Sidra Schemini: An den mir Nahen will ich geheiligt werden

Paraschat HaSchawua – Der wöchentliche Toraabschnitt, Kommentiert von Nechama Leibowitz

Die große Tragödie ereignete sich an einem feierlichen Moment, vor den Augen Israels und Aharons, des beraubten Vaters:

Und Moscheh sprach zu Aharon: Das ist es, was der Ewige geredet und gesprochen: An den mir Nahen will ich geheiligt werden und vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden. Und Aharon schwieg.

Zwei Fragen erheben sich: Erstens finden wir in der Tora nicht, daß Gott so zu Moses gesprochen hat. Zweitens: Was ist die Botschaft dieser rätselhaften Feststellung und warum tröstet sie den trauernden Vater?
Raschi beantwortet beide Fragen:

Das ist, was der Ewige sprach: Wo hat er dies gesagt? Im Vers „Und dorthin werde ich mich verfügen zu den Kindern Israel, und es soll geheiligt werden durch meine Herrlichkeit“ (Ex. 29, 43). Lies nicht „durch meine Herrlichkeit“, sondern „durch meine Geehrten“.
Moses sprach zu Aharon: Aharon, mein Bruder, ich weiss, dieses Haus wird geheiligt durch jene, die von Gott geliebt werden. Und ich dachte, entweder durch mich oder durch dich. Jetzt aber sehe ich, daß diese beiden (Söhne) grösser sind als ich und du.“

Der Methode des Midrasch folgend, beantwortet Raschi unsere erste Frage, indem er einen Vers zitiert, der eine ähnliche Idee enthält.
Ibn Ezra kommentiert hier wie in anderen Beispielen:

„Das ist es, was der Ewige sprach“: Gott hat mir bereits mitgeteilt, er werde seine Glorie durch jene enthüllen, die ihm nahe sind. Wir müssen nicht fragen, wo dies gesagt wurde, denn viele biblische Dialoge blieben unaufgezeichnet. Daher ist es nutzlos nach der Quelle von „Das ist es, was der Ewige geredet …“ zu suchen.

Dies ist auch die Ansicht des Nachmanides in 9, 2 und an anderen Stellen.

„Und sprach zu Aharon: Nimm für dich ein junges Rind“ (9, 2). Moses wurde hinsichtlich dieser Opfer instruiert, wie es später heisst (Vers 6): „Dies, welches der Ewige geboten, sollt ihr tun“, obwohl dies in der Tora nicht erwähnt wird. Ähnliche Beispiele sind: „Das ist, was der Ewige geboten: Ein Omer voll davon (bleibe) in Verwahrung“ (Ex. 16, 32) und „Ich bin der Gott von Bet-El“ (Gen. 31, 13), was von Jakob berichtet wird, aber in der Tora nicht steht. Ich habe auch auf einige Beispiele dafür in der Passage über die Pesachvorschriften (vergl. Ex. 10, 2 und 11, 1) hingewiesen.

Hier jedoch unterscheidet sich Nachmanides und fordert Raschi und Ibn Ezra heraus:
„Das ist, was der Ewige geboten“: Wo hat er das gesagt? Er zitiert Raschi mit der folgenden Varinate: „Jetzt aber sehe ich, daß diese beiden (Söhne) heiliger sind als ich und du.“ Und er schliesst: Raschi beruht auf dem Midrasch.

Das bedeutet, das Heiligtum wird vor dem ganzen Volke durch jene, die mich verherrlichen, geheiligt werden. Und sie werden wissen, daß ich darin wohne. Ibn Ezra sagt ebenso: „Das ist, was der Ewige geboten“: in der Vergangenheit, als Gott mir mitteilte, er werde seine Glorie durch die mir Nahen enthüllen … Nach Ibn Ezra wurde dies in der Tora nicht berichtet. Gott erklärte Moses seine Absichten, daher ist dieser Grundsatz involviert. Aber ich denke, dass es nicht im ursprünglichen Wortsinn verwendet wird. Gottes Verfügungen, Gedanken und Wege werden alle als „dawar“ („Sache“, „Wort“) bezeichnet. Wie: „Ich sagte (dibarti) so zu mir selbst …“ (Kohelet 1, 16), was bedeutet „Ich dachte“ oder „Das ist der Grund, warum Josua die Beschneidung vornahm“ (Jos. 5, 4) oder „Wegen des Silbers, das in unsere Säcke wieder gekommen ist“ (Gen. 43, 18); „Und sie sei ein Weib dem Sohne meines Herrn, so wie der Ewige geredet“ (Gen. 24, 51), d. h. geboten hatte. Oder: „Zu seiner Zeit baute Hiel von Betel Jericho wieder auf. Um den Preis seines Erstgeborenen Abiram legte er ihre Fundamente, und um den Preis seines Jüngsten Segub setzte er ihre Tore ein, gemäß dem Worte, das der Ewige durch Josua, den Sohn Nuns, gesprochen hatte“ (I Könige 16, 34).
Entsprechend sagte Moses: dies geschah, weil Gott entschied, „an den mir Nahen will ich geheiligt werden“, sie sollen nicht in mein Heiligtum einbrechen und „vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden“, d.h. sie sollen mein Heiligtum respektieren.

