Sidra Wajechi: Jakobs Testament

Paraschat HaSchawua – der wöchentliche Toraabschnitt, kommentiert von Nechama Leibowitz

Vor seinem Tod teilt der Patriarch seinem Lieblingssohn Joseph einen letzten Wunsch mit. Nach Jakobs Tod enthuellt Joseph diesen Wunsch dem Pharao.

Vergleichen wir Jakobs eigene Worte, als er zu Joseph ueber seinen letzten Wunsch spricht, und Josephs Bericht an den Pharao:

Jakobs Testament / Josephs Bericht
Wenn ich Gnade gefunden in deinen Augen,  / – – – – – – – – – –
so lege doch deine Hand unter meine Huefte / Mein Vater hat mich schwoeren lassen mit den Worten,
dass du mir erweisen wollest Liebe und Treue, / – – – – – – – – – –
nicht doch begrabe mich in Mitzrajim. / – – – – – – – – – –

Wenn ich bei meinen Vaetern liege, / Siehe, wenn ich sterbe,
fuehre mich aus Mitzrajim / – – – – – – – – – –
und begrabe mich in ihrem Begraebnis. / in meinem Grabe, das ich mir gegraben im Lande Kanaan, dorthin begrabe mich.
(Genesis 47, 29-30) / (Genesis 50,5)

Die Gruende fuer diese Variationen sind ziemlich klar. Joseph naehert sich dem Pharao vorsichtig. Als Fremder in Aegypten wollte er die Empfindlichkeiten seines Gastlandes nicht verletzen. Jakob jedoch, der starke Gegner der Welt der Goetzendiener und der aegyptischen Greuel wollte nicht in Aegypten begraben sein und sagt es Joseph offen:

Nicht doch begrabe mich in Mitzrajim,
fuehre mich aus Mitzrajim…

Diese Feststellungen werden von Joseph in seinem Bericht an den Pharao selbstverstaendlich nicht erwaehnt. Folgen wir nun Jakobs Bitte und der Form des Eides, mit dem er Joseph beschwoert:

Wenn ich Gnade gefunden in deinen Augen, so lege doch deine Hand unter meine Huefte, dass du mir erweisen wolltest Liebe und Treue.

Diese Gefuehle waren natuerlich nicht fuer Fremde bestimmt und richteten sich an Joseph privat. Deshalb liess er sie bei seinem Gespraech mit dem Pharao aus. Andererseits verstand es Joseph, den Koenig zu beeinflussen und ihn zu ueberzeugen, ihm die noetige Erlaubnis zu geben, eine so wichtige Persoenlichkeit ausserhalb des Landes zu bestatten, und dem Vizekoenig zu erlauben, den Zug zu begleiten.
Joseph ersetzte mit den folgenden Worten, das, was Jakob tatsaechlich gesagt hatte:

In meinem Grabe, das ich mir gegraben im Lande Kanaan, dorthin begrabe mich.

Er bezieht sich hier auf die Hoehle von Machpela, die Jakob nicht selbst gegraben hatte. Joseph aber kannte sich mit den aegyptischen Braeuchen gut aus. Ein aegyptischer Adeliger bereitete zu Lebzeiten sein eigenes Grab vor, und nur dort wuerde er begraben werden. Der Pharao wuerde deshalb Josephs Bitte verstehen.
Es ist daher klar, dass Josephs Varianten, Auslassungen und Einfuegungen nicht zufaellig sind.
Ein weiterer untersuchenswerter Punkt ist die Konversation zwischen Jakob und Joseph bezueglich des Eides. Jakob eroeffnet mit der Bitte, Joseph moege schwoeren, dass er diesen letzten Wunsch erfuellen werde:

Wenn ich Gnade gefunden in deinen Augen, so lege doch deine Hand unter meine Huefte, dass du mir erweisen wolltest Liebe und Treue.

Joseph hatte der Bitte seines Vaters nicht unmittelbar zugestimmt, indem er den Eid leistete, sondern auf allgemeine Weise geantwortet.

Und er sprach: Ich werde tun nach deinem Worte.

Unsere Kommentatoren waren ueberrascht, dass Joseph nicht sofort den Eid leistete, wie es sein Vater erbat, sondern erst, nachdem er ein zweites Mal gedraengt wurde.

Und er sprach: Schwoere mir! Und er schwur ihm.

Sein Verhalten ist vergleichbar mit dem von Abrahams Diener, der von seinem Herrn auf aehnliche Weise gebeten wurde, zu schwoeren, was er bereitwillig tat.

Da sprach Abraham zu seinem Knechte, dem aeltesten seines Hauses, der schaltete ueber alles, was war: Lege doch deine Hand unter meine Huefte, und ich werde dich schwoeren lassen beim Ewigen, Gott des Himmels und Gott der Erde…

Der Diener kommt der Bitte seines Herrn nach.

Da legte der Knecht seine Hand unter die Huefte Abrahams, seines Herrn, und schwur ihm auf diese Sache.

