Juden in Spanien / Sfarad

Von Mark Wischnitzer
Aus: Die Juden in der Welt

Es war in den letzten Julitagen 1492 (Aw 5252/H’RN“B). Große Menschenscharen schoben sich langsam vor: zum Meer, nach Barcelona, Almeria, Malaga.

Der katholische Geistliche Palaccio erzählt, was er sah: „Auf offenem Felde halten sie Rast. Die einen fallen vor Müdigkeit um, die anderen, weil sie krank sind. Manche sterben, andere werden am Straßenrand geboren. Jeder Christ, der diese Elenden, sieht, wird von Erbarmen ergriffen. Menschen aus dem Volke mengen sich unter sie und, bitten sie, sich der Taufe zu unterwerfen. Aber der Rabbi ist gleich zur Stelle und muntert die Müden und Verzweifelten auf. Bewegen sich die Züge, dann singen die Frauen, und die Kinder schlagen auf die Handtrommel und blasen auf der Trompete. Wie nun einer dieser Züge das Meer erblickt, fangen Männer und Frauen an zu weinen, sie raufen sich die Haare und rufen den Allmächtigen um Gnade und Wunder an. Stundenlang starren sie auf’s Wasser an.“

Córdoba

Das Ausweisungsedikt Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien, erlassen in Granada am 31. März 1492, war nach dreimonatiger Frist in Kraft getreten. Die Juden wurden aus dem Lande vertrieben. Sie hatte hier anderthalb Jahrtausende gelebt. Ein Abschnitt jüdischer Geschichte war zu Ende. Er hatte im grauen Altertum begonnen.

Legendenumwoben sind die Anfänge dieser Niederlassung. Nach der Zerstörung des ersten Tempels sollen Juden bereits nach Tarschisch als Teilnehmer einer phönizischen Handelsfahrt gekommen sein. Mischna und Talmud sprechen von „Aspamia“, das Graetz freilich als das syrische Apamea liest. Kortova und Kartagene finden bereits Erwähnung. Der judenchristliche Apostel Paulus besucht Spanien auf seinen Missionsreisen. In einem alten Midrasch werden Opferdarbringer aus Spanien erwähnt, die nach Jerusalem pilgern, somit also in die Zeit vor der Zerstörung des zweiten Tempels gehören. Nach der Zerstörung des Tempels (70 n.CE.) werden jüdische Kriegsgefangene nach Spanien gebracht, wo sie von ihren Glaubensbrüdern losgekauft werden.

Ríbadavía Ourense

Zur Zeit der Einfälle der germanischen Stämme, der Alanen, Vandalen und Sueven, gibt es in Spanien alteingesessene jüdische Gemeinden. Die Juden pachten und besitzen auch Boden, führen einen weitverzweigten überseehandel, bekleiden Staats- und Magistratsposten, leben in friedlichen Beziehungen zur alteingesessenen romanisierten keltischen Bevölkerung. Die Westgoten, die 484 ihr Reich gründen, finden eine beträchtliche jüdische Einwohnerschaft vor, mit der sie sich, als Arianer, auf freundschaftlichen Fuß stellen, um so mehr als sie sich von Frankreich her und aus dem byzantinischen Nordafrika der katholischen Propaganda zu erwehren haben. Dieses Westgotenreich wird für die ihres Glaubens wegen verfolgten Juden eine Zufluchtsstätte. Sie fliehen vor den byzantinischen Machthabern aus Nordafrika hierher.

Im Jahre 589 tritt der Westgotenkönig Reccared unter dem Drucke des katholischen Klerus zum katholischen Glauben über und stellt die Geistlichkeit vor die Aufgabe, ein einheitliches katholisches Spanien zu schaffen. Dies bedeutet die Verfolgung der Andersgläubigen. Kirchenkonzile fassen nun Beschlüsse, die die Juden in ihren Rechten, ihrem Verhältnis zu der übrigen Einwohnerschaft, in ihrem Erwerb schmälern sollen. Königliche Erlasse ordnen Judenverfolgungen an. Es kommt zu partiellen Vertreibungen. Die einen retten sich durch die Taufe, andere ziehen fort. Es erfolgt eine Abwanderung nach Nordafrika. Politische Schriften erscheinen von jüdischer Seite, die die Beschuldigungen zurückweisen. Der Druck der Kirche wird immer lastender. 711 dringen arabische Eroberer in Spanien ein.

