Paraschat haSchawu’a, der wöchentliche Toraabschnitt kommentiert von Nechama Leibowitz
Bis zu dieser Sidra konzentrierte sich die Tora ausschliesslich auf die Vorschriften zur Konstruktion und Ausgestaltung des Heiligtums und die Herstellung der wichtigsten Einrichtungsgegenstände: Bundeslade, Tisch, Menorah und Altar. Unser Abschnitt wird im Gegensatz dazu mit einer Vorschrift eröffnet, die sich auf das tägliche Funktionieren des Heiligtums als Ort der Verehrung bezieht:
Und du gebiete den Kindern Israel,
daß sie dir bringen
Olivenöl, lauteres, ausgepresstes,
zur Beleuchtung, um die Lampen
beständig anzustecken.
(27, 20)
Drei Aspekte des Textes haben unsere Kommentatoren erstaunt und beschäftigt: Formulierung, Kontext und Botschaft.
Die Formulierung der Vorschrift weicht in mehrfacher Hinsicht vom Muster, das in parallelen Kontexten in der Tora verwendet wird, ab. Auch die vorhergehende Sidra – Trumah – eröffnet mit einer Vorschrift zur Sammlung von Beiträgen der Kinder Israels zur Errichtung des Heiligtums und zum Gottesdienst.
Vergleichen wir die Formulierung:
Rede zu den Kindern Israel, daß sie mir Hebe bringen …
(25, 2)
Und du gebiete den Kindern Israel, daß sie dir bringen … (27, 20)
Unsere Weisen wiesen auf die semantischen Implikationen der Tatsache hin, daß einige Vorschriften durch ein „Befehlswort“ eingeführt werden:
„Beauftragen“ weist auf immerwährende Gültigkeit hin.
(Sifrei: Naso, Anfang)
„Gebieten“ erhält zwei weitere Konnotationen:
R. Judah b. Batira stellte fest: „Beauftragen“ impliziert stets extra Begeisterung, wie es heißt (Deut. 3, 28): „Und beauftrage den Jehoschua und ermutige und bekräftige ihn.“ Rabbi Shimon b. Jochai stellte fest: „Beauftragen“ erscheint immer im Zusammenhang mit finanziellem Verlust, wie es heißt in
(Lev. 24, 2): „Gebiete den Kindern Israel, daß sie dir klares Öl bringen …“
Kommentatoren der Schriften, inklusive Ramban (zu Lev. 6, 2) haben darauf hingewiesen, daß R. Judah b. Batira und R. Shimon b. Jochai einander eher ergänzen als auf einaner einzugehen.
Malbim, der sich lang und breit mit den verschiedenen Konnotationen scheinbar synonymer Wörter beschäftigt, unterschied sorgfältig zwischen „emor“ und „zav“ – „sagen“ und „befehlen“ (siehe Lev. 6, 8). Er schliesst, daß sich diese Unterscheidung gut in den narrativen Teilen der Tora bewährt. Wo jedoch spezifische Gesetze als Vorschriften eingeführt werden, macht es nichts aus, ob der Ausdruck des Befehlens vom hebräsichen Imperativ „emor“ oder „dabber“ (den Kindern Israel) gefolgt wird. In beiden Fällen teilen diese Verben die Konnotation von „befehlen“ („zav“) und implizieren (1) Enthusiasmus, (2) jetzt und (3) für immer. Malbim weist darauf hin, daß der Satz „eine ewige Satzung für ihre Geschlechter aus den Kindern Israel“ im Zusammenhang mit dem Entzünden der Lampe hinzugefügt wird, da der Leser leicht der Meinung sein könnte, dieses Gebot gelte nur für jene spezielle Generation.
