Sidra Tasria: Und am achten Tag soll er beschnitten werden

Paraschat HaSchawua – Der wöchentliche Toraabschnitt, Kommentiert von Nechama Leibowitz

Maimonides: Sefer haMitzwot (Vorschrift 215):

Die Tora gebietet uns, unsere Söhne zu beschneiden, wie der Ewige zu Abraham sagte: „Beschnitten werde bei euch jegliches Männliche“ (Gen. 17, 10). Die Tora stellt fest, daß jene, die dieses Gebot übertreten, die Strafe der Ausrottung aus dem Volk auf sich ziehen.

Das Sefer haChinuch berichtet diese Mitzwah in der Parascha Lech Lecha und nicht hier in Tasria. Es wird hinzugesetzt, daß Gott dieses Gebot nicht allein auf Abraham beschränkte: „Das ist mein Bund, den ihr bewahren sollt, zwischen mir und dir und deinem Samen nach dir: Beschnitten werde bei euch jegliches Männliche. Und ihr sollt beschnitten werden an eirem Gliede der Vorhaut, und das sei zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Und acht Tage alt soll beschnitten werden bei euch jegliches Männliche für eure Geschlechter …“ (Gen. 17, 10-12).

Einige Kommentatoren fragen, warum dieses Gebot im Wochenabschnitt Tasria wiederholt wird.

Sefer haChinuch Paraschat Lech Lecha, Mitzwah 2, bietet eine umfassende Antwort:

Dieses Gebot wird in der Parascha Tasria wiederholt … so wie viele andere Gebote mehrmals in der Tora wiederholt werden, jedes Mal zu einem bestimmten Zweck, wie es von unseren Weisen erklärt wird.

Aber er erklärt nicht den „Zweck“ in diesem Zusammenhang. Nach dem Or HaChaim lehrt uns die Wiederholung in Tasria, daß das Gebot der Beschneidung den Schabbat ausser Kraft setzt, da es am „achten Tag“ ausgeführt werden muss. Da dies nicht auf Abraham anzuwenden war, wurde es in Genesis nicht erwähnt!
Abraham wurde geboten, die Beschneidung auszuführen. Es wurde nicht von ihm gefordert, den Schabbat zu halten. Hätte er gefehlt, am Schabbat zu beschneiden, hätte er – Gott behüte – falsch gehandelt. Es war daher überflüssig, ihm zu gebieten, sogar am Schabbat zu beschneiden. Wenn so ein Gebot dort gegeben worden wäre, hätte man Flüsse von Tinte verbrau ht, um zu erklären, warum.

Dies gewährt unserem Problem eine halachische Antwort. Toldot Jitzchak (R. Jitzchak Karo) betrachtet die Eingliederung der Beschneidung in einen Text, der sich mit Unreinheit beschäftigt, unterschiedlich. Er fragt:

Wenn es der Tora notwendig erscheint, das Gebot der Beschneidung (es wurde bereits bei den Geboten des Ewigen an Abraham, Gen, 17, 9-10 erwähnt) zu wiederholen, so ist dies nicht der geeignete Platz! Sicherlich, der Bund der Beschneidung (Brit Mila) ist heilig und rein. Warum ihn mit Unreinheit in Verbindung bringen, als ob man einen Priester auf einen Friedhof stellt?!

Er antwortet:

Der Mensch wurde aus einem einzigen Grund geschaffen: um seinem Schöpfer zu dienen. Nachdem Gott den Menschen geschaffen hatte: „Und es nahm der Ewige, Gott, den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bauen und zu warten. Und es befahl der Ewige, Gott, dem Menschen also: …“ (Gen. 2, 15-16). Ebenso hier: „… und gebiert ein Männliches … Und am achten Tage soll beschnitten werden das Fleisch seiner Vorhaut“, denn er wurde geboren, um Gottes Gebot zu erfüllen. Die Brit Mila ist die erste und wichtigste Mitzwah, ohne die er kein Jude ist. Durch die Beschneidung nimmt er das Joch des himmlischen Königreiches auf sich. Er wurde gekennzeichnet, um dem Ewigen zu dienen und seine Gebote zu erfüllen. Daher erscheint die Mitzwah der Beschneidung im Zusammenhang mit der Geburt eines männlichen Kindes.

Diese Analogie zwischen Adam und einem neugeborenen Kind erinnert uns an den grundsätzlichen Zweck der menschlichen Existenz: Gottesdienst.

