Tehilim 96: Schiru – Schir chadasch!

Schiru laAdonaj Schir chadasch, schiru laAdonaj kal haArez.
Singt dem Ewigen neuen Sang, singe dem Ewigen alles Land.

Schiru laAdonaj – barkhu Schmo, basru miJom leJom Jeschu’ato.
Singt dem Ewigen, lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag seine Hilfe!

Sapru baGojim Kwodo, bekhal ha’Amim Nifleotav.
Erzählt bei den Völkern seine Ehre, bei allen Nationen seine Wunder.

Ki gadol Adonaj umehulal meod, nora hu al-kol-El.
Denn groß der Ewige und sehr gerühmt, furchtbar – er über alle Götter.

Ki kol-Elohej ha’Amim Elilim – veAdonaj Schamajim ‚asah.
Denn alle Götter der Völker Nichtse – der Ewige aber schuf die Himmel.

Hod-veHadar lefanav, ‚Os veTifäräth beMikdascho.
Erhabenheit und Glanz vor ihm, Macht und Herrlichkeit in seinem Heiligtum.

Hawu laAdonaj Mischpechoth ‚Amim, hawu laAdonaj Kawod va’Os,
Gebt dem Ewigen, Familien der Nationen, gebet dem Ewigen Ehr und Macht,

hawu laAdonaj Kewod Schmo, seu Minchah ubou leChazrotav!
gebet dem Ewigen Ehre seinem Namen, nehmt Gabe und kommt zu seinen Höfen!

Hischtachavu laAdonaj beHaderath-Kodesch, chilu mipanav kol-haArez!
Fallt nieder dem Ewigen in heilgem Schmuck, erbebet vor ihm alle Erde!

Amru baGojim Adonaj Malakh, af-Tikon Tewel bal-Timot, jadin ‚Amim beMejscharim.
Sagt bei den Völkern: ‚König – der Ewige!‘ Gar sicher das Festland – ohne Wanken. Er wird richten Nationen in Geradheit.

Jismechu haSchamajim vetagel haArez, jre’am haJam uMleoo.
Es freue sich der Himmel und es juble die Erde, es tose das Meer und was es füllt.

Ja’los Sadej vekhal-aschär-bo, as jeranenu kol-‚Azej-Ja’ar,
Es jauchzt das Feld und alles was darauf, dann jubeln alle Bäume des Waldes,

lifenej Adonaj, ki ba, ki ba lischpot haArez, jischpot-Tewel beZedek ve’Amim beÄmunatho.
vorm Ewigen, denn er kommt, denn er kommt zu richten die Welt, richten das Festland in Gerechtigkeit und Völker in seiner Treue.

Kommentar nach Raw S.R. Hirsch

1.Teil: Tehilim 96 1.-8.:
Während uns der Psalm 95 noch vor den Gefahren der Galuthwanderung warnt, widmet sich der Psalm 96 dem heitergrossen Sinn und Zweck unserer Wanderung inmitten der Völker: Der Weckung der allgemeinen Gotteshuldigung. Diese Aufgabe rief uns bereits der vorhergehende Psalm 95 einleitend ins Bewusstsein.

Schiru laAdonaj Schir chadasch, schiru laAdonaj kal haArez.
Singt dem Ewigen neuen Sang, singe dem Ewigen alles Land.

V.1. SCHIRU…
Israels Aufabe ist, mit einem neuen, Gott schauenden Lied in den Kreis der Völker zu treten, und dieses Neue ist die Einladung aller Menschen auf Erden, sich zu einer Gott schauenden Begeisterung zu einen. Diese Vereinigung aller Menschen in der schauenden Erkenntnis des Einzig-Einen ist das „Neue“, das als Frucht der Entwicklung der Zeiten einst die Erneuung und Verjüngung der Welt bringt, wie sie der Prophet Jeschaja (66, 22) beschreibt. Jedes Lied, das aus der Anschauung dieses Zukunftzieles quillt, heisst SCHIR CHADASCH (siehe Ps. 33, 3).

Schiru laAdonaj – barkhu Schmo, basru miJom leJom Jeschu’ato.
Singt dem Ewigen, lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag seine Hilfe!

V.2. BARKHU SCHMO…
…segnet Seinen Namen, d.i. fördert und verbreitet Seine Anerkennung. BASRU… bringet die Botschaft von der täglichen Spende des Gottesheils, wie nicht nur die ausserordentlichen Ereignisse, wie des tägliche, im gewohnten Verlauf der natürlichen Ordnung der Menschen gewonnene „wahrhafte Sein“ eine Spende der ewig wachen, fürsorgenden Gotteswaltung ist (s. Bereschit Rabba zu Bereschit 48, 15).