Die Literalisten haben denselben Standpunkt angenommen, wie zum Beispiel Rashbam:
Oben finden wir: „Rede zu den Kindern Israel, daß sie mir Hebe bringen“, und zwar nur bei dieser einen Gelegenheit für das Heiligtum. Aber die Vorschrift hier ist immerwährend, Öl für die Lampe bereitstellen, dies muß jahrein, jahraus geschehen. Daher wurde der Text folgendermassen formuliert: „Und du gebiete den Kindern Israel“, denn jeder Ausdruck von „gebieten“ beinhaltet „für alle Zeit“. Ähnlich beinhalten alle anderen Ausdrücke des „Befehlens“, die wir in der Tora finden, „jetzt und für immer.“
Was Moses am Beginn unserer Sidra zu tun gebeten wird, ist daher substantiell verschieden von allen anderen Dingen, deren Ausführung von ihm im Zusammenhang mit dem Heiligtum verlangt wird. Der Midrasch Hagadol illustriert in der Tat, wie, im Gegensatz zu den anderen mit dem Heiligtum verbundenen Vorschriften, die mit der Zerstörung ungültig wurden, diese spezielle während der Periode des Exils intakt blieb:
„Und du gebiete“. Warum der Ausdruck „gebiete“ und nicht „sage“ oder „sprich zu“? Um Enthusiasmus und immerwährende Gültigkeit zu implizieren … Obwohl der Tempel zerstört wurde und die Lampen unbrauchbar, haben wir die Synagoge und die Lehrhäuser, unsere „Miniaturtempel“, in denen wir weiterhin die Lichter zünden.
Aber wir sind noch nicht mit dem Studium aller linguistischen Anomalien des Textes fertig. Allein die Kombination von: „Und du gebiete“ ist erstaunlich. Im biblischen Hebräisch ist es nicht üblich, daß das Pronomen dem Zeitwort vorangeht, ausser eine besondere Betonung ist beabsichtigt.
Diese unübliche hebräische Wortfolge erscheint drei Mal in der Sidra:
Und du gebiete den Kindern Israel,
daß sie dir bringen…
(27, 20)
Und du laß zu dir treten Aharon deinen Bruder…
(28, 1)
Und du rede mit allen Kunstverständigen…
(28,3)
Ramban beschäftigt sich mit dieser unüblichen Formulierung nur in unserem Kontext. Hier soll betont werden, daß Moses persönlich aufgefordert ist, ihnen zu gebieten, das Öl zu bringen. Aber er bietet keine Erklärung, warum gerade diese Vorschrift für so ein, an Moses persönlich gerichtetes, Gebot gewählt wurde.
Ein Vergleich paralleler Passagen enthüllt eine weitere Anomalie in der Formulierung:
Einen Altar von Erde sollst du mir machen
(20, 21)
(Raschi: Von Anfang an soll er in Meinem Namen errichtet werden.)
Daß sie mir Hebe bringen
(25, 2)
(Raschi: In Meinem Namen.)
Und sie sollen Mir machen ein Heiligtum
(25, 8)
(Raschi: Macht ein Heiligtum in Meinem Namen).
Im Gegensatz dazu die Vorschrift für das Zünden der Lichter:
Daß sie Dir bringen Olivenöl …
(27, 20 und Leviticus 24, 2)
Unsere Kommentatoren versuchten, die ursprüngliche Bedeutung von „Dir“ verschieden zu erklären:
Ramban:
„Dir“ heißt, sie sollten es ihm bringen, damit er sehen konnte, ob es rein und richtig gepresst war.
Abravanel:
Da Moses das Heiligtum zu allen Zeiten betrat, heißt es: „daß sie dir bringen“, für dich, damit du Licht hast, wenn du hineingehst, obwohl es, wie ich zugebe, eine Vorschrift ist, die für alle Generationen bindend ist.
Abravanel bemerkte den Einwand zu seiner Interpretation selbst und weist darauf hin. Die Vorschrift war tatsächlich nicht für Moses allein gdacht, sondern gilt zu allen Zeiten.