Wir können hier nur einige der Gründe, die für die Brit Mila vorgeschlagen wurden, zitieren. Einie Gelehrte stellen sie auf eine „hygienische“ Basis. Akedat Jitzchak zählt sie zu den „sieben Wohltaten“ und behauptet, sie verhindere die Ansammlung verwesten Sames unter der Vorhaut, was oft eine Opreration notwendig mache. Üer das rituelle Erfordernis hinaus, verhindere die rechtzeitige Beschneidung Krankheiten.

Andere Gelehrte weisen dieses Argument zurück und führen an, Gott habe den Menschen kaum mit einem Defekt erschaffen, der beseitigt werden muss. Der Text in Gen. 17, 10-11 enthält kein medizinisches Element. „Das ist mein Bund, den ihr bewahren sollt, zwischen mir und dir und deinem Samen nach dir: Beschnitten werde bei euch jegliches Männliche. Und ihr sollt beschnitten werden an eirem Gliede der Vorhaut, und das sei zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Und acht Tage alt soll beschnitten werden bei euch jegliches Männliche für eure Geschlechter …“ Ein neuerer Kommentator bemerkt, „Das ist mein Bund“ führt diese Vorschrift ein und „das sei zum Zeichen des Bundes“ schliesst sie ab. Dies unterstreicht die Rolle des Bundes bei der Beschneidung.

Ha’amek Davar kommentiert:

„Das sei zum Zeichen des Bundes“ ist ein Kennzeichen der Allianz des Ewigen mit dir und keine prophylaktische Medizin.

Das Element der Hygiene mag von früheren Kommentatoren als eine Konsequenz angeführt worden sein, und nicht als Grund der Mitzwah.

Radak nähert sich auf eine andere Weise:

„Und ihr sollt beschnitten werden“ (Gen. 17, 11): Dies, wie die Zizit, Tefillin und ihre Mitzwot, soll ein Erinnerungszeichen sein. Da es jedoch dem menschlichen Körper aufgedrückt wurde, ist es das stärkste Zeichen von allen. Der Ewige wählte dieses spezielle Organ als das übliche Mittel zur Sünde und die Hauptquelle der fleischlichen Lust. Die Brit Mila erinnert die Juden an die göttlichen Gebote, wenn sie dabei sind, mit diesem Organ zu sündigen. Und dies wird sie davon abhalten. Sie werden ihren ungezügelten Wünschen nicht wie ein Tier folgen, sondern sie innerhalb der Grenzen, die die Tora setzt, befriedigen, um sich fortzupflanzen und die Gesundheit zu erhalten.

Ähnlich Nachmanides:

„Das ist mein Bund, den ihr bewahren sollt“: Nach unseren Weisen hatte es den Sinn, dieses unruhige und verführerische Organ mit einem Erinnerungszeichen zu markieren, damit es innerhalb der vorgeschriebenen und legitimen Grenzen funktioniere.

Daher spielt diese Vorschrift in der Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer eine erzieherische und disziplinäre Rolle: sie erhebt fleischliche Aktivitäten zu einer Mitzwah.

Über die persönliche Ebene hinausgehend, untersucht Maimonides (Führer, Teil III, Kapitel 49) die nationalen und sozialen Aspekte dieser Mitzwah:

Es gibt noch einen sehr wichtigen Gesichtspunkt bei dieser Vorschrift der Beschneidung: Das physische Zeichen ist für alle, die an Einen Gott glauben, ein vereinigender Faktor. Denn ein Aussenstehender wird nicht so grosse Schmerzen auf sich nehmen, um – aus irgendeinem Grund – in eine andere Religion einzudringen. Nur aus dem einen Grund des aufrichtigen Glaubens wird sich jemand der Beschneidung unterziehen oder sie an seinen Söhnen ausführen. Das ist nicht nur ein Ritzer an der Hüfte oder ein Schnitt am Arm, sondern eine schwerwiegendere Operation.
Unter den Trägern dieses Zeichens – der Brit Mila – herrschen Liebe und Solidarität. Dies ist der Bund, den Gott, mit unserem Vater Abraham geschlossen hat, als Zeichen der Anerkennung des Einen und Einzigen Gottes. Alle, die sich der Beschneidung unterziehen, treten in diesen Bund Abrahams ein und bestätigen die Einzigkeit Gottes. „Dir zu sein ein Gott und deinem Samen nach dir“ (Gen. 17, 7).
Dieser Grund ist ebenso wichtig oder vielleicht sogar stärker als der erste.
Unser Glaube an Gott und die Erfüllung der Tora können ohne Beschneidung nicht vollständig sein.

