Der Schabbat und die Arbeit: Awoda und Malacha

Aus dem Nebeneinander der Themen lernen wir nicht nur, dass der Bau des Stiftzeltes zeitlich nicht begrenzt ist und daher am Sabbat verboten ist, sondern auch, dass volle wechselseitige Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Wir entnehmen daraus, dass die erstaunlich ausführliche Darstellung der Arbeiten am Stiftzelt den Zweck erfüllt, uns zu zeigen, welche Arbeiten am Sabbat verboten sind.

Im Talmud (Schabbat 49b) heisst es: „Wem entsprechen die vierzig Hauptarbeiten weniger eine, von denen gelehrt wird? — Sie entsprechen den Arbeiten beim Bau der Stifthütte.“ Es gibt zwei Wege, an diese talmudische Lehre heranzutreten, der eine geht von rein ausserlichen, sprachlichen Tatsachen aus, der andere deckt inhaltliche Berührungspunkte und innere Zusammenhänge auf. Die erste Erklärungsmöglichkeit findet sich in der Fortsetzung der schon zitierten Talmudstelle: „Hierauf sprach Rabbi Jonathan ben Eleasar: So sagte Rabbi Schimon, Sohn des Rabbi Jose ben Lagonja:

Entsprechend [den Wörtern] Arbeit, seine Arbeit und die Arbeit, die vierzig weniger einmal in der Tora vorkommen.“ Unsere Weisen haben also die Zahl der am Schabbat verbotenen Hauptarbeiten entsprechend der Häufigkeit des Wortes „melacha“ in der Tora festgelegt. Der Talmud fährt dort fort und sagt: „Sie verliessen ihren Platz nicht, bis man ihnen ein Torabuch holte und sie zählten.“

In seinem Mischna-Kommentar zu Schabbat 7,2 schreibt Tossefot Jom Tov seine Antwort auf die ihm gestellte Frage, dass aus der Konkordanz beim Verbum laoch (von welchem melacha abgeleitet ist) zu ersehen ist, dass das Wort melacha in der Tora viel öfter vorkommt, wie folgt: Nur diejenigen Worte melacha werden gerechnet, bei denen weder eine Warnung noch eine Strafe steht.

Bei einem Versuch, in die Worte unserer Weisen tiefer einzudringen, werden wir gewahr, dass obgleich sie in zahlenmässig-statistischer Form ausgedrückt sind, es sich hier nicht nur um eine Gleichung von Zahlenwerten handelt. Wir müssen uns nämlich fragen, warum hier gerade der Begriff „Melacha“ betont wird und nicht andere Ausdrücke wie z.B. „Awoda“ (Tätigkeit) oder „Assija“ (Herstellung) angewendet werden, die auch häufig in Verbindung mit dem Schabbatgesetz und dem Bau des Stiftzeltes vorkommen. Wir werden dann zum Schluss kommen, dass der Gedanke, der dem Bau des Stiftszeltes zugrunde liegt, nur durch „melacha“ ausgedrückt werden kann und nicht durch „awoda“, und das was am Schabbat von der Tora verboten ist, die Verrichtung einer „melacha“ ist und nicht die einer „awoda“. Rabbiner S.R. Hirsch hat den Begriff „melacha“ in seinem Werk „Chorew“ (p144) folgendermassen definiert: die „Ausführung einer Idee an einem Gegenstand durch Kunstfertigkeit des Menschen, — oder überhaupt Produktion, Hervorbringung, Umschaffung eines Gegenstandes zum Menschenzweck; nicht aber Körperanstrengung. Du kannst den ganzen Tag dich abgemüht haben, hast du nicht produziert, keine Idee ausgeführt an einem Dinge, so hast du keine „melacha“ getan.“

Es scheint uns daher, dass es die Absicht unserer Weisen war, uns folgendes zu lehren — wenn auch, wie es bisweilen ihre Art ist, auf Grund philologischer Betrachtungen und trockener Zahlen:

Schabbat und Mischkan können auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden; es handelt sich bei beiden um eine schöpferische Tätigkeit, worin der Mensch sozusagen Partner G“ttes wird. Der Ewige, gelobt sei Er, hat die Welt aus dem Nichts geschaffen (creatio ex nihilo) und hat den Menschen mit der besonderen Fähigkeit begnadet, das Geschaffene umzuformen, seine schöpferische Idee der Materie aufzudrücken, die Idee eines mit Vernunft begabten Geschöpfes. Bei der Ausführung der Arbeiten zur Errichtung des Stiftzeltes konnten die Israeliten ihre Fähigkeiten zu schöpferischer Arbeit zeigen, eine Stätte zu schaffen, die die Nähe G“ttes symbolisiert, und am Schabbat soll der Jude beweisen, dass er auf seine ihm von G“tt gegebene Herrschaft über die Welt verzichtet, dass er sich der Verrichtung einer „melacha“ enthält.

