Sefer Jezirah

Zum hebräischen Text

Das Sefer Jezira ist ohne Frage der älteste und höchst geheimnisvollste aller Kabbalistischen Texte. Die ersten Kommentare über dieses Buch wurden im 10. Jahrhundert geschrieben, und der Text selbst wird bis auf das sechste Jahrhundert zurückgeführt. Hinweise auf dieses Werk erscheinen im ersten Jahrhundert, während der traditionelle Gebrauch seine Existenz sogar in biblischen Zeiten bezeugt.

Die Ursprünge dieses Buches sind für Historiker nicht mehr zugänglich. In Hinblick auf seine Verfasserschaft sind wir völlig auf Überlieferungen angewiesen. Genauso geheimnisvoll ist die Bedeutung des Buches.

Falls der Autor die Absicht hatte, anonym zu bleiben, so war er damit außerordentlich erfolgreich. Nur durch sorgfältigste Analyse, dem Studium jedes Wortes, mit all seinen Parallelen in biblischer und talmudischer Literatur, kann dieser Dunst des Mysteriösen durchdrungen werden.

Es hat viele Interpretationen des Sefer Jezira gegeben. Die frühesten Kommentatoren versuchten es als eine philosophische Abhandlung zu interpretieren, aber ihre Ausführungen warfen mehr Licht auf ihre eigenen Systeme als auf den Text. Das gleiche gilt für die Bemühungen, es in die Systeme des Sohar oder späterer Kabbalisten zu pressen. Versuche, es als ein Buch über Grammatik oder Phonetik zu betrachten, waren noch erfolgloser.

Allgemein wird die Kabbala in drei Kategorien unterschieden, die Theoretische, die Meditative und die Magische.

Die Theoretische Kabbala, die in ihrer gegenwärtigen Form weitgehend auf dem Sohar basiert, handelt hauptsächlich von der Dynamik der spirituellen Bereiche, insbesondere der Welten der Sefiroth, der Seelen und der Engel. Dieser Zweig der Kabbala erreichte seinen Zenit in den Schriften der Safed-Schule im 16.Jahrhundert, und die Mehrheit der veröffentlichten Texte gehört in diese Kategorie.

Die Meditative Kabbala beschäftigt sich mit dem Gebrauch göttlicher Namen, Buchstabenvertauschungen und ähnlicher Methoden, um höhere Bewußtseinszustände zu erreichen, und ist als solches eine Art von Joga. Die meisten der Hauptwerke sind nie veröffentlicht worden, sondern bleiben verstreut in den Manuskripten der großen Bibliotheken und Museen. Einige dieser Methoden genossen mit dem Aufstieg der hassidischen Bewegung, in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine kurze Renaissance, waren aber innerhalb eines halben Jahrhunderts wieder weitgehend vergessen.

Die Magische Kabbala, die dritte Kategorie, ist eng verwandt mit der Meditativen. Sie besteht aus verschiedenen Zeichen, Beschwörungen und göttlichen Namen, durch die man natürliche Ereignisse beeinflussen oder verändern kann. Viele der Techniken ähneln meditativen Techniken, und ihr Erfolg mag von ihrer Fähigkeit abhängen, spirituelle Zustände auszulösen, in denen telekinetische oder geistige Kräfte wirkungsvoll kanalisiert werden können. Wie in der zweiten Kategorie sind die wichtigsten Texte nie gedruckt worden, obwohl einige Fragmente veröffentlicht wurden. Eines der besten Beispiele dafür ist das Buch Raziel.

Sorgfältige Studien zeigen, daß das Sefer Jezira ein meditativer Text mit starken magischen Untertönen ist. Dieser Standpunkt wird von den frühen talmudischen Traditionen unterstützt, die andeuten, daß er dazu benutzt werden kann, lebende Geschöpfe zu erschaffen. Besonders bedeutungsvoll sind die vielen Berichte und Legenden, in der das Sefer Jezira benutzt wird, um einen Golem, eine Art mystischer Android, zu erschaffen.

Die im Sefer Jezira genannten Methoden scheinen meditative Techniken mit einzubeziehen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß es ursprünglich als ein Handbuch meditativer Techniken verfaßt wurde. Ein bedeutender Philosoph des 12. Jahrhunderts äußerte sich dementsprechend, daß es keine Philosophie beinhalte, sondern göttliche Mysterien. Dies kommt besonders im Kommentar eines der größten Kabbalisten, Isaak dem Blinden (1160-1236), zum Ausdruck, der die meditativen Aspekte des Textes hervorhob.

Dies zeigt sich besonders in einem sehr alten Sefer-Jezira-Manuskript, das aus dem 10. Jahrhundert oder früheren Zeiten stammt. Der einführende Kolophon gibt an: „Dies ist das Buch der Buchstaben von Abraham unserem Vater, das Sefer Jezira genannt wird, und wenn jemand hineinschaut (tzafah), so gibt es keine Grenze seiner Weisheit.“ Wie wir in unserem Kommentar (zu 1:6) erläutern werden, bedeutet das Wort tzafah nicht bloßes physisches Schauen, sondern mystische meditative Einsicht. Diese sehr alte Quelle würde so die Position stützen, daß das Sefer Jezira eigentlich als meditativer Text benutzt werden sollte.

Die Kommentare, die das Sefer Jezira als einen theoretischen Text behandeln, lesen es hauptsächlich in der dritten Person: „Er kombinierte“, „Er bildete“, usw. Gemäß dieser Lesart bezieht sich der Text auf Gottes Schöpfung. In vielen Fällen ähnelt die grammatische Form jedoch eher dem Imperativ. Der Autor weist den Leser an, zu „kombinieren“ und zu „gestalten“, so als ob er tatsächlich Anweisungen gäbe. In vielen anderen Fällen ist der Text unzweideutig unterweisend, etwa in Passagen wie: „Wenn dein Herz rennt, kehre zurück an den Ort“ und „Verstehe mit Weisheit und sei weise mit Verständnis.“ Anstatt den Text zwischen der dritten Person und dem Imperativ wechseln zu lassen, wäre es logischer, ihn vollständig im Imperativ zu lesen. Das Sefer Jezira wird so zu einem Unterrichtshandbuch für eine sehr spezielle Art von Meditation. Aus Achtung vor der Mehrheit der Kommentare haben wir von einer Übersetzung im Imperativ Abstand genommen, aber die Bedeutungen einer solchen Leseart wird im Kommentar besprochen.

Das Sefer Jezira scheint also ein Lehrbuch zu sein, in dem bestimmte meditative Übungen beschrieben werden. Es gibt einige Anzeichen dafür, daß diese Übungen dazu gedacht waren, die Konzentration des Initiierten zu stärken, und als besonders hilfreich in der Entwicklung von telekinetischen und telepathischen Kräften erachtet wurden. Mit diesen Kräften wäre man dann fähig, Dinge auszuführen, die äußerlich magisch erscheinen. Das wird durch die Talmudstellen unterstützt, die den Gebrauch des Sefer Jezira mit einer Art Weißer Magie vergleicht. Ein bedeutender Kommentator des 13. Jahrhunderts schreibt, daß den Studenten des Sefer Jezira ein Manuskript des Buches Raziel, ein magischer Text der Siegel, magische Abbildungen, göttliche Namen und Beschwörungen beinhaltet, gegeben wurde.

