Balak: Fluch und Segen

Paraschat HaSchawua – Der wöchentliche Toraabschnitt, Kommentiert von Nechama Leibowitz

Die Geschichte von Bileam präsentiert eine Reihe von Problemen, mit denen wir uns auch schon andernorts beschäftigt haben. Dieses Mal widmen wir unser Studium der Diskussion folgender Frage, die von Abravanel gestellt wird:

Warum hielt Gott Bileam davon ab, die Israeliten zu verfluchen? Warum sollten sie sich um diesen Fluch kümmern, solange der Ewige sein Volk mit Frieden segnet?

Die Tora glaubt nicht an Wahrsagerei und Magie. Nur die heidnischen Götter waren in ihrer Macht eingeschränkt. Diese Macht wurde von okkulten Gesetzen umschrieben. Sie konnten keiner Zauber brechen und die Wirksamkeit einer Verwünschung nicht verschwinden lassen.
Das Haus Jakob hatte daran keinen Anteil. Sogar Bileam musste zugeben, „es ist keine Zauberei in Jakob, und keine Wahrsagerei in Israel.“ Unsere Sidra ist damit beschäftigt, Aberglauben und magische Praktiken in Misskredit zu bringen. Das ist das Ziel der Geschichte mit der Eselin. Bileam ging aus, um mit seinem Mund ein ganzes Volk zu verfluchen. Er, der Seher und Prophet, der behauptete, die Geheimnisse der Zeit zu untersuchen, konnte nicht einmal sehen, was seine Eselin sah.

Das dümmste Tier trat dem weisesten Menschen gegenüber. In dem Augenblick, als es sprach, war er verdammt.
(Bamidbar Rabbah 20, 12)

Dieses Ereignis fügt unserer Frage grössere Kraft hinzu. Welche Bedeutung konnte dem Fluch einer solchen Persönlichkeit beigemessen werden, und warum war es notwendig, den Fluch in einen Segen zu verwandeln? Einige Kommentatoren meinen, es sei geschehen, um Bileam eine Lektion zu erteilen, dass er nicht sein eigener Herr war. Keine magischen Riten (baue mir sieben Altäre) konnten über den höchsten Herrn die Oberhand gewinnen. Er hatte keine Wahl und musste die Worte stammeln, die ihm der Allmächtige in den Mund legte („Und der Ewige legte ein Wort in den Mund Bileams“, 23, 5), auch wenn sie das Gegenteil von dem waren, was er sagen wollte.
Andere sagen, die Flüche wurden nicht in Segen verwandelt, um Bileam eine Lektion zu erteilen, sondern, um Israel eine Wohltat zu erweisen. Brauchte Israel den Segen? War der Ewige die wahre Quelle aller Segen und war Er es, der Israel segnete? Die Antwort darauf lautet, dass Bileams Worte, objektiv gesprochen, ob Fluch oder etwas Anderes, wirkungslos waren. Es war vom Ewigen abhängig, ob sie Gutes oder Böses bewirkten. Subjektiv gesehen, vom Standpunkt der Israeliten, die in Ägypten mit Zauberei und Aberglauben erzogen worden waren, hatte das Gestammel dieses Chefzauberers der Nationen einen bemerkenswerten Einfluss. Dies ist die Erklärung von Joseph Ibn Kaspi:

Der Fluch Bileams hatte keine objektive Macht. Seine Wirksamkeit darf nur vom Standpunkt jener gesehen werden, die den Fluch empfangen, vom Standpunkt der Israeliten. Bileam war ein bekannter Zauberer. Und damals wie heute waren die Leute von Zauberern und Sehern beeindruckt. Der Grund für den Glauben Balaks und seiner Genossen muss ebensowenig angezweifelt werden, wie der im Fall Jakobs und Esaus, die dem Segen ihres Vaters so grosse Bedeutung beimassen. Wenn sie so sehr daran glaubten, dann umso mehr die Israeliten jener Tage, vor allem die Frauen und Kinder, die sich von den Voraussagen eines solchen berühmten Zauberers besonders beeindrucken liessen!
Ein wahrer Freund wird seinem Kameraden jeglichen Schmerz ersparen, auch wenn er weiss, dass keinerlei Gefahr droht. So hielt der Allmächtige aus seiner übergrossen Liebe zu Israel, Bileam davon ab, Israel zu verfluchen, obwohl er wusste, dass seine Flüche machtlos waren. Aber der Ewige gab sich damit nicht zufrieden. Er ging weiter und liess Bileam das Volk segnen, um es zu erfreuen, wie es heisst (Deut. 23,6): Und es verwandelte der Ewige, dein Gott, dir den Fluch in Segen, weil dich der Ewige, dein Gott lieb hatte.
Ähnlich heisst es in Josua 24, 9-10: Da erhob sich Balak, … und er liess Bileam, den Sohn Beors, holen, um euch zu verfluchen. Ich aber wollte nicht auf Bileam hören; er musste euch sogar segnen, und ich rettete euch aus seiner Hand.
Das bedeutet, dass Gott die Israeliten aus der Hand Bileams befreite, gemäss seiner Idee von der Macht der eigenen Worte und einiger der Kinder Israel. Auf alle Fälle. Er erlöste sie und sie hörten Bileams Fluch nicht – alles aus Liebe zu seinem Volk.
(Tira Kesef)

Abravanel hat ein ähnliches Argument:

Bileams Zauberei war weltberühmt. Balak bezieht sich auf diese Berühmtheit, wenn er sagt: „denn ich weiss, wen du segnest, der ist gesegnet, und wen du verfluchst, der ist verflucht.“ Hätte Bileam Israel verflucht, hätten die Nachbarvölker Mut gefasst und wären gegen Israel mit der Kraft des Fluches in die Schlacht gezogen. Als sie aber hörten, wie Gott den Fluch in Segen verwandelte, erkannten sie, wer der Herr war … und verloren die Lust zu kämpfen. Von diesem Standpunkt aus gesehen, diente die Umkehrung von Bileams Worten einem sehr nützlichen Zweck. Josua 2, 9 bezieht sich auf dieselbe psychologische Kriegsführung: „Ich weiss, der Ewige hat euch dieses Land gegeben; der Schrecken vor euch fiel auf uns, und alle Bewohner des Landes wurden bei eurem Nahen von Entsetzen gepackt.“ Woher wusste Rahab das alles, wenn nicht aus Bileams prophetischen Segnungen?

Es gibt andere Autoritäten, die sagen, weder Bileams noch Israels Vorteil waren allein beteiligt. Der Ewige wollte alle seine Geschöpfe vor einem Irrtum bewahren. Er will nicht das Mittel sein, mit dem Aberglauben unterstützt wird. Hätte Bileam verflucht, hätten die Moabiter sicher angenommen, der Grund, warum die Israeliten von einem Angriff Abstand nahmen, wären die Verfluchungen und nicht das Verbot Gottes, Moab nicht zu befeinden und sich mit ihm in eine Fehde einzulassen (Deut. 2,).
Luzzatto folgt dieser Erklärung:

Israel war es verboten worden, Moab anzugreifen. Hätte Bileam verflucht, hätten Moab und Balak mit der Abwehr der Israeliten geprahlt. Sie wären vielleicht sogar soweit gegangen, sie zu bekämpfen, wie es die Edomiter taten. Israel hätte sich zurückziehen müssen und der Name Gottes wäre in Misskredit gebracht worden.

Eine ähnliche Erklärung von Anselm Astruc bezieht sich ebenfalls auf „Chillul HaShem“:

Die Warnung des Ewigen, das Volk nicht zu verfluchen, wurde nicht nur ausgesprochen, weil, Bileam imstande war, Unheil anzurichten, da der „Wächter Israels weder schläft noch schlummert.“ Aber dies geschah, um die Bewohner des Landes davon auszuschliessen, Vergeltung zu üben. Abr dies geschah, um die Bewohner von jeglicher Vergeltung abzuhalten, an der die Israeliten wegen ihrer Sünden als Ergebnis der Verfluchung durch Bileam zu leiden haben würden. Der Ewige wollte den Ungehorsam seines Volkes ausmerzen, so wie ein Vater seinen Sohn züchtigt. Er wollte missgeleitete Reden vermeiden, die seine Allmacht anfechten. (Vergleiche Numeri 14, 14 und Exodus 32, 12.)
Das war der Grund, warum „der Zorn Gottes, dass Bileam ging, erglühte“ (Numeri 22, 22). Nicht, weil er Schaden anrichten würde, sondern weil einige seiner Zuhörer jegliche Vergeltung, die sie wegen ihrer Sünden erleiden würden, der Wirkung des Fluches zuschreiben könnten.
(Midreschei Torah)

Es gibt einen Unterschied zwischen den beiden letzten Zitaten. Luzzatto betrachtet die göttliche Aktion gegen Bileam als Ausweg mit nur zeitweiliger Wirkung, um die Moral der Feinde Israels zu schwächen und den Namen Gottes öffentlich zu heiligen. Astruc hingegen betrachtet dies als Aktion mit dauerhafter Auswirkung, um Israel davon abzuhalten, seine Leiden in seiner zukünftiger Geschichte als Wirkung von Bileams Fluch zu sehen, und nicht als Ausdruck göttlichen Zorns wegen seiner Ungehorsamkeit. Dies wäre Chillul HaShem, eine Entweihung des göttlichen Namens.
Der Ewige verwandelte Bilams Fluch in Segen, nicht, um Israel vor Kränkung zu retten, sondern alle Völker davor zu bewahren, weiter in Aberglauben geleitet zu werden.

Weiterführende Fragen:

Astruc vergleicht unseren Kontext mit der Fürsprache Moses‘ nach dem Fehlverhalten der Kundschafter (Numeri 14) und dem Goldenen Kalb (Exodus 32). Erkläre den Zusammenhang.

„Als Balak … alles sah, was Israel dem Emoriter getan“ (Numeri 22, 2). Die beiden Könige, auf die wir uns beziehen, konnten ihnen nicht Stand halten. Und um wieviel weniger wir! Daher graute es Moab vor den Kindern Israel>
(Raschi)
Was ist der Punkt von Raschis Interpretation und welchen Eindruck korrigiert er? Was veranlasst seinen Kommentar? Vergleiche in deiner Antwort Raschis Kommentar zu Genesis 18, 3 mit dem ersten Wort in unserem Abschnitt.

Und dieser sandte Boten an Bileam … ihn zu laden mit den Worten: Siehe ein Volk ist ausgezogen von Mitzrajim, siehe es verdeckt das Auge der Erde und es sitzt mir gegenüber. (22, 5) Ein namenloses Volk, das gleich Sklaven ausgebrochen ist, Besitz für sich selbst heraus zu schneiden und in einem Land zu wohnen, das ihm nicht gehört.
(Ha’amek Davar)
Welche Variante im Text veranlasste diese Erklärung?

Haftara zu Balak: Micha V, 6 – VI, 8