Sidrath Bereschith: Der Mensch in Gottes Ebenbild

Paraschat HaSchawua – der wöchentliche Toraabschnitt, kommentiert von Nechama Leibowitz

Gott sprach: Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bilde, uns aehnlich.

Der Mensch wurde am sechsten Tag erschaffen und unterschied sich von allem vor ihm Erschaffenen. Nur die Erschaffung wird in zwei Phasen berichtet. Zuerst gab Gott in einer Praeambel seine Absicht bekannt. Danach wird der Vorgang seiner tatsaechlichen Schoepfung erzaehlt.

Der Mensch erfordert eine besondere Einleitung. Der RAMBAN betont, der Grund fuer diese separate und deutliche Behandlung lag im Ausmass seiner Vorherrschaft und seiner Unterscheidung von der restlichen Tierwelt, deren Erschaffung in der unmittelbar vorhergehenden Passage angekuendigt worden war.

In „Rechasim Lebik’a“ erhalten wir einen weiteren und sogar noch faszinierenderen Grund fuer diese Einleitung „Lasst uns den Menschen machen“. Es gibt eine Parallele zur Praeambel, die die Erschaffung der Frau einleitet. Da sagte Gott: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei …“ Keine Erlaeuterungen werden fuer andere Schoepfungen gegeben. Ihre Erschaffung wird ohne diese einleitenden Fanfaren angekuendigt. Warum? „Sie zeigen Gottes Fairness gegenueber all seinen Schoepfungen. Er versetzt sie nicht in Angst und Schrecken, indem er ihnen ohne Vorwarnung einen Regenten und Herrscher vorsetzt. Im Gegenteil: er sagt ihnen, ‚kommt, jetzt werden wir den Menschen erschaffen‘, wie ein Koenig, der eine Steuer, die er seinem Volk auferlegt, ankuendigt: ‚Kommt, wir werden jetzt dem Land zu eurem Vorteil eine Steuer vorschreiben‘.“

Andere fanden den Ursprung fuer die Besonderheit des Menschen in der Tatsache, dass er zum Schluss erschaffen wurde. Radak stellt fest: „Es war ein Zeichen fuer die Ehre und den hohen Status des Menschen, dass er zum Schluss der Schoepfung kam, um festzuhalten, dass alle sterblichen Geschoepfe um seinetwillen geschaffen wurden, und dass der Mensch ueber sie herrschen wuerde.“

In „Biur“ schneidet Dubnow dasselbe Thema an: „Der Mensch war die Krone der Schoepfung, ein wenig niedriger als die Engel. Er besitzt eine unsterbliche Seele, er ist faehig, seinen Schoepfer mit Intelligenz zu erkennen und er regiert die Welt mit Weisheit. Lasst uns den Menschen machen, kuendigte der Schoepfer an. Mit anderen Worten: nachdem ich alles vorangegangene um des Menschen willen erschaffen habe, um seine Beduerfnisse zu befriedigen und zu seiner Freude, und nun lasst den Herrn und Meister den Palast betreten.“

Der Status des Menschen als Ziel der Schoepfung und seine Einzigartigkeit werden durch die edle Formulierung, mit der seine Erschaffung beschrieben wird, unterstrichen:

Und Gott schuf den Menschen in Seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und Weib schuf er sie.

Diese Verse sind poetisch und erhaben, die Tatsache der Erschaffung des Menschen wird drei Mal betont. Der Unterschied zwischen dem Menschen und der restlichen Schoepfung wird zwei Mal angesprochen: „Im Bilde Gottes schuf er ihn.“ Pflichten, Verantwortungen und der Ruhm des Menschen sind davon abzuleiten. In seinem Buch „Religion und Wissenschaft“ beschaeftigt sich Prof. Gutmann mit dem Begriff „Gottes Ebenbild“:

„Zelem“ (Bild) bezieht sich auf eine persoenliche Beziehung, die es nur zwischen „Personen“ geben kann. Die Persoenlichkeit des Menschen steht der Persoenlichkeit Gottes gegenueber. Es gibt eine nichtjuedische religioese Ananeherung , deren religioeses Ideal in der „Ausloeschung“ der menschlichen Persoenlichkeit besteht. Die Persoenlichkeit des Menschen wird gemaess dieser Annaeherung als Barriere zwischen ihm und den Dingen betrachtet … Dies ist jedoch nicht der Fall in einer ethischen Religion. Nur solange der Mensch eine Persoenlichkeit ist, kann er seine Beziehung mit Gott aufrecht erhalten. Der Mensch ist eine eigene Welt und es ist nicht gefordert, dass er in der Natur aufgeht.

