Tun und Glauben

Von Ismar Elbogen

Im Judentum ist die sittliche Forderung ein Grundsätzliches, ein Tragendes der Religion“, d.h. was als gut erkannt, was als göttliches Gebot gelehrt wird, soll in die Tat umgesetzt werden.

Die Lehre des Judentums ist keine theoretische Erörterung ethischer Lehrsätze, sondern eine Religion der Tat; seine sittlichen Forderungen wollen im Leben erfüllt werden. Gott erkennen, heißt nicht, sein Wesen verstehen, sondern den Weg des Rechten gehn, den Gott gewiesen hat.

Der Glaube ist kein zentrales Problem der jüdischen Religion. Das hebräische Wort Emunah bedeutet „Vertrauen“, Luthers Bibelübersetzung hat „Glauben“ dafür gesetzt. Im biblischen und rabbinischen Schrifttum wird dieses Vertrauen auf Gott als religiös-sittliche Gesinnung vorausgesetzt, nicht aber wie ein Dogma als Produkt des Denkens oder des Wollens gefordert. Erst da, wo die Reflexion dazwischentrat, wie in der alexandrinischen und mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophie, wurde der Begriff des Glaubens an Gott zu einer aus Erkenntnis geschöpften Überzeugung entwickelt; die vielfach aufgestellten Hauptsätze des Judentums (Ikkarim) sind nicht als Glaubensartikel, sondern als Grundwahrheiten gedacht.

Aber im Judentum wurde nicht blinder Glaube gefordert und die Freiheit des Denkens unterdrückt, es wurde niemals die Meinung vertreten, dass sich die Frömmigkeit lediglich auf den Glauben gründe, und eine Erlösung der Seele ohne sittliche Tat für möglich erklärt. Die einseitige Bewertung des Glaubens durch Paulus mit ihrer Gefahr für das religiöse Leben, die selbst in den urchristlichen Kreisen auf Widerspruch stieß, hat im Judentum nie Eingang gefunden. Es hat vorübergehend Strömungen gegeben, die den Höhepunkt des religiösen Erlebnisses in die Spekulation und in das mystische Schauen verlegten, aber keine von ihnen hat die Dringlichkeit der sittlichen Tat bestritten. Im gesamten nachbiblischen Schrifttum herrscht nur eine Meinung darüber, dass die Religion sich bewähren muss in der sittlichen Tat.

I. TaNaKh (Hebräische Bibel)

Ihr sollt wahren meine Satzungen und meine Rechte, die der Mensch üben soll, dass er durch sie lebe – ich bin der Ewige. – 3 Mos 18 5.

Mose berief ganz Israel und sprach zu ihnen: Höre, Israel, die Satzungen und Rechte, die ich heute vor euren Ohren verkünde. Und ihr sollt sie lernen und wahren, sie zu üben. – 5 Mos 5 1.

So spricht der Herr der Heerscharen, der Gott Israels: Bessert euren Wandel und euer Tun, so will ich euch an diesem Orte wohnen lassen. Verlasset euch nicht auf die trügerischen Reden: Der Tempel des Ewigen, der Tempel des Ewigen, der Tempel des Ewigen ist hier!
Nur, wenn ihr euren Wandel und euer Tun bessert, wenn ihr Recht schafft zwischen einem und dem andern, Fremdling, Waise und Witwe nicht bedrückt, unschuldiges Blut nicht vergießt an diesem Ort und andern Göttern nicht nachwandelt euch zum Unheil, werde ich euch wohnen lassen an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe, von Ewigkeit zu Ewigkeit. – Jeremia 7 3-7.

Suchet das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr lebet, dass der Ewige, der Gott der Heerscharen, mit euch sei, wie ihr es sagt. Hasset das Böse und liebet das Gute und stellet das Recht fest am Tore. – Amos 5 14-15.

Kommt, Kinder, hört mir zu, Gottesfurcht will ich euch lehren. Wer ist der Mann, der Leben begehrt, der Tage wünscht, Gutes zu schauen? Wahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor Trug. Weiche vom Bösen und tu Gutes. Suche Frieden und jage ihm nach. – Psalm 34 12-15.

Halte dich fern vom Bösen und tu Gutes, so wirst du stets Ruhe finden. – Psalm 37 27

(…)

III. Jüdisch-hellenistische Literatur.

1. Dass eine Gesetzgebung sich in so hervorragender Weise von den andern unterschied und zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass sie die Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend machte, sondern die übrigen guten Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene Eintracht der Bürger untereinander als Äußerung der Frömmigkeit erkannte und sie demgemäß erläuterte.
Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott. – Josephus gegen Apion II.16.

Erschienen im ersten Teil „Grundlagen der jüdischen Ethik“ (II. Grundlegende Sittlichkeitsanschauungen, 1. Tun und Glauben) der „Lehren des Judentums nach den Quellen“ (s.p. 36ff I.Bd, Aus den Quellen: der 1999 ersch. Faksimile-Edition der Ausgabe des Verbandes der Deutschen Juden v. 1928/30). Mehr zu Ismar Elbogen