Im arabischen Heer kämpft eine große Anzahl Juden. Sie setzen sich mit den Siegern im Lande nieder. Dieses Land nimmt sie alle bereitwillig auf, die Juden aus Nordafrika und Vorderasien, die Ärzte und Mathematiker, Philosophen und Grammatiker aus Babylonien und Kairuan. Mit der Zeit wird die spanische Judenkolonie ein geistiges Zentrum, und es ist ein Mann aus Sura, Mose ben Chanoch, der die Traditionen der Gelehrsamkeit nach der Iberischen Halbinsel verplanzt. Cordova erhält eine talmudische Akademie. Man pflegt die Wissenschaften, man schließt sich der Welt auf, weil man sich frei fühlt von dem ewig lastenden Druck, dem politischen und dem wirtschaftlichen.

Unter arabischer Herrschaft wenden sich die Juden wieder der Landwirtschaft zu, sie bauen den Oberseehandel aus, begünstigt durch den Schutz, der ihnen in den arabischen Staatengebilden des Mittelmeers gesichert ist. Sie vertreiben die Erzeugnisse der Webereien von Jakob und Josef ibn Dschau in Spanien. Die ibn Dschau sind Juden. Sie beliefern den Hof der Kalifen und die Armee.

Chasdai ibn Schaprut (905 – 970), Vorsteher der Gemeinde in Cordova, ist Leibarzt und erster Minister des Kalifen Abdurrahman III. Er ist es, der mit Kaiser Otto I. und den christlichen Königen im Norden von Spanien unterhandelt. Ibn Schaprut repräsentiert in glänzender Weise jenen Typ neuer Prägung, der jüdische Bildung mit weltlichem Wissen und weltmännischem Geschick zu vereinen weiß. Er knüpft Beziehungen zum Chasarenkönig Josef an. Das unabhängige jüdisch-gläubige Königreich im Osten Europas übt auf den Mann eine starke Anziehungskraft aus. Der deutsche Jude Isaak ben Elasar wird von ihm mit einem Schreiben nach der Chasarenresidenz Itil entsandt. Es entwickelt sich ein historisch ‚bedeutsamer Briefwechsel.

Chasdai entwirft in seiner Botschaft an den Chasaren das Bild von „Sefarad“, dem spanischen Reiche, wo die Juden glücklich leben: „Unser Land ist fruchtbar, reich an Quellen, Flüssen und Zisternen; es ist ein Land des Getreides, des Weins und des Öls; auch‘ ist es reich an Früchten und Spezereien, mit Gemüse- und Obstgärten bedeckt, und seinem Boden entsprießen allerlei Bäume, fruchttragende und Maulbeerbäume, weshalb wir denn auch Seide in Überfluß besitzen. Es strömen Kaufleute und Händler aus aller Herren Ländern zu uns, von den fernen Inseln, aus Ägypten und auch aus anderen Reichen. Sie bringen aromatische Stoffe und Edelsteine mit sich.

Unser König häuft Schätze von Gold, Silber und allerlei Kostbarkeiten an. Sein Heer ist zahlreicher als das irgendeines anderen Königs der Vorzeit. Seine alljährlichen Einkünfte, die bei mir einlaufen, betragen hunderttausend Golddukaten; soviel bringen allein die ausländischen Kaufleute ein, deren in meinem Verwaltungsbereich liegende Handelsgeschäfte von mir überwacht werden. Alle Herrscher der Welt, zu denen der Ruf von der Größe und der Macht unseres Königs dringt, senden ihm ihre Gaben, um sich sein Wohlwollen zu sichern, als da sind: die Könige von Aschkenas (Deutschland), von Gebalim oder al-Saklab (der Slawendes Donaugebiets oder des Balkans), von Konstantinien (Konstantinopel), sowie viele andere.“

Gírona

Mit der Ausbreitung des Arabertums schieben sich in dessen Gefolge die jüdischen Siedlungen von Granada, Lucena, Sevilla weiter nordwärts vor. Nachdem im 12. Jahrhundert der arabischen Expansion eine Schranke gesetzt wird, nimmt die friedliche jüdische Ausbreitung ruhig ihren Fortgang, so daß ein Jahrhundert später die christlichen Reiche von Kastilien y Aragonien eine jüdische Einwohnerschaft von 234 ooo (man spricht zu Unrecht von 85o ooo) besitzen. Kastilien allein zählt um die Wende zum 14. Jahrhundert an die 12o jüdische Gemeinden; Toledo, Burgos und Sevilla beherbergen die bedeutendsten. Noch am Ende des 14. Jahrhunderts, im Zeichen des Niedergangs, leben in Klein- und Mittelstädten durchschnittlich 2oo bis 4oo jüdische Familien, die insgesamt ein Fünftel bzw. ein Drittel der Einwohnerschaft betragen.