Akedat Jitzchak reiht den vereinenden Faktor der Brit Mila unter die sieben Aspekte der Beschneidung:

Der zweite Grund, daß dieses Zeichen dazu dient, zu vereinen (alle Mitglieder des Bundes) ist sogar ein stärkeres Band der gegenseitigen Liebe und Hilfe. Dies ist, wie Aristoteles im achten Teil seiner „Ethik“ bemerkt, wohltätig und notwendig für die Menschen auf allen Lebenswegen – für die Reichen, um sie gegen Neid und Streit zu schützen; für die Armen, „denn geknechtet sind die Geringen, und es seufzen die Armen“ (Ps. 12, 6); für die Jungen, um ihnen zu zeigen, wie sie den Weg des jugendlichen Übermutes und der Sünden der Unreifen verlassen; und für die Alten, um ihnen zu helfen und sie in der Schwäche und den Unpässlichkeiten des Alters zu unterstützen.
Gott gefiel es, Israel auszuwählen und ihm eine reichliche Tora und viele Gebote zu geben. Für die Erfüllung dieser Gebote ist die gegenseitige Hilfe sogar notwendiger als in anderen Angelegenheiten. Der Ewige in seiner Weisheit beschloss, sie alle mit demselben Zeichen auszustatten. Dieser mächtige Faktor festigt unter ihnen Frieden und Liebe, denn sie alle verehren denselben Gott des Bundes und tragen sein Siegel. Sie sind miteinander in Frieden und Treue, im Geist der prophetischen Ermahnung: „Haben wir nicht alle einen Vater? … Warum handeln wir also treulos gegeneinander und entweihen den Bund unserer Väter“ (Maleachi, 2, 10). Ähnlichkeit und Verwandtschaft bringen Liebe hervor und bewahren sie sicherlich, wie es Maimonides in seinem „Führer“ (Teil III, Kapitel 49) schrieb, und worauf wir uns bezogen haben.

Der Ausdruck „tragen sein Siegel“ repräsentiert oft das Wesen der Brit Mila. Daher schreibt R. Josef Bechor Schor:

„Das ist mein Bund, den ihr bewahren sollt“: Ich werde eurem Fleisch ein Siegel aufdrücken als Zeichen, daß ihr meine Diener seid. Es ist für Sklaven üblich, daß sie auf ihrem Gewand einen Fleck tragen als Zeichen ihrer Ergebnheit und Treue zu ihrem Herrn. Daher darf, nach dem Talmud (Schabbat 58a), ein Sklave am Schabbat nicht mit dem Fleck auf dem Gewand auf die Strasse gehen. Für uns gilt, daß der Ewige sein Siegel unserem Fleisch eingeprägt hat, um uns zu seinen Dienern zu machen. Und es ist unentfernbar.

Dieser Audruck steht zwar nicht in den Schriften, erscheint jedoch im Tischgebet (Birkat HaMason).

Der sechste Grund des Akedat Jitzchak verdient nähere Aufmerksamkeit:

Der sechste Grund betrifft den Geist, in dem diese Vorschrift erfüllt wird. Über die anderen Vorteile geht die Tatsache hinaus, daß sie auf Gottes Geheiß ausgefühtr wird und nicht aus irgendwelchen rationalen Überlegungen. Denn neben allen begleitenden Vorteilen, die Juden veranlassen, sie auszuführen, ist die göttliche Verfügung garantiert. Dies bedeutet „Wandle vor mir und sei makellos“ (Gen. 17, 1) und Rabbi Meirs Feststellung: „Die Brit Mila ist so kräftig, daß der Ewige die Welt ohne sie nicht erschaffen hätte“, wie es heisst (Jer. 33, 25): „So wahr ich Tag und Nacht erschaffen und die Gesetze für den Himmel und die Erde festgelegt habe.“ Hätte ich nicht meinen Bund festgelegt, der Tag und Nacht andauert, hätte ich die Gesetze für den Himmel und die Erde nicht festgelegt (Nedarim 31b). Durch den Geist, der sich in diesem Akt ausdrückt, wird die Beschneidung zu jenen göttlichen Vorschriften gezählt, um deretweillen der Ewige Himmel und Erde erschaffen hat. Dies stimmt mit Rabbi Akivas Doktrin über die Läuterung der Menschheit überein.