Sapru baGojim Kwodo, bekhal ha’Amim Nifleotav.
Erzählt bei den Völkern seine Ehre, bei allen Nationen seine Wunder.

V.3. SAPRU BAGOJIM…
Wo von GOJ LEGOJ im Auftreten und in internationalen Beziehungen der Völker, als einander gegenüberstehender geschlossener Körper, die Entfaltung der höchsten menschlichen Macht und Grösse hervortritt, da sollt ihr es wagen von den Gottes Macht und Grösse offenbarenden Grosstaten Gottes zu erzählen, und unter allen Völkern, inmitten des innern, menschengesellschaftlichen Verkehrs, wo mehr die Individualität, die Persönlichkeit des einzelnen sich geltend macht, da wagt es, überall auf den, in Seinen Wundem als die einzige, wirkliche Persönlichkeit sich kundtuenden Einzig-Einen hinzuweisen.

Ki gadol Adonaj umehulal meod, nora hu al-kol-El.
Denn groß der Ewige und sehr gerühmt, furchtbar – er über alle Götter.

V.4. KI GADOL
Sprecht es aus, dass „gross“ nur Gott ist, der die ganze Zukunft in Seinen Händen trägt, und zugleich unendlich klar und erkennbar aus allem, was ist, „wiederstrahlt“, als dessen „Tatoffenbarung“ alles Seiende erscheint (HALEL s. Ps. 48,2) und dass über alles hinaus, was der Menschenwahn vergöttert, Er in furchtbarer Erhabenheit steht.

Ki kol-Elohej ha’Amim Elilim – veAdonaj Schamajim ‚asah.
Denn alle Götter der Völker Nichtse – der Ewige aber schuf die Himmel.

V.5. KI …
Sprechet es zugleich aus, dass nur die Götter der Völker ELILIM, „verneinende“, d.i. versagende Götter sind, die nach der Vorstellung der Völker dem Menschengedeihen feindlich gesinnt sind, die der Mensch für sein Gedeihen zu fürchten, und daher deren vermeintliche Gunst durch vermeintliche Verehrung zu suchen hat (siehe Pent. Wajikra 19, 4). Gott aber, dessen Name „“ schon das gerade Gegenteil der Versagung ausspricht, der in jedem Augenblick vielmehr bereit ist, neues Sein und neue Zukunft dem Menschen zu spenden, Er ist nicht ein verneinender, Er ist der schaffende Gott des Weltalls, dem, was etwa an den vermeintlichen Göttern der Völker Wesenhaftes ist, in vollendeter Untertänigkeit für Seine Heileszwecke untersteht.

Hod-veHadar lefanav, ‚Os veTifäräth beMikdascho.
Erhabenheit und Glanz vor ihm, Macht und Herrlichkeit in seinem Heiligtum.

V.6. HOD
Er ist nicht neidisch auf das herrlichste Gedeihen der Menschen, vor Seinem Angesicht darf der Mensch in Wesens- und Machtherrlichkeit (siehe Ps. 21, 6) erscheinen, ja, vor Seinem Angesicht gewinnt er erst recht die Herrlichkeit seiner Machtstellung und die wahre Herrlichkeit seines Wesens, und sittliche Widerstandskraft, — die sich selbst das Ungebührende versagt — so wie die Herrlichkeit einer vollen Menschenentwicklung, sind in Seinem Heiligtum zu erreichen. (TIFERETH: die vollste Entfaltung des in einem Wesen liegenden Herrlichen, PAER ist das verstärkte BAER, hell, klar, sichtbar werden.) Ist ja Sein Heiligtum nicht eine Stätte der Vernichtung, sondern eine Stätte der Verwirklichung aller geistigen und sittlichen Menschengröße und Gewinnung alles dem Menschen möglichen Heils.

Hawu laAdonaj Mischpechoth ‚Amim, hawu laAdonaj Kawod va’Os,
Gebt dem Ewigen, Familien der Nationen, gebet dem Ewigen Ehr und Macht,

hawu laAdonaj Kewod Schmo, seu Minchah ubou leChazrotav!
gebet dem Ewigen Ehre seinem Namen, nehmt Gabe und kommt zu seinen Höfen!

