung, dann war Maimonides kein Philosoph und sein »Führer« kein philosophisches Werk. Vielmehr geht der Denker von der Gewissheit der absoluten Richtigkeit und unbedingten Gültigkeit der biblischen Lehren aus und will dafür den Beweis erbringen. Maimonides bestreitet also den Anspruch der Philosophie, sie könne die Wahrheit, die in der Religion nur in verhüllter und dem Verständnis der ungelehrten Menge angepasster Form enthalten sei, deutlich erweisen, so dass, falls alle Menschen zur Weisheit gelangten, durch die Wissenschaft die Religion aufgehoben würde.

Die Absicht des Maimonides ist im Grunde theologisch: Das heißt aber nicht, dass er die Bedeutung der Philosophie bestritten hätte. Wenn sie auch nach seiner Meinung als Gesamtsystem zur Erklärung der Welt unzureichend sei und ihre Behauptungen nicht beweiskräftig seien, so akzeptiert er sie dort, wo ihre Beweise stichhaltig sind. Insoweit Aristoteles für die Erklärung bestimmter Probleme stringente Beweise geliefert hat, macht sich Maimonides diese zu eigen, und in diesem Sinne ist er als Aristoteliker zu bezeichnen, weil der Aristotelismus als Philosophie die richtige ist.

In einem 1199 geschriebenen Brief an seinen Übersetzer Samuel ibn Tibbon betont der Autor, dass die Werke des Aristoteles die Grundlage der wissenschaftlichen Literatur seien. Um sie richtig zu verstehen, müsse man sich der Kommentare des Alexander von Aphrodisias und des Themistios bedienen, in denen die peripatetische Philosophie noch klarer dargelegt sei als in den Werken des Aristoteles selbst. Besonders empfiehlt er auch die Kommentare des Averroes, obwohl er selbst, soweit wir wissen, sie zur Zeit der Abfassung des Führers« nicht kannte und daher nicht berück sichtigen konnte. Über andere philosophische Literatur der Griechen äußert sich Maimonides sehr ablehnend: Die Werke des Empedokles, des Pythagoras, des Hermes – es handelt sich hier um pseudepigraphische spätantike Schriften und um die hermetische Literatur – und des Porphyrios seien nicht wert, die Zeit damit zu verschwenden; Platons Werke seien dunkel und bilderreich, sie seien durch Aristoteles überholt und folglich entbehrlich. Durch diese Haltung ist selbstverständlich die Tatsache, dass der Aristotelismus der Araber sich nie restlos von platonischen Elementen lösen konnte, nicht aus der Welt geschafft: Für das Studium der Logik empfiehlt Maimonides besonders die Werke von Alfarabi, auch Avicennas Schriften seien nützlich, wenn gleich von geringerem Wen. Besonders den ersten Vertreter der aristotelischen Schule in Spanien Ibn Badja (in der Scholastik als Avempace bezeichnet) schätzt Maimonides als großen Philosophen.

Der »Führer der Unschlüssigen« ist im Gegensatz zu den anderen Werken des Autors nicht für eine breite Öffentlichkeit bestimmt, sondern richtet sich an eine intellektuelle Elite, die durch die Kenntnis der Wissenschaften in Konflikt mit den biblischen Anschauungen gekommen ist. Maimonides geht es darum, diesen Personenkreis dazu zu befähigen, den Bibeltext nicht in seinem äußeren Wortsinn zu verstehen, sondern die Geheimnisse des Gesetzes, den eigentlichen Sinn und die richtige Interpretation der Offenbarungslehren zu erfassen. Unter Geheimnissen der Bibel sind im wesentlichen zwei Problemkomplexe zu verstehen, die Lehre vom Schöpfungswerk und die Lehre vom göttlichen Thronwagen, im Anschluss an die Vision des Propheten Ezechiel. Beide Themen wurden bereits in talmudischer Zeit diskutiert, doch stellten sie eine Geheimlehre dar und durften nicht vor einem breiteren Publikum behandelt wer den. Die Mischna verbietet die Erörterung der Schöpfungsproblematik vor mehr als einem Schüler, die Lehre vom göttlichen Thronwagen, von den himmlischen Dingen, darf sogar auch vor einem nur dann behandelt werden, wenn dieser weise ist und die Sache aus eigener Einsicht versteht. Selbst in diesem Falle darf man ihm nicht die Einzelheiten, sondern nur die Hauptpunkte mitteilen. Maimonides identifiziert die Thematik der Schöpfung mit dem Gegenstand der Physik, die theosophische Spekulation mit dem der Metaphysik, er behandelt also in seinem »Führer« Fragen der Metaphysik und Prinzipien der Physik, wobei er aber das beiseite lässt, was seiner Meinung nach der Aristotelismus bewiesen hat, und sich auf Probleme beschränkt, die darüber hinausgehen.

Um das talmudische Verbot nicht zu verletzen, über Physik und Metaphysik in der Öffentlichkeit zu handeln, schickt Maimonides dem Werk einen Brief an seinen Schüler Josef ben Jehuda voraus, so dass die Fiktion aufrechterhalten wird, der »Führer« sei nur für eine Person bestimmt. Auch hält sich Maimonides an die Vorschrift, nur die Hauptpunkte mitzuteilen, und überlässt es dem entsprechend vorgebildeten Leser, aus Andeutungen den Sinn zu erfassen. Dadurch ist der »Führer« ein nicht leicht lesbares Buch.

Formal gesehen besteht das Werk aus drei Teilen, deren erster sich mit der Gewinnung eines geläuterten, von allen Anthropomorphismen freien G’ttesbegriffs befasst, während der zweite Teil sich mit dem Beweis des Daseins G’ttes beschäftigt und G’ttes Verhältnis zur intelligiblen Welt erörtert, der dritte Teil schließlich Ezechiels Vision vom göttlichen Thronwagen und die Beziehung G’ttes zum Menschen behandelt. Wer jedoch den »Duxperplexorum« zu lesen beginnt, gerät zunächst in gerade die Verwirrung, die das Buch zu beheben sich anheischig macht; denn Maimonides schreibt in der Einleitung seines Werkes, seine erste Aufgabe sei es, die Bedeutung gewisser biblischer Wörter zu erläutern und ferner sehr dunkle im Bibeltext vorkommende Gleichnisse zu erörtern. Dieser Zielstellung entsprechend, beginnt er seinen »Führer« unvermittelt mit Erklärungen zahlreicher einzelner Wörter, so dass der Eindruck entsteht, er beabsichtige in erster Linie eine vorwiegend philologische Exegese. Es handelt sich hauptsächlich um Wörter, die, wenn sie auf G’tt bezogen werden, den Eindruck vermitteln könnten, er sei ein körperliches Wesen. Maimonides will in dessen nachweisen, dass die Wörter, die er einleitend behandelt, verschieden aufgefasst werden können, weil sie polysem sind, also je nach ihrem Kontext variierende Bedeutungen haben. Auf diese Weise schafft er sich die Möglichkeit, zu zeigen, dass die jeweils richtige Bedeutung erst ermittelt wer den muss. Daraus leitet er für sich die Berechtigung her, den Bibeltext dann umzuinterpretieren, wenn er mit bewiesenen philosophischen Ergebnissen kollidiert. So ist die terminologische Erörterung, mit der der »Führer« anhebt, eine nicht nur philologische, sondern auch philosophisch relevante Textexegese.

