Pinchas – Über den Umgang mit Eifer

Paraschat HaSchawua – Der wöchentliche Toraabschnitt, Kommentiert von Nechama Leibowitz

Der Beginn unseres Abschnittes schliesst die Geschichte von Bileams böswilligen Versuchen, die Israel in den Augen des Ewigen diskreditieren sollten, ab. Sie sollten dazu verführt werden, unmoralische Taten zu begehen. Der Hintergrund zu dieser Geschichte wird im folgenden Auszug aus dem Talmud (Sanhedrin 106a) dargestellt, der das Thema diskutiert:

Bileam sagte zu ihnen: Ihr Gott verabscheut Unmoral. Die Israeliten sehen sich nach Leinengewändern. Ich will euch einen Rat geben. Stellt Stände auf und verkauft ihnen Leinen … Wenn die Israeliten essen, trinken, sich vergnügen und am Markt spazieren gehen, wird sie zu ihm sagen: Du bist wie einer aus der Familie, setze dich und wähle! Kalebassen mit ammonitischem Wein standen neben ihr … Sie sagte zu ihm: Willst du einen Becher Wein trinken? Sobald er einen Becher getrunken hatte, entbrannte in ihm die böse Neigung und er sagte zu ihr: Gib dich mir hin! Dann nahm sie ihr Götzenbild heraus und sagte zu ihm: Verehre es! Er sagte zu ihr: Bin ich nicht ein Jude? Sie sagte zu ihm: Was kÚmmert es dich? … Ich werde mich dir nicht hingeben, solange du nicht das Gesetz Moses‘, deines Lehrers, zurückgewiesen hast, wie es heisst (Hosea 9, 10): Sie kamen nach Baal-Peor und weihten sich der Schande und wurden mir ein Greuel wie ihr Buhle.

Am Schluss der vorhergehenden Sidra wird erzählt, wie Pinchas in die Bresche stieg, um den Zorn Gottes abzuwehren. In seinem Eifer für seinen Gott erschlug er einen Mann im Antrieb eines Augenblicks, ohne Prozess, ohne eine Warnung auszusprechen, ohne einen Zeugen gehört zu haben und in Herausforderung aller Prozeduren juristischer Untersuchung, wie sie von der Tora beschrieben werden. Durch seine Tat nahm er das Gesetz in die eigene Hand und schuf einen Präzedenzfall von sozialer, moralischer und erzieherischer Tragweite. Aber, wie kommentiert die Tora seine Tat?

Und der Ewige redete zu Moscheh also: Pinchas, Sohn Elasar, Sohnes Aharons, des Priesters, hat meinen Grimm abgewendet von den Kindern Israel, indem er eiferte an meiner Statt unter ihnen, dass ich nicht aufrieb die Kinder Israel in meinem Eifer.
(25, 10-11)

Es klingt seltsam, dass für eine solche Tat eine solche Belohnung beschrieben wird. Die Weisen des Jerusalemer Talmud stellen fest, Pinchas‘ Tat fand nicht die Zustimmung der religiösen Führer seiner Zeit, d.h. von Moses und den Ältesten. Einer von ihnen geht so weit, zu sagen, dass sie ihn ausstossen wollten, wäre nicht der Heilige Geist dazwischen gesprungen und hätte erklärt:

Und es sei ihm und seinem Samen nach ihm der Bund eines ewigen Priestertums; dafür, dass er geeifert hat für seinen Gott, und gesühnt hat die Kinder Israel.
(25, 13)

Rabbiner Baruch Epstein, der Autor des Pentateuch Kommentars „Torah Temimah“ interpretiert die Haltung der Weisen so:

Eine solche Tat wird durch einen ursprünglichen, unverfälschten Geist des Eifers animiert, um den Ruhm Gottes zu fördern. Wer kann in diesem Fall sagen, ob der Täter nicht durch ein gewisses egoistisches Motiv angeregt wurde und behauptete, er tue es für Gott, wenn er eigentlich einen Mord beging? Daher wollten die Weisen Pinchas ausstossen, hätte nicht der Heilige Geist bezeugt, sein Eifer für Gott sei rein.