Cáceres

Die wirtschaftliche Struktur der spanischen Judenheit erfährt unter christlicher Herrschaft keine Veränderung. Grundeigentümer, Land- und Steuerpächter, Handelsmann, Geldleiher, Handwerker – man geht im christlichen Spanien seinem Erwerb nach wie zuvor. Der jüdische Handwerker ist eine typische Figur in der spanischen Landschaft, genau wie er es in Polen ist. In Deutschland“ mit seinem straffen Zunftwesen darf der Jude kein Handwerk betreiben, da bleibt ihm kaum etwas anderes überlassen als die undankbare, als unproduktiv geltende, Scheinwerte umsetzende Arbeit der Kreditbeschaffung. Aber in Spanien weiß man, was jüdischer Gewerbefleiß ist und man gönnt dem Juden die Freude an der Arbeit seiner Hände.

Ein Gang durch das mittelalterliche Saragossa ist belehrend genug. Da sieht man im jüdischen Viertel die Straße der Gerber, der Schuhmacher, der Sattler, der Juweliere, der Messerschmiede. Das navarresische Tudela ist die Stadt der jüdischen Gerber. Die jüdischen Waffenschmiede sind weit und breit bekannt. Es gibt auch Eisenschmiede und Maurer. Und dann sind es die Wollweber und die Seidenweber und die Färber, deren Kunstfertigkeit sich als besonders exportfähig erweisen wird, wenn spanische Juden gezwungen sein werden, in der fernen Türkei Zuflucht zu suchen. Für die Konsolidierung des christlichen Staates scheint der jüdische Finanzberater, Sekretär der fürstlichen Kanzlei, Steuerpächter, eine ebenso unentbehrliche Figur zu sein, wie er es im arabischen Staate ist. Der nach wirtschaftlicher und politischer Geltung strebende Staat will auf die Juden nicht verzichten.

Für die spanische Bildungsschicht sind die Juden die Hüter und Vermittler der arabischen Gelehrsamkeit, die die Sieger keineswegs gesonnen sind zu vernachlässigen. Im Gegenteil: man ist bestrebt, sie der eigenen jungen Kultur dienstbar zu machen. Man lernt denn auch bei den Juden Arabisch, läßt sich in Mathematik, Astronomie, Philosophie, Heilkunde unterweisen. Die Juden treten als Lehrer auf, als Übersetzer und auch als ausübende Kartographen, Kalligraphen und Ärzte.

Während der Adel, der die Juden auf seinen Besitzungen als Kolonisierungselement, als Pächter und Verwalter gebraucht, im kleinen die Judenpolitik der Könige nachahmt, bezieht die Geistlichkeit eine judenfeindliche Stellung. Sie wird sich mit dem Gewerbestand darin einig, daß die jüdische Arbeit in Wirtschaft und Kultur zurückgedrängt werden muß. Die judenfeindliche Agitation setzt bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein. Die Zeiten der toledanischen Konzile unter der Westgotenherrschaft scheinen wiederzuerstehen. Der Schutz, den die königliche Gewalt und der Adel den Juden bieten, erweist sich gegenüber Kirche und Bürgertum als zu schwach. Die Angriffe richten sich zunächst gegen den jüdischen Glauben, dessen Lehrsätze in öffentlichen Zwangsdisputationen geprüft werden.

Die politisch ohnmächtige Synagoge wird in eine Kampfhaltung zur Kirche gedrängt, die ihrem Wesen und ihren Aufgaben durchaus widersprechen muß. Eine bittere Erfahrung bieten den treuen Bekennern des Judentums die Schmähschriften von Abtrünnigen, von Täuflingen, die vor keiner Verleumdung zurückschrecken. Die Juden antworten mit Schriften zur Verteidigung ihres Glaubens, sie gründen in Aragonien (1354) einen Bund zur Abwehr der Angriffe.