Die Tatsache, dass das erste Buch des »Führers« Worterklärungen bietet, lässt sich unschwer aus didaktischen Absichten des Autors erklären: Auf diese Weise sollten diejenigen überzeugt werden, die nicht ohne weiteres geneigt waren, seine philosophischen Ansichten zu akzeptieren. Wenn es ihm aber gelang, diese zu der Einsicht zu bringen, dass die Worte der Bibel nicht nach ihrem äußeren Sinn zu verstehen seien, und er die Leser seinen diesbezüglichen Erläuterungen geneigt machen konnte, dann durfte er hoffen, auch für seine übrigen Ausführungen Verständnis und Zustimmung zu finden.

Die Erörterung der. einzelnen Wörter lässt keinen klaren Aufbau erkennen; die Darlegung springt von einem Gegen stand zum anderen, wird auch durch anderes, nicht Da zugehöriges unterbrochen. Obwohl meist Bezeichnungen behandelt werden, die, wenn auf G’tt bezogen, diesen vermenschlichen, so findet sich z. B. zwischen Wörtern, die G’tt einen Ort und räumliche Bewegung zusprechen, eine Begriffsbestimmung des Wortes Mensch (hebräisch: adam) und ein Kapitel, das davon handelt, dass die Schöpfungslehre ein esoterischer, nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Gegenstand sei.

Erst mit dem 50. Kapitel des ersten Teils des Werkes, in dem der Autor zur Behandlung des Problems der göttlichen Attribute kommt, beginnt eine einigermaßen fortlaufende und folgerichtige Darstellung. Es scheint allerdings, dass dieser merkwürdige Anfang des Buches, der nicht unseren Vorstellungen von theoretischen Abhandlungen entspricht, nicht auf kompositorischen Schwächen beruht, sondern dar auf, dass Maimonides vorsätzlich eine Form der Darstellung gewählt hat, die den Üblichkeiten widerspricht; denn er er klärt nachdrücklich, sein Werk sei sehr sorgfältig und nach einem genauen Plan aufgebaut, die Worte seien nicht willkürlich gewählt, sondern mit großer Genauigkeit und nichts werde an falscher Stelle erklärt (I, Einleitung).

Vorausgesetzt, dass die Darstellungsweise des Maimonides intentionell ist, liegt es nicht fern, sie mit derjenigen der Bibel zu vergleichen: Auch der uns vorliegende Bibeltext überrascht immer wieder durch Sprünge, Unterbrechungen des fortlaufenden Berichtes, Wiederaufnahmen früherer Themen; die dann oft in veränderter Form behandelt wer den. Die moderne Bibelwissenschaft erklärt solche Erscheinungen dadurch, dass sie verschiedene Quellenschriften annimmt, bei deren Zusammenfügung redaktionelle Ungeschicklichkeiten nicht völlig vermieden sind. Für Maimonides jedoch ist die biblische Offenbarung ein Werk aus einem Guss, und daher muss dasjenige, was dem kritischen Leser zunächst als ungereimt erscheint; beabsichtigt sein. Deshalb gilt es, die Gründe dafür zu finden, warum die biblische Darstellung im gegebenen Fall so und nicht anders gestaltet ist. So‘ ist die Bibel zugleich ein exoterisches und esoterisches Buch, sie spricht in der Sprache der Menschen und ist folglich für jedermann verständlich, doch andererseits hat sie noch einen tieferen, verborgenen Sinn, der nur dem Gelehrten offenbar werden kann und den nach der Meinung des Maimonides nur die philosophische Interpretation enthüllt (vgl. I,33).

Durch richtige, rationale Interpretation kann man den verborgenen Sinn der scheinbaren, jedoch vorsätzlichen Unordnung des biblischen Textes ergründen, und ebenso ist beim Studium des »Führers« vorzugehen. Darum schärft Maimonides seinem Leser ein, die Kapitel des Werkes auf einander zu beziehen und vor allem den Sinn jedes Wortes zu erfassen, weil jedes Wort, das er mit Vorbedacht wählt, durch die genaue und richtige Interpretation eine Einsicht aufleuchten lässt, die beim flüchtigen Überlesen verborgen bleibt.

Der Denker will in seinem Werk die Geheimnisse der Bibel gleichzeitig enthüllen und auch verhüllen, um nur demjenigen, der die notwendigen philosophischen Voraussetzungen besitzt, den Weg zum Verständnis durch Andeutungen und Hinweise zu zeigen. Die vermeintliche Unordnung im Aufbau seines Werkes dürfte darum beabsichtigt sein als eine wohlerwogene, nur dem geschulten Leser zugängliche Methode der Darstellung.

Die philosophische Bedeutung des Maimonides beruht weniger auf der Neuartigkeit der behandelten Einzelprobleme als vielmehr auf der synthetisierenden Kraft, mit der er ein umfassendes System zusammengefügt hat. Aus jüdischer Religion und aristotelischer Philosophie hat er ein Gesamtgebäude errichtet, indem er diese beiden heterogenen Komponenten einander anzugleichen und zu harmonisieren suchte, was allerdings nur auf dem Wege des Kompromisses erreicht werden könnte.

Der zentrale Begriff des Systems des Maimonides, von dem aus alle Rätsel und Geheimnisse der Tora zu betrachten und zu verstehen sind, ist der G’ttesbegriff. Darum widmet sich der Autor zunächst der Aufgabe, diesen Begriff so präzise, wie es irgend möglich ist, zu erfassen. Dazu bedient er sich des Mittels der negativen Theologie, wie sie – ausgehend von Philon über den Kalam in die jüdische Philosophie ein gedrungen und dort heimisch geworden war. Maimonides hat also die Theorie der negativen Attribute G’ttes bereits vorgefunden, aber ihm kommt das Verdienst zu, diese Lehre am konsequentesten durchdacht und am umfassendsten aus gearbeitet zu haben.