Das Beispiel Genesis 24 ist am aussagekräftigsten: hier fragt auch Raschi nicht, wo der Ewige dies geboten hat. R. Jitzchak Arama, Autor von Akedat Jitzchak (Teil 59) kommentiert ähnlich:

Es ist, wie wir erklärten, das tragische Ereignis selbst, das den göttlichen Dibur einsetzt, in dem er sich an Sein Volk und seine Treuen richtet.

Analysieren wir jetzt die Bedeutung dieses „das ist es, was der Ewige geredet und gesprochen“, die unmittelbare und historische Relevanz.
Jalkut Schimoni bietet eine aufschlußreiche Erklärung für „an den mir Nahen will ich geheiligt werden“:

„Unser Gott ist gekommen, er hüllt sich nimmer in Schweigen. Verzehrend Feuer geht vor ihm her, rings um ihn erbrausen die Stürme“ (Ps. 50, 3). Ein menschlicher Herrscher wird von seinen fernen Untertanen mehr gefürchtet als von jenen, die ihm nahe sind. Dies ist nicht der Fall mit Gott, denn die ihm Nahen sind ehrfürchtiger als die von ihm entfernt Stehenden: „An den mir Nahen will ich geheiligt werden.“

N. H. Weisel führt in seinem Biur aus:

Meiner Meinung nach versicherte Moses Aharon, nicht den schrecklichen Gedanken zu hegen, Gott habe seine beiden Söhne mit dem verzehrenden Feuer bestraft, da sie heimlich sündigten. Im Gegenteil, sie waren heilige Männer, nahe zu Gott. Ihr Fall war das Ergebnis ihrer Größe, denn es ist Gottes Plan, von jenen verherrlicht zu werden, die ihm nahe sind. … Gott behandelte sie streng wegen eines Verstosses, der durch ihre Liebe zu und ihre Sehnsucht nach Gott verursacht wurde. Daher erläuterten sie die Lektion, daß Gott heilig ist und jenseits der menschlichen Begriffe. Der Mensch neigt dazu, jene, die ihm lieb und nahe sind, zu schonen und zu begünstigen. Aber Gott verfolgt den gegenteiligen Kurs.

Offensichtlich auferlegt ein höherer Status zusätzliche Verpflichtungen. Ähnlich war der Ausschluß Moses‘ aus dem Gelobten Land wegen eines kleinen Vergehens die Folge seines hohen Status.
Der Biur beschäftigt sich mit diesem Punkt:

Ein ähnliches Schicksal ereilte Moses und Aharon, die wegen eines einzigen Vergehens an den Wassern von Meriba mit dem Tod bestraft wurden. … Auch hier stellt die Tora fest: „Und er wurde von ihnen verherrlicht.“ Es hibt hier eine Analogie: Nadav und Avihu waren geweihte Priester und strebten danach, sich selbst zu heiligen und die Vorschriften des Gottesdienstes zu meistern. Aber sie starben, bevor sie ihren ersten Auftrag beendeten. Auch Moses scheute keine Mühen, um die Israeliten in das Gelobte Land zu führen, aber er starb, kurz bevor sie es betraten.

Die Propheten wenden dieses Konzept der höheren Verantwortlichkeit auf einer nationalen Ebene an und nicht nur auf wenige Auserwählte.
Amos 3, 2:

Nur euch allein habe ich erkannt von allen Geschlechtern der Erde, darum suche ich heim an euch alle eure Missetaten.