Meschech Chochmah beschäftigt sich mit der von Abravanel vorgeschlagenen Idee und gibt ihr mehr Tiefe:
Obwohl unsere Weisen (Wajikra Rabbah 1, 13) feststellten, göttliche Gemeinschaft mit Moses fand zur bei Tageslicht statt, wie es heißt (Ex. 6, 28): „Und es geschah zur Zeit als der Ewige mit Moses redete …“. (Am Tag sprach Gott zu Moses). Wenn die Lampen brannten, war es Tag auch in der Nacht, und dann sprach Er zu ihm. Der Text muß im Sinn von „Nimm für dich“, für dein Wohlergehen. Der Verstand eines Menschen ist nur klar, wenn es hell ist. Wir verbinden Licht mit Freude. Moses verlangte die geeigneten Bedingungen, um die göttliche Gemeinschaf zu erreichen, und dazu gehörten Wohlbefinden und Freude.
Aber (im Gegensatz zu Moses) war es „ein ewige Satzung für ihre Geschlechter aus den Kindern Israels“ (Ex. 27, 21). Für zukünftige Generationen war es ein Statut ohne Grund, ein Dekret des Ewigen.
Der Midrasch, auf den Meschech Chochmah anspielt, diskutiert die Kriterien, die die hebräischen Prophezeiungen von den göttlichen Inspirationen, die den Nichtjuden gewährt wurden, unterscheiden. Die kristallklare „Tageszeit“ oder die Helligkeit der Menorah wird mit der unsicheren Unklarheit, die in der Dunkelheit und im Nebel der Nacht stattfindet, kontrastiert. So wird biblische Prophezeiung von mystisch-religiösen ekstatischen Zuständen unterschieden. Auf die Klarheit und Helligkeit der Offenbarung wird auch in der hebräischen Formulierung von „eileicha“ – „zu dir“ angespielt.
Es gibt aber auch andere Kommentatoren im Midrasch, die die positive Konnotation von „eileicha“ im Sinn von „für dein Wohlergehen“ nicht betonen, sondern die negativen Implikationen hervorheben. Diese Lesart illustriert ihren theologischen Zugang zu allen Handlungen der Verehrung im Heiligtum: die Opfer und alle Arten heiliger Verrichtungen:
„Daß sie dir bringen“, sagte Rabbi Samuel bar Nachmani: Für „Dich“ und nicht für Mich. Ich brauche kein Licht.
(Menachot 86b)
Der Midrasch arbeitet diese Idee aus. Wir zitieren hier eine Beispiele dieses Zuganges:
R. Avina und R. Berechiah gaben zwei Illustrationen: R. Avina sagte: Die Sonne ist Meine Gesandte, wenn sie scheint, kann keine Kreatur Ihren Glanz aushalten. Brauche ich dann dein Licht? R. Abba sagte: Der Ewige gedachte um seiner Gerechtigkeit willen, das Gesetz groß und herrlich zu machen.“ (Isaja 42, 21) Ich stifte euch nur (viele Vorschriften, um dem Menschen Gelegenheit zu geben, durch ihre Beobachtung Verdienste zu erwerben.)
R. Avina gab eine andere Illustration: Der Blitz ist ein Produkt des ätherischen Feuers und er schleudert seine Flammen von einem Weltende zum anderen. Brauche ich da dein Licht? R. Abba sagte: (siehe oben).
R. Berechiah sagte: Der Augapfel gibt durch seinen dunklen Teil (die Pupille) dem Menschen Sicht, und nicht durch das Weiße. Der Ewige sagte: Ich schuf das Licht in der Mitte der Finsternis. Brauche ich dein Licht? R. Abba sagte: (siehe oben).
R. Berechiah gab eine weitere Illustration: „Und die Erde war wüst und leer . Finsternis lag über dem Abgrund.“ (Genesis 1, 2) Was folgt? „Da sprach Gott: Es werde Licht.“ Der Ewige sagte: Ich schuf das Licht in der Mitte der Finsternis. Brauche ich dein Licht? R. Abba sagte: (siehe oben).