Der Text

Das Sefer Jezira ist ein sehr kurzes und knappes Buch. In seiner kurzen Version ist es nur etwa 1300 Worte lang, während die Lange-Version ungefähr 2500 Worte umfaßt. Die Gra-Version, die dieser Übersetzung zugrunde liegt, umfasst etwa 1800 Worte.

Der Text ist so kurz, daß eines der frühesten gefundenen Fragmente das ganze Buch auf eine einzelne Seite geschrieben hat. Es gibt Spekulationen, daß der Ursprungstext lediglich 240 Worte umfaßt haben mag.

Der gegenwärtige Text beinhaltet sechs Kapitel, und in einigen Ausgaben wird behauptet, daß diese mit den sechs Geboten der Mischna in Verbindung stehen. Einige alte Quellen behaupten jedoch, daß das Buch fünf Kapitel beinhaltet, und es scheint wahrscheinlich, daß das gegenwärtig fünfte und sechste Kapitel in diesen Texten als ein einziges erschien. Der früheste Kommentator, Saadja Gaon, teilt in einer etwas anderen Version das Buch in acht Kapitel.

Der Text wird dogmatisch, ohne Erhärtung oder Erklärung, dargestellt. Besonders im ersten Kapitel ist er feierlich und klangvoll, und liest sich wie reine Verslyrik. Es werden sehr wenige Bibelstellen angeführt, und mit Ausnahme von Abraham werden keine Namen oder Autoritäten erwähnt.

Das Buch scheint in vier grundlegende Teile unterteilt zu sein. Das erste Kapitel führt die Sefiroth ein und behandelt sie sehr ausführlich. Jedoch erscheint in den nachfolgenden Kapiteln keinerlei Erwähnung der Sefiroth mehr. Dies führte zu der Spekulation, daß das Sefer Jezira eigentlich eine Kombination aus zwei (oder mehr) älteren Texten sein könnte.

Das zweite Kapitel besteht aus einer allgemeinen Besprechung der Buchstaben des Alphabets. Es scheint ihren Gebrauch eindeutig in einem meditativen Zusammenhang einzuführen. In diesem Kapitel werden weiterhin die fünf phonetischen Familien und die 231 Tore vorgestellt. Diese werden jedoch im weiteren Text nicht mehr erwähnt.Die Kapitel drei bis fünf behandeln die drei Klassen der Buchstaben: „Mütter, Doppelte und Einfache.“ Diese sind verbunden mit „dem Universum, der Seele und dem Jahr“ und stellen ein recht ausführliches astrologisches System dar. In diesen Kapiteln ist das ganze Buch derart verändert, daß sich praktisch überhaupt keine Hinweise auf seine meditativen Aspekte mehr finden. Das kann jedoch durch ein Prinzip erklärt werden, das sich in vielen späteren kabbalistischen Texten findet. Um spirituelle und mentale Kräfte zu konzentrieren, muß man die Zeit und die astrologischen Rahmenbedingungen berücksichtigen.

Das sechste Kapitel scheint wiederum keine klare Verbindung zu den früheren Teilen des Buches zu haben, obwohl es in der Langen-Version fast als Kommentar dargestellt wird. Hier werden zum ersten Mal die Konzepte von „Achse, Zyklus und Herz“ eingeführt, Vorstellungen, die nirgendwo sonst in der hebräischen oder kabbalistischen Literatur, mit Ausnahme des Bahir, auftauchen.13 Von allen Kapiteln, scheint dieses das unverständlichste zu sein, und es ist schwer zu entscheiden, ob die Betonung mehr theoretisch oder meditativ ist.

Das Kapitel endet mit einer Strophe, die das Sefer Jezira mit Abraham in Zusammenhang bringt. Es ist dieses Zitat, das als Quelle für die Überlieferung dient, daß das Buch von dem Patriarchen verfaßt wurde.

Verfasserschaft

Die älteste Quelle, die dem Sefer Jezira zugeschrieben wird, ist der Patriarch Abraham. Schon im 10. Jahrhundert schreibt Saadja Gaon: „Die Alten sagen, daß Abraham es schrieb.“ Diese Meinung wird von fast allen frühen Kommentatoren unterstützt.

Alte kabbalistische Texte, wie der Sohar und Raziel, schreiben das Sefer Jezira ebenfalls Abraham zu. Einige sehr alte Manuskripte des Sefer Jezira beginnen ebenfalls mit einem Kolophon, der es „die Buchstaben von Abraham, unserem Vater, die Sefer Jezira genannt werden,“ nennt.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß das ganze Buch, so wie wir es jetzt vorliegen haben, von Abraham geschrieben wurde. Wie Saadja Gaon erklärt, wurden die Prinzipien, die im Sefer Jezira erläutert werden, zuerst von Abraham gelehrt, aber erst viel später in Buchform zusammengetragen. Eine andere Autorität bemerkt, daß sie nicht tatsächlich von Abraham hätten geschrieben werden können, da, falls es so wäre, sie in die Bibel aufgenommen worden wären. Ebenso schließt der Sohar, wenn er Schriften erwähnt die vor der Torah geschrieben wurden, den Sefer Jezira nicht mit ein. Die Zuweisung zu Abraham wird durch die letzte Strophe des Sefer Jezira gestützt, in der es heißt: „Nachdem Abraham … gesehen und geschaut … war er erfolgreich beim Erschaffen …“ Dieser Abschnitt läßt darauf schließen, daß Abraham von den in diesem Text genannten Methoden Gebrauch machte.

In vielen Ausgaben des Sefer Jezira wird der biblische Beweis aus folgendem Vers abgeleitet: „Abraham ging, wie Gott es ihn geboten hatte, und Abraham nahm … die Seelen, die sie in Haran gemacht hatten“ (Genesis 12:5). Nach einigen Kommentaren deutet dies darauf hin, daß Abraham die Mächte des Sefer Jezira tatsächlich benutzt hatte, um Menschen zu erschaffen. Dies wäre das früheste Beispiel für den Gebrauch des Sefer Jezira zur Erschaffung eines Golem. Danach hätte Abraham gelernt, wie man die Geheimnisse des Sefer Jezira benutzte, bevor Gott ihm geboten hatte, Haran zu verlassen.

Andere Autoritäten sagen jedoch, daß „Seelen gemacht“ bedeute, sie zum Glauben an den einen wahren Gott zu bekehren, was auch vom Sohar unterstützt wird. Einige Kommentare versuchen dies mit dem Text des Sefer Jezira in Einklang zu bringen, indem sie erklären, daß mit den Wundern, die durch das Sefer Jezira bewirkt wurden, Abraham in der Lage war, Menschen von der Kraft Gottes zu überzeugen und sie zum wahrem Glauben zu bekehren.

