Sidrath Ekew: Die Prüfung des Man

Paraschat HaSchawua, der wöchentliche Toraabschnitt, kommentiert von Nechama Leibowitz

„Und du sollst gedenken des ganzen Weges, den dich geführt der Ewige, dein Gott, schon vierzig Jahre in der Wüste, um dich leiden zu lassen, um dich zu versuchen, um zu erkennen, was in deinem Herzen ist: ob du beobachten wirst seine Gebote oder nicht. Und er liess dich leiden und dich hungern und speiste dich mit dem Man, das du nicht gekannt und nicht gekannt deine Väter …
Der dich gespeist mit Man in der Wüste, den deine Väter nicht gekannt, um dich leiden zu lassen, und um dich zu versuchen, dass er dir wohltue in deiner Zukunft“.
(8, 2 – 3, 16)

In unserem Abschnitt und in Exodus (16) wird das Man als Versuchung (Nisajon) oder Prüfung Israels beschrieben. Unsere Kommentatoren haben die ungewöhnliche Natur dieser Versuchung bemerkt.

Üblicherweise ist eine Prüfung oder Versuchung etwas, das ertragen werden muss, eine unangenehme Erfahrung oder eine Bürde.

Abravanel fragt:

Welche Prüfung ist die Versorgung mit ihrem täglichen Brot in der Form des Man, mit einer doppelten Portion am Vorabend des Schabbat? Ist es nicht eher eine grosse Güte und keine Prüfung?

Raschi erklärt dieses Problem im ersten Zusammenhang in Exodus, wenn der Ewige ankündigt, das Man zu senden:

„Damit ich es prüfe, ob es wandeln wird nach meiner Unterweisung, oder nicht“ – um zu sehen, ob sie die damit verbundenen Vorschriften beachten, dass sie nichts übriglassen und am Schabbat nichts einsammeln sollen.

Die Prüfung bestand nicht in der Gabe des Man, sondern in den begleitenden Vorschriften. Die Art, wie die Israeliten diese Vorschriften ehrten, würde als Hinweis ihrer Loyalität zu den göttlichen Vorschriften dienen, um zu sehen, „ob es wandeln wird nach meiner Unterweisung, oder nicht“. Aber unter demselben Zeichen kann jede Vorschrift der Torah als Prüfung oder Versuchung betrachtet werden! Wir könnten in der Formulierung des Textes sogar entdecken, dass die Prüfung nichts mit den Vorschriften des Man zu tun hatte, sondern eigentlich mit dem Genuss einer himmlischen Speise. Das Leben in Luxus und Leichtigkeit, dessen sie sich durch das Man erfreuten, könnte die grösste Versuchung von allen sein:

„Um dich zu versuchen“ – ob du seinen Willen tun wirst, wenn er dir Versorgung garantiert, ohne zu leiden.
(Sforno)

Mit anderen Worten: würden die Israeliten weiterhin Gott fürchten und seine Gebote halten in Zeiten der Prosperität? Wir könnten gegen diese Erklärung einwenden, dass die Mandiät in der Wüste als Last präsentiert wird, als Leiden und nicht als Genuss. Nachmanides schlägt eine plausiblere Erklärung vor:

Die Situation, in der sich die Israeliten hinsichtlich des Man befanden, stellte für sie eine grosse Prüfung dar, da sie die Wüste ohne irgendwelche Nahrung betraten und keinen Ausweg hatten. Sie waren vollständig von der täglichen Manportion abhängig, die herunterregnete und in der Hitze der Sonne schmolz. Sie hungerten danach, ertrugen aber all ihr Leiden im Gehorsam zu Gott, der sie durch eine unbewohnte Route führen hätte können. Er konfrontierte sie jedoch mit dieser Prüfung, um ihre ewige Loyalität zu ihm zu prüfen …

