Sidra Toldot: Denn groß ist mein Name unter den Völkern

Der wöchentliche Toraabschnitt kommentiert von Nechama Leibowitz

Der Titel stammt aus der Haftara zur Sidra Toldot, die sich wie der Wochenabschnitt mit der Auseinandersetzung zwischen Jakob und Esau beschaeftigt. Am Beginn spielen zwei Verse auf dieses Thema an, das eine Schwierigkeit praesentiert:

Ich habe euch geliebt, spricht der Ewige; da sprachet ihr: Worin hast du uns geliebt? Ist nicht ein Bruder Esau von Jakob, ist der Spruch des Ewigen, und ich liebte den Jakob; Und den Esau hasste ich und machte seine Berge zur Oede und seinen Besitz fuer die Schakale der Wueste.
(Maleachi 1, 2-3)

Raschi kommentiert:
„Er liebte den Jakob“, um ihm ein liebliches Land zu geben, „den herrlichsten Erbbesitz unter allen Voelkern“ (nach Jeremias 3,19). „Und den Esau hasste ich“ – um ihn in vor Jakob in das Land Seir zu treiben.

Wie der Vers betont waren ihre Herkunft und ihr Stammbaum nicht verschieden. Warum hasste Gott dann den einen und liebte den anderen? Voreingenommenheit? Parteilichkeit? Derselbe Prophet, der so offensichtlich zwischen den beiden Bruedern unterscheidet, schlaegt in Vers 11 einen voellig anderen und ungewoehnlichen Ton an:

Denn von Sonnenaufgang bis zu ihrem Niedergang ist gross mein Name unter den Voelkern, und an jeglichem Orte wird geraeuchert, dargebracht meinem Namen und zwar reine Opfergabe; denn gross ist mein Name unter den Voelkern, spricht der Ewige der Heerscharen.

Diese Passage ist ein einzigartiges Beispiel in der Schrift fuer eine grosszuegige Lobpreisung, die sich an alle Voelker richtet und ihre Anerkennung ihres Schoepfers beruecksichtigt. Raschi zitiert zwei Erklaerungen der Passage und wiederholt in beiden Worte unserer Weisen.

„Denn gross ist mein Name unter den Voelkern“ – dass sie ihn den Gott der Goetter nennen. Sogar der Goetzendiener weiss, dass es ueber seinen Idolen einen Gott gibt. An allen Orten opfern sogar die Nichtjuden bereitwillig seinem Namen. Unsere Rabbinen erklaeren, dass sich diese Stelle auf die Toragelehrten bezieht, die sich an allen Ortren mit dem Studium des Gottesdienstes befassen. Gleichzeitig interpretieren sie, dass alle Gebete Israels, die es an allen Orten an mich richtet, mir eine reine Opfergabe sind. Der Targum Jonathan gab eine gleichartige Erklaerung: „Wo immer du meinen Willen erfuellst, nehme ich deine Gebete an und Mein grosser Name wird durch dich geweiht, und deine Gebete sind mir eine reine Opfergabe.“ Die Stelle sollte so gelesen werden: Warum entweihst du meinen Namen; Denn gross ist mein Name unter den Voelkern und meine Liebe und Zuneigung sind fuer dich; Wo immer du zu mir betest, sogar im Exil, werden deine Opfer meinem Namen dargebracht und sind mir eine reine Gabe, denn durch dich ist mein Name gross unter den Voelkern.

Raschi zitiert im Namen der Weisen zwei widerspruechliche Erklaerungen. Ist Sein Name gross unter den Voelkern weil sogar die Nichtjuden seinem Namen Opfer darbringen oder bezieht sich dies auf das juedische Volk, das zerstreut unter den Voelkern lebt? In seinem „Fuehrer der Verirrten“ schreibt der Rambam ueber dieses Thema:

Du weisst, dass kein Goetzendiener sein Idol in der Ueberzeugung verehrt, es gaebe ausser ihm keinen anderen Gott. Niemand, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft kann sich vorstellen, dass das Idol, das er aus Metall, Stein oder Holz bildete, wirklich den Himmel und die Erde erschuf und sie regiert. Aber sie bedienen sich ihrer als Symbol, als Vermittler zwischen ihnen selbst und dem Goettlichen, wie der Prophet erklaert: „Wer fuerchtete dich nicht, Koenig der Voelker“ und „an jeglichem Orte wird geraeuchert, dargebracht meinem Namen und zwar reine Opfergabe; denn gross ist mein Name unter den Voelkern.“ Soweit es sie betrifft, spielt dies auf die „Prima Causa“ an. Ich habe dies bereits in unserer grossen Sammlung erklaert. (Maimonides spielt hier auf seine Mischneh Tora an, seiner monumentalen Kodifizierung des juedischen Lebensweges. In einem Kapitel widmet er sich den Gesetzen, die sich mit dem Goetzendienst auseinander setzen.) Keine unserer Autoritaeten wird diese Tatsache bestreiten.

Judah Even Shmuel erklaert die oben zitierte Stelle in seinem Kommentar (Tel Aviv 1935) folgendermassen:

Hier schlaegt der Rambam fuer uns das Kapitel des Goetzendienstes auf und zeigt es in einem neuen Licht. Es ist keine Verehrung von Stein oder Holz, sondern ein Blick auf eine Welt, die mit einem Medium kommuniziert, das zwischen und und Gott steht. Aber es ist eine missverstandene Perspektive, und da sie sich auf das Goettliche bezieht, etabliert sie einen sehr ernsten und schaedlichen Irrtum. Jeder Goetzendiener weiss, dass es nur einen Gott im Universum gibt. Wenn er seine Verehrung nicht direkt an ihn richten kann, so ist es nur deshalb, weil er Gott als zu weit entfernt von sich, als zu transzendental sieht. Der andere Gott ist ihm naeher. Aber in Wirklichkeit verehrt er sein Idol nur symbolisch. Die Wahrheit ist, dass Goetzendiener das Bild nicht verehren, ausser in dem Sinn, dass es als Symbol des Mittlers zwischen Mensch und Gott dient. Baal und Ashtoreth zum Beispiel sind Symbole der Fruchtbarkeit – die Engel zwischen Gott und der Welt, die ueber die Fruchtbarkeit entscheiden.
„An jeglichem Orte wird geraeuchert, dargebracht meinem Namen und zwar reine Opfergabe; denn gross ist mein Name unter den Voelkern.“ Soweit es sie betrifft, spielt dies auf die „Prima Causa“ an. Sogar die Goetzendiener anerkennen Gott als die „Prima Causa“. … Die Anerkennung Gottes ist nicht nur das Erbe der Kinder Israels, sondern die ganze Menschheit erlangt es, denn sie ist menschlich. Es ist Teil ihrer natuerlichen Wahrnehmung, das Goettliche anzuerkennen. Ihrer Struktur ist die Erkenntnis der Gemeinsamkeit der Quelle des gesamten Universums implizit. Rambams Erwaehnung seiner „grossen Sammlung“ spielt auf das erste Kapitel ueber die Gesetze zum Goetzendienst in seinem Codex „Mischneh Tora“ an. „Keine unserer Autoritaeten wird diese Tatsache bestreiten.“ – Wir stellen uns nicht vor, dass nur wir die Erkenntnis der Existenz Gottes erlangten, und wir sagen nicht, dass die Mitglieder anderer Religionen die Existenz Gottes verwerfen.

Die Ansichten, die der Rambam hier aeussert, harmonieren mit jenen unserer Weisen, die von Raschi in seiner ersten Erklaerung zitiert werden. Ibn Gabirol drueckte diese Gefuehle in der unvergleichlichen Lyrik seines „Keter Malchut“ aus:

Du bist der Gott der Goetter
Und alle Geschoepfe zollen dir Tribut
Und sie haben die Verpflichtung, Dir zu dienen, mit der Verehrung, die Dir gebuehrt
Du bist Gott und alle Kreaturen sind Deine Diener und dienen Dir und Deine Herrlichkeit erleidet keinen Abbruch um deretwillen, die anderen dienen neben Dir
denn alle diese anderen sind beabsichtigt, mit dir Gemeinschaft zu erreichen.