Er gibt im Laufe eines ganzen Tages seine Herrschaft auf und bezeugt damit, dass er nur der Beauftragte ist, während der Schöpfer dieser Welt der wahre Herrscher ist. Das ist die Erklärung dafür, dass der Schabbat in unseren Gebeten auch „ein Gedächtnis an das Schöpfungswerk“ genannt wird.

In Bezug auf das Melacha-Verbot am Schabbat im Vergleich zu den Arbeiten an der Stifthütte wird im Talmud noch eine Erklärung gebracht: „Man ist nur wegen einer Arbeit schuldig, die beim Bau der Stifthütte ausgeübt wurde. Jene haben gesät, ihr sollt nicht säen; jene haben gemäht, ihr sollt nicht mähen“ (Schabbat — 49b). Dazu bemerkt Raschi: Sie säten und ernteten Farbstoffe zu verschiedenen Zwecken, und um Farben zu produzieren mussten sie auch mahlen und kneten.“ Die Gemara fügt noch hinzu: „Jene haben Bretter vom Boden auf den Wagen gehoben, ihr sollt nicht aus öffentlichem Gebiet ins Privatgebiet bringen.“

39 Arten der Arbeit

Um die logische Beziehung, die zwischen der Anzahl der am Schabbat verbotenen Arbeiten und dem Bau der Stifthütte besteht, besser zu verstehen, zitieren wir hier eine ausführliche Erklärung aus dem Aufsatz des Rabbiners Dr. J.M. Gutmann, s.A. „Die Arbeit am Schabbat im Lichte der Halacha“ (Hatsofe Le-chochmat Jisrael —1921):

„Es soll hier ein Versuch gemacht werden, die neununddreissig Typen von Arbeiten zu verstehen und ihre Übereinstimmung mit den Worten der Schrift zu erforschen. So stellt sich heraus, dass der Begriff „schewita“ (Arbeitsunterbrechung) im Zusammenhang mit drei Arten von „melacha“ angewandt wird.

1) Ackerbau

„Sechs Tage kannst du arbeiten, aber am siebten Tage feiere, selbst in der Pflügezeit und in der Ernte sollst du feiern“ (Ex. 34,21) — obwohl der Lebensunterhalt des Menschen hauptsächlich von ihnen abhängig ist (Ramban)… und folgende Arbeiten gehören zu dieser Kategorie: Säen, Ackern, Ernten, Garbenbinden, Dreschen, Windschaufeln, Früchte lesen. Diesesieben „melachot“ werden in der Mischna (Schabbat, Kap. 7,2) in der Liste der Hauptarbeiten ganz zuerst aufgezählt. Es ist selbstverständlich, dass die Zahl dieser Arbeiten nicht im Lehrhaus festgelegt wurden, denn jeder Landwirt kennt sich darin aus, und auch unsere Talmudlehrer selbst kannten diese Arbeit gewiss aus eigener Erfahrung und waren nicht auf die Auslegung des Textes angewiesen.

2) Die Vorbereitung von Speisen

Im Toraabschnitt über das „Man“ lesen wir: „Am sechsten Tage sollen sie zubereiten was sie eingebracht“ (Ex. 16,5) und weiter in demselben Kapitel (V. 23):

„Was ihr backen wollt, backet (heute), und was ihr kochen wollt, kochet (heute)“, das ist also eine andere Kategorie von verbotenen „melachot“: Mahlen, Sieben, Kneten und Backen. Diese melachot werden in der Mischna direkt nach den mit dem Ackerbau zusammenhängenden Arbeiten aufgezählt. Die Reihenfolge ist so logisch, dass sie keiner weiteren Erörterung bedarf.

Auch die zur Vorbereitung von Speisen nötigen Arbeiten sind aus dem Alltag genommen, und benötigen keine weiteren Schriftdeutungen. Mahlen, Sieben, Kneten und Backen konnte man in jedem Hause beobachten. Wesentlich ist, dass das Verbot, am Schabbat Speisen vorzubereiten, ausdrücklich in der Tora steht.

3) Das Handwerk

Alle Arten von Handwerk sind im Bau der Stifthütte enthalten. Es ist zu bemerken, dass das Verbot nicht ausdrücklich bei jeder Arbeit erwähnt wird, sondern es erscheint zweimal im Zusammenhang mit der Errichtung des Mischkan, und daraus folgern wir, dass die Arbeitsprozesse, die beim Bau des Stiftzeltes nötig waren, am Schabbat verboten sind…

Jetzt müssen wir erklären, welche Arbeiten beim Bau des Stiftzeltes nötig waren und in welche Kategorien sie eingeteilt werden können.