Mit „die Seelen, die sie machten“, verwendet die Bibel den Plural. Dies würde anzeigen, daß Abraham das Sefer Jezira nicht allein gebrauchte, sondern einen Gefährten hatte. Ein Midrasch sagt, daß, falls Abraham allein mit den Geheimnissen der Schöpfung beschäftigt gewesen wäre, er in der Nachahmung seines Schöpfers zu weit gegangen wäre und deshalb mit Shem, dem Sohn des Noah, zusammenarbeitete. Alte Quellen identifizieren Shem mit Malchizedek, den Abraham segnete und den er viele der alten Überlieferungen lehrte.

Die wichtigsten Geheimnisse des Sefer Jezira beziehen sich auf die innere Bedeutung der Buchstaben des hebräischen Alphabets. Auch hier finden wir, daß Abraham ein Meister dieser Geheimnisse war. Ein Midrasch sagt daher, daß „die Buchstaben niemand anderem als Abraham gegeben waren.“ Wie wir im Kommentar (zu 1:3) sehen werden, scheint die Anordnung der Tiere, als Abraham seinen Bund mit Gott machte, auch auf den Geheimnissen des Sefer Jezira zu basieren.

Weitere Hinweise, die Abraham mit dem Sefer Jezira verbinden, finden sich in der talmudischen Lehre, daß „Abraham viel astrologisches Wissen in seinem Herzen hatte und bald alle Könige des Ostens und Westens an seiner Tür erschienen.“ Das Sefer Jezira ist einer der primären alten astrologischen Texte, und es ist möglich, daß er, Abraham, astrologische Lehren beherrschte. Die Tatsache, daß gesagt wird, diese Astrologie sei „in seinem Herzen“ gewesen, könnte auch anzeigen, daß sie verschiedene meditative Techniken enthielt, wie es oft in der alten Astrologie der Fall war und auch vom Sefer Jezira angedeutet wird. Es gibt Anzeichen dafür, daß Abraham diese Geheimnisse von Shem gelehrt wurden, zusammen mit dem Geheimnis des Kalenders (Sod HaIbbur). Als Gott sich Abraham offenbarte, war eines der ersten Dinge, die er ihn lehrte, sich nicht zu sehr auf astrologische Voraussagen zu stützen.

Abraham war sich auch der magischen und götzendienerischen Gebräuche bewußt, die aus diesen Geheimnissen entwickelt werden konnten. Der Talmud sagt daher, daß Abraham eine Abhandlung besaß, die vom Götzendienst handelte und aus 400 Kapiteln bestand. Es gibt auch die talmudische Lehre, daß Abraham die Mysterien, welche „unsaubere Namen“ enthielten, den Kindern seiner Nebenfrauen lehrte. Dies basiert auf dem Vers: „Aber den Söhnen der Nebenfrauen, die Abraham hatte, gab Abraham Geschenke, und er sandte sie hinweg … zu den Ländern des Ostens“ (Genesis 25:6). Diese Geschenke bestanden aus okkulten Geheimnissen, die sich im östlichem Asien ausbreiteten.

Das Sefer Jezira Abraham zuzuschreiben, würde seinen Ursprung in das 18. Jahrhundert vor der Zeitrechnung stellen. Das ist nicht überraschend, da auch solch mystische Texte wie zum Beispiel die „Veden“ aus dieser Periode stammen, und es gibt viele Gründe zu glauben, daß die mystische Tradition im Mittleren Osten weiter fortgeschritten war als im Indien dieser Epoche. Da Abraham der größte Mystiker und Astrologe seines Zeitalters war, ist es natürlich, anzunehmen, daß er mit allen Geheimnissen des alten Ägyptens und Mesopotamiens vertraut war. Abraham wurde in Mesopotamien geboren, und er lebte auch in Ägypten.

Die nächste Stelle, in der etwas über den Gebrauch des Sefer Jezira ausgesagt ist, finden wir in einer Überlieferung betreffs der älteren Söhne Jakobs, in der es heißt, daß sie es benutzten, um Tiere und Dienerinnen zu erschaffen. Wenn die Bibel sagt, daß „Joseph seinem Vater eine schlechte Nachricht [betreffs seiner Brüder] brachte“, (Genesis 37:2) bezieht sie sich auf folgende Begebenheit. Josephs Brüder hatten ein Tier gegessen, ohne es korrekt zu schlachten (koscher A.d.Ü.), und Joseph wußte nicht, daß das Tier mit Hilfe des Sefer Jezira erschaffen worden war und daher nicht auf diese Art geschlachtet werden mußte. Er berichtete daher, daß seine Brüder „Fleisch von einem lebendigen Tier“ gegessen hatten.

Nach dem Exodus wurden die Geheimnisse des Sefer Jezira wieder angewandt, als die Israeliten in der Wüste das Tabernakel errichteten. Der Talmud sagt, daß Betzalel gewählt wurde, um dieses Tabernakel zu errichten, weil er „wußte, wie die Buchstaben, mit denen Himmel und Erde erschaffen wurden, vertauscht werden mußten.“ Solch esoterisches Wissen war erforderlich, da das Tabernakel ein Mikrokosmos sein sollte, der sowohl dem Universum, dem spirituellen Bereich, als auch dem menschlichen Körper entsprechen sollte. Es war nicht ausreichend, lediglich ein physisches Gebäude zu errichten. Als es errichtet war, mußte der Architekt über die Bedeutung jedes Teils meditieren und es mit den notwendigen spirituellen Eigenschaften durchdringen.

Der Talmud leitet dies von dem Vers ab, in dem Gott sagt: „Ich habe den Namen Betzalel berufen … und Ich habe ihn mit dem Geist Gottes, mit Weisheit, Verständnis, und Wissen erfüllt“ (Exodus 31:2-3). „Weisheit, Verständnis und Wissen“ (Chochmah, Binah und Daat) beziehen sich auf Zustände des Bewußtseins, die wir ausführlich besprechen werden. Durch die Manipulation der Buchstaben können solche Bewußtseinszustände erlangt werden.

Die Quellen schweigen dann über das Sefer Jezira, bis in die Zeit des Propheten Jeremiah. Hier finden wir wieder eine Überlieferung, in der Jeremiah Gebrauch vom Sefer Jezira machen wollte, aber, wie im Falle Abrahams, ermahnt wurde, es nicht allein zu versuchen. Er nahm daher seinen Sohn Ben Sirah, und die beiden erforschten die Mysterien zusammen. Durch ihre Bemühungen waren sie in der Lage, einen Golem zu erschaffen, den sie jedoch nicht behielten.