V. 7. 8. MISCHP’HOTH AMIM
Die verschiedenen Völkerfamilien, Nationalitäten, so verschieden sie sind, in eines kommen sie alle zusammen, jede nimmt für sich: KAWOD, die hervorragende Bedeutsamkeit und: OS, Unüberwindlichkeit und Unwiderstehlichkeit in Anspruch. Zu ihnen soll daher Israel mit der Forderung hintreten, Gott alle KAWOD und OS zu geben, und endlich Seinem Namen, den sie schon lange kennen, die KAWOD, die Anerken nung zollen, die sie ihm bis dahin versagt. S’U MINCHAH: und nicht nur in Worten, tatsächliche Zeichen ihrer Huldigung mit allem dem, was sie ihr nennen, sollen sie nehmen, und damit in Seine Höfe, in die Um- und Vorräume Seines Heiligtums kommen…

Hischtachavu laAdonaj beHaderath-Kodesch, chilu mipanav kol-haArez!
Fallt nieder dem Ewigen in heilgem Schmuck, erbebet vor ihm alle Erde!

V. 9. Hischtachavu
Legt euch mit allem Eurigen Gott zur Erfüllung Seines Dienstes zu Füssen.
beHaderath-Kodesch, in der Herrlichkeitsentfaltung, die das Heiligtum dem Menschen verleiht. Diese Herrlichkeit, dieses HDR ist aber Gott gegenüber selbst nur HDRH, ein Abglanz der Herrlichkeit Gottes. chilu, chil sind wesentlich die kreissenden Geburtswehen. Die ganze Erde möge mipanav, vor dem Ernst Seines Angesichts, widerstandslos in die kreissenden Wehen ihrer Wiedergeburt eingehen.

Amru baGojim Adonaj Malakh, af-Tikon Tewel bal-Timot, jadin ‚Amim beMejscharim.
Sagt bei den Völkern: ‚König – der Ewige!‘ Gar sicher das Festland – ohne Wanken. Er wird richten Nationen in Geradheit.

Siehe Ps. 93, 1. Sprecht es unter den als Machteinheiten gerüsteten Nationen aus, nicht eher werde die Menschenwelt zur Ruhe gelangen, bis Gott die Herrschaft auf Erden angetreten haben, und Er, Sein Wille, Sein Gesetz die Menschengesellschaften in Mejscharim richten wird.
Die Basis der auf Gottes Willen zu erbauenden Menschengesellschaft ist ZeDeK, Recht, dessen Verwirklichung MiSCHPaT, die Rechtsordnung, und dessen Anwendung auf den einzelnen Fall DIN, das Rechtsurteil heisst. Allein eine Huldigung des Rechts, nach welcher jeder sich nicht nur mit seinen Ansprüchen, sondern auch mit seinen Leistungen nur innerhalb der vom Recht bezeichneten Grenzen hält, genügt weder für die sittliche Vollendung des Menschen, noch für die Heilesgestaltung der Menschengesellschaft.

LO CHARWAH IRUSCHALAJIM
ELE AL SCHEHE’MIDU DIWREHEM
AL DIN TORAH
(Bawa Mezia 30b)

Der jüdische Staat ist zugrunde gegangen, weil sie ihre Handlungsweise lediglich auf das strikte Recht basierten.
Für unsere Leistungen muss zu dem Begriff ZeDeK der Begriff ZDaKaH hinzukommen, der Begriff der Pflicht, der uns dem Nächsten auch das zu leisten gebietet, worauf er aus sich keinen Anspruch hat, was aber seiner Wohlfahrt und unserer, uns von Gott erteilten Bestimmung und Aufgabe entspricht (Vgl. Pent. Bereschit 15, 6; 18, 19; Dewarim S.235).
Dieses wohltuende Pflichtleben heisst hier MISCHaRIM, das JaSCHaR, das Gerade, unserer Natur und Bestimmung Entsprechende (vgl. Pent. Dewarim 6, 18; 12, 25).

Jismechu haSchamajim vetagel haArez, jre’am haJam uMleoo.
Es freue sich der Himmel und es juble die Erde, es tose das Meer und was es füllt.

Ja’los Sadej vekhal-aschär-bo, as jeranenu kol-‚Azej-Ja’ar,
Es jauchzt das Feld und alles was darauf, dann jubeln alle Bäume des Waldes,

lifenej Adonaj, ki ba, ki ba lischpot haArez, jischpot-Tewel beZedek ve’Amim beÄmunatho.
vorm Ewigen, denn er kommt, denn er kommt zu richten die Welt, richten das Festland in Gerechtigkeit und Völker in seiner Treue.

