Sidra Trumah – Die Bundeslade und ihre Stangen

Paraschat HaSchawua – Der wöchentliche Toraabschnitt, Kommentiert von Nechama Leibowitz

Die Bundeslade ist der erste Einrichtungsgegenstand des Stiftszeltes. Dies ist das Thema des folgenden Midrasch:

„Und sie sollen machen eine Lade aus Akazienholz.“ Was steht vorher geschrieben? „Sie sollen mir Hebe bringen.“ Und dann: „Und sie sollen machen eine Lade aus Akazienholz.“ So wie die Tora vor allem anderen kam, wurde auch bei der Herstellung des Stiftszeltes vor allen anderen Einrichtungsgegenständen die Bundeslade gefertigt. So wie das Licht vor allem anderen Schöpfungen geschaffen wurde, wie es heißt (Gen. 1,3): „Und Gott sprach: Es werde Licht“, ist es auch im Fall des Stiftszeltes. Die Tora, die „Licht“ genannt wird, wie es heißt: (Sprüche 6,23): „Denn eine Leuchte ist das Gebot, die Belehrung ein Licht“ – ihre Bestandteile gingen allen anderen Einrichtungsgegenständen voraus.

Die Bundeslade ist der berühmteste Einrichtungsgegenstand des Stiftszeltes. Ihr sind mehr Verse (13) gewidmet als allen anderen. Auch die Weisen des Midrasch deuteten auf die unübliche Formulierung des Eröffnungsgebotes hin:

Eine Alternativerklärung: Warum wird hier die dritte Person Plural benutzt: „Sie sollen machen“, statt der üblichen zweiten Person Singular: „Du“? Rabbi Judah stellte im Namen Rabbi Shaloms fest: Lasst alle kommen und sich der Bundeslade widmen, damit sie sich alle die Anforderungen der Tora erfüllen.

Ramban erklärt Rabbi Judahs Feststellung weise darauf hin,alle Israeliten sollten am Bau der Bundeslade teilnehmen, da sie mit der Aufbewahrung der Bundestafeln eine äusserst heilige Rolle spielt. Alle sollten Gold dafür spenden, Bezalel ein wenig helfen oder ihren Sinn auf sie richten.
Or Ha Chaim gibt eine mehr ausgearbeitete Interpretation. Er betont das Konzept der Arbeitsteilung und die gemeinsame Anstrengung Israels bei der Realisierung der ganzen Tora. Die Tora wurde nicht nur zur privaten Inspiration gegeben, sondern auch für das Gemeinwohl. Jeder hat seinen Teil zu erfüllen, gemäß seiner Kapazität und Rolle.

Der Wechsel in der Formulierung von der zweiten Person Singular zur dritten Person Plural illustriert, daß die Essenz der Tora nur von Israel als Gesamtheit erfüllt werden kann. Kein Einzelner kann alle Vorschriften der Tora ausführen. Zum Beispiel kann ein Priester die 24 priesterlichen Spenden oder die Auslösung des Erstgeborenen erfüllen, ein Israelite nicht die positiven Vorschriften der Opfer. Dasselbe gilt für die Leviten. Aber, als Ganzes gesehen, kann das jüdische Volk die ganze Skala der jüdischen Gebote halten. Daher sagt die Tora „sie sollen machen“.

Das sklavische haften an der buchstäblichen Formulierung eines Textes kann einen oft für seine wahre innere Bedeutung blind machen. Dies beobachtet Ibn Ezra am Text:

Da der Text ursprünglich hieß: „Und sie sollen mir machen ein Heiligtum“, beginnt er hier mit der Formulierung: „Sie sollen machen eine Lade“.

Cassuto bemerkt ähnliches in seinem Kommentar zu Exodus:

Der Wechsel in die dritte Person Plural bedeutet eine Verbindung mit dem Satz: „Die Kinder Israels sollen mir ein Heiligtum machen“, und zuerst sollen sie eine Lade bauen.