Es könnte mehr als eine Person mit dem Namen Ben Sirah gegeben haben, aber der in dieser Überlieferung genannte war eindeutig der Sohn Jeremiahs. Zu seiner Geburt gibt es eine faszinierende Überlieferung. Jeremiah war im Badehaus von Homosexuellen bedrängt worden, und als Ergebnis davon hatte er eine Ejakulation in der Wanne gehabt. Sein Samen blieb fruchtbar, und als seine Tochter später die gleiche Wanne benutzte, wurde sie von ihm geschwängert und gebar schließlich Ben Sirah. Ben Sirah ist daher sowohl der Sohn Jeremiahs als auch der seiner Tochter.

Einige Quellen behaupten, daß sein Name ursprünglich Ben Zera (Sohn des Samens) lautete, aber als ihn dieser Name in Verlegenheit brachte, änderte er ihn in Ben Sirah. Wegen der heiklen Natur seiner Geburt nannte er sich nicht „Sohn von Jeremiah.“ Es gibt jedoch eine Anspielung darauf, denn Sirah und Jeremiah haben beide den Zahlwert 271. Spätere Experten sollten den Beweis erbringen, daß es sich bei diesem Fall künstlicher Befruchtung nicht um Ehebruch oder Inzest handelte.

Diese Überlieferungen sind besonderes interessant, da es viele Andeutungen gibt, daß Jeremiah die Geheimnisse einem gewissen Josef, Sohn von Uziel, Sohn von Ben Sirah, lehrte. Es gibt auch mindestens eine Quelle, die berichtet, daß Ben Sirah das Sefer Jezira dem Josef ben Uziel lehrte. Was noch interessanter ist unter dem Gesichtspunkt, daß es Hinweise darauf gibt, daß eben dieser Josef ben Uziel einen Kommentar zum Sefer Jezira, oder sogar eine der ersten Ausgaben des Textes selbst geschrieben haben soll.

Dies ist wichtig, da es die erste Version des Sefer Jezira in die frühen Jahre des Zweiten Tempels datieren würde. Dies war auch die Zeit der großen Zusammenfassung, in der einige der letzten Bücher der Bibel wie z.B. Hesekiel geschrieben wurden und somit das Ende des biblische Kanon bilden. Viele der gängigen hebräischen Gebete verdanken ihre Existenz ebenfalls dieser großen Zusammenfassung. Wie diese Gebete wurde auch das Sefer Jezira nicht geschrieben, sondern aus dem Gedächtnis heraus gelehrt.

Die Talmudische Periode

Beim Eintritt in die Talmudische Periode machen wir einen Übergang von der Überlieferung zur Geschichte. Wir finden tatsächlich Erwähnungen des Sefer Jezira im Talmud, und wenn es auch nicht völlig bestimmt ist, daß es mit unserer Version identisch ist, gibt es keinen wirklichen Grund, daran zu zweifeln, daß es sich um ein und den selben Text handelt.

In Talmudischen Zeiten begann das Sefer Jezira als mündliche Überlieferung und wurde schließlich zu einem Buch, das von den Weisen benutzt wurde. Der erste Bezug zu derartigem Gebrauch bezieht Rabbi Yehoshua [ben Chananya], einen der führenden Weisen des ersten Jahrhunderts, mit ein. Ihm wird der Ausspruch zugeschrieben: „Ich kann Matsch und Kürbisse nehmen, und mit dem Sefer Jezira kann ich daraus schöne Bäume machen. Diese wiederum werden andere schöne Bäume hervorbringen.“ Obwohl die Redewendung: „mit dem Sefer Jezira“ in gedruckten Ausgaben des Jerusalemer Talmud nicht auftaucht, ist sie in Manuskripten zu finden.

Dieser Bezug auf Rabbi Yehoshua ist sehr bedeutungsvoll. Rabbi Yehoshua war einer der fünf besten Schüler von Rabbi Yochanan ben Zakkai (47 v.Chr. – 73 n.Chr.), Führer aller Juden nach der Zerstörung des Tempels und ein berühmter Experte in allen okkulten Künsten. Es war Rabbi Yehoshua, der Rabbi Yochanans Eleve in den Geheimnissen der Markava war, und später erntete er Ruhm als der größte Experte seiner Zeit auf dem Gebiet des Okkulten.

Dies lenkt den Blick auf eine andere wichtige mystische Persönlichkeit. Nach einer alten Quelle wurde Rabbi Yehoshua die Überlieferung ebenfalls von Rabbi Nehunia ben HaKanah, Führer der Schule die den Bahir verfaßte, gegeben. Im Sefer HaTagin, finden wir, daß die Überlieferung hinsichtlich der mystischen Bedeutung der Kronen (tagin) in Bezug auf die hebräischen Buchstaben, auf folgende Art weitergegeben wurde: „Menachem überlieferte es Rabbi Nehunia ben HaKanah, Rabbi Nehunia ben HaKanah überlieferte es Rabbi Eleasar ben Arakh, Rabbi Eleasar ben Arakh überlieferte es Rabbi Yehoshua, und Rabbi Yehoshua überlieferte es Rabbi Akiba.“

Rabbi Eleasar ben Arakh wird als der größte Schüler Rabbi Yochanan ben Zakkais bezeichnet. Es ist auch bekannt, daß er die Markava-Mysterien von Rabbi Yochanan lernte. Aus der oben genannten Überlieferung erfahren wir auch, daß er von Rabbi Nehunia lernte, möglicherweise nachdem er Rabbi Yochanan verließ. Der Talmud berichtet, daß Rabbi Eleasar zu dieser Zeit am Fluß Dismas, in der Stadt Emmaus lebte. Emmaus ist als der Ort bekannt, an dem Rabbi Nehunia lebte, wie auch als ein allgemeiner Ort kabbalistischen Lehrens. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Rabbi Eleasar so in den Mystizismus verwickelt wurde, wie der Talmud berichtet, daß er seinen Bezug zur legalistischen Theorie verlor.

Ebenso wichtig ist die Tatsache, daß behauptet wird, Rabbi Nehunia habe die Überlieferung von Menachem bekommen. Es ist bekannt, daß Rabbi Nehunia der führende Mystiker des ersten Jahrhunderts, wie auch ein Kollege von Rabbi Yochanan ben Zakkai war. Es gibt jedoch keine Unterlagen darüber, wer seine Meister waren. Aus dem Sefer HaTagin lernen wir, daß Rabbi Nehunia mindestens einige der Mysterien von Menachem lernte, der als Vizepräsident der Sanhedrin (Oberster Gerichtshof) unter Hillel diente. Als Menachem von dieser Position zurücktrat, wurde Shammai an seiner statt ernannt.

Die meisten Experten identifizieren dieses Individuum mit Menachem dem Essener, der von Josephus erwähnt wurde. Menachem hatte als Kind einmal Herod geschaut und prophezeit, daß er König werden würde. Wegen dieser Begebenheit ehrte Herod, nachdem er den Thron bestiegen hatte, den Menachem, wie auch die anderen Essener. Infolge seiner Beziehung zu Herod konnte Menachem seine Position im Sanhedrin nicht länger beibehalten.