Unsere Weisen illustrierten die Idee, daß Gott freigiebig ist und kein Nehmer, auf vielerlei Weise. Die große Kette reicht von der Herrlichkeit und dem Ausmaß des Sonnensystems zur sensiblen Kleinheit so winziger Mechanismen wie dem menschlichen Auge und erinnert uns beharrlich an seine Transzendenz und die Wunder seiner kreativen Kräfte. Die kümmerliche Gestalt des Menschen erscheint in ihrer wahren Perspektive.
Die zweite Frage, die unsere klassischen Kommentatoren vom Midrasch an beschäftigt, lautet: Was bedeutet die Vorschrift, „eine Lampe kontinuierlich am Brennen zu halten“? Wie wir bereits ausgeführt haben, waren die meisten unserer Kommentatoren mit dem ästhetisch-psychologischen Zugang, den Rambam darstellt, nicht zufrieden. Sie wollten wissen, welche tatsächliche Botschaft uns von der Menorah und ihren Bestandteilen übermittelt wird. Wir wir gesehen haben, erlaubt uns der Text selbst nicht, dies als rein technische Vorschrift aufzufassen, die mit dem Bau des Heiligtums zusammenhängt. Was ist dann die spirituelle Bedeutung dieses ewigen Lichtes, das vom Abend zum Morgen vor dem Ewigen brennt?
Vergleichen wir zwei Midraschim, die die Lampe als ein Symbol der individuellen Führung und Erziehung betrachten:
Siehe, wie die Tora dem Menschen, der sich mit ihr beschäftigt, Licht gibt. Wer sich aber nicht so beschäftigt und ungebildet ist, der strauchelt. Man kann ihn mit jemanden vergleichen, der im Dunkeln steht. Er fühlt seinen Weg, stolpert über einen Stein, fällt in den Rinnstein, sein Gesicht schlägt auf den Boden. Warum? Weil er ohne Licht ging. So ist es mit einem Ungebildeten, der die Tora nicht kennt. Er kommt zu einem Vergehen und strauchelt. Wenn er ihn sieht, ruft der Heilige Geist: „Er wird sterben aus Mangel an Zucht.“ (Spr. 5, 23). Warum stirbt er? Weil er die Tora nicht kennt, geht und sündigt er, wie es heißt (ebda 4, 19): „Doch der Frevler Weg ist wie dunkle Nacht; so erkennen sie nicht, worüber sie straucheln.“ Dagegen verbreiten jene, die sich mit der Tora beschäftigen, überall Licht! Dies kann mit jemanden verglichen werden, der im Dunkeln steht. Er sah einen Stein und stolperte nicht, er sah einen Rinnstein und fiel nicht. Warum? Weil er eine Lampe mit sich hatte, wie es heißt (Psalm 119, 105): „Eine Leuchte ist dein Wort meinem Fuße, auf meinem Wege ein Licht.“ Und: „Gehst du, so ist dein Schreiten ungehemmt, und läufst du rasch, wirst du nicht straucheln.“ (Spr. 4, 12).