Dem Bestreben, den G’ttesbegriff mit Hilfe negativer Bestimmungen zu erfassen, steht der kanonische Wortlaut der biblischen Schriften entgegen, wo an einer Vielzahl von Stellen von G’tt Aussagen gemacht werden, die ihn als Person in Analogie zum Menschen erscheinen lassen. Infolge dessen bestand für Maimonides die Aufgabe zunächst darin, diese Anthropomorphismen zu beseitigen, die bei wörtlicher Auffassung G’tt zu einem körperlichen Wesen machen würden. Da die Bibel sich an alle Menschen wendet, spricht sie in der Sprache der Menschen und verwendet Bilder, die indessen in ihrer Sinnbildlichkeit als Umschreibungen zu verstehen sind. In seinem Bemühen, den wahren Sinn der biblischen Bildersprache zu erfassen, bedient sich Maimonides der bereits in der jüdisch-alexandrinischen Tradition und im Kalam praktizierten Methode der Allegorese. Er sucht auf diese Weise nicht nur Formulierungen zu interpretieren, die die Körperlichkeit G’ttes nahe legen könnten, sondern auch Berichte über Wunder in übertragenem Sinne zu verstehen, wenn sie philosophischen Erkenntnissen widersprechen, obgleich grundsätzlich das Wunder als Möglichkeit aus seinem Weltbild nicht ausgeschaltet wird. Im Unterschied zu den arabischen Philosophen, denen es nicht um die Einbeziehung der Religion in ihr System ging, sondern um ein Nebeneinander der Meinungen der Menge und der der Elite, macht Maimonides es der Allgemeinheit zur Pflicht, zu einem von allen anthropomorphen Zügen gereinigten G’ttesbegriff zu gelangen.

Die Theorie der negativen Attribute G’ttes hat für Maimonides zunächst einen heuristischen Wert und einen methodischen Charakter. Im Bereich der empirischen Erkenntnis, innerhalb der irdischen Welt kann man Objekte dadurch erfassen, dass man immer mehr Bestimmungen von ihnen ausschließt, um auf diese Weise, durch eine Reihe von Negationen, sich der Erkenntnis zu nähern: Die Exklusionen führen schließlich zu einer dem betreffenden Gegenstand der Untersuchung angemessenen positiven Bestimmung. In Bezug auf G’tt ist es allerdings nicht möglich, ihn auf diesem Wege zu erkennen, aber trotzdem wächst unsere Erkenntnis, wenn es gelingt, unangemessene Bestimmungen von der G’tteskonzeption fernzuhalten. Hinter jeder positiven Aus sage über G’tt steht die Negation ihrer Negation. Wenn wir sagen, G’tt existiere, so bedeutet das nur, dass wir ihm die Nichtexistenz absprechen; mit der Behauptung seiner Allmacht ist gemeint, dass ihm keine Ohnmacht zukommt. G’ttes Wesen hat also keinerlei Attribute, weder positive noch negative.

Maimonides bietet eine Einteilung der Attribute in fünf Klassen: Er unterscheidet Definitionen, Definitionsbestand teile, Qualitäten, Relations- und Wirkungsattribute. Definitionen und Teildefinitionen betreffen das Wesen dessen, von dem sie ausgesagt werden, während die drei übrigen Klassen der Attribute dem Gegenstand akzidentell sind. Definieren können wir G’tt nicht, denn die Definition erfolgt durch die Feststellung des genus proximum, der nächsthöheren Gattung, und der differentia specifica, des artbildenden Unterschiedes. Da G’tt als oberstes Prinzip verstanden wird, ist eine Definition im Aristotelischen Sinne nicht möglich. Ebenso verhält es sich mit Teildefinitionen. Darunter versteht Maimonides Aussagen, die sich auf das Wesen eines Gegenstandes beziehen, etwas bezeichnen, was für den Gegenstand konstitutiv ist und ihm notwendig zukommt, ohne ihn umfassend zu definieren. So ist zum Beispiel die Aus sage, der Mensch sei vernunftbegabt, ein Teil seiner Definition, denn der Mensch ist ein vernunftbegabtes Lebewesen. Eine Teildefinition G’ttes ist darum unmöglich, weil das voraussetzen würde, dass G’tt aus Teilen zusammengesetzt sei; er wäre also nicht einer im strengen Sinne des Wortes. In der Darlegung der Attributenlehre fasst Maimonides den G’ttesbegriff im Sinne des neoplatonischen Einen und führt auch die Bemühungen der arabischen Dogmatik weiter, die den biblischen Begriff des einen G’ttes mit großer Konsequenz zu präzisieren getrachtet hatte. Schon der Begriff der Einheit schliesst jede Aussage aus, da diese als Verknüpfung von Subjekt und Prädikat bereits eine Zweiheit darstellt und so eine Mehrheit begrifflicher Bestimmungen involviert. Ein zusammengesetzter G’tt wäre entweder teilbar wie jede Zusammensetzung und daher vergänglich, oder seine verschiedenen Attribute wären ebenso ewig wie das Ganze, wodurch die Einheit G’ttes aufgehoben würde und wir zur Vielgötterei gelangten. Im Anschluss an die Mutaziliten, für die die göttlichen Attribute bloße Namen waren und die damit Gedankengänge vorwegnahmen, wie sie im Nominalismus der europäischen Scholastik auftraten, war für Maimonides die Anerkennung von Teildefinitionen in Bezug auf den G’ttesbegriff weder theologisch noch philosophisch möglich. Vom Wesen G’ttes kann außer der Tautologie, dass G’tt G’tt ist, nichts ausgesagt werden.

Eigenschaften sind Attribute, die zum Wesen des Dinges hinzutreten, es infolgedessen nicht ausmachen. Schon daraus ergibt es sich, dass solche akzidentellen Qualitäten dem G’ttesbegriff nicht gemäß sind, denn das Eine würde dann zu etwas Zusammengesetztem, das Wesen zum Substrat von Eigenschaften. Auch würde G’tt zu etwas Veränderlichem und wäre wechselnden Zuständen unterworfen. Daher lassen sich, wie Maimonides betont, akzidentelle Eigenschaften von G’tt nicht aussagen.