Die Geistlichen fordern in ihren Kirchenpredigten zu Tätlichkeiten auf. In Sevilla, wo die Propaganda am heftigsten geführt wird, fällt der Pöbel am 6. Juni 1391 über die Juden her. Es entsteht ein furchtbares Gemetzel. Drei Monate lang wütet der Pogrom in Andalusien, in Toledo, an der Küste von Valencia bis nach Barcelona hin. Wer von den Massakern an diesen Orten verschont geblieben ist, hat die Wahl, zu fliehen – man geht nach Nordafrika, nach Portugal, nach der Türkei – oder zum Christentum überzutreten. Es dauerte zwei Jahrzehnte, bis die Gemeinden einigermaßen wiederhergestellt werden konnten. In den großen Städten bildeten sich übrigens kaum noch welche. Man bevorzugte die Besitzungen des Adels und siedelte sich in den kleinen Ortschaften an. Eine Ausnahme bildete Andalusien, der letzte Hort der Maurenherrschaft.

Die Juden in Spanien nach 1391 sind ein erheblich verelendetes Bevölkerungselement, das sich zum großen Teil aus ambulanten Händlern, Krämern und gering angesehenen Handwerkern zusammensetzt. Die gehobenere Schicht gehört nun dem Schein nach nicht mehr zum Judentum. Die Marannen haben ihrem Glauben abgeschworen, aber man betrachtet sie weiter als Juden. Die Geistlichkeit verdächtigt ihre Haltung zu den früheren Glaubensbrüdern. Es ist allen offensichtlich, daß sie mit tausend Banden den Juden verbunden sie. Die Unfähigkeit, die Marannen zu assimilieren, führt zum Vernichtungskampf gegen die, die Juden geblieben sind. Das durch seine Beziehungen zum Judentum belastete Marannentum, die Neuchristen „des schlechten Blutes“ erscheinen der Geistlichkeit als schwere Bedrohung für die Christen „des reinen Blutes“. Die „Limpezza“, die Reinblütigkeit, für deren Bestimmung eine gewisse Anzahl von Generationen festgesetzt wird, wird, um es mit Worten Rankes zu formulieren, „zur Waffe der Kinder germanischer und romanischer Christen wider die Abkömmlinge von Juden und Mauren“.

Unter dem Generalinquisitor Thomas de Torquemada (1483) erhält der Kampf gegen die Neuchristen (conversos) besonderen Antrieb. In Aragonien versuchen sie, sich zu wehren. Hier haben sie noch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluß. Der Inquisitor Pedro Arbues wird in der Kathedrale von Saragossa bei nächtlichem Gebet ermordet. Dieser Verzweiflungsakt sowie die Empörung der conversos in Sevilla vermag aber die Tätigkeit der Inquisition nicht aufzuhalten. Torquemada erreicht nach der Eroberung Granadas bei der Königin Isabella, daß die Juden aus den spanischen Landen ausgewiesen wenden. Das Versprechen, das die Königin ihrem Finanzminister Don Isaak Abravanel gegeben hatte, soll keine Geltung haben.

Vom 9. bis zum 13. Jahrhundert ist Spanien der geistige Mittelpunkt der jüdischen Welt. Die spanische Gelehrtenschule wird von einem babylonischen Gesetzesforscher begründet, der die Verbindung mit der alten Geistesmetropole gewährleistet. In Spanien wird der jüdische Gesichtskreis erheblich erweitert. Die profanen Wissenschaften, Medizin und Astronomie erfahren bedeutende Förderung. Chasdai ibn Schaprut übersetzt den Dioscorides ins Arabische. Die hebräischen grammatischen Untersuchungen erhalten eine breitere Grundlage durch vergleichende Studien anderer semitischer Sprachen. Die jüdischen wissenschaftlichen Interessen erstrecken sich aber auch auf die Sprachen der Pyrenäischen Halbinsel.

Auf spanischem Boden produziert das Judentum schöpferische Begabungen, Dichter wie ibn Gabirol (1021 bis 1070), Jehuda Halevi (1080 bis ca. 1145) und Mose ibn Esra (1092 – 1167).

Das Verhältnis zur Kultur des Landes spiegelt sich im Gebrauch der Sprachen. Die Juden sprechen in Saragossa teils Romanisch, teils Arabisch. Bachja ibn Pakuda aus Saragossa, der Verfasser des ethischen Traktats „Herzenspflichten“, schreibt Arabisch, obwohl ihm die Sprache nicht vollkommen geläufig ist. Aber in den anderen Provinzen ist Arabisch die allgemeine Verkehrssprache. Wiederum muß Juda ibn Tibbon die spanisch-jüdische Literatur ins Hebräische übersetzen, um sie den provencalischen Juden zugänglich zu machen. Salomon Parchon, der aus Nordspanien nach Italien auswandert, hat dort Schwierigkeiten mit seiner wissenschaftlichen Produktion, weil ihm die hebräische Sprache nicht voll zu Gebote steht, die arabische Sprache aber außerhalb des arabischen Kulturkreises keine Geltung hat.