Rabbiner Kook weist in seinem Kommentar zum Gebetbuch über „Birkat Haminim“ (dem Segen gegen die Häretiker), der in der Amida für die Wochentage vorkommt, auf einen ähnlichen Punkt hin. Diese Bracha beginnt mit den Worten: „Den Verleumdern sei keine Hoffnung …“ und atmet Vergeltung an den Verrätern des Volkes. Es ist interessant, dass die gegenwärtige Formulierung dieses ungewöhnlich bitteren Gebetes von einem Talmudweisen namens Samuel HaKatan stammt, der sich durch eine besondere Liebe zu seinen Migeschöpfen auszeichnete, und dessen Motto laut Pirkei Avot lautete (gemäss Sprüche 24, 17): Fällt dein Feind, so freue dich nicht, nicht juble dein Herz, wenn er hinstürzt.
Rabbiner Kook erklärt:

Jeder Weise, der für seine Frömmigkeit und sein Lernen ausgezeichnet ist, kann Gebete formulieren, die den Geist von Gnade und Liebe atmen. Aber ein solches Gebet, voller Hass und Verdammung, erweckt auf Seiten des Autors die privaten Gefühle von Animosität und Trotz gegen die Feinde und Verfolger seines Volkes. So ein Gebet muss daher von jemandem stammen, der für seinen heiligen und reinen Charakter bekannt ist und der den Hass nicht kennt. Ein solcher Mensch war Samuel HaKatan. Man konnte sicher sein, dass er von gänzlich selbstlosen Überlegungen beherrscht war und inspiriert von den reinsten Motiven. Er hatte aus seinem Herzen alle privaten Gefühle von Hass gegen die Verfolger seines Volkes verbannt.

Jetzt ist es vielleicht leichter, den Zusammenhang zwischen Pinchas‘ Tat – wie schrecklich sie auch war – und der von Gott beschriebenen Belohnung zu sehen:

Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens.
(25, 12)

Wir müssen Abravanels Vorschlag nicht annehmen, der göttliche Schutz richte sich auch gegen die Brüder Simris, des Opfers. Simri stammte aus einer Fürstenfamilie, die zweifellos seinen Tod rächen wollte. Der Bund des Friedens muss nicht als göttliche Garantie persönlicher Sicherheit vor Belästigung interpretiert werden, sondern vielmehr in Sinne Rabbiner Zwi Jehuda Berlins, dem berühmten Oberhaupt der Jeschiwa von Woloschin, der in seinem Kommentar Ha’amek Davar schrieb: Das göttliche Versprechen eines Friedensbundes ist eher ein Schutz gegen den inneren Feind, der im Eiferer, der die spontane Tat ausführte, lauert, gegen die innere Demoralisierung, dass eine solche Tat das Töten eines Mensch darstellt, ohne einem dem Fall angepassten Prozess.
Der Neziw (Naftali Zwi Jehuda Berlin) drückte diese Idee so aus:

Als Belohnung, dass er den Zorn des Ewigen, gepriesen sei Er, abgewandt hatte, segnete Er ihn mit Frieden, damit er nicht jähzornig sei. Da es nur natürlich ist, da eine solche Tat, wie sie Pinchas beging, eine intensive emotionale Unruhe hinterlässt, war der göttliche Segen eine Hilfe für den Umgang mit der Situation und versprach der Seele Ruhe und Frieden.

Weiterführende Fragen

Und der Name des Mannes aus Israel, des erschlagenen, der erschlagen worden war mit der Midjanitin, war Simri, Sohn Salu, Fürst eines Stammhauses aus Schimeon.
(25, 14)

Die Tatsache, dass Simri Fürst aus einem grossen Hause war, war für Pinchas gleichgültig, als Gottes Ehre seine Bestrafung gebieterisch forderte. Daher enthüllt uns der Vers den Namen des Opfers.
(Raschi)

Und der Name des Weibes, der erschlagenen, der Midjanitin, Kosbi, Tochter Zur; Haupt der Völkerschaften eines Stammhauses in Midjan war er.
(25, 15)

Dass die Tochter eines solchen Mannes eingewilligt hatte, eine derart unsittliche Rolle zu spielen, zeigt, wie gefährlich weit die Midjaniter in ihren Bemühungen gingen, die Israeliten durch Sünde zu vernichten.
(Raschi)

Der Maharal von Prag, der Autor des Werkes „Gur Arie“, fragt, warum Raschi den zweiten Vers nicht wie den ersten kommentierte, um Pinchas Kredit zu geben, der nicht davor haltmachte, eine Prinzessin zu töten, um den Namen Gottes zu ehren? Finde eine Antwort im Zitat Raschis.

Zu den selben beiden Versen fragt der Autor des Pentateuch Kommentars „Or HaChaim“, ob die Tora die Absicht hatte, schliesslich doch die Namen der Opfer zu nennen und sie nicht unter dem Schleier der Anonymität zu lassen wie im Fall des Mannes, der am Schabbat Holz sammelte (Numeri 15, 32). Warum wurden ihre Namen nicht sofort in 25, 6 genannt, am Anfang? Warum wird gewartet, warum werden die Sätze „Und der Name des Mannes“, „Und der Name der Frau“ wiederholt?
Schlage eine Erklärung vor, warum die Opfer von Pinchas‘ eifernder Tat in unserem Abschnitt vorkommen und nicht im vorhergehenden, am Anfang unserer Geschichte.

Haftara zu Pinchas: I Könige XVIII, 46 – XIX, 21