Sidra Ki Tawo: Drangsal des Exils – Verkleideter Segen

Paraschat HaSchawua – Der wöchentliche Toraabschnitt, kommentiert von Nechama Leibowitz

Das Kapitel der Vergeltungen – Tokhecha, wie es genannt wird, beschreibt das Üble, das auf Israel wartet, wenn es rückfällig wird. Dieses Kapitel nimmt den Grossteil unserer Sidra ein. Es beginnt mit gewöhnlicheren Durcheinandern und Katastrophen und reicht über Krankheit, Seuchen, Dürre, Hungersnot, Krieg, Verfolgung bis zum Exil und der Vertreibung aus dem Heimatland:

Und der Ewige wird dich zerstreuen unter alle Völker von einem Ende der Erde bis zum andern Ende der Erde; und du wirst dort dienen fremden Göttern, die du nicht gekannt, du und deine Väter, Holz und Stein. Und unter diesen Völkern wirst du nicht rasten, und es wird keine Ruhestatt sein für die Ballen deines Fusses, und der Ewige wird dir daselbst geben ein zitterndes Herz, Hinschmachten der Augen und Ohnmacht der Seele.
(28, 64 – 65)

Die zweite Hälfte von Vers 64 sagt, sie werden anderen Göttern aus Holz und Stein dienen. Dies scheint der Sequenz der Passage zu widersprechen und passt nicht in das Crescendo der Katastrophen, die das ungehorsame Israel erwarten. Ist diese Feststellung über ihre letztendliche Annahme des Götzendienstes ein Verweis auf die Sünde, um deretwillen sie ihr Heimatland verwirken würden? Diese Erklärung passt nicht in den Kontext, wo klar festgestellt wird, dass sie den Göttern „dort“ dienen werden – während des Exils. Ausserdem beschäftigen sich alle Verse ab Vers 59 mit ihrem Exil, die zu erwartenden Leiden. Auf das Thema der Sünde, die das alles verursachen würde, wurde bereits angespielt. Wie Raschi bemerkt, rufen Leiden keine Missetaten hervor, sondern löschen sie aus. Daher muss der Verweis auf den Götzendienst, um im Kontext zu bleiben, einen Teil ihrer Strafe andeuten. Gemäss dieser Erklärung bemerkt Raschi, indem er dem Targum Onkelos folgt:

„Und du wirst dort dienen fremden Göttern“ – Gemäss dem Targum (aramäische Version) nicht buchstäbliche Götzenverehrung, sondern das Bezahlen von Gebühren an heidnische Priester.

Raschis Erklärung jedoch berücksichtigt nicht die explizite Verwendung des Satzes „Und du wirst dort dienen fremden Göttern“. Abravanels Vorschlag, der von den religiösen Verfolgungen seiner Zeit gefärbt ist, passt besser zur Formulierung des Textes:

Als Folge ihrer verzweifelten Lage in den Ländern ihrer Zerstreuung, gejagt von unsagbaren Verfolgungen, würden viele, entgegen ihrem Willen, den Forderungen ihrer Verfolger nachgeben und einen fremden Glauben annehmen und Götter, an die sich nicht wirklich glauben, verehren. Da sie wussten, dass sie aus Holz und Stein gemacht sind und nicht hören können, würden sie sie anbeten, um dem Tod zu entkommen. Die Götzenverehrung, auf die hier verwiesen wird, ist nicht im Sinn einer Sünde, sondern ein Teil der Strafe, die ihnen auferlegt wird. Sie werden bis zu einer solchen Situation gebracht, in der sie gegen ihren Willen gezwungen sind, Götzen zu dienen, obwohl sie an Gott glauben.

