Jüdische Erinnerungsgeschichte im Mittelalter: Gedächtnis im aschkenasischem Raum

Von Stefan Middeke

Das jüdische Volk steht wie kein anderes im Ruf, das Volk mit dem ausgeprägtesten historischen Gedächtnis zu sein. Dieses zu untersuchen soll das Ziel dieser Arbeit sein. Welche Grundlagen hat das kollektive jüdische Gedächtnis und welcher Richtung folgte die Geschichte der jüdischen Erinnerung?

Der Hauptfokus in dieser Betrachtung ist dabei auf die Situation im Mittelalter gerichtet. Da sich das Judentum seit Beginn der Diaspora sehr uneinheitlich entwickelte, wird sich diese Darstellung vor allem auf den aschkenasischen Raum konzentrieren. Auf das orientalische Judentum etwa wird nicht eingegangen werden.

Nach der ausführlichen Beleuchtung des religiösen Fundaments jüdischer Gedächtnistradition, dessen Kern die Bibel [1] bildet, gilt das Augenmerk der Position der jüdischen Geschichtsschreibung im Mittelalter. Wodurch wird sie bestimmt und welcher Formen bedient sie sich? Das anschließende Kapitel wird sich mit Erinnerungsritualen beschäftigen, deren Bedeutung anhand des jüdischen Festkalenders aufgezeigt wird. Die Analyse des Purimfests erfährt in diesem Zusammenhang ein herausgehobenes Gewicht.

Insgesamt kann die jüdische Gedächtnisgeschichte des Mittelalters als noch kaum erforscht betrachtet werden. Wenig Historiographie ist von Juden im christlichen Mittelalter hinterlassen worden. Umso bahnbrechender war im Felde der Erinnerungsforschung die Veröffentlichung von Yerushalmis Werk „Zachor: Erinnere Dich!“, an dem sich auch diese Arbeit orientiert. Neben dieser Monographie findet eine Bezugnahme auf eine Vielzahl von Titeln statt, die Teilaspekte des Themas behandeln.

Weiter: Biblische Erinnerungstradition

[1] Der Gebrauch der Begriffe „Bibel“ und „biblisch“ in dieser Arbeit beruht auf ihrer Verwendung im jüdischen Kontext. Vom christlichen Standpunkt aus wäre im gleichem Zusammenhang von „Altem Testament“ und „alttestamentarisch“ die Rede.