Anders ausgedrueckt: Jedes Individuum ist vor Gott gleich bedeutend, denn jeder Mensch wurde in Seinem Bild geschaffen.

So wurde der Mensch um seinentwillen geschaffen. Die Tora lehrt uns, wer eine Seele zerstoert, wird betrachtet, als habe er eine ganze Welt zerstoert. Und wer eine Seele rettet, wird betrachtet, als habe er eine ganze Welt gerettet. (Mischna Sanhedrin 37a)

Die Einzigartigkeit des Individuums als eigene Welt, unwiederholbar, wird in der Fortsetzung derselben Mischna beschrieben:
So zeigt sich die Groesse des Ewigen, gepriesen sei Er. Wenn jemand viele Muenzen aus einer Form praegt, ist eine die Wiederholung der anderen. Der Oberste Koenig der Koenige, der Ewige, gepriesen sei Er, drueckte jedem einzelnen Menschen Adams Stempel auf, aber nicht einer gleicht genau seinem Naechsten.

Sofort nach seiner Erschaffung empfing der Mensch einen besonderen goettlichen Segen. Der Mensch war jedoch nicht das erste Wesen, das von Gott gesegnet wurde, sondern die Fische. Der Inhalt beider Segen ist fast identisch, ein grosser Unterschied kann entdeckt werden. Dies ist der Segen fuer die Fische:
Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch…
Und dies der Segen fuer den Menschen:
Und Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch…
Die Fische sind nicht ausersehen, dass Gott sie besonders anredet. Sie erhalten die Macht, sich zu vermehren. Das ist ihr Segen. Dem Menschen jedoch wird neben der Gabe, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, von Gott speziell mitgeteilt, diese Gabe zu nutzen. Und der Mensch ist sich dieser Gabe bewusst. Die Schoepfung, die fuer die Tiere ein unpersoenlicher Akt war, wurde zu einem bewussten und persoenlichen fuer den Menschen. Eine aehnliche Idee finden wir in Pirke Awot (3,18):

Geliebt ist der Mensch, denn er ist im Ebenbilde (seines Schoepfers) erschaffen, besondere Liebe, es wurde ihm offenbart, dass er im Ebenbilde (Gottes) erschaffen, so heisst es: Denn im Ebenbilde Gottes schuf er den Menschen.

Der im Bilde Gottes geschaffene Mensch wurde mit einer besonderen Aufgabe ueber die restliche Schoepfung betraut (1,28):
Und Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und fuellet die Erde und machet sie euch untertan, und bewaeltiget die Fische des Meeres und die Voegel des Himmels und alles Getier, das sich regt auf Erden.

Die Formulierung „und machet sie euch untertan“ ist auf den ersten Blick ziemlich erstaunlich und klingt kriegerisch, im Gegensatz zu den friedlichen Idealen unserer Weisen, die von ihnen als das Ziel der Menschheit betrachtet wurden. Gemaess den Rabbinen war der Ursprung des Menschen in einem einzigen Paar durch den goettlichen Wunsch gepraegt, Krieg zwischen den Menschen zu vermeiden. In der Tosephta, die in Sanhedrin 88b zitiert wird, heisst es:
Der Mensch wurde allein in der Welt geschaffen, um interfamiliaeren Streit zu vermeiden. Trotz der Tatsache, dass er allein geschaffen wurde, entstanden Fehden zwischen ihnen, wie viel mehr, wenn zwei erschaffen worden waeren!

Die Mischna geht weiter und leitet von der Erschaffung des ersten Mannes und der ersten Frau das Prinzip der Bruederlichkeit zwischen den Menschen ab. Jede Theorie von Besonderheit wird verdammt:
Deshalb wurde der Mensch allein geschaffen, um Frieden in der Menschheit zu bewahren, dass niemand zu seinem Naechsten sage: Mein Vater war groesser als deiner!

