Sidrat vajeschew: Der Verkauf Josephs

Der wöchentliche Torah-Abschnitt, kommentiert von Nechama Leibowitz

Als nun vorbeikamen midianitische Maenner, Kaufleute, da zogen sie und brachten Josef herauf aus der Grube und verkauften den Joseph an die Jischmaeliter um zwanzig Silberstuecke, und diese brachten Joseph nach Mitzrajim. (37,28)

Dieses Kapitel schildert einen Wendepunkt im Leben Josephs und in der Geschichte des juedischen Volkes. Es markiert den Abstieg der Israeliten nach Aegypten. Die Interpretation der obigen Verse war das Thema vieler Dispute. Die akzeptierte Version ist jene Raschis:

Dies war eine andere Karawane, der Text teilt uns mit, dass er viele Male verkauft wurde. „Da zogen sie“ bezieht sich auf die Soehne Jakobs, die nahmen ihn aus der Grube und verkauften ihn an die Ischmaeliter, und die Ischmaeliter an die Midianiter und die Midianiter an die Aegypter.

Wir wollen versuchen, Raschi zu verstehen. Das Auftreten der midianitischen Karawane ueberrascht uns. Bis jetzt wurde uns erzaehlt:

Da hoben sie ihre Augen auf und schauten, und siehe, ein Zug Jischmaeliter. (37,25)

Dann hoeren wir Judahs Vorschlag:

Kommet, lasst uns ihn verkaufen den Jischmaelitern. (37,27)

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die midianitischen Kaufleute nicht erwaehnt. Sogar in unserem Vers wird festgestellt: „und verkauften den Joseph an die Jischmaeliter um zwanzig Silberstuecke“, was offensichtlich mit Judahs Vorschlag, der von den Bruedern angenommen worden war („Und die Brueder hoerten darauf“) uebereinstimmt. Welche Rolle spielten die Midianiter? Wo passen sie hinein? Raschi versuchte, diese Schwierigkeit zu ueberwinden, indem er der talmudischen Exegese folgte und einen dreifachen Verkauf postulierte: die Brueder den Ischmaelitern, – den Midianitern – den Aegyptern. Raschi identifiziert die Medaniter, die am Ende des Kapitels erwaehnt werden,

Und die Medanim verkauften ihn nach Mitzrajim, an Potiphar (37,36)

mit den Midianitern. Er gibt aber keine Erklaerung fuer das Problem, das im ersten Vers des 39. Kapitels auftaucht:

Und Potiphar … kaufte ihn aus der Hand der Ischmaeliter.

Sogar Mizrachi, Raschis Superkommentator und Champion ist gezwungen, zuzugeben: „Ich weiss nicht, was Raschi aus diesem Vers macht.“ Raschis Identifikation des Subjekts des zweiten Teiles mit „seine Brueder“, erwaehnt am Ende des vorangehenden Verses („Und die Brueder hoerten darauf“), wird von anderen Kommentatoren angenommen, obwohl diese verschiedene Loesungen fuer das Problem der Karawanen vorschlagen. Hier Hizkuni:

Waehrend die Brueder seinen Verkauf an die Jischmaeliter diskutierten: „Kommt lasst uns ihn verkaufen den Jischmaelitern“, und bevor diese sie erreichten, kamen midianitische Kaufleute vorbei, denen die Brueder ihn verkauften, waehrend er noch in der Grube war, damit sein Weinen sie nicht beschaeme. Die Midianiter zogen ihn aus der Gruber heraus, da sie ihn gekauft hatten. Waehrend sie dies taten, kamen die Jischmaeliter vorbei. Die Midianiter verkauften ihn an die Jischmaeliter, die Jischmaeliter an die Medaniter und die Medaniter an den Pharao – vier Verkaeufe. Der Text jedoch stellt fest, dass Potiphar Joseph von den Jischmaelitern kaufte. Warum? Die Staemme hatten ihn an die Midianiter verkauft, aber dieser Verkauf wurde nicht aufgezeichnet, da er nur temporaer war. Die Midianiter verkauften ihn an die Jischmaeliter und die Jischmaeliter an die Medaniter. Auch dieser dritte Verkauf wurde nicht aufgezeichnet, da er hastig und im Geheimen abgeschlossen wurde, aus Angst, die Medaniter koennten zurueckziehen. Die Medaniter verkauften ihn an Potiphar, der wegen Josephs schoener und gebietender Erscheinung argwoehnisch war. Es war nicht ueblich, dass umherziehende Sklavenhaendler, dunkelhaeutige Menschen, einen „Weissen“ verkauften, sondern eher umgekehrt. Daher konnte er kein Sklave sein. Er fragte sie nach einer Garantie, dass der Verkauf bone fides (im guten Glauben) durchgefuehrt wurde, um vor eventuellen Reklamationen sicher zu sein. Sie brachten die Jischmaeliten, die die erforderliche Garantie gaben. Dies drueckt sich in der Kraft der Worte des Textes aus: (39,1) „Und Joseph wurde hinabgebracht nach Mitzrajim; und ihn kaufte Potiphar, ein Hofbedienter Pharaos, Oberster der Leibwaechter, ein mitzrischer Mann, aus der Hand der Jischmaeliter, die ihn dorthin gebracht.“ (vergl. Genesis 43,9: „Ich will fuer ihn buergen, aus meiner Hand sollst du ihn fordern.“ – der letzte Teil von Hizkuni basiert auf Bereschit Rabbah 86).

Hizkunis Zugang ist ziemlich kompliziert, hat aber zwei Vorteile: die vielen und heimlichen Verkaeufe passen gut in die Atmosphaere des Handelns mit gestohlenen Guetern. Die Haendler erkannten, dass es sich um keinen bona fides Verkauf handelte und versuchten, ihn wieder los zu werden. Gleichzeitig werden die Widersprueche in unserem Text aufgeloest (wo Joseph schliesslich den Jischmaelitern verkauft wird), dem letzten Vers des Kapitels: „Und die Medaniter verkauften ihn nach Aegypten“, und dem ersten Vers des Kapitels 39: „Und ihn kaufte Potiphar … aus der Hand der Jischmaeliter.“

Der Fehler in dieser Erklaerung ist die Tatsache, dass zwei im Text nicht erwaehnte Verkaeufe angenommen werden. Deshalb zitieren wir hier Ramban, der eine andere Erklaerung vorschlaegt. Er betrachtet die beiden Karawanen der Midianiter und Jischmaeliter als eine. In dieser Karawane waren die Midianiter die „Kaufleute“ und die Jischmaeliter die Kameltreiber, so dass die Brueder zuerst die jischmaelitische Karawane sahen, und spaeter, als sie naeherkam, die midianitischen Kaufleute:

Die Brueder verkauften Joseph den Midianitern, den Kaufleuten, um mit ihm zu handeln. Die Jischmaeliter, Kameltreiber oder Traeger, waren nicht direkt in den Handel verwickelt. Sie vermieteten ihre Kamele und sich selbst an Haendler. Der Text: „Und verkauften den Joseph an die Jischmaeliter“ beinhaltet, dass Joseph den Jischmaelitern uebergeben und von ihnen nach Aegypten transportiert wurde. Das bedeutet auch der Text: „Aus der Hand der Jischmaeliter, die ihn dorthin gebracht.“ Aber er war Eigentum der Midianiter, sie handelten mit ihm. Das ist die Kraft des Textes: „Und die Medaniter verkauften ihn nach Mitzrajim.“