Was nun die Relationsattribute angeht, so scheint hier zunächst der Eindruck entstehen zu können, sie seien auf G’tt anwendbar. Denn Beziehungen eines Dinges zu anderen betreffen weder sein Wesen, noch sind sie Qualitäten, die zu diesem Wesen hinzutreten; sie bedingen keine Vielheit und keine Veränderung in dem durch sie bezeichneten Ding, das vielerlei Beziehungen haben kann, dabei aber unverändert bleibt. Trotzdem lassen sich von G’tt keine Relationen aussagen. Ein Ding kann zu Raum und Zeit in Beziehung gesetzt werden, aber G’tt kann mit Raum und Zeit nicht verbunden sein. Raum ist nach Aristoteles als Begrenzung von Körpern zu verstehen, Zeit als Maß der Bewegung, die ein begriffliches Merkmal der Körper darstellt. Räumliche und zeitliche Beziehungen lassen sich daher nur auf Körper anwenden, so dass sie dem Unkörperlichen nicht zukommen und daher G’tt nicht attribuiert werden können. Zunächst wäre aber eine dritte Art von Beziehungen als auf G’tt anwendbar denkmöglich, nämlich die Beziehung des Schöpfers zur von ihm geschaffenen Welt. Jedoch auch diese Relation weist Maimonides zurück: Eine reale Verbindung zwischen G’tt und der Welt würde das absolut Notwendige zum Möglichen in ein gegenseitiges und daher umkehrbares Verhältnis setzen. Selbst ein Vergleich zwischen G’tt und der Welt ist unmöglich, da es nichts beiden Gemeinsames gibt, das verglichen werden könnte; G’tt ist prinzipiell von allem Geschaffenen verschieden, so dass Schöpfer und Geschöpf unvergleichbar sind.

So scheint es also, dass G’tt vollkommen unerkennbar ist, weil wir von ihm keinerlei positive Aussage machen können, sondern nur imstande sind zu konstatieren, was er nicht ist. Das mag eine für die Philosophie mögliche Konsequenz sein. Durch die Eliminierung aller inadäquaten Bestimmungen ist mit Hilfe philosophischer Argumentation eine G’tteskonzeption entstanden, die den prinzipiellen Gegensatz zwischen G’tt und der Welt, dem absolut Einen und dem Vielen, scharf herausarbeitet. G’tt als der unerkennbaren ersten Ursache steht die Welt als sein Produkt selbständig gegen über, doch der G’ttesbegriff ist völlig entleert, so dass er als zentraler Bezugspunkt monotheistischer Vorstellungen unbrauchbar geworden ist. Das Judentum kann einen G’tt, zu dem der Mensch in keinerlei Beziehungen treten kann, nicht akzeptieren, denn es versteht G’tt als sittlichen Willen und seine Lehre als Forderung, und Aufgabe. Der biblische G’ttesbegriff ist der eines ethischen Personalismus, und zwischen G’tt und dem Menschen besteht eine Ich-Du Beziehung. Der Endzweck der Welt ist ihre größtmögliche Annäherung an G’tt, ihre ethische Vervollkommnung. Da der G’tt der jüdischen Religion ein transzendenter G’tt ist, der außerhalb der von ihm geschaffenen Welt steht, ist von jüdischen Voraussetzungen her die Selbständigkeit der Welt und damit die Möglichkeit, sie wissenschaftlich zu erforschen und rational zu erkennen, legitim; die absolute Beziehungslosigkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf würde jedoch die Religion aufheben. Maimonides ist nicht nur als Jude gehalten, den biblischen G’ttesbegriff – zumindest in einer philosophisch interpretierten bzw. umgewandelten Weise – zu bewahren, sondern sein erklärtes Ziel ist es auch, aller Philosophie zum Trotz denjenigen, die in Zweifel geraten sind, nicht nur die Vertretbarkeit der Lehren der Religion nachzuweisen, sondern auch ihre Vereinbarkeit mit der Philosophie und sogar ihre Überlegenheit gegenüber dem Aristotelismus. Daher musste er sowohl die Möglichkeit eines gewissen Maßes an G’tteserkenntnis bejahen und ein sichtig machen als auch die zunächst mehr neoplatonische als aristotelische G’ttesvorstellung modifizieren, das absolut Eine durch den einen personalen G’tt als Bezugspunkt für das sittliche Individuum ersetzen. Denn die pantheistische Konsequenz, die aus dem neoplatonischen Emanationsschema gezogen werden kann, so dass der als transzendent angenommene G’tt zugleich weltimmanent und damit greifbar wird, ist für den Denker nicht nur auf Grund seiner Position als Bekenner des Judentums, sondern auch als Vertreter des Aristotelismus unannehmbar.

Maimonides fasst den Begriff der Relation sehr scharf und schränkt ihn stärker ein als frühere jüdische Philosophen. Die jüdische Religion könnte durchaus zugestehen, dass die sittliche Personalität G’ttes und die sittliche Person des Menschen zueinander in Beziehung stehen. Jehuda Halewi und Abraham ibn Daud haben daher Attribute der Relation als positive Aussagen über G’tt zugelassen. Aus Gründen philosophischer Begriffsschärfe kann sich Maimonides dazu nicht verstehen; Relation lässt er nur als Beziehungen auf gleicher Basis gelten. Das bietet ihm aber die Möglichkeit, die Tätigkeit des Schöpfers in ihrer kausalen Wirkung auf das Geschöpf als eine separate Klasse von göttlichen Attributen zu fassen.