Der arabische Einfluß offenbart sich in der religionsphilosophischen Betrachtungsweise der spanisch-jüdischen Theologie, in der Herausstellung der Dogmatik, in der Gestaltung einer Normenlehre. Demgegen über machen die Zarfatim (die nordfranzösischen Juden) und die Aschkenasim in Talmud und Bibelexegese einen mehr überlieferungsmäßigen orthodoxenStandpunkt geltend, und stellen sich zu den kühnen Systematisierungsversuchen eines Maimonides in scharfen Gegensatz. In Nordspanien, das unter provencalischem Einfluß steht, behauptet sich in einem Mann wie Salomo ben Adret in Barcelona wiederum jener Konservatismus. Er erhält eine Verstärkung in Ascher ben Jechiel, der aus Deutschland nach Toledo kommt. Der Sohn des aschkenasischen Gesetzeslehrers Jakob ben Ascher, seit 13o5 Rabbiner in Toledo, schafft in seinem „Turim“ die Grundlage für den Schulchan Aruch des Sefarden Josef Karo (16. Jahrhundert), eine Mischung sefardischer und aschkenasischer Gedankenarbeit mit dem Akzent auf dem aschkenasischen Beitrag.

Die Verschiebung des jüdischen geistigen Zentrums nach Norden, die politische Verdrängung des Arabertums durch die christlichen Nordmächte verhilft dem jüdischen Geistestyp zur Herrschaft, der sich in Katalonien, Aragonien und Leon durchsetzt und der im Grunde dem provencalischen und italienischen weitaus verwandter ist als dem südspanischen. Die Haltung, die hier dem Rationalismus des Maimonides entgegengesetzt wird, ist durch einen neuen Mystizismus stark gefärbt. Sie wird durch Nachmanides (Mose ben Nachman) in Barcelona vertreten.

Der Austausch jüdischer und christlicher Kulturgüter, der sich auf spanischem Boden im 13. und 14. Jahrhundert vollzieht, soll für die Gestaltung des spanischen Judentums von entscheidenderer Bedeutung werden, als es der jüdisch-arabische war, denn, wie innig auch die Bindung an die arabische Sprache gewesen ist, sie löst sich auf, während die spanische Sprache einmal von den Flüchtlingen der Pyrenäischen Halbinsel in die weite Welt getragen werden wird, als ein unveräußerliches Eigentum. Die Kadenzen der spanischen Dichtung, die canzioneros, bestimmen den Tonfall und den Rhythmus hebräischer Dichtungen. Juden dichten auch auf kastilianisch, und ein Mann wie Mose Arragel aus Guadalajara übersetzt und kommentiert (1422 – 143o) das Alte Testament für die kastilische Geistlichkeit, die die jüdische Exegese aus authentischer Quelle kennenlernen will.

Aber die wissenschaftlichen Liebhabereien des Hofes und des Kirchenadels, der gelegentliche Verkehr mit einem geistig hervorragenden Juden, was ist das mehr als snobistische Spielerei gegenüber dem unabänderlichen Gang der Ereignisse, die zu dem Ausweisungsbefehl von 1492 führen. 3oo ooo Juden (nach anderen,Quellen 8oo ooo) haben in dreimonatiger Frist Spanien zu verlassen. Ein Drittel wendet sich nach Portugal, ein Drittel nach der Türkei, etwa 25 ooo gehen nach den Niederlanden, ebenso viele dürften nach Nordafrika, vornehmlich nach Marokko, gegangen sein, der Rest verteilt sich auf Frankreich, Italien, Ägypten.

Mauren und Juden haben spanischen Boden verlassen. Ist es Zufall, ist es die Folge der plötzlichen Entvölkerung – die Berichte des 16. Jahrhunderts erzählen von der Verödung des flachen Landes, von den eingetrockneten maurischen Kanälen, von den stillgelegten Häfen in Barcelona und Malaga.

Die Länder, die die Vertriebenen aufnehmen, verspüren bald die belebende Wirkung der neuzugeflossenen Energien. Die Wirtschaftsgeschichte Italiens, der Türkei, Frankreichs, Hollands verzeichnet einen jähen Aufschwung. Die in jenem denkwürdigen Zeitabschnitt entdeckte überseeische Welt bietet dem Pioniergeist der Sfardim ein dankbares Feld. Allerdings hat die Inquisition einen langen Arm und sie holt sich ihre Opfer vom verborgensten Fleck der Erde.