Falls wir die oben genannte Überlieferung akzeptieren, könnte Nehunia ben HaKanah wenigstens etwas von seinem mystischen Wissen von Menachem dem Essener erhalten haben. Dies würde zeigen, daß den Essenern die mystischen Künste bekannt waren und daß sie sie zumindest einigen der Talmudischen Meistern lehrten. Josephus berichtet, daß die Essener die Namen der Engel benutzten und unter Einbeziehung verschiedener Läuterungen und Praktiken der Propheten fähig waren, die Zukunft vorherzusagen. Noch wichtiger mag sein, das Josephus die Essener mit den Pythagoräern vergleicht. Da das Sefer Jezira anscheinend einige Elemente beinhaltet, die den Lehren der Pythagoräer ähneln, mag es sein, daß die Essener den Text während der Zeit vor der Schaffung des Talmud bewahrten.

Rabbi Eleasar lehrte die Überlieferung über die Kronen auf den hebräischen Buchstaben dem Rabbi Yehoshua, der sie wiederum an Rabbi Akiba (12-132 n.Chr.) weitergab. Rabbi Akiba brillierte auf diesem Gebiet, und der Talmud berichtet, daß er viele wichtige Lehren von diesen Kronen ableitete. Er empfing auch die Markava-Tradition von Rabbi Yehoshua, wie auch viele andere wichtige okkulte Überlieferungen. Es steht außer Frage, daß Rabbi Akiba zu seiner Zeit der größste Experte der mystischen Künste war. Rabbi Shimeon Yochai, Autor des Sohar, war ebenfalls ein Schüler von Rabbi Akiba.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß eine Reihe von Quellen die Verfasserschaft des Sefer Jezira Rabbi Akiba zuschreibt. Die meisten der frühen Talmudischen Texte werden Rabbi Akiba zugeschrieben, der sie mündlich in klar umrissener Form übermittelte. Obwohl diese Bücher nicht niedergeschrieben wurden, waren sie von Rabbi Akiba formuliert worden, und es war sein Wortlaut, der mündlich gelehrt wurde.

Damals gab es eine Regel, nach der die mündliche Überlieferung genau überprüft wurde, Wort für Wort, genau so, wie sie übermittelt worden war. Die Regel lautete: „Man soll immer den genauen Wortlaut seines Meisters überprüfen.“ Jeder Meister würde deshalb ein Studienprogramm bereitstellen, das seine Jünger Wort für Wort memorieren würden. Im legalistischen Gebiet war dies als die „Erste Mischna“ bekannt. Es ist möglich, daß Rabbi Akiba auch eine mündliche Version des Sefer Jezira schuf, die für seine Studenten der mystischen Lehre zum Memorieren gedacht war. Außer diesen mögen auch persönliche Aufzeichnungen bewahrt worden sein.

Nach dieser Betrachtung wäre das Sefer Jezira nichts anderes als der Überrest der mündlichen Überlieferung. Obwohl es als mündliche Überlieferung gedacht war und eigentlich nicht publiziert werden sollte, wurden persönliche Aufzeichnungen und Manuskripte bewahrt. Dies traf besonders auf wichtige Lehren, die üblicherweise nicht in den Akademien besprochen wurden, wie auch auf esoterische Texte zu. Genauso würden die Leiter der Akademien geschriebene Notizen aufbewahren, um die Überlieferung möglichst exakt zu erhalten. Obwohl diese Notizen nie veröffentlicht wurden, bewahrte man sie in den Akademien sorgfältig auf. Spätere Lehrer fügten diesen Manuskripten oft Randbemerkungen hinzu, und solche Notizen wurden gelegentlich auch in den von ihnen benutzten Biblischen Texten gefunden. Da diese Notizen von Privatpersonen bewahrt und nie publiziert wurden, sind sie als „verborgene Schriften“ (Megillat Setarim) bekannt geworden. Nicht nur solch esoterisches Material wie das Sefer Jezira wurde in diese Kategorie eingeschlossen, sondern sogar derart legalistisches Material wie die Mischna, die als mündliche Überlieferung verstanden wurde.

Dies könnte erklären, warum das Sefer Jezira in so vielen Versionen existiert. Anders als die Mischna, die schließlich in einer klar umrissenen Ausgabe veröffentlicht wurde, entwickelte sich das Sefer Jezira nie über den Status einer „verborgenen Schrift“ hinaus. Andere Versionen mögen von verschiedenen Lehrern gelehrt worden sein, und da der Text nie veröffentlicht wurde, gab es keinen Weg, wie diese Versionen verglichen und berichtigt werden konnten. Desweiteren mögen viele Randbemerkungen in den Text eingegliedert worden sein, was auch wieder andere Versionen geschaffen haben mag. All dies mag als Erklärung für die Tatsache dienen, daß es keinen hebräischen Klassiker gibt, der in so vielen Versionen und Varianten erscheint wie das Sefer Jezira.

Es scheint sehr wahrscheinlich, daß das Sefer Jezira schon in seiner gegenwärtigen Form existierte, als die Mischna im Jahre 204 n.Chr. redigiert wurde. Die Mischna wurde von Rabbi Yehudah dem Prinzen (135-220 n.Chr.), gewönlich nur als Rebbi erwähnt, redigiert. Es ist allerdings möglich, daß es in der Mischna selbst einen Bezug zum Sefer Jezira gibt. In einer der wenigen Passagen, in der sie esoterische Lehren behandelt, sagt die Mischna: „Die Geheimnisse der Schöpfung (Maaseh Bereshit) sollen nicht in Gegenwart von zwei Schülern erläutert werden, und die Mysterien der Markava (Maaseh Markava) sollen nicht einmal in Gegenwart von nur einem erläutert werden, es sei denn, daß er weise ist, verständig mit seinem Wissen.“

Der Ausdruck „Maaseh Merkava“ bezieht sich auf die meditativen Methoden, die benutzt wurden, um in höhere spirituelle Bereiche aufzusteigen. Obwohl spätere Philosophen wie Maimonides geltend machten, daß dies philosophische Spekulation mit einschließt, sagen die ältesten Quellen eindeutig, daß Maaseh Markava von den meditativen Methoden handelte, die für den spirituellen Aufstieg benutzt wurden. Als solche wurde sie als die esoterischste aller spirituellen Übungen betrachtet.

Nach der Meinung vieler Autoritäten bezieht sich Maaseh Bereshit auf die Geheimnisse des Sefer Jezira. Da wir wissen, daß Maaseh Markava mystischer Natur war, wäre es logisch anzunehmen, daß das gleiche für Maaseh Bereshit galt. Desweiteren erklärt die Annahme, daß Maaseh Bereshit das Sefer Jezira beinhaltet, auch eine Anzahl von sonst unklaren Talmudischen Verweisen. Es gibt auch Hinweise, daß der Rebbi mit den Geheimnissen der Markava vertraut war und es liegt nahe anzunehmen, daß er sich auch dem Sefer Jezira bewußt war.