Diese Attribute der Wirkung unterscheiden sich von allen anderen dadurch, dass sie im Gegensatz zu ihnen positive Attribute sind. Die einzige positive Aussage, die wir von G’tt machen können, besteht in der Angabe der von ihm ausgehenden Wirkungen, die, da wir G’tt als höchste Seinsursache erkennen, möglich sein muss. Die uns erkennbaren Wirkungen G’ttes in der Welt sind diejenigen, die auf den Menschen abzielen, so dass die göttlichen Eigenschaften als Vorbilder in die Welt verlegt werden. Der ethische G’ttes begriff der Bibel lässt sich mit dem absolut Einen der Philosophie nur derart verbinden, dass die Ethisierung auf die Wirksamkeit G’ttes eingeschränkt wird. Das ethische Wirken G’ttes auf die Welt realisiert zugleich den Zweck der Schöpfung, indem der Mensch durch die Erkenntnis der göttlichen Wirkungen zur ethischen Vervollkommnung geführt wird und sich G’tt annähert, soweit das möglich ist. Unter philosophischem Aspekt mag diese Ansicht unbefriedigend sein, doch ist eine Fundierung der Ethik von der Position des Aristotelismus aus ebenso problematisch wie von der des Neoplatonismus her. Maimonides indessen geht es um die philosophische Durchdringung einer bereits fest stehenden Wahrheit, nämlich der Religion. Er hat mit seiner Ethisierung der göttlichen Wirkungen nichts anderes getan, als dem in der jüdischen religiösen Tradition vertretenen Gedanken, G’tt habe zuerst die Tora geschaffen und nach ihrem Plan, unter Ansehung der Tora, die Welt hervorgebracht, G’tt und dem Menschen in den Mittelpunkt. Der Mensch verwirklicht seine Möglichkeiten in der Zielrichtung auf das göttliche Vorbild, das ihm in den Wirkungen G’ttes erkenn bar ist. Jedoch ist dieser Aspekt der Teleologie nur aus menschlicher Sicht relevant. Außerhalb seiner Attributen lehre bestreitet Maimonides ganz entschieden die Ansicht, die Welt sei um des Menschen willen geschaffen und dieser sei der Endzweck der Schöpfung. In einem solchen Falle wären große Bereiche des Kosmos überflüssig und ihr Vorhandensein sinn- und zwecklos, da sie der menschlichen Existenz nicht als Voraussetzung dienen. Maimonides weiß sich in Übereinstimmung mit Aristoteles, nach dessen Auffassung von Teleologie dem Menschen die Qualität eines beliebigen Einzeldinges zukommt; wie alles andere Existente ist der Mensch auf die Verwirklichung seiner spezifischen Möglichkeiten angelegt. Da jedoch für Maimonides die Welt nicht notwendig ist, sondern willentliche freie Schöpfung, muss er im Gegensatz zu Aristoteles fragen, wozu die Welt überhaupt geschaffen wurde. Doch erachtet Maimonides die Frage nach dem Zweck aller Zwecke als für uns unbeantwortbar und weist auf die Unerforschlichkeit des göttlichen Willens hin (vgl. III,13).

Stehen sich ein religiöses und ein philosophisches Verständnis der Teleologie gegenüber? Ergänzen sich die Betrachtungsweisen; so dass sie harmonieren, oder sind sie als Widersprüche aufzufassen? Sind, wenn ein Ausgleich unmöglich ist, diese Widersprüche beabsichtigt oder unterlaufen? Was ist im Falle eines beabsichtigten Widerspruches die auf diese Weise verhüllte wahre Meinung des Maimonides? Der Text lässt präzise Antworten auf diese Fragen nicht zu; auf willkürliche Interpretationen, die leichtfertig oder tendenziös wären, soll verzichtet werden.

Die Identifizierung von Sittengesetz und Weltplan ist ein dem Judentum geläufiger, ja zentraler Gedanke, der sich bei Maimonides aus der religiösen Tradition erklären lässt, wo bei er sich gleichzeitig mit Platonischen Ansichten deckt, die möglicherweise ihrerseits auf die nachbiblische jüdische Tradition eingewirkt haben. Da Maimonides die Philosophie Platons nicht schätzt und meint, sie sei durch die des Aristoteles überwunden, lässt sich die Ethisierung des der Attributenlehre zugrunde liegenden neoplatonischen leeren G’ttesbegriffs als platonisierend, nicht aber als Platonisch bezeichnen.

Da nun das Ziel der Religion in der G’tteserkenntnis besteht, kommt es nach der Meinung des Maimonides für den Menschen darauf an, die Wirkungen G’ttes zu erkennen; durch diese Erkenntnistätigkeit ist jeder Mensch individuell auf G’tt bezogen, der der alleinige Weltzweck ist. Die Erkenntnis stellt das Band zwischen dem Menschen und G’tt dar, und so weiß sich Maimonides in Übereinstimmung mit Aristoteles und dessen Ethik, indem er den Vorrang der dianoetischen Tugenden betont; daraus resultiert für den Menschen die Verpflichtung zum Lernen, zum Studium der göttlichen Gebote, denn nur auf diese Weise kann sich die Annäherung des Menschen an G’tt vollziehen.

Die Betonung des Wertes und der Notwendigkeit der Erkenntnis macht es verständlich, dass Maimonides, nach dem er den G’ttesbegriff zunächst durch die Ausschaltung aller unangemessenen Bestimmungen völlig entleert und die menschliche Erkenntnis auf die Wirkungen G’ttes eingeschränkt hatte, recht unvermittelt zu einer positiven Bestimmung G’ttes kommt und die Aristotelische Formulierung, G’tt sei das Denken des Denkens, aufgreift. Der zunächst neoplatonische G’ttesbegriff, der dann entsprechend dem religiösen Anliegen des Autors durch die Einführung der Wirkungsattribute ethisiert wird, erhält schließlich eine Präzisierung in Richtung auf die Aristotelische G’ttesdefinition. Maimonides legt den Aristotelischen G’ttesbegriff ausführlich dar und zeigt, dass die in allem aktuellen Denken vorhandene Identität von Denken; Denkendem und Gedachtem es ermöglicht, G’tt das Denken zuzuschreiben, ohne damit die Einheit des göttlichen Wesens aufzuheben. Das Denken G’ttes ist kein Attribut seines Wesens, sondern das vollkommene Bewusstsein ist die höchste Stufe des Seins überhaupt. Trotzdem bleibt ein Bruch zwischen der konsequenten Negierung der Möglichkeit von Aussagen über das göttliche Wesen und der positiven Bestimmung, zu der Maimonides schließlich gelangt. dass das Buch Widersprüche enthalte, hatte der Autor mit dem esoterischen Charakter des Werkes begründet. Es obliegt dem eingeweihten Leser, die wahre Meinung des Verfassers zu ergründen. dass diese auf die Aristotelische Definition hinausläuft, liegt nahe, weil Maimonides den Aristotelischen G’ttesbegriff als Grundsatz unseres Glaubens« (I,68) bezeichnet und auf die Darlegungen in seinem Mischne Tora, einer exoterischen Schrift; verweist. Außerdem ist die negative Theologie des Neoplatonismus für Maimonides nur ein Mittel, Unangemessenes vom G’ttesbegriff fernzuhalten; das kann aber nicht dahin führen, dass G’tt die absolute Leere ist, vielmehr ist er der Inbegriff aller Vollkommenheit, die sich in seinen Wirkungen kundtut.