Unsere Erwähltheit als Partner im göttlichen Bund, als die alleinigen Übermittler des religiösen Ideals, gab uns das Privileg des „Darum suche ich heim an euch alle eure Missetaten.“ Dies steht im Gegensatz zu den falschen Vorstellungen von Amos‘ Zeitgenossen und auch von späteren Generationen, die dachten, ihren Anspruch auf eine privilegierte Stellung auf die göttliche Erwählung zu basieren. „Vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden“ ist, gemäß Raschi, die Lektion, die durch die strenge Bestrafung, der Grossen und Ausgezeichneten, der „mir Nahen“ gelehrt wird.

„Vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden“: Wenn Gott die Frommen beurteilt, ist er verehrt, gepriesen und verherrlicht. Wenn diese so behandelt werden, werden die Menschen sagen: wieviel mehr die Bösen. Dies ist die Bedeutung von „Furchtbar ist Gott an seiner heiligen Stätte“ (Psalm 68, 36): lies nicht „an seiner heiligen Stätte“, sondern „an seinen Heiligen“.

R. Jitzchak Arama führt aus:

Gepriesen sei der wahre und gerechte Richter, dessen Gesetze und Vorschriften Furcht und Zittern verursachen. Zu sehen, daß er seine Heiligen nicht bevorzugt, was sind dann die Aussichten für uns gewöhnliche Menchen? Dies war auch Moses‘ Botschaft an Aharon, als er erklärte: „Das ist es, was der Ewige geredet und gesprochen: An den mir Nahen will ich geheiligt werden und vor dem ganzen Volke will ich verherrlicht werden.“

Weiterführende Fragen

Raschi nimmt zwei Mal Zuflucht zu „al tikre“, wobei die Lesart eines bestimmten Wortes geändert wird. In „Schnei Luchot haBrit“ („Schlach) finden wir folgende Erklärung für dieses exegetische Vorgehen:
„Al tikre“ finden wir mehrmals in der Tora. Ich habe von meinen Lehrern gelernt, daß diese Methode angewandt wird, wenn ein schwieriges Textproblem nach einer anderen Lesart eines Wortes ruft. Im Vers „Und allen deinen Kindern soll vom Ewigen gelehrt werden, und gross wird sein der Frieden deiner Kinder“: Lies nicht (al tikre) „banajich (deine Kinder), sonder „bonajich“ (deine Erbauer). Hier ist das zweiter „Kinder“ überflüssig. „Gross wird sein ihr Friede“ hätte genügt. Ein weiteres Beispiel: „der den Schabbat heiligt und ihn nicht entweiht“ (meyhaleloi): Lies nicht: „meyhaleloi“, sondern „mahul lo“, ihm ist vergeben (für andere Übertretungen). Diese Änderung verursacht, da „Schabbat“ femininum ist. Das Verb sollte „mehalelah“ lauten. In einigen Fällen jedoch behandelt „al tikre“ keinen problematischen Text, sondern dient als mnemotechnische Hilfe, um sich eine Lektion zu merken.

Durch welches Textproblem wird „al tikre“ in unserem Vers verursacht?

„Und Aharon schwieg“ (10, 3).
Abarvanel:
„Wajidom Aharon“ – sein Herz verwandelte sich in einen leblosen Stein („Domem“ = „Mineral). Er weinte und trauerte nicht, wie ein Vater, der einen Verlust erlitten hat. Er akzeptierte Moses‘ Seelentrost nicht, verliess ihn und schwieg.

R. Eliezer Lipman Lichtenstein: Schem Olam:

Die Schrift wählte „wajidom“ und nicht „wajischtok“ (Synonyme für „schweigen“). „Wajischtok“ kennzeichnet die Enthaltung von Sprechen, Weinen, Jammern oder anderer äusserlicher Manifestationen wie: „Wie trunken schwankten sie hin und her“ (Ps. 107, 27), gefolgt von „Und sie freuten sich, daß es stille ward“ (ebda 30) – „wajischtok“. Das Verb „domem“ jedoch bezeichnet inneren Frieden und Rihe. … Daher beschreibt die Tora den heiligen Aharon als „wajidom“ und nicht als „wajischtok“. Damit wird betont, daß sein Herz und seine Seele Frieden hatten. Er stellte Gottes Maß nicht in Frage, sondern nahm das göttliche Urteil an.

Stelle den Unterschied zwischen den beiden Erklärungen heraus.
Welche folgt dem Wortsinn und dem Kontext?
Welche Ansicht wird von Ps. 37, 7 und Klagelieder 3, 28 unterstützt?

Haftara zu Schemini: II Samuel VI, 1 – VII, 17