Daher kann sich der Segen „und machet sie euch untertan“ nicht darauf beziehen, mit seinen Nachbarn einen Krieg anzufangen. Der RAMBAN erhellt uns diesen Punkt. Der Mensch, sagt er, wurde die Vorherrschaft ueber die Erde gegeben. Er kann mit der Schoepfung nach seinem Willen verfahren, bauen, entwurzeln, pflanzen, Metalle und Mineralien abbauen, was er moechte. Diese Formulierung bezieht sich also eher auf die menschliche Eroberung der Wueste, seine konstruktiven und zivilisatorischen Bemuehungen, die Welt aufzubauen und zu bewohnen und die Kraefte der Natur zu seinem Vorteil zu nutzen. Die Erde wurde nicht geschaffen, um verwuestet, sondern um bevoelkert zu werden. Der Schoepfer verlieh dem Menschen das Privileg, ueber die Schoepfung zu herrschen, ueber die Fische des Meeres, die Voegel des Himmels und alles Getier, das sich regt auf Erden.
Die Reihenfolge der Schoepfung setzt den Menschen an die Spitze, er kommt nach den Fischen des fuenften und den Saeugetieren des sechsten Tages. Zitieren wir nochmals aus „Wissenschaft und Religion“: Der Mensch ist der Welt nicht untertan. Die Kraefte der Natur sind nicht uebernatuerlich, die ueber ihm stuenden. Aber er steht auf der Seite Gottes gegen die Natur.

In unserer Parascha wird der Mensch von Gott, der seinen Blick von Oben nach Unten richtet, in der zweiten Person angesprochen. Der Psalmist, der in Psalm 8 die Himmel und seine Heerscharen erblickt und seine eigene unbedeutende und gleichzeitig ausgezeichnete Position als Beherrscher der Erde erkennt, richtet seinen Blick von Unten nach Oben und spricht Gott auch in der zweiten Person an:
Ich schaue den Himmel, das Werk deiner Finger, den Mond und die Sterne, die Du geschaffen:
Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkest! Des Menschen Sohn, dass Du Sorge tragest um ihn!
Du hast ihn fast zu einem Gotteswesen gemacht, du hast ihn gekroent mit Glorie und Glanz. Du hast ihm Macht gegeben ueber das Werk deiner Haende, alles hast Du ihm zu Fuessen gelegt:
All die Schafe und Rinder und die Tiere des Feldes, die Voegel des Himmels und die Fische im Meer und alles, was dahinzieht die Pfade der Meere.

Weiterfuehrende Fragen:

1. „In seinem Bild“: in der Form, die fuer ihn gegossen wurde. Denn alles wurde durch Gottes Wort erschaffen, nur er durch Gottes Hand, wie es heisst (Psalm 139,5): Und du legst auf mich deine Hand. Ihm wurde ein Stempel aufgedrueckt, im Bilde Gottes schuf er ihn. Der Vers erklaert, das Bild, welches fuer ihn vorbereitet wurde, ist das Bild seines Schoepfers. (Raschi ueber Genesis 1,27)
„So schuf Gott den Menschen in seinem Bild“ – dem jetzigen auf der Welt. (Lekach Tow)
Da die Formulierung „in seinem Bild“ kann sich auf den Menschen beziehen, wie viele dachten. Der Text faehrt fort, zu spezifizieren: „In seinem Bild“, wie die Weisen sagen: „zum Beispiel so und so ein Ding.“ In der Tora und den Heiligen Schriften gibt es zahllose Beispiele. (Kaspi)
1. Was ist der Unterschied zwischen diesen Erklaerungen? (Haben wir drei oder nur zwei verschiedene Interpretationen?)
2. Welchem Kommentator folgten wir in der Erklaerung des Abschnittes?

2. „In seinem Bild“, im Bild des Menschen. Alternative: „In Gottes Ebenbild“.
Ehrfurchtgebietend: „im Bilde Gottes schuf Er ihn.“ (Bechor Schor)
Was ist mit „ehrfurchtgebietend“ buchstaeblich gemeint?

3. „Im Bilde Gottes schuf Er ihn“: „und von der Hand des Menschen, von der Hand des Einen werde ich fordern das Leben des Bruders“ (Genesis 9,5) und „Und ein mann, der die Ehe bricht mit dem Weibe eines Mannes, der die Ehe bricht mit dem Weibe seines Naechsten.“ (Leviticus 20,10) (Schadal)
Was ist allen drei Versen gemeinsam?
Welcher Erklaerung in Frage 1 folgt Schadal?

Haftara zu Bereschit: Jesaja XLII,5 – XLIII,10