Das göttliche Denken ist von menschlicher Erkenntnis zwar prinzipiell verschieden; trotzdem besteht eine Analogie, denn auch menschliches Denken ist dadurch gekennzeichnet, dass das Wissen mit seinem Gegenstand zusammenfällt, so dass in der Denktätigkeit zwischen G’tt und dem Menschen eine Ich-Du-Beziehung, eine Verbindung sittlicher, d. h. denkender Wesen hergestellt wird. Maimonides gibt dem G’ttesbegriff des Aristoteles, dessen reine Aktualität auf sich selbst bezogen bleibt, eine religiöse Wendung, indem das göttliche Wissen, das im Gegensatz zum menschlichen ein vollkommenes und unerworbenes Wissen ist, sich aktiv auf die Welt richtet. G’tt weiss alles, das Vergangene und das Zukünftige sind ihm gegenwärtig. Trotz verbaler Zustimmung zum Aristotelischen G’ttesbegriff schafft sich Maimonides die Möglichkeit, G’tt, der die Ursache alles Seins ist, als den souveränen Herrn der Welt zu konzipieren, der auf Grund des ihm eigenen Wissens die Welt durch seinen Willen aus freier Entscheidung ohne Notwendigkeit geschaffen hat und der dem Menschen in sittlicher Personalität gegenübersteht.

Die Intellektualisierung des G’ttesbegriffes und die damit korrespondierende sittliche Aufgabe des Menschen, dessen höchste Tugend in der Erkenntnis besteht, ergänzt Maimonides durch die nicht aus dem aristotelischen System, sondern aus den religiösen Vorstellungen erwachsenen Anschauungen des Vorhandenseins des freien Willens, mit dem G’tt wirkt. Die Wirkungen, die G’tt attribuiert werden können, setzen sein Handeln voraus, und analog dem göttlichen Handeln ist auch das Handeln des Menschen durch den freien Willen bestimmt. Das Problem der Theodizee er klärt Maimonides durch die Mangelhaftigkeit des Menschen; das Böse in der Welt ist etwas vom Menschen Verursachtes und von G’tt völlig Unabhängiges.

Mit Hilfe der göttlichen Willensfreiheit, einer religiösen, nicht aber auf den Prämissen aristotelischer Philosophie beruhenden These, sucht Maimonides die Lehre von der Weltschöpfung einleuchtend zu machen. Dabei ist er sich dessen bewusst, dass ein Beweis für diese Behauptung nicht zu erbringen ist. Maimonides hat sich sehr eingehend mit dem Problem der Weltschöpfung beschäftigt und sich mit der aristotelischen These der Ewigkeit der Welt, die bei den arabischen Aristotelikern als notwendiges, permanentes Hervorgehen der Welt aus G’tt aufgefasst wurde, auseinandergesetzt. Da Maimonides vom Judentum ausgeht, akzeptiert er von vornherein die Vorstellung von einem SchöpferG’tt. Von dieser Position her unterzieht er die aristotelische Anschauung einer Prüfung, um festzustellen, wie weit ihre Argumente beweiskräftig sind und welche Einzelheiten in der bisherigen Auffassung und Darstellung der biblischen Vorstellungen sich durch philosophische Erkenntnisse als unzutreffend erwiesen, so dass Uminterpretationen erforderlich werden. Maimonides erkennt an, dass in Bezug auf die Geschehnisse in der sublunaren Welt die aristotelische Philosophie die Beweise dafür liefern kann, dass hier die Ge setze strikter Kausalität und Notwendigkeit volle Gültigkeit besitzen. Jedoch bestreitet er, dass es berechtigt sei, Erfahrungen, die aus der Beobachtung innerweltlicher Prozesse gewonnen sind, auf einen anderen Bereich zu übertragen, der dem Irdischen als im Prinzip von ihm verschieden polar gegenübersteht; denn die auf dem Wege der Spekulation, des Schließens vom Bekannten auf das Unbekannte entstandenen philosophischen Ansichten entbehren, wie er meint, der Beweiskraft. Darum bleibe die biblische Auffassung, die Welt existiere nicht durch Notwendigkeit, sondern durch die freie göttliche Schöpfungstätigkeit, gültig, solange eine schlüssige Widerlegung nicht erfolgt sei. dass Aristoteles der stringente Beweis der Weltewigkeit nicht gelungen ist, kritisiert Maimonides zu Recht. Bekanntlich führt Aristoteles nur einen indirekten Beweis für seine Behauptung der Weltewigkeit, indem er auf die Widersprüche der ihm bekannten Weltentstehungslehren hinweist und besonders die Ansicht Platons kritisiert, der einen entstandenen, dann aber ewig fortbestehenden Kosmos annimmt. Allerdings ergibt sich für Aristoteles die Weltewigkeit folgerichtig aus seiner Theorie der Bewegung. Da Bewegung die Aktualisierung der Potentialität, das Streben der Materie nach der Form dar stellt, Materie und Form als letzte Prinzipien des Seins aber ungeworden, also ewig sind, stellt Bewegung die unwandelbare Beziehung zwischen Ewigem dar.

Maimonides bedient sich im Grunde der gleichen Methode wie Aristoteles, indem er nämlich dessen Ansichten einer Kritik unterzieht. Und weil er zu dem Ergebnis kommt, dass Aristoteles für seine These der Weltewigkeitkeinen schlüssigen Beweis erbracht habe; ist für ihn das Problem als philosophische Frage ungelöst. Für Weltewigkeit und für Weltschöpfung lassen sich Argumente vorbringen, und daher sind unter philosophischem Aspekt beide Stand punkte gleichwertig. Entsprechend seinem religiösen An liegen sieht sich Maimonides folglich berechtigt, im Sinne der jüdischen Tradition die Schöpfungslehre als eine Möglichkeit beizubehalten, deren Richtigkeit in der Wahrheit der göttlichen Offenbarung begründet ist. Diesen Standpunkt formuliert der Autor mit den folgenden Worten: »Was aber mich betrifft, so will ich zu beweisen versuchen, dass es keineswegs unmöglich ist, dass die Welt der Meinung unserer Heiligen Schrift gemäß erschaffen ist und dass gegen alle philosophischen Argumente, aus denen hervorzugehen scheint, dass es sich nicht so verhalte, Gegengründe vorhanden sind, die sie entkräften, so dass es unmöglich wird, uns gegenüber von diesen Argumenten Gebrauch zu machen. Da mir dies nun klargeworden ist und die Frage in betreff der Ewigkeit oder des Erschaffenseins der Welt eine unentschiedene ist, akzeptiere ich die Lösung, die durch die prophetische Überlieferung gegeben ist, die Dinge erklärt, zu denen das spekulative Vermögen nicht gelangen kann … Nachdem nunmehr die Möglichkeit unseres Standpunktes klargestellt ist, soll durch einen gleichfalls philosophischen Beweisgang versucht werden, seine Überlegenheit gegen über anderen Meinungen darzutun« (II,16).