Ramban zeigt uns dann, dass die Tora oft eine Tat zuschreibt, manchmal dem letzten Ausfuehrenden und anderen als indirekten und direkten Vermittlern. So auch mit Moses: (Deut. 34,12) „Und nach aller starken Macht und nach allem Grossen und Furchtbaren, dass Moses ausgefuehrt vor den Augen des ganzen Israel.“ Oder Gott: (Deut. 11,7) „Denn eure Augen sind es, die gesehen haben all das grosse Werk des Ewigen, das er vollbracht.“
Gleichzeitig wird auch hier der Widerspruch zwischen „Und die Medaniter verkauften ihn nach Aegypten“ und „Und ihn kaufte Potiphar … aus der Hand der Jischmaeliter“ geloest, indem daran erinnert wird, dass manchmal eine Tat direkt oder auch indirekt zugeschrieben wird. Ibn Ezra moechte die Midianiter und Jischmaeliter als identisch sehen. Aber abgesehen von den Unterschieden zwischen den beiden Kommentatoren, haben sie dies gemeinsam: Die in unserem Text nicht erwaehnten Brueder werden als das selbstverstaendliche Subjekt betrachtet: „da zogen sie und brachten Joseph heraus aus der Grube und verkauften den Joseph.“ Diese Erklaerung koennte scheinbar aus Josephs Worten, als er den Bruedern seine Identitaet enthuellt, geschlossen werden: „Ich bin Joseph, euer Bruder, den ihr nach Aegypten verkauftet.“
Aber dieser Zugang hat viele Schwierigkeiten. Zuerst laesst er unerklaert, warum Reuben ueber den Verkauf unwissend blieb, obwohl er zweifellos sein bestes tat, um Joseph zu retten und seine Brueder im Auge behielt. Wo war er zum Zeitpunkt des Verkaufs? Zugegeben, der Midrasch stellt fest, dass er anderweitig beschaeftigt war (sich um seinen Vater kuemmernd, wegen seiner Beziehung zur Konkubine seines Vaters buessend), aber dies ist erzwungen. Wiederum, dies erklaert nicht, warum ihm seine Brueder nicht antworteten, als er schockiert fragte: „Der Knabe ist nicht da, und ich, wo soll ich hin?“ Ihr Schweigen zeigt an, dass sie ebenso schockiert waren. Dass ihn die Brueder wirklich als tot betrachteten, scheint aus einer Reihe von Texten ableitbar, neben der Tatsache, dass sie sonst vermutlich jede Anstrengung unternommen haetten, ihn aufzuspueren. Zum Beispiel: (42,13 und 32) „… und der eine ist nicht mehr.“ Es ist offensichtlich, dass dieser Satz darauf hinweist, dass sie ihn fuer tot hielten. Vergleiche 44,20: „Das sagten wir zu meinem Herrn, wir haben einen alten Vater und dieser einen kleinen Sohn, ihm im Alter geboren; und dessen Bruder ist tot, so dass er allein uebrig geblieben ist von seiner Mutter, und sein Vater liebt ihn.“ Wie haette es Judah sonst wagen koennen, dies festzustellen?
Wenn die Brueder unter sich waren, drueckten sie unmissverstaendlich ihre Ueberzeugung aus, dass er tot sei: „…hab ich nicht zu euch gesprochen also: Versuendiget euch nicht an dem Knaben; aber ihr hoertet nicht, und sein Blut wird nun auch gefordert.“ (42,22) Waere Raschis Diskussion, dass ihn die Brueder der nach Aegypten ziehenden Karawane verkauften, korrekt, wie haetten die Brueder, nachdem sie ihre Tat bedauerten, hoffen koennen, ihn aufzuspueren und die Angelegenheit zu bereinigen? Dies fuehrte Raschbam und andere Kommentatoren dazu, einen anderen Weg einzuschlagen:

„Als nun vorbeikamen midianitische Kaufleute.“ Die Brueder setzten sich in einiger Entfernung zur Grube zum Essen nieder, voller Bedenken, und warteten auf die Jischmaeliter, die sie gesehen hatten. Aber bevor diese ankamen, passierten andere, Midianiter, sahen Joseph in der Grube, zogen ihn heraus und verkauften ihn den Jischmaelitern, offensichtlich die Existenz der Brueder nicht ahnend. Obwohl der Text sagt: „den ihr nach Aegypten verkauftet“, war dies nur im Sinn der eigentlichen Verantwortung gemeint. … Die Midianiter kamen zufaellig vorbei und verkauften ihn an die Jischmaeliter. Aber sogar, wenn du sagen moechtest, dass es die Brueder waren, die ihn den Jischmaelitern verkauften (wie sein Grossvater Raschi lernte), musst du sagen, dass die Brueder die Midianiter angewiesen hatten, Joseph aus der Grube zu ziehen. Und sie verkauften ihn hinterher den Jischmaelitern.

Raschbam war gezwungen, durch die grammatikalische Konstruktion des Textes eine neue Erklaerung zu finden. Das einzig moegliche Subjekt unseres Textes sind die Midianiter, da zuletzt auf sie Bezug genommen wird. Daher bemerkt er, dass Raschis Erklaerung, die Brueder haetten ihn herausgezogen, nur akzeptiert werden kann, wenn wir annehmen, dass ihn die Midianiter herauszogen, nachdem die Brueder es ihnen aufgetragen hatten. Da auch dies erzwungen ist, bringt der Raschbam die revolutionaere, aber passende Erklaerung, dass Joseph ohne ihre Kenntnis verkauft wurde. Dies wird auch in Josephs eigener Ansicht ausgedrueckt: (40,15) „Denn gestohlen bin ich worden aus dem Lande der Hebraeer; und auch hier habe ich nichts getan, dass sie mich in die Grube gesetzt.“ Viele Kommentatoren akzeptierten dies, inklusive Hizkuni. Seine Erklaerung wurde frueher als Alternative zitiert. Sein Hauptgrund fuer diese Akzeptanz war:

Als Reuben ihn nicht in der Grube fand, dachten alle, ein wildes Tier habe ihn gefressen. Sie beluegten ihren Vater nicht. Haetten sie ihn wirklich verkauft, haetten sie alle Laender abgesucht, um ihn aufzuspueren, tot oder lebendig.

Andere Kommentatoren, die seinem Zugang folgen sind Bahya, Mendelsohn, Hirsch und Malbim. Die erschoepfendste Auslegung dieses Standpunktes ist jene in Samuel Lalis Brief, der in Luzzattos Kommentar zu diesem Vers zitiert wird:

Sie entfernten sich von der Grube, um Josephs Flehen um Gnade nicht zu hoeren (42,21: „Fuerwahr, wir buessen um unsern Bruder, dessen Seelenangst wir sahen, indem er zu uns flehte, und wir hoerten nicht; darum kommt ueber uns diese Not.“). Beim Essen erblickten sie eine Karawane und Judah sagte: „Welcher Gewinn ist es … Und die Brueder hoerten darauf.“ Sie kamen ueberein, nach dem Essen Joseph aus der Grube zu ziehen und ihn an die Jischmaeliter zu verkaufen. Waehrend sie sprachen, zogen die Midianiter zufaellig vorbei, nahmen ihn mit und verkauften ihn um 20 Stuecke Silber an die Jischmaeliter. Reuben eilte ungesehen zur Grube, um Joseph herauszuziehen und ihn zum Vater zu bringen, bevor die anderen Gelegenheit hatten, ihn zu verkaufen. Aber der erstaunte Reuben fand die Grube leer. Er zerriss seine Kleider und war ueberzeugt, ein Baer oder Loewe habe Joseph lebend aus der Grube herausgezerrt, um ihn in seinem Unterschlupf zu verschlingen, da keine Blutspuren oder Knochen zu finden waren. Er berichtete also den Bruedern, was sich ereignet hatte und sie glaubten ihm. Reuben gab sich fuer die Tragoedie die Schuld, da er es gewesen war, der den Vorschlag gemacht hatte, ihn in die Grube zu werfen… Die Brueder hatten die Idee, den Rock in Blut zu tauchen, um Reuben zu schuetzen und ihren Vater zu ueberzeugen, dass Joseph von einem wilden Tier gefressen worden war. Niemand von ihnen ging auf die Suche nach Joseph, da sie der Meinung waren, er sei tot.
Reuben hatte zu Judahs Vorschlag, Joseph zu verkaufen, geschwiegen, da er dachte, er wuerde Joseph heimlich aus der Grube retten koennen bevor sie ihren Plan ausfuehrten. Nun verstehen wir, warum die Brueder auf Reubens Nachricht „Der Knabe ist nicht da“ nicht mit „Wir haben ihn verkauft“ reagierten, da sie nicht mehr ueber Josephs Verbleib wussten als Reuben selbst. Gleichzeitig wird Josephs „Denn gestohlen bin ich worden aus dem Lande der Hebraeer“ erklaert. Die Diskrepanz zwischen den Medanitern, die ihn verkauften, und den Jischmaelitern, von denen Potiphar ihn angeblich gekauft hat, kann durch die Tatsache erklaert werden, dass „Jischmaeliter“ eine allgemeine Bezeichnung fuer die anderen Nachkommen Abrahams, die nicht von Isaak sind, darstellt. Sie koennen auch die Nachkommen Medans, eines Sohnes Abrahams sein (Genesis 25,2). Aber die Midianiter, die Joseph an die Jischmaeliter verkauften, obwohl auch sie Soehne Abrahams waren, waren sicherlich andere als die in der jischmaelitischen Karawane. Da die Kaeufer und Verkaeufer nicht ein und diesselben sein konnten, werden sie als „Kaufleute“ bezeichnet (folgend der Erklaerung des Raschbam).

Josephs Feststellung „dass ihr mich verkauftet“ ist kein Widerspruch, da – wie Benno Jacob ausfuehrt – der Begriff „Verkauf“ deckt nicht nur die finanzielle Seite der Transaktion ab, sondern auch das allgemeinere „Uebergeben“ eines Objektes, begleitet von einem Unterton voller Bitterkeit und Unglueck. Gott „uebergab“ Israel in die Haende seiner Feinde (Richter 2,14; 3,8; 4,2). Joseph konnte nicht gemeint haben, dass seine Brueder ihn verkauften, im Sinn von „Loswerden“ oder „Uebergeben“ oder im Sinn indirekter Vermittlung.
Jacob findet einen ueberzeugenderen Beweis, dass nicht die Brueder ihn verkauften. Nachdem Judah vorgeschlagen hatte, Joseph an die Jischmaeliter zu verkaufen, endet der Vers mit den Worten: „Und die Brueder hoerten darauf.“ Raschi erklaert dies als Zustimmung. Jacob fuehrt ins Treffen, es haette eines Objektes bedurft, um dies zu bedeuten („und die Brueder hoerten auf ihn oder auf seine Stimme“, vergl: Genesis 23,16; 30,22; 34,24; Exodus 18,24; Numeri 21,3).
„Wajischme’u“ weist indirekt auf das Gegenteil hin, dass sie ihn „hoerten“, aber zoegerten und ablehnten. Vergleiche Genesis 35,22: „Und es geschah, als Israel wohnte in diesem Lande, ging Reuben und beschlief die Bilhah, das Kebsweib seines Vaters, und Israel hoerte es.“ Die letzten Worte des Verses 27 bereiten nicht den Boden fuer den Verkauf Josephs durch die Brueder, sondern das Gegenteil: keine gemeinsame Entscheidung wurde gefaellt, in der Zwischenzeit tauchte die zweite Karawane auf, Joseph wurde herausgezogen.
Aber die Hauptfrage lautet: Wie beeinflusst diese neue Interpretation die Bedeutung der Geschichte als Ganzes? Darauf antwortet Benno Jacob: Die Staemme waren nicht schuldig der Suende, einen Menschen gestohlen und verkauft zu haben (Exodus 21, 12-18), worauf die Todesstrafe stand und wofuer es keine Vergebung gab, da es als Mord betrachtet wurde. Gott hatte die Dinge so gelenkt, dass ihre Absicht nicht ausgefuehrt wurde. Joseph wurde von Fremden verkauft. Waere er von seinen Bruedern verkauft worden, waere es kein permanenter Verkauf gewesen, da der Verkauf durch einen Juden an einen Heiden oder an einen anderen Juden ausloesbar ist. Aber Joseph wurde von Heiden an Heiden verkauft – in die ewige Sklaverei. Das ist die Kraft der Betonung im Text, dass Potiphar, ein Aegypter, ihn aus den Haenden der Jischmaeliter kaufte. Trotzdem erloeste ihn der Allmaechtige aus der aegyptischen Sklaverei, ein Vorgeschmack auf alles, was ganz Israel geschehen wuerde, allen Soehnen Jakobs in Aegypten, in der Knechtschaft, aus der der Ewige sie herausfuehren wuerde, von der Sklaverei in die Freiheit.