Der Midrasch erklaert passend den Unterschied zwischen Josephs Verhalten und dem von Abrahams Knecht:

Rabbi Isaak sagte: Der Diener handelte servil und der freie Mann als freier Mann. Der Diener handelte servil wie es heisst: Da legte der Knecht seine Hand … Waehrend der Freie als Freier handelte: Und er sprach: Ich werde tun nach deinem Worte. (Bereschit Rabbah 96)

Ein Knecht muss das Beste fuer andere tun. Da er kein freier Mann ist, muss er durch einen Eid oder auf eine andere Art gebunden werden, seine Verpflichtungen auszufuehren. Es macht keinen Unterschied, ob moralische oder physische Kraefte angewandt werden. Ein freier Mann ist nur durch sein Gewissen gebunden, er waehlt seine Handlungsweise gemaess seinen freien Entscheidungen.
Malbim unterscheidet aehnlich. Joseph, erklaert er, antwortete seinem Vater, es sein besser fuer ihn nicht zu schwoeren, sondern den Wunsch als Teil der Sohnespflichten auszufuehren. Es war besser fuer ihn, aus seinem freien Willen zu handeln, als an einen Eid gebunden zu sein, denn in diesem Fall konnte er seine Verpflichtungen nicht freiwillig erfuellen.
Diese Erklaerung mag uns helfen, die biblische und rabbinische Missbilligung von Eiden zu verstehen. Der Mensch soll frei handeln und nicht an aeussere, kuenstliche Bande gebunden sein. Trotzdem bestand Jakob darauf, dass Joseph den Eid leistete:

Und er sprach: Schwoere mir.

Der Grund dafuer ist ziemlich klar, wenn wir uns daran erinnern, was wir am Anfang ueber die Notwendigkeit sagten, dass Joseph sich dem Pharao versoehnlich und diplomatisch naeherte. Die Einleitung „Mein Vater hat mich schwoeren lassen“, wuerde Josephs Bitte in den Augen des Pharao mehr Kraft verleihen. Die Antwort des Pharao zeigt die Wirkung, die Josephs Worte auf ihn ausuebten.

Ziehe hinauf und begrabe deinen Vater, so wie er dich hat schwoeren lassen. (50,6)

Weiterfuehrende Fragen:

1. Vergleiche Abrahams Worte an den Knecht mit denen Jakobs an Joseph:

„Und ich werde dich schwoeren lassen beim Ewigen, dem Gott des Himmels…“ (24,3)
Vergleiche diesen Satz mit Jakobs einfacherer Form der Beschwoerung (47,31):
„Schwoere mir!“

Was ist der Grund fuer diesen Unterschied?
2. „…sagte man dem Joseph: Siehe, dein Vater ist krank (48,1). Ihr wisst, Josephs Preiswuerdigkeit bestand aus dem grossen Respekt, den er seinem Vater zollte, aber ging nicht zu jeder Stunde, um ihn zu sehen!? Haetten ihm andere nicht mitgeteilt, dass sein Vater krank war, haette er es gewusst? Der Zweck ist es, euch seine Rechtschaffenheit vor Augen zu fuehren, dass er mit seinem Vater nicht allein sein wollte, damit er ihm nicht sagen sollte: Was taten dir deine Brueder? Und er (Jakob) waere veranlasst, sie zu verfluchen. Aus diesem Grund besuchte er seinen Vater nicht oft. (Pesikta Rabbati)
a) Findest du in unserer Sidra eine Bestaetigung fuer die Ansicht, dass Jakob niemals erfuhr, was die Brueder mit Joseph getan hatten?
b) Koennten die Verse 15-16-17 in Kapitel 50 als Widerspruch fuer die Meinung des oben zitierten Midrasch angesehen werden?
3. Vergleiche Raschi zu Genesis 49,9 mit dem Midrasch:
„Jungleu, Jehudah, vom Raube, mein Sohn, kommst du herauf!“
„Er kauert, streckt sich wie Loewe und Loewin; wer hiesse ihn aufstehen?“
„Vom Raube“ – denn ich hatte dich in Verdacht: (Genesis 37,33) „Ein wildes Tier hat ihn gefressen; zerrissen ist Joseph.“ So wird auf Jehudah angespielt: er wird mit einem Loewen verglichen.
Du hast dich von den Bruedern abgesetzt und sagtest: „Welcher Gewinn ist es, dass wir erschlagen unseren Bruder …“ (Genesis, 37,26) (Raschi)
Kannst du den Vers anders als Raschi erklaeren, auf eine Weise, dass er keinen Widerspruch zum Midrasch darstellt?
4. „Da redete Joseph zu dem Hause Pharaos also: Wenn ich doch Gnade gefunden in euren Augen, redet doch vor den Ohren Pharaos also. …“(50,4)
Dies kommentiert Sforno folgendermassen:
Denn man soll sich dem Koenig nicht in Sack und Asche naehern.
Hast du eine Alternative zu Sfornos Antwort? Warum sagte Josepg zum Pharao: „Mein Vater hat mich schwoeren lassen“, und nicht: „Ich leistete meinem Vater einen Eid“?

Haftara zu Wajechi: I Koenige II, 1 – 12