Die Haltung, die Maimonides hier einnimmt, ist in ihrer intellektuellen Redlichkeit achtenswert. Wäre, so meint er, die Ewigkeit der Welt philosophisch erwiesen, so müsste man die dieser Lehre entgegenstehenden biblischen Formulierungen entsprechend umdeuten, wie er das ja auch mit Bibelstellen getan hat, die es nahe legen, G’tt als körperlich aufzufassen.

Im Zusammenhang mit den im zweiten Teil des »Führers« von Maimonides entwickelten Beweisen für das Dasein G’ttes geht der Denker hypothetisch von der These der Weltewigkeit aus, um zu zeigen, dass auf dieser Basis sowohl die Existenz G’ttes als auch seine Einheit, seine Einzigkeitund seine Unkörperlichkeit erweisbar seien. Auch von aristotelischen Voraussetzungen gelangt man folglich zu einem G’ttesbegriff, wenngleich nicht zu der jüdischen Vorstellung eines personalen G’ttes, eines souveränen Weltenherrschers. Die Konzeption der göttlichen Freiheit, die Maimonides vertritt, ist mit der strikten Kausalität der Aristotelischen Lehre unvereinbar. Wäre der Standpunkt des Aristoteles bewiesen, müssten alle Wunder der Bibel als Metaphern gedeutet und uminterpretiert werden, die Maimonides in seiner eigenen Konzeption dadurch unterbringen kann, dass er davon ausgeht, die Durchbrechung der regelmäßigen Abläufe des Weltgeschehens sei von vorn herein im göttlichen Weltplan angelegt. Nach der Ansicht des Maimonides würde das Judentum durch die Annahme der Weltewigkeit in ihrer aristotelischen Fassung vom Grunde aus umgestürzt, weil auch alles, was das Religionsgesetz den Menschen hoffen und fürchten lässt, aufgehoben wäre, so dass die Verantwortung des Menschen für sein Tun durch den Verlust seiner Freiheit beseitigt wäre (II,25). Die Frage zu stellen, was Maimonides getan hätte, wenn er genötigt gewesen wäre, die Ewigkeit der Welt als bewiesen anzuerkennen, ist ein müssiges Unterfangen. Den aristotelischen Beweis abzulehnen, hält er sich für berechtigt, und nach anderen philosophischen Beweismöglichkeiten zu suchen ist seine Aufgabe nicht.

Das System, das Maimonides aufgebaut hat, um den Schwankenden den Weg zu zeigen, wie sie, ohne ihre Traditionen aufzugeben, im Sinne der Zeit wissenschaftlich gebildet sein konnten, ist seinem Wesen nach eine Synthese, die einen Ausgleich zwischen zwei im Grunde heterogenen Elementen zu schaffen sucht. Dieser Ausgleich ist dadurch möglich, dass Maimonides strikt die irdische Welt vom Bereich des Übersinnlichen scheidet und der Vernunft so weit Raum gibt, wie ihre Möglichkeiten gehen, unanfechtbare Beweise zu liefern. Der Autor ist bereit, jeden Gedanken und jede Meinung vorurteilslos zu prüfen und jedes traditionelle Denkschema aufzugeben, sofern beweiskräftige Gegengründe vorhanden sind. So modifiziert er von den Offenbarungslehren des Judentums her den Aristotelismus und schränkt seine Geltung ein, die Religion wird von ihm jedoch rational systematisiert und zu einer Art philosophischem System gemacht. Maimonides versteht das Judentum als ein rationales Gebäude, in dem sich Glauben und Wissen ergänzen. Er teilt nicht die Ansicht der arabischen Aristote liker, dass die Philosophie und die Religion zwar dieselbe Wahrheit aussprechen, diese aber nur von der Philosophie klar formuliert werde, so dass der Glaube gegenüber dem Wissen abgewertet wird, das Wissen jedoch nur wenigen zu Bänglich ist. Auf der anderen Seite ist für Maimonides die Vernunft auch nicht eine bloße Vorstufe des Glaubens, sondern er sucht Glauben und Wissen in der Weise zu verbinden, dass das Geglaubte Aufgabe der Erkenntnis sein müsse; dass der unreflektierte Glaube Vorstufe der Erkenntnis sei. Dabei hat aber die Philosophie dort ihre Grenze, wo die Möglichkeit stringenter Beweise aufhört. Dem philosophischen Denken wird einerseits das Recht der Spekulation verwehrt, andererseits wird ihm der Bereich des Beweis baren uneingeschränkt freigegeben. Auf diese Weise vermeidet Maimonides eine antithetische Gegenüberstellung von Glauben und Wissen und befreit die Philosophie insofern aus ihrer sektenhaften Rolle, die sie in der arabischen Gesellschaft spielte, als er die Allgemeinheit nicht prinzipiell von der richtigen Erkenntnis, von der philosophischen Interpretation der Offenbarungslehren ausschließt, sondern im Gegenteil es zur religiösen Pflicht aller macht, zu einer philosophisch geläuterten und rational verstandenen Religion zu gelangen. Auf diese Weise wird die Philosophie zur Religionsphilosophie, das Judentum zur Philosophiereligion. Auf der einen Seite hat Maimonides der Philosophie die Möglichkeit verwehrt, letzte Fragen spekulativ zu lösen. Damit hat er sie zugleich in die jüdische Religion und damit in die jüdische Bildung als integraler Bestandteil ein gebaut. Auf der anderen Seite hat er jedoch auch die Religion eingeengt und zu einer Vernunftlehre gestaltet, aus der alle mystischen und selbst alle poetischen Elemente verbannt sind.

So hat Maimonides nach beiden Seiten Konzessionen gemacht, indem er sowohl die Philosophie als auch die jüdische Religion umgestaltet und radikal umgebogen hat. Seine Synthese ist letztlich nur auf dem Wege des Kompromisses möglich, und in gewisser Weise gehört Maimonides selbst zu den Schwankenden, deren Führer sein Werk sein wollte. Als religiöser Reformer war er radikal: Ohne Sentimentalität, dabei aber durchaus des Wertes der Tradition eingedenk, stand er mit kritischem Verstand der historisch gewordenen Gestalt der Religion gegenüber. Auf die weitere Entwicklung des jüdischen Denkens hat sein Werk außerordentlich befruchtend gewirkt, weil in der Folgezeit niemand an dem von Maimonides aufgeworfenen Problem vorbeigehen konnte, wie man die gesicherten Ergebnisse der Wissenschaft akzeptieren kann, ohne die eigene Tradition preiszugeben. Der Denker hat mit sicherem Blick erkannt, dass der Kern der jüdischen Religion, den es auf jeden Fall zu bewahren gilt, die Beziehung des Menschen zur Tora und die damit gegebene Ausrichtung auf G’tt ist, und hat sich nicht gescheut, alle Bestandteile des Judentums, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht entsprechen, in einer Weise zu interpretieren, die auch vom Standpunkt der Wissenschaft unanfechtbar war.

