Was und warum wird überhaupt am Schabbat gefeiert?

Abraham Heschel, Der Sabbat – seine Bedeutung für den heutigen Menschen

Man kann das jüdische Ritual als die Kunst charakterisieren, der Zeit gültige Formen zu geben, als Architektur der Zeit. Seine meisten Begehungen – der Sabbat, der Neumond, die Festzeiten, das Sabbatjahr und das Jobeljahr hängen an einer bestimmten Stunde des Tages oder der Jahreszeit. So bringt z.B. der Abend, der Morgen oder der Nachmittag die Aufforderung zum Gebet mit sich. Die Grundtatsachen des Glaubens liegen im Bereich der Zeit. Wir gedenken an den Tag des Auszugs aus Ägypten, an den Tag als Israel am Sinai stand und unsere messianische Hoffnung ist die Erwartung eines Tages, des Endes der Tage.

Sechs Tage der Woche kämpfen wir mit der Welt, ringen wir dem Boden seinen Ertrag ab; am Sabbat gilt unsere Sorge vor allem der Saat der Ewigkeit, die in unsere Seele gesenkt ist. Unsere Hände gehören der Welt, aber unsere Seele gehört einem anderen. Sechs Wochentage lang suchen wir die Welt zu beherrschen, am siebten Tag versuchen wir, das Selbst zu beherrschen.

Drei Taten Gottes kennzeichnen den siebten Tag: Er ruhte, er segnete und er heiligte den siebten Tag (1 Mose 2,2).

Arbeit ist eine Fertigkeit, vollkommene Ruhe aber ist eine Kunst. Sie ist das Ergebnis eines Einklangs von Körper, Geist und Phantasie. Um einen Grad an Vollkommenheit in der Kunst zu erreichen, muß man sich ihrer Ordnung unterwerfen, muß man der Trägheit abschwören. Der siebte Tag ist ein Palast in der Zeit, den wir bauen. Er besteht aus Einfühlsamkeit, Ausdruck der Freude und Suchen nach Ruhe. In seinem Bereich erinnert eine feste Ordnung an die Nähe zur Ewigkeit… Was ist so kostbar, daß es das Herz ergreift? Der Grund ist, daß der siebte Tag eine Goldgrube ist, wo man das kostbare Metall des Geistes finden kann, mit dem man den Palast in der Zeit baut, ein Bereich, in dem der Mensch bei Gott zu Hause ist, ein Bereich, in dem der Mensch bestrebt ist, der Gottesebenbildlichkeit nahezukommen … Die Liebe zum Sabbat ist die Liebe des Menschen für das, was er mit Gott gemeinsam hat. Daß wir den Sabbattag haben, ist ein Hinweis darauf, daß Gott den siebten Tag heiligte.

Der Sabbat ist eine Erinnerung an die beiden Welten – diese Welt und die zukünftige, er ist ein Beispiel für beide Welten. Denn der Schabbat ist Freude, Heiligkeit und Ruhe; Freude ist ein Teil dieser Welt, Heiligkeit und Ruhe gehören zur kommenden.

„Wie kostbar ist das Laubhüttenfest. Wenn wir in der Hütte weilen, wird sogar unser Körper von der Heiligkeit der Mitzwa umgeben“ sagte einst ein Rabbi zu seinem Freund. Worauf dieser antwortete: „Der Sabbat ist sogar noch mehr. Am Fest kannst du die Hütte für eine Weile verlassen, der Sabbat dagegen umgibt dich, wo immer du hingehst“.