Weiterfuehrende Fragen:

1. Folgende Einwaende wurden gegen Raschis Interpretation erhoben: Was veranlasste Raschi, zu erklaeren, die Brueder haetten Joseph an die Jischmeliter verkauft und diese an die Midianiter? Und nicht, dass die Brueder ihn an die Midianiter verkauften und diese an die Jischmaeliter, was besser zum Text passte? Erklaere, welche Texte besser zu seiner Erklaerung passten und warum Raschi trotzdem seine Erklaerung vorzog.
2. Falls wir den einfachen Sinn akzeptieren, dass die Brueder Joseph nach Aegypten verkauften, wie wuerdest du Josephs Worte an den Obermundschenk und den Oberbaecker erklaeren: „Denn gestohlen bin ich worden aus dem Lande der Hebraeer.“
3. Was wollte Ramban mit dem Zitat aus Deuteronomium 11,7 („all das grosse Werk des Ewigen, das er vollbracht“) beweisen?
4. Widersprach sich Joseph selbst, wenn er bei einer Gelegenheit feststellte „Denn gestohlen bin ich worden aus dem Lande der Hebraeer“ und bei einer anderen „den ihr verkauft habt nach Mitzrajim?“
5. Die Widersprueche zwischen (37,36) „Die Medanim verkauften ihn nach Aegypten“ und (39,1) „und ihn kaufte Potiphar … aus der Hand der Jischmaeliter“ werden von Benno Jacob auf einfache Weise aufgehoben, indem er herausstreicht, dass der Text berichtet „sie verkauften ihn nach Aegypten“ und nicht „an die Aegypter“ oder „in Aegypten“. Erklaere.
6. „Und die Brueder hoerten darauf“: dies legt nahe, dass sie seine Ansicht akzeptierten. Das Hebraeische „schema“ – „hoere“ bedeutet immer Zustimmung, wie in Genesis 28,7, und der Satz „na’aseh we-nischma“ wird von Onkelos als „wir werden zustimmen“ uebersetzt. Aber immer bedeutet es: mit den Ohren hoeren. In Genesis 3,8; 27,5; 35,22 wird es von Onkelos mit dem Wort „schema“ uebersetzt.
(Raschi)
Raschi erklaert die Bedeutung eines Wortes entweder durch Bezugnahme auf die aramaeische Uebersetzung des Onkelos, auf ein anderes Beispiel in der Bibel oder durch Uebersetzung in die eigene Sprache, das Altfranzoesische, wenn er zum ersten Mal auf ein Wort trifft. Warum wartete Raschi bis zu unserem Abschnitt, um diese Konnotation des hebraeischen Wortes „schema“ zu erklaeren, statt in Genesis 28,7, wo es erstmals verwendet wird und worauf er sich tatsaechlich selbst stuetzt?

Haftara zur Parascha Wajeschew: Amos II, 6 bis III, 8