V. 11-13.: Nicht nur hier, überall, wo im heiligen Schrifttum die einstige Erlösung der Menschheit von der Sünde und deren Rückkehr zu ihrer ureigenen sittlich reinen Bestimmung unter Gott gefeiert wird, begegnen wir zugleich einer wieder aufblühenden Verjüngung der Natur. Es ist dies keine poetische Floskel. Es besteht ein inniges Band zwischen dem sittlichen Verhalten der Menschen und dem Gedeihen oder Gehemmtsein der Naturwelt, in welche Gott zur Lösung seiner Aufgabe den Menschen eingesetzt (siehe Pent. zu Bereschit 3, 17 — 19). Allein abgesehen davon: Wenn die Menschheit ihre Bestimmung erreicht, dann gelangt auch alles, was dem Menschen reift, und von ihm für seine Zwecke verwendet wird, zu seiner eigentlichen, höheren Bestimmung.
Allein, solange der Mensch alles, was seinem Dasein und Wirken dient, und was er Seiner Herrschaft unterwirft, nur in dem Dienst seiner Sinnlichkeit verbraucht, dann trauert der Himmel, wenn er sieht, welches Leben er mit dem Licht seiner Sonne weckt und mit seinen Regen- und Tautropfen großzieht, und, nach einem Ausdruck der Weisen, seitdem die Erde ihren Mund geöffnet, um das Blut eines Menschen von der Mörderhand seines Bruders aufzunehmen, seitdem hat sie ihren Mund nicht wieder zum heiteren Ausdruck aufgetan, sondern verstummt in stummem Weh über das Nichtige und Verbrecherische des Menschenlebens, zu dessen Erzeugerin, Trägerin und Ernährerin sie verurteilt ist.
Äcker und Felder freuen sich, wenn ihre Gaben zu einem gottgefälligen Menschenleben verwendet, und aus einem unfreien, physischen Naturleben, in den Bereich gottnaher, sittlicher Freiheit gehoben werden. Wird aber die Kraft, welche die Ähre dem Muskel verleiht, zu brudermörderischer Handlung, der Wein, den die Traube spendet, zu Genussvertierung verwendet, dann trauern Ähre und Traube.
Ganz besonders treten in diesen Schilderungen immer die Bäume des Waldes hervor. Der Wald ist gleichsam die Stadt der Tierwelt, und, gefällt, dienen seine Bäume dem Häuserbau und den mannigfachsten Zwecken des Einzel- und Verkehrslebens des Menschen. Steigt der Mensch auf Bergeshöhen und fällt Waldesriesen, um seine Bauten aufzuführen, und in diesen Bauten ein wahrhaft menschliches Leben zu entfalten, dann freuen sich die Bäume; sie haben früher einem schuldfreien, aber vernunftlosen Tierleben als Herberge gedient, und sind nun Wohnungen, in denen sich der gottgleiche Adel eines geistigen und sittlichen, gottgeweihten Strebens entfaltet. Müssen aber Zeder und Eiche von ihrer Höhe herabsteigen, um nichtigen Bestrebungen der Üppigkeit und der Gewalt zu dienen, dann weint und klagt der Wald: Was hat der Mensch für ein Recht, in die vernunftlose aber schuldfreie Natur einzugreifen, wenn er, der Vernunftfähige, sie einem vernunftwidrigen, schuldbesteckten Leben dienstbar macht?

Darum freut sich der Himmel, freudig laut wird die Erde, es jubeln die Gefilde, dann jauchzen auch alle Waldesbäume, wenn Gott eingreift in den irdischen Kreis, die Erde zu ordnen, die Ordnung der Menschenwelt auf der Basis des Rechts herzustellen und die Menschengesellschaften durch Seine, sie nimmer verlassende Treue zu ihrem Heil zu erziehen.

Mitten in der Schilderung der freudigen Erregung der ganzen Natur steht jre’am haJam uMleoo. Nun ist R’AM sonst nicht der Ausdruck einer freudigen Erregung. Speziell heisst es ja: Donner, und kommt auch sonst nur in ernster Anwendung vor, R’AM SCHRIM VTRU’AH, vom Kriegslärm (Ijow 39,25), R’AMU PNIM (Jecheskel 27,35), eine Bestürzung, wie vom Donner gerührt. Ahnlich: B’AWUR HR’AMIH (Schemuel 1. 6). Es bedürfte der Erwägung, in welchem Sinn dieser Ausdruck hier zu verstehen sei. Vielleicht braust das Meer im Donner seiner Wogen heran, in der Erwartung, dass es beim bevorstehenden Gottesgericht über die Menschen als Strafwerkzeug der verdienten Vernichtung dienen solle, nicht ahnend, dass jetzt die beglückende Unterordnung unter Gottes Heilesleitung beginnen soll, und die Erde vielmehr in freudiger Erregung diesem endlichen Anbruch des Gottesreiches auf Erden entgegensehe.

Quelle: Sefer Tehilim, Rabbiner Samson Rafael Hirsch, Morascha Zürich