Juden würden also gezwungen werden, Götzen zu dienen, nicht aus Überzeugung, sondern gegen ihren Willen, wissend, dass es falsch und albern ist. Dies ist tatsächlich ein schlimmes Schicksal und eine Strafe für die Götzenverehrung aus freienm Willen in ihrem alten Heimatland.
Isaak Arama, ein Zeitgenosse Abravanels, der ebenso zur Zeit der Vertreibung aus Spanien lebte, findet im Text eine Anspielung auf die eigenen, turbulenten Zeiten:

Möglicherweise finden wir in diesem Vers eine Anspielung auf die Zeit, in der tausende Juden ihre Religion wechseln würden, als Folge ihrer Leiden und Verfolgungen. Im Hinblick darauf stellt die Torah fest: „Und unter diesen Völkern wirst du nicht rasten“. Obwohl sie sich unter den Völkern assimilierten, fänden sie keine Erleichterung, da die Nationen sie ständig verunglimpfen und als rückfällige Konvertiten verleumden würden. Wir haben dies in unseren Tagen gesehen, als ein Teil in den Flammen der Inquisition verschwand, ein Teil floh und andere weiterhin in Angst um ihr Leben existieren.
Wie es in den Schriften vorhergesagt wurde, haben wir keine Rast unter den Völkern und unser Leben ist zweifelhaft. Wir hatten nicht das Glück der zehn Stämme, die in ihrem Exil nicht zerstreut wurden, sondern als ein Volk Untertanen Assyriens und Babylons waren. Wir dagegen sind in alle Weltecken zerstreut, von allen Seiten verfolgt. Wir haben keine Ruhe und keine Rast an allen unseren Wohnorten, bis wir nicht in eine Stadt oder ein Land kommen, wo es keine Unterdrückung gibt.

Daher stellt die Zwangskonversion zur Götzenverehrung und zur Annahme eines fremden Glaubens gegen ihren Willen nicht die schlimmste Strafe, die auf sie wartet, dar. Sogar Assimilation und Annahme des dominanten Glaubens würde ihre Probleme lösen und ihnen Erleichterung bringen. Die Völker der Erde würden das jüdische Volk immer noch nicht als Teil ihrer Gemeinde akzeptieren und die Barrieren würden nicht verschwinden. Aber diese Unmöglichkeit der Assimilation kann als eine Dispensierung des Ewigen verstanden werden, zum Guten seines Volkes. Und so wird es auch von Abravanel verstanden:

In der Schrift heißt es: „Und unter diesen Völkern wirst du nicht rasten, und es wird keine Ruhestatt sein für die Ballen deines Fusses.“ Dies spielt auf eine Feststellung des Propheten Ezechiel an (20, 32): Und was euch in den Sinn kommt, darf unter keinen Umständen geschehen, dass ihr sagt: Wir wollen sein wie die Heiden, wie die Stämme der Heidenländer, und Holz und Stein dienen. So wahr ich lebe, spricht der Ewige, der Herr, mit starker Hand, mit erhobenem Arm, mit überschäumendem Grimm will ich über euch herrschen.

Wir haben daher keine Alternative als das Joch des Himmels anzunehmen und Diener Gottes zu sein. Unsere Weisen aber fanden eine tröstliche Botschaft im selben Vers:

„Aber die Taube fand keine Ruhstatt für ihren Fuss und kehrte zu ihm auf die Arche zurück“ (Genesis 8, 9). Rabbi Judah ben R. Nachum sagte im Namen Rabbi Schimons: Hätte sie eine Ruhstatt gefunden, wäre sie nicht zurückgekehrt. Dazu finden wir in den Klageliedern (1): Nun wohnt es unter den Heiden, hat doch keine Ruhstatt gefunden. Hätte sie eine Ruhstatt gefunden, wäre sie nicht zurückgekehrt. Parallel dazu finden wir: Und unter diesen Völkern wirst du nicht rasten, und es wird keine Ruhestatt sein für die Ballen deines Fusses: Hätte sie eine Ruhstatt gefunden, wäre sie nicht zurückgekehrt.
(Bereschit Rabbah 33, 8)

Haftara zu Ki Tawo: Jesaja LX