(Shemot Rabbah 36, 3)
Was bedeutet der Text: „Eine Leuchte ist das Wort“? Wer ein Gebot erfüllt hat vor dem Ewigen eine Lampe angezündet und er wiederbelebt seine Seele, wie es heißt (Spr. 20, 27): „Des Menschen Odem ist eine Leuchte des Ewigen.“
(Ebda)
Der erste Midrasch betrachtet die Lampe, die die Worte der Tora symbolisiert, als Führer des Menschen durch das Leben. Sie rettet ihn vor Hindernissen und vor dem Fallen. Dieser Zugang ist pragmatisch. Das Studium der Tora macht weise und bewahrt uns vor Irrtümern. Wehe den Ungebildeten, die nicht lernten! Wie werden sie sich vor Irrtümern retten und vor ihren bösen Folgen? Im Gegensatz dazu betrachtet der zweite Midrasch als Symbol der gelernten Tora, sondern des ausgeführten Gebotes. Trotzdem vermeidet dieser Midrasch den pragmatischen Zugang und lehnt es ab, die Vorschriften hinsichtlich ihrer praktischen Vorteile oder ihrer Belohung durch Bewahrung vor Hindernissen und vor dem Fall zu bewerten. Er bezieht sich stattdessen auf den spirituellen Läuterungsprozess, der durch die Ausführung eines Gebotes in Gang gesetzt wird. Die Seele des Menschen wird erhoben und wiederbelebt. Andererseits bewertet der folgende Midrasch das Entzünden der Lampe:
Was bedeutet der Text: „Eine Leuchte ist das Wort“? Das Herz bringt den Menschen oft dazu, eine gute Tat („Gebot“) auszuführen, aber die schlechte Neigung in ihm sagt: Warum sollst du eine gute Tat auf Kosten deiner eigenen Tasche ausführen? Bevor du anderen gibst, gib deinen Kindern (Wohlfahrt beginnt zu Hause). Aber die gute Neigung sagt: Gib, weil es wert ist (um eines Gebotes willen). Siehe, was geschrieben steht! „Eine Leuchte ist das Wort“ (Gebot: gute Tat, etwas Wertvolles). So wie das Licht einer Lampe nicht vergeht, auch wenn Myriaden von Dochten und Flammen an ihr entzündet werden, so macht der, welcher um einer wertvollen Sache willen gibt, kein Loch in die eigene Tasche. Daher heißt es: „Eine Leuchte ist das Wort und die Tora ein Licht.“
(Shemot Rabbah, ebda)
Auch hier spricht der Midrasch vom Individuum, auch hier ist das Entzünden der Lampe ein Symbol für eine gute Tat. Aber der Midrasch bewertet die Lampe nicht hinsichtlich der spirituellen, materiellen oder moralischen Vorteile, die sie demjenigen bringt, der sie entzündet. Die Midrasch sieht eher den Segen, den die Lampe anderen bringt, jenen, die ihre Lampen an ihr entzünden. So unterscheidet sich das Licht einer Lampe von allen anderen materiellen Vorteilen in der Welt, die schmelzen, wenn sie mit dem Mitmenschen geteilt werden. Andererseits versorgt das Licht der Lampe andere, ohne das eigene Licht zu reduzieren. Daher dient das Licht der Lampe als Symbol für die spirituellen Schätze der Weisheit. Aus diesem Grund verglichen unsere Weisen einerseits Moses‘ Verleihung seiner geistigen Gaben an die siebzig Ältesten mit einer Lampe (Raschi, Num. 11,17), aber den Transfer der Führerschaft von Moses zu Josua mit dem Leeren von einem Gefäß in ein anderes. Was dem zweiten hinzugefügt wird, beraubt das erste. Aber hier sprechen wir nicht übr Studium oder Erteilung von Kenntnisses, sondern von guten Taten. Wenn eine gute Tat ausgeführt wird, auch wenn dies einen Verlsut von Zeit und Geld bedeutet, hat der Ausführende nicht wirklich verloren. Der Verlust ist bloß oberflächlich und umfasst Dinge, deren Verminderung nicht als Verlust begriffen werden, wenn wir sie mit den Begriffen der Tora und der guten Taten bewerten. Nachbarn und Freunde, gleich ob sie direkt von der guten Tat profitieren oder sich nur in deren Licht sonnen, entzünden daran ihre Lampen und bewirken mehr Licht.
So weit das Individuum und seine Lampe. Aber was macht das Licht und die Leuchte Israels als Gesamtheit aus? Das „Ner Tamid“, das Ewige Licht im Tempel ist ein religiöser Ritus, der das gesamte jüdische Volk betrifft. Der Priester, dem das Arrangieren der Lampe aufgetragen wird, ist ein Gesandter ganz Israels.