Eine Generation später finden wir daher einen Bericht über zwei von Rebbis Schülern, die eindeutig in die Geheimnisse des Sefer Jezira eingeweiht waren. Der Talmud berichtet: „Rabbi Hanina und Rabbi Hoshia beschäftigten sich mit dem Sefer Jezira jedesmal [Freitags] vor dem Sabbat, erschufen für sich ein junges Kalb und verspeisten es.“ Eine andere Version dieses Berichtes sagt, daß sie eher die Hilkhot Jezira (Regeln der Schöpfung) benutzten, als das Sefer Jezira. Der Ausdruck Hilkhot kann sich sowohl auf philosophische wie auch auf juristische Regeln beziehen. In einigen der ältesten Manuskripte, wird das Sefer Jezira tatsächlich Hilkhot Jezira genannt.

Es gibt viele Interpretationen darüber, wie genau diese beiden Weisen ein solches Kalb erschufen und warum sie es taten. Einige behaupten, daß sie nicht tatsächlich ein physisches Kalb schufen, sondern ein derart klares meditatives Bild, das der geistigen Zufriedenheit des Essens gleich kam. Sogar ein solcher Kabbalist wie Abraham Abulafia (1240-1296) behauptet, ihre Schöpfung sei eher mystisch als physisch gewesen. Der Rashba (Rabbi Shlomo ben Aderet: 1235-1310) fand die Tatsache besonders bedeutsam, daß sie dies am Freitag durchführten, dem Tag, an dem ursprünglich die Säugetiere erschaffen wurden. Diese Frage wird in unserem Kommentar besprochen werden.

Offenbar lehrte Rabbi diese Geheimnisse auch seinem Schüler Rav (Abba Arikhta), der sie wiederum Rav Yehudah (220 – 299 n.Chr), Gründer und erster Rektor der babylonischen Akademie zu Pumpadita, lehrte. Dieser Rav Yehudah wurde zusammen mit Rav Aina die „Ältesten von Pumpadita“ genannt. Der Talmud berichtet, daß die „Ältesten von Pumpadita im Maaseh Bereshit bewandert (tanu) waren.“ Aus dem Gebrauch des Wortes tanu wird offenbar, daß Maaseh Bereshit bereits in eindeutiger Form existierte, höchst wahrscheinlich als geschriebenes Buch. Dies würde bedeuten, daß das Sefer Jezira bereits niedergeschrieben war.

Es gibt auch Hinweise darauf, daß Rav Yehudah die Geheimnisse des Sefer Jezira von Rav lernte. Die Lehre: „Betzalel wußte, wie die Buchstaben zu vertauschen waren, mit denen Himmel und Erde erschaffen wurden“, wird „Rav Yehudah im Namen von Rav“ zugeschrieben. Ihm wird auch die Aussage zugeschrieben, daß Gott zu Abraham sagte „Laß ab von deiner Astrologie.“ Dies zeigt, daß er Hinweise hatte, daß Abraham in der Astrologie bewandert war, ein Standpunkt, der auch im Sefer Jezira wiederzufinden ist. Es gibt auch Hinweise darauf, daß Rav Yehudah die Geheimnisse des 42-buchstabigen Namens von Rav lernte.

Als ein Initiierter in die Geheimnisse des Sefer Jezira hatte Rav Yehudah auch ein tiefes Verständnis der mystischen Bedeutung der hebräischen Sprache. Wir finden daher, daß er den Gebrauch der hebräischen Sprache sogar im täglichen Gespräch besonders hervorhob. Rav Yehudah vertrat auch die Meinung, daß das Gebet in Hebräisch und nicht in der aramäischen Landessprache gesprochen werden sollte.

Der Talmud berichtet, daß Rav Yosef die Geheimnisse des Markava kannte, während die „Ältesten von Pumpadita“ in den Geheimnissen der Schöpfung bewandert waren. Rav Yosef brachte die Ältesten dazu, ihn die Geheimnisse der Schöpfung zu lehren, wollte sie aber im Gegenzug nicht in die Markava- Geheimnisse einweihen.

Das zeigt, daß die Geheimnisse der Markava und die des Sefer Jezira von verschiedenen Schulen gelehrt wurden und die Mitglieder einer Schule die Lehren der anderen nicht kannten. Die beiden behandelten unterschiedliche Disziplinen, und sie wurden sorgfältig getrennt gehalten. Das beantwortet auch die Frage, warum das Sefer Jezira nie im Hekhalot erwähnt wird, dem Klassiker der Markava-Literatur. Die Markava-Literatur wurde in einer Schule entwickelt, die keinen Zugang zum Sefer Jezira gehabt haben konnte, wenn auch seine Mitglieder bestimmt darin bewandert waren. Im gleichen Zusammenhang wird das Sefer Jezira im Sohar kurz erwähnt, jedoch nicht im Haupttext.

In dieser Epoche gab es einige Weise, die diese Mysterien völlig mieden. Ein solcher war Rabbi Eleasar ben Padat, welcher der Akademie in Tiberius nach dem Tod von Rabbi Yochanan in dem Jahr 279 n.Chr. vorstand. Als Rabbi Yochanan ihm angeboten hatte, ihn die Markava-Mysterien zu lehren, lehnte er mit der Begründung ab, daß er zu jung sei. Nach Rabbi Yochanans Tod, als Rabbi Assi ihm diese Mysterien übermitteln wollte, lehnte er wieder ab, indem er sagte: „So ich würdig gewesen wäre, hätte ich sie von Rabbi Yochanan, eurem Meister, gelehrt bekommen.“

Stattdessen nahm Rabbi Eleasar eine Position ein, die gegen die esoterischen Schulen gerichtet war, und akzeptierte sodann den Standpunkt von Rabbi Yosi ben Zimra. Er stritt ab, daß das Sefer Jezira tatsächlich dazu benutzt werden könnte, Leben zu erschaffen, und sagte im Namen von Rabbi Yosi: „So alle Menschen in der Welt zusammenkämen, könnten sie nicht eine Stechmücke erschaffen und könnten sie mit einer Seele erfüllen.“ Rabbi Eleasar zweifelte nicht, daß solche Mächte existierten. Jedoch fühlte er, daß sie nicht länger bekannt waren. Diese Mächte existierten jedoch in der Torah. Rabbi Eleasar sagte daher: „Die Abschnitte der Torah sind nicht in der rechten Reihenfolge. Falls sie in [rechter] Reihenfolge wären, würde jeder, der sie läse, fähig sein [eine Welt zu erschaffen], die Toten zu erwecken, und Wunder zu wirken.“

Eine Generation später finden wir zwei bedeutende Weise, die sich aktiv mit den Geheimnissen des Sefer Jezira beschäftigten. Der Erste war Rava (299 – 353 n.Chr.), Gründer und erster Rektor der babylonischen Akademie in Mechuza, dem folgender Ausspruch zugeschrieben wird: „Wenn der Gerechte es wünscht, können sie eine Welt erschaffen.“ Sein Partner war Rav Zeira, der als der „Heilige von Babylon“ bekannt wurde. So groß waren Rav Zeiras meditative Fähigkeiten, daß er in der Lage war, seine Füße ins Feuer zu stellen, ohne sie zu verbrennen. Er prüfte sich jeden Monat, um zu sehen, ob ihn diese Kraft nicht verlassen hatte. Bei einer solchen Gelegenheit lenkten ihn die anderen Weisen ab, und er scheiterte, woraufhin er „Der kleine Mann mit den verbrannten Füßen“ genannt wurde.