In Spanien selbst ist das Ziel, das der Inquisition vorschwebt, im 16. Jahrhundert erreicht. Der Assimilierungsprozeß der conversos ist vollendet. Die Marannen, die nach Portugal geflohen waren und 158o nach Spanien zurückkehren, um sich als Ärzte, Juristen, Steuerpächter und Kaufleute niederzulassen, sie müssen sich schon selber sehr entjudaisiert vorkommen, wenn sie den Versuch wagen können, diesen mit dem Blut ihrer Vorfahren durchtränkten Boden zu betreten.

Der Minister Philipps IV. (1621 – 1665), Graf Olivares, faßt den Plan, Juden,aus Afrika und der Levante in der Nähe von Madrid anzusiedeln. Wenn die Absicht auch nicht verwirklicht wurde, kennzeichnet sie doch einen bedeutenden Gesinnungswandel. Ende des 18. Jahrhunderts sind die Finanzen Spaniens nach dem Krieg gegen das republikanische Frankreich in arg zerrüttetem Zustand. Der Finanzminister des Königs Karl IV., Don Pedro Varela, scheint sich von einer jüdischen Einwanderung viel zu versprechen, denn er empfiehlt im Jahre 1796 die Aufhebung des Niederlassungsverbotes.

Angesichts der ablehnenden Haltung des Klerus gab der König 188o2 dem Inquisitor die Erklärung ab, daß das Verbot in Kraft bleibt. Seit 1876 werden die Juden in Spanien geduldet. In den achtziger Jahren werden 4oo Juden gezählt. Ihre Andachten üben sie in Privathäusern aus. Nach Artikel 11 der Verfassung von 1876 ist jede „religiöse Kundgebung“, außer der katholischen, verboten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erheben sich in Intellektuellen- und Politikerkreisen Stimmen, die die Wiederherstellung der Ehre der Diffamierten fordern. Neben Angel Pulido Fernandez, dem „Apostel der Sefarden“, war es der Romanschriftsteller Benito Perez Galdos, der sich für die Wiedergutmachungsaktion einsetzte. 1909 wird Artikel 11 der Konstitution, der den Juden die Errichtung von Gotteshäusern verbietet, aufgehoben. 1910 wurde Ignacio Bauer, der Begründer der neuen Gemeinde in Madrid, als Abgeordneter von La Coruna in das Parlament gewählt.

Marcus Ehrenpreis erzählt in seiner spanischen Reise („Das Land zwischen Orient und Okzident“, 1928) von dem außerordentlichen Interesse, das in der spanischen wissenschaftlichen Welt den Juden und den Mauren des Mittelalters entgegengebracht wird. Man hat die Sefardim „entdeckt“, man widmet sich der kunstgeschichtlichen Erforschung der Juderias und der synagogalen Denkmäler. Der Marannenabkönimling Rafael Cansinos Assens schrieb ein begeistertes Buch über den Talmud. Carmen de Rurgos behandelte das Judenproblem in einer Anzahl von Büchern und Zeitschriftenartikeln. Wir erfahren, daß ein spanischer Schriftsteller, Gomez Carrillo, Tiberias besuchte, um den Spuren des Maimonides nachzugehen. Schon damals, vor sieben Jahren, prophezeite er in überschwänglichen Worten die Wiedergeburt des Maimonides in Spanien. Und so ist es uns denn doch eine Genugtuung, wenn in unseren Tagen die 8oojährige Wiederkehr des Geburtstages des Mose ben Maimon in seinem Heimatort Cordova feierlich begangen werden konnte.

Es leben jetzt Juden in Barcelona (etwa 4ooo), in Madrid und in Sevilla, vereinzelt auch in Valencia und in Toledo. Neues jüdisches Leben ist im Entstehen begriffen. Zum Zionistenkongreß in Luzern 1935 erschien erstmalig ein Delegierter aus Spanien.

Einwanderungswilligen werden keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt. Im Jahre 1933 ist eine größere Anzahl Juden aus Deutschland nach Spanien gegangen. Ein Teil ist geblieben, ein Teil mußte infolge der Wirtschaftskrise und der Schwierigkeiten, die die Syndikate fremden Arbeitskräften bereiten, das Land verlassen. Jedoch hält der Zuzug aus Deutschland an. Die Aussichten sind für den Handel und Industrieunternehmeungen nicht ungünstig.

Aus: Die Juden in der Welt