Der Ewige sprach zu Moses: Sprich zu den Kindern Israel: In dieser Welt stehst du und brauchst das Licht des Tempels und andere Lampen werden daran entzündet. Aber in der kommenden Welt werde ich dir den König Messias bringen, der wie eine Lampe ist, wie es heißt (Psalm 132, 17): „Dort lasse ich dem David sprossen ein Horn, eine Leuchte bereite ich dem Gesalbten.“
(Tanhuma Tezaveh 8)
Dieser Midrasch vergleicht diese Welt mit der kommenden. In beiden Fällen dient die Lampe nicht den Bedürfnissen des Ewigen, sondern jenen Israels. Aber Israels Bedürfnisse in dieser Welt unterscheiden sich von denen in der kommenden. In unserer Welt der gegenwärtigen Realität sind wir Gefangene unserer fünf Sinne und durch unser Gehö und unser Sehen an konkrete Symbole, einen Tempel, heilige Gegenstände, das Licht eines Leuchters, gebunden. Aber in den Tagen des Messias werden greifbare Symbole nicht mehr nötig sein, ein konkretes äusseres Gewand, wenn Gott uns helfen wird, in unseren Seelen das Licht der Tora zu entzünden.
Der Idee, die diesem Midrasch zugrunde liegt, wird von Jeremias Ausdruck verliehen, indem er über ein anderes Symbol spricht, der Lade und ihrer Rolle jetzt und in der Zukunft, „in jener Zeit“:
Wenn ihr euch alsdann in jenen Tagen im Lande vermehrt und fruchtbar seid, spricht der Ewige, dann wird man nicht mehr sagen: „Wo ist die Bundeslade des Ewigen?“ man wird nicht mehr an sie denken und sich ihrer nicht mehr erinnern, noch sie vermissen, auch wird man keine neue mehr anfertigen. In jener Zeit wird man Jerusalem „der Thron des Ewigen“ nennen, und alle Heidenvölker werden sich dahin begeben, zum Namen des Ewigen, und sie werden nicht mehr nach dem Starrsinn ihres bösen Herzens wandeln.
(Jeremias 3, 16-17)
Den Satz: „Dann wird man nicht mehr sagen: „Wo ist die Bundeslade des Ewigen?“, kommentiert Raschi so:
Denn ihre Versammlung wird heilig sein und ich werde darin wohnen als ob es die Bundeslade wäre.
So wie die ersten drei zitierten Midraschim die Lampe hinsichtlich des Individuums bewerteten, indem sie zuerst die Wohltaten beschrieben, die ihm zufielen und dann jene für die Mitmenschen, so spricht der Midrasch zuerst vom Wert der Lampe für Israel allein und schließt dann mit den Wohltaten für die ganze Welt, die von demselben Licht ausgehen:
Der Ewige sagte: In dieser Welt brauchst du eine Lampe, aber in der kommenden (Jesaja 60, 3) „ziehen Völker zu deinem Licht und Könige zu dem Glanze, der dich überstrahlt.“
(Tanhuma, ebda)
Nun kommen wir zu unserer dritten Frage: Dem Kontext der Vorschrift.
Abravanel fragt, warum dieses Gebot zu diesem Zeitpunkt eingeschaltet wird. Er argumentiert, der richtige Platz dafür wäre nach der Vollendung des Heiligtumes und der Aufstellung der Menorah und der heiligen Gegenstände gewesen. Aaron und seine Söhne waren noch nicht für das Priestertum eingesetzt. Warum wurden sie zu diesem Zeitpunkt über das Entzünden der Menorah unterrichtet, das einen integralen Bestandteil des Gottesdienstes darstellt?