Eine alte Überlieferung berichtet, daß Rava und Rav Zeira für drei Jahre zusammenarbeiteten und über das Sefer Jezira meditierten. Als sie ihn schließlich beherrschten, schufen sie ein Kalb, schlachteten es und servierten es zu einem Fest, bei dem sie ihre Vollendung feierten. Sie verloren ihre Kräfte danach wieder und mußten weitere drei Jahre arbeiten, um sie wiederzuerlangen.

Der Talmud berichtet: „Rava schuf einen Mann“ und sandte ihn zu Rav Zeira. Als dieser erkannte, daß der Android seine Fragen nicht beantworten würde, wurde ihm bewußt, daß es ein Golem war, und er befahl ihm, „in den Staub zurückzukehren“. Der Bahir merkt an, daß der Golem nicht sprechen konnte, weil Rava nicht völlig vom Makel der Sünde befreit war, und daß solange der Mensch sündige, er an der Macht des Schöpfers nicht teilhaben könne. Nur Gott könne einen Menschen erschaffen, der sprechen kann. Dies ist die erste Erwähnung der Schöpfung eines Golem in der hebräischen Literatur, aber aus dem Mittelalter sind mehrere andere Beispiele überliefert. Sogar der Ausdruck „Rava schuf einen Mann“ hat mystische Nebenbedeutungen. Im Original ist es RaBhA BaRA GaBhRA und, wie ein früher Kabbalist bemerkte, ist das zweite Wort nichts anderes als die Umkehrung des ersten. Dem dritten Wort ist ein Gimmel, der dritte Buchstabe des Alphabets, hinzufügt. Dies ergibt eine Redewendung, die aus zehn Buchstaben besteht, mit dem Zahlwert 612, eins weniger als 613, die Zahl der Knochen und Blutgefäße im menschlichen Körper. Der Mensch, der von Rava erschaffen wurde, war daher etwas weniger als ein Mensch. Auf manche Art erinnert dieser Ausdruck an das Wort Abrakadabra
(ABRA K’ADaBRA), welches wörtlich „Ich werde erschaffen wie ich spreche“, bedeutet.

Während der Talmudischen Periode gab es viel Weise, die sich mit diesen Mysterien beschäftigten. Mit dem Ende dieser Ära wurde jedoch ein Mantel des Schweigens über alle okkulten Aktivitäten geworfen. Es scheint, daß eine Anzahl mystischer Bücher während der folgenden Gaonäischen Periode geschrieben wurde, aber ihre Ursprünge sind in den Nebel des Geheimnisses gehüllt. Das Wissen über diese Praktiken existierte bis spät in das 10. Jahrhundert hinein, und Hai Gaon (939 – 1038) spricht über Menschen, die sich mit der mystischen Vertauschung (tzeruf) von Buchstaben beschäftigten.

Texte und Kommentare

Bis in die Zeit der posttalmudischen Periode finden wir keine tatsächlichen Zitate aus dem Sefer Jezira. Einer der frühesten dieser Hinweise findet sich in einem Gedicht, das von Rabbi Eleasar Kalir geschrieben wurde, der im fünften oder sechsten Jahrhundert und vielleicht sogar früher lebte.

Er schreibt:

Dann, aus der Ewigkeit, mit Zehn Sprichworten meißeltest Du,
Mit Schreiber, Manuskript und Liste – Zehn,

Du fertigtest sie in sechs Richtungen,
Zehn Worte.

Es gibt auch im Bereita deShmuel HaKatan Anspielungen auf die Lehren des Sefer Jezira, der laut internem Material um 776 n.Chr. geschrieben wurde. Dort gibt es in einem späten Midrasch auch eine Erwähnung der „zehn Sefiroth des Nichts“, der etwa um diese Zeit herum abgefaßt wurde.

Das Fehlen aller unzweideutigen Hinweise auf das Sefer Jezira in der frühen Literatur hat einige Historiker dazu gebracht, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob die talmudischen Zitate sich auf unseren Text beziehen oder nicht. Einige vertreten die Meinung, daß unsere Version viel später als der Talmud geschrieben wurde. Eine Liste solcher Beurteilungen findet sich in Tabelle 1.

Die sorgfältige Analyse enthüllt jedoch eine Anzahl von Schichten im Text. Die frühesten Teile des Buches erscheinen sehr alt, was die Talmudische Ära vordatiert. Eine beträchtliche Menge des Textes scheint später, möglicherweise als Glossar oder Kommentar, hinzugefügt worden zu sein. Wie einige der frühen Kommentatoren des Sefer Jezira bemerken, wurden gelegentlich Kommentare und Randbemerkungen in den Text eingegliedert. Im 10. Jahrhundert schreibt Rabbi Yaakov ben Nissim: „Leute schreiben hebräische Kommentare zu dem Buch, und andere törichte Leute kommen später und kommentieren den Kommentar. Unter ihnen ist die Wahrheit verloren.“ Das überrascht nicht, da in talmudischen Zeiten solche Randbemerkungen sogar in biblischen Texten üblich waren jedoch war genug von ihrem Inhalt bekannt, so daß die Kommentare nicht in den Text eingegliedert wurden.

Mehrere Schichten werden im Sefer Jezira offenbar, einige wurden in der späten Talmudischen Periode eingefügt, andere kamen scheinbar in der Gaonäischen Ära hinzu. So würden kritische Einschätzungen bezüglich seines Alters davon abhängen, welche Teile man studiert.

Die frühen Kommentare zum Sefer Jezira wurden im 10. Jahrhundert geschrieben. Der erste wurde 931 von Saadja Gaon, einem der wichtigsten religiösen Führer und Philosophen seiner Zeit, geschrieben. Der zweite, Chakamoni, wurde von Rabbi Shabbatai Donnelo im Jahre 946 geschrieben, während ein dritter von Donash ibn Tamim ein Jahrzehnt später geschrieben wurde. Diese sind alle eher philosophischen denn mystischen Inhalts.