Zitieren wir Rabbi Akiva, um seine Ansicht zu verstehen. In Tanchuma Tasria 5 lesen wir:

Der böse Turnus Rufus fragte einst Rabbi Akiva: Wessen Werke sind höher? Die Gottes oder die der Menschen? Er antwortete ihm: Jene der Menschen sind höher.
Titus Rufus antwortete: Aber sieh den Himmel und die Erde an, kann der Mensch so etwas machen? Rabbi Akiva antwortete: Beziehe dich nicht auf das, was jenseits der menschlichen Erfahrung und Kontrolle liegt, sondern auf das, was innerhalb deiner Reichweite ist. Er sagte zu ihm: Warum beschneidet ihr? Er erwiderte: Ich wusste, du würdest diese Frage stellen. Daher kam ich dir voraus und erklärte, die menschlichen Werke seien höher als die göttlichen. Dann brachte ihm Rabbi Akiva Kornähren und Kuchen. Er sagte zu ihm: die einen sind das Werk Gottes, das andere ist das Werk des Menschen. Steht nicht das zweite höher als das erste?
Aber Rufus entgegnete: Wenn Er die Beschneidung will, warum verlässt dann das Kind den Mutterschoss nicht beschnitten? Rabbi Akiva erwiderte: Warum kommt die Nabelschnur mit ihm heraus, und er hängt mit seinem Nabel daran, und die Mutter schneidet sie durch? Das zu deiner Frage, warum er nicht beschnitten geboren wird. Der Ewige, gepriesen sei Er, hat uns die Gebote aus einem einzigen Grund gegeben: unser Charakter soll durch sie geläutert werden. Deshalb erklärte David: „Das Wort des Ewigen im Feuer bewährt“ (Ps. 18, 31.

Aramas sechster Grund für die Brit Mila ist erzieherisch. Dies unterscheidet er ebenfalls im Kommentar Rabbi Akivas. Daher sind es nicht die Anatomie, der Zeitpunkt (am achten Tag) oder der essentielle Charakter der Mitzwah, die zählen. Wie es auch mit anderen Mitzwot der Fall ist, liegt der wichtigste Punkt im Geist ihrer Ausführung als Handlung der Verehrung in Harmonie mit dem göttlichen Willen. Dies wird in Ibn Ezras kurzen Kommentar zu den Eröffnungsversen des Kapitels, das sich mit der Brit Mila beschäftigt, reflektiert. „Wandle vor mir und sei makellos“, d.h. stelle den Zweck der Beschneidung nicht in Frage.

Nachdem Benno Jacob in seinem Kommentar zu Genesis betonte, die Beschneidung sei ein traditionelles Zeichen, fügt er – in den Fußstapfen Rabbi Akivas – hinzu, die Beschneidung sei dazu bestimmt, die Schöpfung zu verbessern, die Natur zu sublimieren und sie auf die Ebene des Übernatürlichen zu heben. Daher änderte Gott mit der Beschndeidung Abrams Namen zu Abraham. Diese Namensänderung widerspiegelte die körperliche Transformation. So kennzeichnen auch die Einsetzung Adams über die Schöpfung und die Änderung von Jakov in Israel beide als neue Geschöpfe, indem ihre frühere „natürliche“ Existenz transzendiert wird. Daher kennzeichnet die menschliche Handlung der Beschneidung, die auf Gottes Geheiß ausgeführt wird, die Perfektion der menschlichen Natur.
Benno Jacob kommentiert:

In der Tora waren die ursprünglichen Kleider des Menschen eine göttliches Gabe und nicht das Produkt menschlicher Arbeitskraft oder Fähigkeit. Eine Ergänzung des Schöpfungswerkes. So wie diese „Verbesserung“ die moralische Geschichte des Menschen eröffnet, so legt die Beschneidung die Grundlage für den jüdischen Glauben.

Es gibt hier eine bemerkenswerte Parallele zwischen dem Zeichen und dem göttlichen Bund mit Abraham und seinen Nachkommen und dem, der Noah und der Menschheit garantiert wurde. Die Tora berichtet, daß Noah mit Gott wandelte. In den Eröffnungsversen des Beschneidungskapitels ruft Gott Abraham auf: „Wandle vor mir und sei makellos“. In beiden Fällen sagt Gott: „Und ich werde errichten einen Bund mit euch“ (Gen. 9, 11 und 17, 7). Mit Noah war es der ewige Bund zwischen Gott und jeder lebenden Kreatur. Mit Abraham war es der ewige Bund zwischen Gott und Abrahams nachkommen. In seinem Essay „Über die Bedeutung von Schlüsselwörtern in biblischen Geschichten“ bemerkt Martin Buber:

Obwohl an die Menschheit als Ganzes gerichtet ist es dort (nach der Flut) ein sichtbares, kosmisches und kurzlebiges Zeichen. Hier jedoch (Beschneidung) ist das Zeichen der nationalen Identifikation diskret, physiologisch und immerwährend. Dort ist das gelegentliche Zeichen Gottes Werk, hier wird es vom Menschen ausgeführt.

Haftara zu Tasria: II Könige, IV, 42 – V, 19