Offensichtlich finden jene, die das Entzünden des Leuchters als technische Vorrichtung zur Erhellung des Heiligtumes betrachten, keine Rechtfertigung für die Plazierung der Mitzwah an diesem Punkt. Hier sind wir immer noch mit der Konstruktion des Heiligtumes beschäftigt und nicht mit den Riten und Zeremonien, die mit dem Gottesdienst verbunden sind. Diese werden in Leviticus behandelt. Wenn es wirklich nur ein technischer Punkt ist, warum wird er in der Tora überhaupt erwähnt? Es gibt keine Erwähnung aller anderen rein technischen Arbeiten, die zur Instandhaltung des Heiligtumes gehören. Die Beleuchtung fällt doch in dieselbe Kategorie!
Unsere Kommentatoren erklären diese Erwähnung zu diesem Zeitpunkt nicht als noch ein weiteres Detail des Dienstes im Heiligtum. Sie suchten für die Erwähnung eine spirituelle Motivation, hier, vor der Vollendung des Heiligtums. Licht, die erste Schöpfungstat („Es werde Licht“), zum dem alle lebenden Kreaturen hingezogen werden, dessen Gegenteil als Symbol von Untergang und Zerstörung dient, bildet in den Schriften ein vertrautes Motiv. Die Tora wird mit Licht verglichen: „Denn eine Leuchte ist das Gebot, die Belehrung ein Licht“ (Spr. 6, 23). Israel ist dazu ausersehen, das Licht der Welt zu sein (Jesaja 60, 3): „Völker ziehen zu deinem Licht“. Der Ewige ist das Licht jedes einzelnen Menschen (Psalm 27, 1): „Der Ewige ist mein Licht und mein Heil, wen sollte ich fürchten“, aber auch das Licht Israels (Jesaja 60, 1): „Steh auf, Jerusalem, werde licht! Denn gekommen ist dein Licht, und die Herrlichkeit des Ewigen strahlt über dir.“
Es ist daher nicht überraschend, daß unsere Kommentatoren die Vorschrift für das Entzünden der Menorah als Symbol für das Studium der Tora, die Beobachtung der Gebote und der Verehrung Gottes betrachteten.
Wie passend ist der Symbolismus des Dichter-Philosophen des 14. Jahrhunderts, Yedaiah ben Abraham Bedersi, der in seinem Lehrgedicht „Bechinat Olam“ schreibt:
Tora und Mensch gemeinsam umfassen die Lampe Gottes auf Erden. Die Tora ist die Flamme, angezündet von seinem Licht im Himmel. Der Mensch (Körper und Seele) ist die Fackel, die von ihr das Licht bezieht. Sein Rücken ist der gewundene Docht und seine Seele reines Olivenöl. Durch ihre Verflechtung und Verschmelzung wird das ganze Haus mit Licht erfüllt.
Funktion und Absicht dieser Vorschrift, der ersten, die im Heiligtum des Ewigen ausgeführt werden sollte, war es: das ganze Haus mit Licht zu erfüllen.
Weiterführende Fragen
Abravanel fragt:
Sicherlich, dieses Kapitel wird in Emor (Leviticus 24, 1-4) wiederholt, wo es tatsächlich im richtigen Kontext steht. Warum wurde es hier, ausserhalb des Zusammenhanges, eingeschaltet?
Beantworte seine Frage.
Im Zusammenhang mit deiner Antwort erkläre den Grund für den Unterschied ion der Formulierung der beiden Stellen: „Und du gebiete den Kindern Israel, daß sie dir bringen …“ (Tezawe) und „Gebiete den Kindern Israel, daß sie dir bringen …“ (Emor).