Menucha, was wir gewöhnlich mit „Ruhe“ wiedergeben, heißt hier mehr als Abstand nehmen von Arbeit und Anstrengung, heißt mehr als frei sein von harter Arbeit, Mühe oder Tätigkeit irgendwelcher Art. Menucha ist kein negativer Begriff, sondern etwas Reales und durch und durch Positives. Das muß die Meinung der alten Rabbinen gewesen sein, wenn sie glaubten, daß ein besonderer Schöpfungsakt nötig war, um sie zu schaffen, daß das Universum ohne sie nicht vollkommen sein würde. „Was wurde am siebten Tag geschaffen? Gelassenheit, Heiterkeit, Frieden und Ruhe“ (Gen.rabba 10,9)

Der Sabbat ist der Tag, an dem wir die Kunst lernen, über die Zivilisation hinauszuwachsen…Die Lösung des schwierigsten Problems der Menschheit liegt nicht im Verzicht auf technische Zivilisation, sondern im Erreichen einer gewissen Unabhängigkeit von ihr… Am Sabbat leben wir sozusagen unabhängig von der technischen Zivilisation. Wir enthalten uns vor allem jeglicher Aktivität, die darauf abzielt, die Dinge des Raumes zu erneuern und zu ordnen.

Der Sabbat hat wie die Welt zwei Aspekte. Der Sabbat ist von Bedeutung für den Menschen und von Bedeutung für Gott. Er steht zu beiden in Beziehung und ist ein Zeichen des Bundes, den beide geschlossen haben. Was ist das Zeichen? Gott hat den Tag geheiligt, und der Mensch muß den Tag immer wieder heiligen, muß ihn erleuchten mit dem Licht seiner Seele. Der Sabbat ist durch Gottes Gnade heilig und bedarf dennoch aller Heiligkeit, die der Mensch ihm verleihen kann.

Observanz des siebten Tages ist mehr als eine Technik zur Erfüllung eines Gebotes.
(Anm: Observanz ist die Gesamtheit der Gebote, wie und in welcher Haltung man sie erfüllt)

Es ist ein alter Gedanke, daß der Sabbat und die Ewigkeit eins sind – oder gleichen Wesens. Eine Legende erzählt, daß Gott zu den Kindern Israel sprach als Er ihnen die Tora gab: Meine Kinder! Wenn ihr die Tora annehmt und meine Gebote befolgt, will ich euch auf ewig etwas höchst Kostbares geben, das ich besitze
Und was, fragten Israel „ist diese Kostbarkeit, die Du uns geben willst, wenn wir Deine Tora befolgen?“

– Die zukünftige Welt
– Zeige uns in dieser Welt ein Beispiel für die zukünftige
– Der Sabbat ist ein Bild der zukünftigen Welt

Eine uralte Tradition erklärt: Das Kennzeichen der zukünftigen Welt ist von der gleichen Heiligkeit, wie sie der Sabbat in dieser Welt besitzt … Der Sabbat besitzt eine Heiligkeit, die jener der zukünftigen Welt gleicht.

Dieser Gedanke, daß wir ein Siebtel unseres Lebens als Paradies erfahren können, ist für die Heiden ein Ärgernis und für die Juden eine Offenbarung.

Das Gefühl für die Heiligkeit der Zeit drückt sich in der Art und Weise aus, in der der Sabbat gefeiert wird. Um den siebten Tag zu halten, ist kein ritueller Gegenstand nötig, anders als bei den anderen Festen, wo solche Dinge für die Observanz wesentlich sind, wie z.B. ungesäuertes Brot, Schofar, Lulaw und Etrog oder der Torahschrein. Am Sabbat verzichtet man sogar auf die Gebetsriemen, das Symbol des Bundes, die an allen Wochentagen getragen werden. Symbole sind überflüssig, der Sabbat ist selbst Symbol… An jedem siebten Tag geschieht ein Wunder: die Auferstehung der Seele, der Seele des Menschen und der Seele aller Dinge…“

Aus:
Abraham Heschel: Der Sabbat – seine Bedeutung für den heutigen Menschen, Jüdische Verlagsanstalt, Aus dem Amerikanischen von Ruth Olmesdahl, Pb., 79 Seiten, ISBN 3-934658-87-3