Sehr wichtig ist die Tatsache, daß jeder dieser Kommentare über eine andere Version des Sefer Jezira geschrieben wurde. Der Kommentar von Donash wurde über die Version geschrieben, die jetzt allgemein als die Kurze-Version bekannt ist. Mit geringfügigen Variationen war es diese Version, die im Jahre 1562 in der Mantua-Ausgabe abgedruckt wurde, und sie herrscht in allen nachfolgenden gedruckten Ausgaben vor.

Der Kommentar von Shabbatai Donnelo wurde über die Version geschrieben, die jetzt allgemein als die Lange-Version bekannt ist. Viele gedruckte Ausgaben beinhalteten diese Lange-Version als eine Art Anhang. Ein vollständiges Manuskript dieser Version aus dem 10. Jahrhundert findet sich auch in dieser Version. Obwohl es wichtige Unterschiede in der Zuweisung der Werte der Buchstaben und Planeten gibt, ist die Lange-Version der Kurzen Version sehr ähnlich, jedoch mit einem zusätzlichen Kommentar versehen. Dies wird besonders im sechsten Kapitel offenbar, wo wir einen Kommentar zu den ersten Strophen des Buches finden. Auch einige Wiederholungen sind sehr bedeutungsvoll (4:14, 5:20), die eigentlich revidierte Ausgaben des vorigen Textes sind. Die Existenz sowohl einer Kurzen als auch einer Langen Version wurde bereits im 13. Jahrhundert von Abraham Abulafia erwähnt.

Die dritte Version, von Saadja Gaon, ist auch in einigen frühen Geniza-Fragmenten zu finden. Sie ist der Langen Version sehr ähnlich, mit der Ausnahme, daß die Strophen in einer völlig anderen Reihenfolge stehen. Diese Variante, die Saadja Version genannt, ist von den Kabbalisten praktisch völlig ignoriert worden, obwohl sie anscheinend von Rabbi Yehudah HaLevi in seinem Kuzari benutzt wurde.

Bereits im 10. Jahrhundert erwähnte Saadja Gaon die vielen Varianten des Sefer Jezira, indem er sagte: „Es ist kein gewöhnliches Buch, und viele waren nachlässig bei der Abwandlung oder Transponierung des Textes.“ Ein Jahrhundert später bemerkte Rabbi Yehudah Barceloni: „Es gibt viele Versionen, einige sehr verworren.’’ Im Jahre 1562 bemerkten die Herausgeber der ersten Mantua-Ausgabe, daß sie viele Manuskripte sichten mußten, um einen verläßlichen Text zu erhalten.

Wenn man alle Varianten, die in Manuskripten zu finden sind, zählt, finden wir Dutzende verschiedener Variationen des Sefer Jezira Textes. Kein anderer jüdischer Text existiert in so vielen Versionen. Einige davon könnten von verschiedenen Schulen stammen, die, weil deren Lehren geheim waren, nicht miteinander kommunizierten. Verschiedene Randbemerkungen und Kommentare wurden in den Text übernommen und schufen wieder andere Varianten. Wenn der Text lange mündlich erhalten wurde, mögen sich dadurch auch Varianten in seiner Reihenfolge entwickelt haben.

Weiterhin gibt es noch eine andere Möglichkeit, nahegelegt durch die Tatsache, daß die Kabbalisten im wesentlichen alle oben erwähnten Versionen ablehnten. Es ist bekannt, daß die Kabbalisten während der Gaonäischen Periode (6. – 10. Jahrhundert) ihren Unterricht auf sehr kleine, geheime Gesellschaften beschränkten. Sehr großer Wert wurde der Aufrechterhaltung der Verschwiegenheit beigemessen, auf daß die Lehren nicht in falsche Hände fallen sollten. Da das Sefer Jezira ein sehr kleines Buch ist, stellte es das größte Risiko dar. Die Führer dieser Schulen mögen wissentlich falsche Versionen verbreitet haben, so daß jene verwirrt wurden, die versuchten in ihre Geheimnisse einzudringen. Mit mehreren Versionen in Umlauf würde der Uneingeweihte nicht wissen, welche er benutzen sollte.

Es waren die Kabbalisten selbst, die den korrekten Text, anfänglich verborgen vor Außenstehenden, bewahrten. Um 1550 sichtete Rabbi Moshe Cordevero, Führer der Safed Schule und der größte Kabbalist dieser Zeit, die zehn besten verfügbaren Manuskripte und wählte das aus, das am genauesten in die Tradition der Kabbalisten paßte. Eine Generation später wurde der Text durch den Ari (Rabbi Yitzchak Luria), einem der größten Kabbalisten aller Zeiten, weiter bearbeitet. Dieser Text, bekannt als die Ari Version, wurde eine Zeitlang, gewöhnlich als Teil einer anderen Sammlung, veröffentlicht. Er ähnelt der Kurzen Version in vielen Teilen, jedoch gibt es einige sehr bedeutungsvolle Unterschiede in den Zuweisungen. Im allgemeinen ist die Ari Version die einzige, die in Übereinstimmung mit dem Sohar steht.

Es wurde sogar eine Anzahl von Variationen in dieser Version gefunden, und ein abschließender redigierter Text wurde vom Gra (Rabbi Eliahu, Gaon von Vilna) schließlich im 18. Jahrhundert verfaßt. Sie ist als Gra-Ari Version, oder einfach als Gra-Version bekannt.

So gibt es also vier wichtige Versionen des Sefer Jezira:

Die Kurze-Version
Die Lange-Version
Die Saadia-Version
Die Gra-Version.

Da die Gra-Version von den Kabbalisten als die authentischste betrachtet wird, haben wir diese für die erste Übersetzung und den Kommentar ausgewählt. Die anderen drei Versionen werden in Anhang I aufgeführt.

Über achtzig Kommentare wurden über das Sefer Jezira geschrieben. Einige, besonders die frühesten, waren hauptsächlich philosophischer Natur. Mit dem Auftauchen der Kabbala als öffentliche Lehre wurden auch eine Anzahl kabbalistischer und mystischer Kommentare verfaßt. Als der Bahir und der Sohar veröffentlicht waren, arbeiteten Kommentatoren daran, das Sefer Jezira in das System dieser Texte einzuarbeiten. Das gleiche galt für die Lehre des Ari, die die späteren Kommentare beherrschte. Eine Geschichte der Kommentare zum Sefer Jezira liest sich wie eine Geschichte der Kabbala. Ein Verzeichnis der bedeutenden Kommentare findet sich in der Bibliographie.

Unser Kommentar des Sefer Jezira berücksichtigt die meisten davon wie auch unsere anderen Forschungen über die Methoden der Kabbalisten, und vieles davon ist in meinem Buch Meditation und Kabbalah veröffentlicht worden. Obwohl die verschiedenen theoretischen Zugänge auch wichtig sind, habe ich mich hauptsächlich auf die mystischen Techniken, die im Sefer Jezira umrissen werden, wie auch die meditativen Methoden, die sie andeuten, konzentriert.

Quelle: Aryeh Kaplan: Sefer Jezira. Das Buch der Schöpfung in Theorie und Praxis