Das Vorgehen des Maimonides, der philosophisches Denken zu einer religiösen Pflicht macht und der das Judentum als eine Vernunftreligion versteht und es entsprechend aus und umbaut, hat ebenso leidenschaftliche Zustimmung wie auch Ablehnung gefunden. Die Vertreter der Orthodoxie bekämpften vor allem den »Führer« und das erste Buch seines Religionskodex Mischne Tora, weil ihnen die philosophische Fundierung der Offenbarung als gefährliche Neuerung erschien. Das rationale Element gewinnt im System des Maimonides ein so starkes Übergewicht, dass letztlich der Glaube dem Verstande unterworfen wird; zugleich aber werden dem Verstand Schranken gesetzt, die den Bestand der Religion garantieren sollen. Die Auffassung, dass das Judentum eine Vernunftreligion sei, verbindet sich für die Folgezeit mit dem Wirken und der Autorität des Maimonides. Man muss indessen sehen, dass diese Einschränkung auf das rationale Element zwar eine legitime religiöse Haltung ist, aber doch nur eine Seite der Religiosität. Unreflektierte Erfüllung der religiösen Pflichten, die sowohl dem Mangel an theoretischem Interesse entspringen kann als auch gerade im Gegenteil dem Wunsch, das wissenschaftliche Denken von festgelegten Voraussetzungen unabhängig zu entfalten bei gleichzeitiger Bewahrung der Tradition als Lebensform der Gemeinschaft, ist eine andere Möglichkeit. Auch die Mystik hat im religiösen Leben ihren Platz und ihre Berechtigung. Man kann mit Maimonides diese irrationale Seite der Religion ablehnen, doch die Allgemeinverbindlichkeit einer rationalen Religionsauffassung lässt sich nicht vertreten. In der Regel verbindet sich daher auch in der Literatur die Hochschätzung des Maimonides mit der Ablehnung und Abwertung der Kabbala, der jüdischen Mystik, die – wie bereits an anderer Stelle ausgeführt – nicht in den Rahmen unserer Betrachtung gehört. Denn Mystik mag zwar philosophische Lehrstücke inkorporieren, wie auch Philosophie mystische Elemente enthalten kann. Trotzdem richtet sich mystische Spekulation nicht auf das rationale Erkennen, sondern ist bewusst irrational auch dort, wo sie zum System wird, und das ist einer ihrer Widersprüche.

Die Bedeutung des Maimonides liegt vor allem in seiner systematisierenden Leistung. Er hat den Grundstein dafür gelegt; dass sich das Judentum in einer Weise verstehen ließ, die es ermöglichte, die jüdische Tradition dem wissenschaftlichen Fortschritt und dem jeweiligen Erkenntnisstand unschwer zu akkommodieren.

Nicht nur auf die weitere Entwicklung des Denkens im Judentum hat Maimonides einen wesentlichen Einfluss aus geübt, sondern die Wirkung seiner geistigen Leistung ist auch im Bereich der christlichen europäischen Scholastik in starkem Masse spürbar. Als sich teils auf Grund der Übersetzungen aus dem Arabischen, teils auch durch direkt aus dem Griechischen stammende Übertragungen die Kenntnis der Philosophie des Aristoteles im christlichen Europa aus weitete, stand die Kirche vor der Aufgabe, sich mit dem Problem des Verhältnisses von Glauben und Wissen auf der Basis des neuen philosophischen Materials und seiner arabischen Interpretationen erneut auseinander zusetzen. Auf die Einbeziehung des Aristotelismus in die religiösen Lehren des Abendlandes ist das Werk des Maimonides – auch dort wo seine Lösungen nicht unbedingt akzeptiert wurden von maßgeblichem Einfluss geworden. Der erste Scholastiker, der Maimonides namentlich erwähnt, scheint Alexander von Hales (gest. 1245) gewesen zu sein. Alexander bezeichnet Maimonides als Rabbi Moyses, und dieser Name wird in den scholastischen Texten dann beibehalten. Besonders das Argument des Maimonides gegen die aristotelische Lehre von der Ewigkeit der Welt, dass es unzulässig sei, von der An, wie die Dinge innerhalb der Welt entstehen, auf das Werden der Welt insgesamt zu schließen, wird nicht nur von Alexander von Hales, sondern dann auch von Albertus Magnus und Thomas von Aquino aufgegriffen. Vor allem für die Dominikanerschule; die sich bemühte, einen entschärften und den Glauben nicht gefährdenden Aristotelismus mit den Dogmen des Katholizismus zu verbinden, bot Maimonides das Vorbild, wie sich eine solche Synthese herbeiführen ließ. dass die Lehren des Aristoteles nur für die irdische Welt Gültigkeit besitzen, während die darüber hinausgehenden Probleme im Einklang mit dem geoffenbarten G’tteswort erklärt -werden müssen, vereint die christliche Aristotelesrezeption mit Maimonides. Dabei soll allerdings eine wesentliche Differenz nicht übersehen werden, die die Bestrebungen des Maimonides von denen der christlichen Scholastiker grundsätzlich unterscheidet. Für ihn ist die Philosophie nicht eine bloße Vorstufe des Glaubens, sondern auch dieser ist rational. Was sich vor der Vernunft als sinnlos ausweist, hat auch im Religiösen keinen Platz, und das Widervernünftige wird von ihm nicht als übervernünftig gerechtfertigt. Diese Haltung wird bei Maimonides dadurch ermöglicht, dass die Spielbreite der Auslegung der religiösen Lehren im Judentum ungleich grösser war als im Christentum, das an verbindliche Interpretationen gebunden war.

Die Wirkung des Maimonides außerhalb der jüdischen Gemeinschaft ging zeitlich weit über das Mittelalter hinaus. Eine Bekanntschaft mit seinem »Führer« ist in der Renaissance bei Pico della Mirandola, bei Michael Servet und bei Bodin nachweisbar, später – abgesehen von Spinoza, der die hebräische Übersetzung benutzte – bei Leibniz, der sich in seiner Polemik gegen Bayle, ob das Gute oder das Böse in der Welt überwiege, auf Maimonides beruft.

Quelle: Heinrich Simon, Marie Simon: Geschichte der jüdischen Philosophie, Reclam Verlag Leipzig (1999), 322 Seiten. 

–> Nachwirkungen des Maimonidischen Systems auf das Denken der Folgezeit