Wir können uns tatsächlich fragen, ob diese Literalisten sich wirklich vorstellten, daß ihre Feststellung der Korrespondenz zwischen der Person des Zeitwortes hier und in Vers acht eine Antwort auf die Frage gewährleistet. Es stimmt, Vers 8 bildet den Abschluß der ersten Sektion, die die allgemeine Vorschrift des Bringens der Hebe enthält, und der folgenden Konstruktion des Heiligtumes. Dort beginnt der Abschnitt mit dem Plural, die Kinder Israels werden aufgefordert, Gott Opfer zu bringen: „Sie sollen mir Hebe bringen, … sie sollen mir machen ein Heiligtum, … so sollen sie es machen.“ Andererseits fängt mir unserem Text ein neuer Abschnitt an, der alle Details zur Herstellung der Einrichtung, des Baues des Heiligtums enthält. Die zweite Person Singular wird immer wieder benutzt: „Du sollst machen“. Nur bei der Bundeslade wird davon abgegangen. Geben die getreulichstes Textinterpretation und der klarste Sinn in seiner profundesten Konnotation hier nicht den Eindruck, daß die Bundeslade für eine spezielle Rolle ausersehen wurde. Müssen wir nicht zugeben, daß der Midrasch den tiefen, klaren und buchstäblichen Sinn des Textes ausgelotet hat?
Hinsichtlich der Details, wie die Bundeslade transportiert werden soll, heißt es:

Und mache Stangen von Akazienholz,
und überziehe sie mit Gold.
Und bringe die Stangen in die Ringe auf den Seiten der Lade,
die Lade zu tragen mit denselben.
In den Ringen der Lade sollen die Stangen bleiben,
sie sollen nicht herauskommen …

Diese Passage erklärt, wie die Lade zu tragen war und enthält das Verbot, die Ringe zu entfernen.
Hier zitieren wir die abschliessende halachische Regelung, wie sie von Rambam in seinem Kodex (Klei HaMikdasch 2, 12-13) formuliert wurde:

Der Transport der Lade von einem Ort zum anderen erfolgte nicht auf einem Tier oder Wagen, sondern sie musste auf den Schultern getragen werden. Weil David dies vergaß und die Lade auf einem Wagen führte, wurde Usa getötet. Diese Pflicht, sie auf den Schultern zu tragen, wird genau festgehalten (Numeri 7, 9): „… denn der Dienst des Heiligtums lag ihnen ob; auf den Schultern mussten sie tragen.“ Die Träger standen einander gegenüber, ihre Rücken nach außen, ihre Gesichter nach innen gewandt. Sie mussten achtgeben, daß die Stangen nicht aus den Ringen rutschten, denn wer eine der Stangen aus dem Ring entfernte, wird mit Peitschenhieben bestraft, wie es heißt: „In den Ringen der Lade sollen die Stangen bleiben, sie sollen nicht herauskommen.“

Das Verbot, die Stangen aus den Ringen zu entfernen, ist verblüffend. Für die Stangen des Tisches der Schaubrote oder der beiden Altäre gibt es kein solches Verbot. Es wird zu den 613 Mitzwot gezählt und scheint eine reine technische Angelegenheit zu sein. Was hat es damit auf sich? Zugegeben, es scheint genug zu sein, daß die Tora es anordnet. Es ist nicht an uns, die Gründe zu untersuchen. Aber obwohl wir niemals den Grund zum Um und Auf der Vorschrift machen sollen, sollen wir sie sicher von allen Seiten studieren und nach Gründen suchen, nicht nach dem Grund – dem Raison d’Être, der kein anderer sein kann, als Gottes Wille. Rambam steht im starken Gegensatz zu jenen, die sich vorstellen, der Unterschied zwischen irdischen und göttlichen Verordnungen liege darin, daß die irdischen seien begründet, die himmlischen nicht:

Um Himmels Willen, das Gegenteil ist der Fall. Ihr (Gebote, Statuten und Satzungen) Zweck ist es, unser Wohlergehen zu fördern, wie es Moses (Deut. 4, 6) formuliert hat: „Denn das ist eure Weisheit und eure Einsicht vor den Augen der Völker, welche alle diese Satzungen vernehmen, und sprechen werden: Nur eine weise und einsichtige Nation ist dieses große Volk.“ Sogar die Chukkim (jene Dekrete und Statuten Gottes, die willkürlich scheinen und grundlos) üerzeugen die Völker von ihrer Weisheit und ihrem Verständnis. Wenn sie grundlos sind, weder Vorteil bringen noch Böses entfernen, warum sollten dann jene, die sie beobachten von anderen als weise und verständnisvoll betrachtet werden? Wir müssen vielmehr schließen, daß jede der 613 Mitzwot geschaffen wurde, um Wahrheit einzuprägen, einen Irrtum zu entfernen, geeignete soziale Beziehungen zu etablieren, Ungerechtigkeit zu bekämpfen oder den Charakter zu bilden.

In der Überzeugung, jede Vorschrift besitze ihren eigenen inneren Grund, schlugen unsere Weisen und Kommentatoren, alte und neue, viele verschiedene Gründe für sie vor. Einige, wie der Sefer HaChinuch waren damit zufrieden, dem Verbot des „sie sollen nicht herauskommen“ eine rein technische Rolle zu geben:

Die Bundeslade ist die Wohnung der Tora, unsere Grundlage und unser Ruhm. Wir müssen daher grösste Verehrung und Respekt zeigen. Wir werden gebeten, die Stangen nicht zu entfernen, da man uns rufen könnte, mit der Lade in Hast aufzubrechen. In der Eile des Augenblicks könnten wir vergessen, zu prüfen, ob die Stangen richtig gesichert sind, damit die Lade nicht aus ihrem Halt rutscht. Wenn die Stangen immer sicher an ihrem Platz sind, kann so etwas nicht passieren, denn die Lade ist immer zum Transport bereit.

Hizkuni hat ein ähnliches Argument. Der Ewige wollte das Umgehen mit der Lade aus Gründen ihrer Heiligkeit minimieren. Er schlägt auch vor, die Stangen passten ziemlich fest in die Ringe und konnten nicht leicht entfernt werden, um die Lade sicher über schwieriges Gelände transportieren zu können. Sein Alternativvorschlag lautet, daß die Stangen nicht entfernt werden mussten, sie waren niemandem im Wege, da die Lade im Allerheiligsten stand, das der Hohe Priester nur einmal im Jahr betrat. Aber die Stangen von anderen Gegenständen, wie dem Altar, mussten entfernt werden, da Menschen oft daran stiessen. Daher waren sie im Weg und wurden nur zum Transport angebracht. „Und seine Stangen sollen in die Ringe gebracht werden, und die Stangen seien an beiden Seiten des Altars, wenn man ihn trägt.“ (27, 7)
Aber diese Erklärung befriedigt nicht den nach ethischer und intellektueller Inspiration suchenden Geist. Zu denen, die das Heiligtum symbolisch und allegorisch erklärten, gehören so berühmte Gelehrte wie Ralbag, Abravanel, Malbim und Samson Raphael Hirsch. Wir werden einige dieser Ansichten zitieren.
Kli Yakar betrachtet die permanente Befestigung der Stangen an der Lade als Symbol für die immerwährende Verbindung Israels mit der Tora. Die in den Ringen der heiligen Lade befestigten Stangen verkörpern das von Jesaja (59, 21) formulierte Prinzip: „Mein Geist, der auf dir ruht, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen nicht weichen aus deinem Munde und dem Munde deiner Kinder und der Kinder deiner Kindeskinder, von nun an bis in Ewigkeit.“ Oder Josua 1, 8: „Das Buch dieses Gesetzes sei allezeit auf deinen Lippen …“

Andere betrachteten das Verbot, die Stangen zu entfernen als Symbol der Beweglichkeit der Tora, die an keinen Ort gebunden ist, an ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Staat. Dies ist der Beitrag Samson Raphael Hirschs:

Auf der physischen Ebene symbolisieren die Stangen der Lade die umfassende Mission der Lade und ihres Inhaltes. Sie wird von Ort zu Ort getragen, wohin die Umstände es verlangen. Das Gebot, die Stangen nicht zu entfernen, verkörpert die ewige Botschaft, daß die Tora nicht eng ist, nicht auf ein bestimmtes Land, in dem sich der Tempel befindet begrenzt. Die Unabhängigkeit vom Ort ist eine wesentliche Charakteristik der Tora. Dies widerspiegelt auch die Tatsache, daß das Verbot, die Stangen von der Lade zu entfernen, nur auf die Lade angewandt wird und nicht auf die anderen Gegenstände wie den Altar, den Leuchter, etc. Diese symbolisieren Israels materielle und spirituelle Erfüllung, die untrennbar mit dem Land Israel verbunden sind. Dies ist nicht der Fall bei der Tora.
Die Gemara in Joma (72a) stellt fest, daß die Stangen leicht verdreht werden, jedoch nicht herausrutschen können. Mit anderen Worten: Das Verbot des Entfernens beruht auf der Annahme, eine Entfernung sei möglich. Wir dürfen sie nicht entfernen, aber sie können mit Gewalt herausgedreht werden. Aber sogar dann bleibt die Lade intakt und wartet auf neue Träger.

Ha’amek Davar teilt einen ähnlichen Zugang und zieht nicht nur unseren Text in Betracht, sondern eine Reihe von anderen Versen, die einerseits eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den Stangen der Lade und jenen des äusseren Altares angeben und andererseits zwischen den Stangen des Tisches und jenen des goldenen Altares:

Bezalel wurde während der Konstruktion der Lade befohlen, die Stangen fertig zum Transport einzusetzen. Dasselbe gilt für den äusseren Altar (27, 7): „Und seine Stangen sollen in die Ringe gebracht werden, und die Stangen seien an beiden Seiten des Altars, wenn man ihn trägt.“ Dies wird nicht auf den Tisch und den inneren Altar (dem goldenen Altar) angewandt, wo die Herstellung der Stangen und Ringe berichtet wrid, aber nicht ihre Einsetzung.
Dasselbe stimmt auch für die Sidra Wajachel, in denen die Ausführung der in der Parascha Trumah übermittelten Vorschriften beschrieben wird. Hinsichtlich der Lade heißt es: „Und brachte die Stangen in die Ringe an den Seiten der Lade, um die Lade zu tragen.“ Dies wird nicht festgehalten hinsichtlich des Tisches und des inneren Altares. Aus diesem Grund wird in Pekudei, anlässlich des Transportes der Lade, berichtet (39, 35): „Die Lade des Zeugnisses und ihre Stangen und den Deckel … den kupfernen Altar und seine Stangen.“ Hinsichtlich des Tisches und des inneren Altares werden die Stangen nicht als gebracht erwähnt. Bei den beiden früheren Gegenständen (Lade und äusserer Altar) gingen die Stangen zusammen mit den Gegenständen, zu denen sie gehörten.
Dies könnte bedeuten, daß das jüdische Volk auf seiner Wanderung die beiden Verpflichtungen von Tora und Avoda (Gebet, das jetzt den Tempeldienst ersetzt) erfüllte. Diese werden durch die Lade und den äusseren Altar symbolisiert. Andererseits symbolisieren der Tisch und der innere Altar jüdische Souveränität und Priesterschaft. Diese beiden Konzepte werden erst relevant, wenn das jüdische Volk im eigenen Land lebt, in Eretz Israel.

Bei allen Gründen, die für die verschiedenen Gebote angegeben werden, können wir niemals wissen, ob gerade sie von ihrem Geber beabsichtigt war. Wir können nicht sicher sein, ob Hirsch oder Ha’amek Davar mit dem wahren Sinn des Textes harmonierten. Aber die Erhabenheit der Tora über räumliche Grenzen und die Verbreitung ihrer Botschaft in alle Winkel der Erde sind unleugbare Tatsachen.
Auf die Fortsetzung dieses Prozesses bezieht sich Jesaja, wenn er voraussagt:

Ki mi-Zion:
Denn von Zion wird ausgehen das Gesetz und das Wort des Ewigen von Jerusalem.

Haftara zu Trumah: 1 Könige V, 26-VI, 13