1. Textilfabrikation:

Da diese ein ziemlich weites Gebiet umfasst, können wir sie in Gruppen einteilen, nämlich, a) Vorbereitung der Wolle, b) Weben und Spinnen, c) Näherei.

a) Wollarbeiten: 1) Wolle scheren 2) sie waschen 3) klopfen 4) färben.

b) Weben und Spinnen: 5) spinnen 6) anzetteln 7) zwei Binde-Litzen machen 8) zwei Fäden weben 9) zwei Fäden trennen 10) einen Knoten machen 11) einen Knoten auflösen.

c) Näherei: 12) mit zwei Stichen festnähen 13) zerreissen, um mit zwei Stichen festzunähen.

In dieser Reihenfolge und in dieser Ausdrucksweise werden die Arbeiten in der Mischna aufgezählt.

2. Bearbeitung von Leder:

Ein Gebiet, das auch die Produktion von Pergament und Schreibarbeiten umfasst:

1) Ein Reh fangen 2) es schlachten 3) dessen Haut abziehen 4) sie salzen 5) das Fell bereiten 6) die Haare abschaben 7) es zerschneiden 8) zwei Buchstaben schreiben 9) auslöschen, um zwei Buchstaben zu schreiben.

3. Bauarbeiten:

a) bauen b) abreissen.

4. Metallarbeiten und Goldschmiedearbeiten:

a) Feuer anzünden b) löschen c) „der letzte Hammerschlag“*) Abgesehen von diesen „Melachot“ gibt es noch eine Tätigkeit, die allen gemeinsam ist, d.h. die in jeder Kategorie vorkommen kann: aus einem Bereich in einen anderen tragen. Das ist vielleicht der Grund dafür, dass diese Arbeit (in der Mischna) ganz zuletzt aufgezählt ist… Aus all dem hier gesagten geht also hervor, dass die Feststellung der neununddreissig „Melachot“ nicht das Ergebnis scharfsinniger Diskussionen war, sondern realen Arbeitsvorgängen entsprach, die innerhalb der Möglichkeiten der damaligen Kunstfertigkeit und handwerklichen Tätigkeit waren.

*) Irgendeine Handlung. die die Arbeit endgültig abschliesst, die in gewissen Fallen aus einem Schlag mit dem Hammer auf das beendete Produkt besteht.

Vielleicht ist es noch angebracht zu betonen, dass nur eine Hauptarbeit am Anfang unseres Wochenabschnittes angeführt wird: „Ihr sollt am Sabbat kein Feuer anzünden in all euern Wohnsitzen“ (Kap. 35,3). Das Feuer ermöglicht jede Art von Arbeit, und es gibt fast keinen technischen Vorgang, der nicht auf Feuer angewiesen ist. Deshalb schreibt die Aggada dem ersten Menschen (Adam) das Feuer als erste Erfindung zu. Nachdem er die Erfindung gemacht hatte, sagte er den Segensspruch über Feuer. So sagte Rabbi Jossi (Pessachim 54b): „Das Feuer sollte am sechsten Tage der Schöpfung, am Vorabend des Schabbat, geschaffen werden, aber tatsächlich wurde es erst nach Ausgang des Schabbat geschaffen, als der Ewige Adam, dem ersten Menschen, höhere Erkenntnis eingab und ihm eine Vision des Feuers zuteil werden liess. Er nahm darauf zwei Feuersteine, rieb sie aneinander, und so wurde ein Funke erzeugt. Nun sagte er den Segensspruch: „Gesegnet seist Du… Schöpfer der Lichtflammen des Feuers.“ Welch ungeheuerer Unterschied besteht zwischen dieser Aggada und dem griechischen Mythos, in dem Prometheus das Feuer von den Göttern stiehlt, jene sich an ihm rächen und ihm ewige Qualen auferlegen!

Zum Abschluss unserer Ausführungen über das Arbeitsverbot am Schabbat bringen wir noch eine Erklärung zu einem Brauch bei der Hawdala nach dem Ausgang des Schabbat. Die Mischna in Berachot (Kap. 8, M.6) lautet: „Man sage den Segensspruch über das Licht, erst nachdem man sich dessen bedient hat.“ In den Responsen des Rabbi Meir von Rothenburg findet sich eine geistreiche Begründung für das Beugen und Strecken der Finger während man das Licht geniesst. So sagt der Maharam: „Zuerst beugt er seine Finger, um damit anzudeuten, dass seine Hände — sozusagen —gefesselt waren, denn er durfte keine Arbeit tun, aber nachher streckt er seine Finger aus und nähert sie dem Licht, um damit anzudeuten, dass von jetzt an wieder jede Handarbeit erlaubt ist.“

Der Schabbat und das Heiligtum, die beiden Fundamente der Heiligkeit unserer Nation, sind in der Tora miteinander verbunden und fest miteinander verkettet, wie es heisst: „Meine Sabbate beobachtet und meine Heiligtümer ehret. Ich bin der Herr“ (Leviticus 19,30).

Quelle: Rabb. Bernhard S. Jacobson, Binah baMikra, Morascha Zürich