Hier zitieren wir zwei Annäherungen an dieses Konzept:
Der Ewige hat uns geboten, im Tempel eine Lampe anzuzünden, um seine Herrlichkeit in den Augen des Betrachters zu erhöhen. Denn so beleuchten die Menschen ihre eigenen Häuser. Die zugrundeliegende Idee ist, Ehrfurcht und Demut einzuprägen. Wir sagten bereits, daß der innere Charakter durch gute Taten gebildet wird. All dies basiert auf dem fundamentalen Prinzip, daß die Gebote, die von Gott eingesetzt wurden, den Fähigkeiten jener angepasst wurden, die sie einhalten sollen. Zugegeben, die Mystiker fanden in diesen Angelegenheiten profunde Mysterien, aber wir wollen uns den klaren Aspekten widmen.
(Sefer HaChinuch)
Das Heiligtum verkörpert die Idee der allumfassenden Einheit Israels. Das Heiligtum und der Gottesdienst waren als Wohnstätte des Lichtes der göttlichen Gegenwart gedacht. Das Gebot wandte sich daher an das Volk, Moses reines Olivenöl zu bringen, um die Seele zu läutern und für das Licht bereit zu sein. Durch den Mittler Moses, der die Tora und das göttliche Licht auf die Erde brachte, würde er den Leuchter entzünden, der die Seele Israels verkörperte, um ein ewiges Licht entstehen zu lassen. Dieses Licht kam von der Tora, die in der Bundeslade ruhte. In ihrer Nähe sollte er die Leuchter vor dem Ewigen aufstellen.
(Malbim)
Erkläre mit eigenen Worten die fett gedruckten Passagen. Welchen Unterschied gibt es zwischen diesen beiden Annäherungen an das Gebot?
„Um die Lampen beständig anzustecken“ (Exodus 27, 20) – damit die Flamme von allein aufsteigen könne.
(Sifra zu Leviticus 24, 2
Dieser Ausdruck des Aufsteigens, der die Handlung des Anzündens der Lampe beschreibt, wird nur hinsichtlich des Leuchters im Heiligtum verwendet. Er spielt auf die Hanldung des Priesters an, der die Flamme an den Docht bringt, der bereit ist, fortwährend angezündet zu werden, bis die Flamme von selsbt aufsteigt. Die Aufgabe eines Lehrers für Judentum ist es, für die Schüler überflüssig zu werden. Es ist nicht seine Funktion, die Menschen, die von ihm unterrichtet werden, beständig von sich abhängig zu machen.
(Hirsch)
Erkläre, was die Menorah und die Handlung des Anzündes nach Hirschs Meinung symbolisieren. Wo findest du Unterstützung für diesen Symbolismus in anderen Teilen der Schrift?
Wo erklärt die Tora, eine der Aufgaben des Priesters sei es, die Tora zu lehren?
Wen kritisiert Hirsch, wenn er die wahren Beziehung beschreibt, die zwischen dem Priester und dem Volk, seinen Schülern, existieren soll?
Eine Lampe beständig (tamid) am Brennen erhalten. Jede Nacht wird tamid genannt, wie die Verwendung in Num, 28, 3: „beständiges Ganzopfer“ (Olat tamid), was bedeutet: täglich. Das Wort „tamid“ wird auch in Verbindung mit dem Speiseopfer (Lev. 6, 13) benutzt, was bedeutet: halb am Morgen und halb am Abend. Aber das Wort „tamid“ im Zusammenhang mit den Schaubroten bedeutet von einem Schabbat zum nächsten.
(Raschi)
„Tamid“ bedeutet „jede Nacht“. Aber es gibt eine erstaunlichere Verwendung von „tamid“: Und es sei beständig auf seiner Stirn“ (28, 38). Wann immer er als Priester amtierte, das heilige Diadem musste immer dort sein.
(Ibn Ezra)
Wie erklären die beiden Kommentatoren das Wort „tamid“?
Was meint Raschi mit: „Aber das Wort „tamid“ im Zusammenhang mit den Schaubroten …“ Welche Kraft hat das „Aber“?
Warum findet Ibn Ezra das „tamid“ von 28, 38 „erstaunlicher“ als das „tamid“ in unserem Vers?
Haftara zu Tetzawe: Ezechiel XLIII, 10-27