Welche Verbindung hat die Interpretation, die wir fuer unseren Vers aus der Haftara gaben, mit dem Kontext? In seiner ersten Erklaerung haftet Raschi am Sinn des Textes. Der Prophet tadelt Israel. Gott findet keinen Gefallen an der Verehrung, wenn sie ihm auf eine solche Art dienen, dass sein Name unter den Voelkern entweiht wird. Gott hat andere Verehrer neben Israel, denn alles, was er schuf, schuf er zu Seiner Herrlichkeit, und sie zollen ihm sogar Tribut. Abravanel beschaeftigt sich mit diesem Thema:

Ihr solltet von den Wegen der Voelker gelernt haben. Denn sie haben das Licht der Tora nicht angenommen. … Sie verherrlichen und erhoehen ihn und bringen die reinsten Opfer dar, die sie gemaess ihrer Lichter darbringen koennen.

Kehren wir nun zu unserer ersten Frage zurueck: Warum hasste Gott dann Esau? Nicht weil er voreingenommen oder parteilich war, sondern weil Esau absichtlich den Weg der Gottlosigkeit einschlug. Radak erklaert:

Denn ihre Gottlosigkeit ging zu weit, sie behandelten die Soehne Jakobs verraeterisch, waehrend Gott Israel befahl: „Du sollst einen Edomiter nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder.“ Aber sie behandelten ihn boese, mit einem Hoechstmass an Boshaftigkeit , und sie erfreuten sich an seiner Zerstoerung und an seiner Verbannung.

Daher sagt der Text ueber ihr Land:

Und man wird sie nennen das Gebiet es Frevels.
(Maleachi 1,4)

Weiterfuehrende Fragen:

1. Warum verwendet der Rambam in seinem „Fuehrer“ (siehe Zitat oben) den Vers aus Maleachi und die Passage aus Jeremias, waehrend er in seinem Codex, im Kapitel ueber die Goetzenverehrung, nur die Passage aus Jeremias zitiert und keine anderen Verse aus Maleachi erwaehnt?
2. In Vers 10 des ersten Maleachikapitels lesen wir: „Sogar jeder von euch wuerde die Tuer verschliessen. So erleuchtet denn nicht vergebens meinen Altar. Keinen Gefallen habe ich an euch, spricht der Ewige der Heerscharen, und eine Opfergabe nehme ich nicht gnaedig an aus eurer Hand.“
Der Rambam zitiert diese Passage in den Gesetzen ueber die Busse seines Codex:
Wie maechtig ist der Einfluss der Reue (teshuva)! Gestern schied dieser Mann vom Gott Israels, wie es heisst: (Jesaja 59,2) „Nein, eure Frevel sind zur Scheidewand geworden zwischen euch und eurem Gotte“, nach ihm rufend, aber ohne gehoert zu werden: Jesaja 1,15: „Moegt ihr noch so viel beten, ich hoere nicht hin.“ Er fuehrt die Vorschriften aus, aber sie werden in Seiner Gegenwart verbrannt, wie es heisst: (Jesaja 1,12) „Wenn ihr kommt, mein Angesicht zu schauen – wer hat von euch verlangt, dass ihr meine Vorhoefe zerstampft?“ „Sogar jeder von euch wuerde die Tuer verschliessen. So erleuchtet denn nicht vergebens meinen Altar.“ (Maleachi 1,10) Heute klammert er sich an die goettliche Gegenwart, wie es heisst: (Deut.4,4) Ihr aber, die ihr an dem Ewigen, eurem Gotte, hanget.“ Er schreit zu Gott, der ihm antwortet: (Jesaja 65,24) „Bevor sie noch rufen, werde ich ihnen antworten“, und er fuehrt die Vorschriften aus, die mit Zufriedenheit und Freude angenommen werden, wie es heisst: (Kohelet 9,7) „Denn von jeher gefaellt es Gott, wenn du so tust.“ Sie werden ersehnt, wie es heisst: „Dann werden die Opfers Judas und Jerusalems Gefallen finden vor dem Herrn, wie in den alten Tagen und in den alten Jahren.“

a) Der Rambam stellt die Verse aus dem ersten Jesajakapitel neben unsere Passage. Was wollte er mit diesen Zitaten zeigen? Welche Aehnlichkeiten findet er?
b) Wenn wir die Verse aus Jesaja und danach aus Maleachi lesen, jeden im Kontext seines Kapitels, welcher Unterschied taucht aus der Verbindung zu ihren Kontexten auf?

Haftara zur Parascha Toldot: Maleachi I bis II,7