Jom Kippur bedeutet „Tag der Sühne und der Reinigung“ und dieser Name erscheint auch in der Thora (3. B. M., Kap. 16, 29-31 und Kap. 23, 32): „Und es sei euch zu ewiger Satzung. Im siebenten Monat, am zehnten des Monats, sollt ihr euch kasteien und keinerlei Arbeit verrichten, der Eingeborene und der Fremde, der unter euch weilt. Denn an diesem Tage wird Er euch sühnen, daß ihr rein werdet, von all euren Sünden sollt ihr rein werden vor dem Ewigen … Eine Schabbatfeier sei dieser Tag für euch, und ihr sollt euch kasteien, am neunten des Monats am Abend, von Abend bis Abend sollt ihr eure Feier halten.“
Jom Kippur war der einzige Tag im Jahr, an dem der Hohe Priester im Tempel das Allerheiligste betreten durfte um für die Vergebung der Sünden Israels zu beten. An diesem Tag legte er seine prächtigen, goldenen Gewänder ab und zog schlichte, weiße Leinenkleider an. Unsere Weisen begründeten dies mit dem Prinzip: ein Ankläger wird nicht zum Verteidiger! Am Tage, an dem der Hohe Priester um die Vergebung der Schuld des ganzen Volkes bittet, soll das Gold in seinen Gewändern nicht an die Sünde am Goldenen Kalb erinnern. Weiterhin gilt Weiß als die Farbe der Reinheit und ist auch die in der Synagoge dominierende Farbe. Der Prophet Jesaja spricht (Kap. 1, 18): „Wohlan denn und laßt uns rechten, spricht der Ewige. Wenn eure Sünden sind wie Karmesinrot, weiß wie Schnee sollen sie werden; wenn sie rot sind wie Purpur, wie Wolle sollen sie werden.“
Am Versöhnungstag wurden besondere Opfer dargebracht, wie z. B. der Ziegenbock, der in die Wüste geschickt wird um symbolisch Israels Sünden fortzutragen. (Das Kapitel 16 des dritten Buches Moses beschreibt den Tempeldienst ausführlich, so daß hier nicht näher darauf eingegangen werden soll.)
Die Mischna erläutert die Bedeutung von Jom Kippur und lehrt, daß Jom Kippur nur die Sünden zwischen Mensch und G’tt sühnt, daß aber die Sünden in den zwischenmenschlichen Beziehungen an Jom Kippur erst dann vergeben werden, wenn der Mensch das an seinem Nächsten begangene Unrecht selbst wiedergutgemacht hat. Rosch Haschana und die darauffolgenden Tage der Umkehr rufen den Menschen auf, seine Beziehungen zum Mitmenschen zu überprüfen, in Ordnung zu bringen und seinen Nächsten um Verzeihung zu bitten. Erst dann kann er am Jom Kippur vor G’tt hintreten und um die Vergebung all seiner Sünden bitten.
Für jeden steht am Jom Kippur die Tür zur Umkehr offen. Unsere Weisen deuteten daraufhin, daß die Zahlensumme der hebräischen Buchstaben für das Wort „Hasatan“ = „Der Satan“ den Wert 364 besitzt, eine Zahl weniger, als die Anzahl der Tage im Jahr. Sie wollten damit sagen, daß an einem Tag im Jahr der Satan, der schlechte Trieb, das Böse im Menschen, keine Gewalt über den Menschen hat. Am Jom Kippur tritt der Jude vor G’tt und sei er während des Jahres auch noch so weit von ihm entfernt gewesen, an diesem Tag hat er die Möglichkeit, seinen Lebensweg neu zu bestimmen. Den Wert der Umkehr drückten unsere Weisen mit dem Spruch aus: den Rang, den die Menschen einnehmen, die die Umkehr vollzogen haben, nehmen selbst vollkommene Gerechte nicht ein!
Aus: „Die jüdischen Feiertage – unter Betonung der religiösen Praxis, der Halacha„.