Sukkot in Regensburg

Mitte Oktober, wenn sich der Sommer der alten Weiber verflüchtigt und Laternenparker morgens schon mal die Scheiben an den Autos kratzen müssen, ist Laubhüttenfest. In Israel bauen sie jetzt im Garten ihrer Häuser oder auf dem Balkon der Etagenwohnungen die Hütte. „Damit eure kommenden Generationen wissen, daß ich die Israeliten in Hütten wohnen ließ, als ich sie aus Ägypten herausführte.“ (Buch Exodus, 23:16)

In Regensburg erfüllt man diese religiöse Pflicht auf dem Synagogenhof. Im Winkel zwischen Betsaal und Gemeindehaus stellt der Synagogendiener die „Sukka“ auf. Sie ist eine Schrebergartenlaube aus einem Regensburger Heimwerkermarkt, bei der man das Dach ausgespart hat, so daß nachts die Sterne durchschauen können. Die Hütte ist mit Zweigen, Ästen und Ranken mit Weinlaub gedeckt. Das lückenhafte Dach soll den Israeliten das Gefühl für die Vergänglichkeit alles Zeitlichen vermitteln und ihr Vertrauen auf G’tt festigen, so zumindest will es die religiöse Tradition.

Hans Rosengold, so wie ihn in Regensburg die wenigsten kennen: Als frommer Jude, eingehüllt in den Gebetsmantel und bedeckt mit der Kippa, trägt er die Torarolle durch die Reihen der G’ttesdienstbesucher.

An dünnen Drähten hängen Früchte herab, die auch in Israel wachsen. Zitronen, Orangen und Weintrauben dokumentieren, daß dies auch ein Erntefest war. Dazwischen baumeln rote, blaue und grüne Glühbirnen. Der Strom kommt via Überbrückungskabel aus der Steckdose des Betsaals.

Die Wände sind nicht roh gezimmert, sondern mit Bahnen aus weißem und blauem Seidenpapier behängt sowie mit hebräischen Bibelzitaten. Auf dem braunen Teppichboden mit fortlaufendem „Carlson“-Muster haben sechs niedrige Sessel mit blauer Lehne Platz. Auf dem Tisch stehen Likörwein vom Carmel und eine Flasche Wodka Smirnoff, dazu auf einem silbernen Tablett Likörgläschen und belgische Kekse in weißen Papiermanschetten. Auch das Gebetbuch darf nicht fehlen. Es liegt, zugeschlagen, an der schmalen Seite des Tisches, ganz hinten an der Wand.

Man braucht es nach den G’ttesdiensten, denn an Sukkot wird der Segensspruch über dem Becher Wein nicht im Betsaal gesprochen. „Kiddusch in der Sukka!“ sagt der Kantor. Diese Ankündigung ruft bei den russischen Leuten regelmäßig starke Heiterkeit hervor. Zu Beginn war der Kantor etwas verunsichert. Jetzt hat man ihm erzählt, daß es das Wörtchen „sukka“ ist, das alle zum Lachen anregt. Es hat im Russischen nichts mit der Laubhütte zu tun, sondern bezeichnet „gewisse“ Frauenzimmer.

Hanna Herrmann, die Witwe des unvergessenen Kantors Leo, hat andere Erinnerungen. Sie erzählt, daß es an Sukkot war, als ihr Mann gestorben ist. „Morgens war er noch mit dem Lulaw herumgegangen“, sagt sie mit ihrer lauten Stimme beim Kiddusch in der Sukka und schlägt mit der Hand in die Luft.

Ein Feststrauß aus Palmzweig, Myrtenzweigen und Bachweidenruten gehört zu Sukkot wie die kleine Prozession, die an die Ursprünge des Wallfahrtsfestes erinnert.

Der Lulaw, Palmzweig, gehört zum Laubhüttenfest wie die Sukka. Beim Hallel-Gebet, das an jeden Festtag gesungen wird, schüttelt man den Lulaw zum Dank für die Ernte in alle Himmelsrichtungen. „Von dir – für dich. Wie dieses, so auch alles auf der Welt.“ Am siebten und letzten Tag des Laubhüttenfestes veranstaltet man in der Synagoge sieben Rundgänge mit der Tora. Die Gebete enden alle auf „Hoschiana!“ Deshalb wird dieser Tag des Laubhüttenfestes auch als Hoshana rabah bezeichnet. „Das Wort rabah bedeutet viel“, erklärt Boris Aronov, der Gemeindediener. „Viel Hoshanna.“ In der Tradition seines Großvaters betet er an Hosanna rabba die ganze Nacht hindurch die „Tehillim“ (Psalmen). Damit er durchhält, hat er aufs Fensterbrett an seinem Platz im Betsaal Stärkungsmittel bereitgestellt: eine Thermoskanne mit heißem Wasser, eine Dose löslichen Kaffees und ein volles Glas mit Honig.

Draußen pilgern die Nachtschwärmer vorbei. Sie suchen den Weg von den Kinos an der Maxstraße zur „Brauhaus AG“. Drinnen begnügt sich ein einsamer Beter mit „Hosanna rabba“. Diese Nächte liebt Boris, da ist er alleine mit seinem Herrn und kann ihm seine Liebe beweisen. Vor allem nach zwei Uhr, wenn die Lider schwer werden und die Kühle durchs Fenster kriecht.

Es ist leicht gekippt für das Stromkabel, das zu den Lampions führt, die der Nachtwind leise in der Sukka bewegt.

Aus: Uwe Moosburger und Helmut Wanner, Schabbat – Schalom. Juden in Regensburg. Gesichter einer lebendigen Gemeinde