Mit anderen Worten, Nachmanides stellt fest, dass das Man durch seine ungewöhnliche Beschaffenheit für die Israeliten eine Prüfung darstellte. Weder ihnen noch ihren Väter war es bekannt. Es war eine unbeliebte, seltsame Speise, die ihnen nicht in Hülle und Fülle gegeben wurde und nicht aufbewahrt werden konnte. Die hungrigen Israeliten, die erwartungsvoll des Man harrten, sahen jedem Tag mit Besorgnis entgegen. Sie waren voller Zweifel, ob es genügen würde. Der Verfasser von „Ha-ketav Va-ha-Kabbalah“ erhellt die Bedeutung des Begriffes „versuchen“, der in der Bibel verwendet wird:

Gott, der allwissend ist, braucht keinen Beweis. Sein „Versuchen“ besteht vielmehr darin, der Person selbst die Grenzen der eigenen Fähigkeiten zu beweisen. „Um dich zu versuchen“ bedeutet, dass Gott den Menschen in eine solche Lage bringt, die dem Menschen das Ausmass seines Glaubens und Gottesvertraues vor Augen führt.

Der Biur schlägt einen anderen Textzugang vor:

Wenn sie in einer Position der absoluten Abhängigkeit von Gott hinsichtlich ihrer täglichen Versorgung sind, würden sie sich daran gewöhnen, im zu vertrauen und ihr Glauben an Gott würde Teil ihrer Natur werden.

Wenn wir das Man als Symbol der Abhängigkeit des Menschen von seinem Schöpfer verstehen, passen die beiden Bezüge auf das Man am Beginn und am Ende der Passage, die wir zuerst zitierten, genau in den Kontext, der vom wunderbaren natürlichen Reichtum des Landes, in das sie eintreten, um es zu besitzen, spricht:

Denn der Ewige, dein Gott, bringt dich in ein schönes Land, ein Land der Wasserbäche, Quellen und Seen … ein Land des Weizens und der Gerste … ein Land, darin du nicht kümmerlich Brot essen musst, … ein Land, dessen Steine Eisen, und aus seinen Gebirgen wirst du Kupfer hauen. … Hüte dich, dass du nicht vergessest den Ewigen, deinen Gott.
(8, 7 – 11)

Wir sind daran gewöhnt, diese Passage als die klassische Beschreibug der Fruchtbarkeit und anderer wunderbarer Qualitäten des Heiligen Landes zu betrachten. Aber wir dürfen die andere Bedeutung nicht vergessen. Die Torah singt das Preislied des Landes, zum auch die moralischen Gefahren und Fallen zu betonen, die ein solches Geschenk mit sich bringt.
Obwohl das Leben der Israeliten im Gelobten Land nicht länger vom Wasser, das aus dem Felsen geschlagen wird, und dem Man, das vom Himmel regnet, abhängig sein würde, stammen auch der normale Regenfall und alle natürlichen Gaben des Landes vom Schöpfer und nicht von der eigenen Kraft und der Macht ihrer Hand.

Weiterführende Fragen

1. Lies den Auszug aus „Ha-Ketav Ve-ha-Kabbalah“. Welche anderen wichtigen Probleme löst der Verfasser?

2. Wie unterscheidet sich der Zugang des Biur bei der Erklärung des Satzes „Um dich zu versuchen“ von den anderen zitierten Kommentatoren?

3. „Um dich leiden zu lassen“ – auf dem Weg. Siehe: „Unterwegs ist meine Kraft gebrochen“ (Psalm 102, 24)

„Und er liess dich hungern“ – indem er dir täglich nur Man spendete – denn einer, der ein Stück Brot in seinem Korb hat, kann nicht mit einem verglichen werden, der keines hat. Eine andere Erklärung: Hätte Gott das Man gesandt, während du noch Proviant aus Ägpten hattest, hättest du es nicht einmal gekostet. Du hättest das gewohnte Brot nicht für das Man, das weder du noch deine Väter kannten, aufgegeben. Dies ist die Kraft des Satzes „Und er liess dich hungern“.
(Chiskuni)

1. Welche Schwierigkeit versucht dieser Kommentator zu lösen?

2. Was ist der Unterschied zwischen seinen beiden Erklärungen? Welche scheint dir glaubwürdiger für die einfache Bedeutung des Textes?

Haftara zu Ekew: Jesaja XLIX, 14 – LI, 3