Brief des RaMBaN an seinen Sohn

Diesen Brief über Bescheidenheit schickte Rabbi Moses Ben Nachman, der RaMBaN, gesegnet sein Andenken, von Acco nach Katalonien an seinen Sohn und befahl ihm, wöchentlich einmal ihn zu lesen. Auch andere sollten mit ihm lernen, damit sie ihn auswendig können und sich schon in der Jugend an G’ttesfurcht gewöhnen. Er verhieß ihm, daß im Himmel sein Gebet erhört werde, wenn er diesen Brief lese. Jeder, der ihn regelmäßig lese, werde sicherlich vor jedem Leid bewahrt und der ewigen Seligkeit teilhaftig sein.

Der Zorn öffnet die Tore des Gehinom

,,Höre mein Sohn auf den Rat deines Vaters und verlasse nicht die Lehre deiner Mutter!

Gewöhne dich daran, zu jedem und immer sanft zu sprechen. Dadurch wirst du vor Zorn bewahrt, der eine böse Eigenschaft ist, die den Menschen zur Sünde veranlaßt. So sprechen unsere Lehrer s. A.: Wer in Zorn gerät, über den haben alle Mächte des Gehinnom Gewalt, und in der Schrift heißt es: Halte den Zorn deinem Herzen fern, so hältst du das Unglück fern von dir selbst!

Verachtung ist Empörung gegen G’tt

Erfülle dein Herz mit der Tugend der Demut. Sie ist die vorzüglichste aller Eigenschaften. Denn es heißt: die Folge der Demut ist G’ttesfurcht. Dann erwägst du, woher du kommst, wohin du gehst, und vor wem du einst Rechenschaft ablegen musst. Dann wirst du dich vor der Sünde hüten und mit dem dir beschiedenen Teil zufrieden sein.

Wenn du an die Demut dich gewöhnest, auch vor anderen Scheu hast und vor der Sünde dich hütest, so wird der Geist G’ttes auf dir ruhen, der Abglanz seiner Majestät, und das Leben der künftigen Welt wird dir zuteil. Mein Sohn! Denke darüber nach: wer sich im Herzen über die anderen erhebt, der empört sich gegen die Herrschaft G’ttes.

Worauf soll denn das Menschenherz stolz sein? Auf Reichtum? G’tt macht reich und arm. Auf Ehre? Sie ist G’ttes, wie es heißt: ‚Reichtum und Ehre sind von dir‘. Auf seine Weisheit? G’tt kann die Weisheit den Bewährten und die Redegabe den Ausgezeichneten nehmen.
Du siehst, vor G’tt ist alles gleich: wenn er zürnt, stürzt er die Stolzen, wenn er begnadigt erhebt er die Niedrigen. Darum erniedrige dich, so wird G’tt dich erhöhen.

Wiege die Worte ehe du sprichst

Und nun will ich dir erklären, wie du dich an Demut gewöhnen kannst und ihr treu bleiben. All dein Sprechen sei in Milde, dein Haupt gebeugt, dein Blick gesenkt, dein Herz aber nach oben gerichtet!

Missachte den Menschen nicht, jeder sei in deinen Augen mehr als du! Ist er weise oder reich, ehre ihn! Ist er arm und du bist reicher oder klüger, so denke: vielleicht ist er sündenloser und reiner als du. Er sündigt vielleicht nur aus Versehen, du aber absichtlich.

Bei all deinen Worten, Gedanken und Handlungen stelle dir vor, du stehest vor G’tt. Seine Majestät erfüllt ja die Welt. Dein Sprechen sei in Ehrfurcht und Zagen.
Achte stets darauf in der Thora zu forschen! Dann wirst du sie auch recht erfüllen können. Stehst du von einem Buche auf, so frage dich, ob in dem Gelernten etwas enthalten ist das du erfüllen kannst.
Morgens und abends prüfe dein Tun, so werden deine Tage alle eine Rückkehr zu G’tt sein.
Beim Gebet entferne die Dinge dieser Welt aus dem Sinn. Rüste dein Herz dem Allgegenwärtigen, gelobt sei er, entgegen, reinige deine Gedanken und überlege die Worte ehe du sie aussprichst.

Wenn du Zeit deines Lebens so verfährst dann wirst du nicht sündigen, deine Worte, Handlungen und Gedanken werden gerade sein, dein Gebet rein und lauter und andächtig, es wird von G’tt gelobt sei er, wohlgefällig aufgenommen werden!

Lies diesen Brief einmal wöchentlich. Versäume nicht auf ihn zu achten und durch ihn stets in G’ttes Wegen zu wandeln. So wirst du glücklich sein auf all deinen Wegen und die Seligkeit des Jenseits genießen, die den Frommen bestimmt ist.
So oft du ihn liest wird im Himmel die Sehnsucht deines Herzens erhört werden.
Amen, Sela!“

Quelle: Rabbiner Dr. Chone, Nachmanides, Biographie und Auszüge aus den Schriften, MORASCHA ZÜRICH