Parschat Wa’jischlach

Von Rabbi Menachem Leibtag
Schiurimreihe Fraenkelufer

Jaakows Namensänderung in JISRAEL scheint zwar Awrams Namensänderung in Awraham zu ähneln (vgl. 17:5 mit 35:10), aber in Wahrheit sind beide sehr verschieden. Im Gegensatz zu Awraham, wo nur ein einziger Buchstabe [„heh“] zum bestehenden Namen hinzugefügt wird, ist JISRAEL ein ganz NEUER Name. Zudem dient ‚Jisrael‘ als ALTERNATIVER Name für Jaakow, während AWRAHAM den alten Namen ersetzte!

Im Schiur dieser Woche erklären wir, wie die Natur dieser Namensänderung ein sehr kritisches Stadium des „Bechira“-Prozesses in Sefer Bereschit wiederspiegeln könnte.

EINFÜHRUNG

In seinem detaillierten Bericht über Jaakows Rückkehr nach Eretz Kenaan beschreibt Parschat WA’JISCHLACH ZWEI Momente, in denen er seinen neuen Namen Jisrael erhält:

Nach seinem Ringen mit dem „Mal’ach“ (Engel), vor seiner Konfrontation mit Esaw (siehe 32:24-30);
2) Später, bei Gottes Offenbarung in Bet El (35:9-13).

Um also der Bedeutung von Jaakows Namensänderung wirklich gerecht werden zu können, müssen wir uns diese beiden Ereignisse und ihre thematische Verbindung anschauen.

Wir beginnen unseren Schiur mit dem zweiten Ereignis, da sich hier die Beziehung zwischen dem Namen Jisrael und dem Prozeß der „Bechira“ abzeichnet – dem vorrangigen Thema von Sefer Bereschit.

DIE RÜCKKEHR NACH BET EL

Jaakows Rückkehr nach Bet El – an den Ort, wo er zwanzig Jahre zuvor seine allererste „hitgalut“ empfing – markiert den prophetischen ‚Höhepunkt‘ seiner Rückkehr nach Eretz Kenaan. Es war in Bet-el, wo Gott Jaakow zum ersten Mal mitteilte, daß er tatsächlich der ‚auserwählte‘ Sohn ist (siehe 28:12-14), und es war in Bet-el, wo Gott versprochen hatte, sich auf seiner Reise zu Laban um ihn zu kümmern.

[Erinnern wir uns aus unserem Schiur zu Parschat Lech L’cha, daß Bet El auch der Mittelpunkt von Awrahams „Alijah“ war, der Ort, an dem er eine Mizbajach errichtete und ‚den Namen Gottes anrief‘.]

Nun, bei seiner Rückkehr, erscheint Gott Jaakow ein weiteres Mal. Sehen wir uns diese Psukim genauer an und achten wir darauf, wie Gott nicht nur Jaakows „Bechira“ bekräftigt, sondern auch seinen Namen in Jisrael ändert:

„Da erschien Gott Jaakow abermals, als er aus Padan Aram kam, und Gott sprach zu ihm: >Dein Name ist Jaakow; doch du sollst nicht mehr Jaakow genannt werden, sondern JISRAEL soll dein NAME sein!< Also nannte er ihn Jisrael. Dann sprach Gott zu ihm: >Ich bin KEL SCHADDAI, fruchte und mehre dich … Das LAND aber, das ich Awraham und Jitzhak gegeben, DIR gebe ich es, und DEINEM SAMEN nach dir gebe ich das Land.<“ (35:9-16)

Dies ist das LETZTE Mal in Sefer Bereschit, wo Gottt die „Bechira“ bekräftigt [d.h. die Segnung von „Sera & Aretz“/ siehe 12:1-7, 13:14-16, 15:18, 17:7-8, 26:1-5, 28:13]; daraus können wir schließen, daß es eine thematische Verbindung geben muß zwischen diesem Namenswechsel zu JISRAEL und dem Abschluß des „Bechira“-Prozesses!

Um zu verstehen, weshalb gerade dieser Name – JISRAEL – gegeben wird, müssen wir zur ersten Stelle zurückkehren, an der Jaakow diesen Namen empfangen hat, d.h. nachdem er siegreich aus seinem Ringen mit dem „Mal’ach“ hervorgegangen ist.

WAS STECKT IN EINEM NAMEN?

Sehen wir uns an, wie es zu diesem Kampf kam und achten wir auf den Ablauf des Geschehens und die Art von Jaakows Verhalten insgesamt:

1. Jitzhak will Esaw mit Wohlstand und Macht segnen.

2. Jaakow ’stiehlt‘ Esaws Bracha.

3. Jaakow ‚flüchtet‘ nach Padan Aram.

4. Jaakow ‚flüchtet‘ aus Padan Aram.

5. Jaakow bereitet sich auf seine Konfrontation mit Esaw vor.

[Er will sich seinem Bruder unterwerfen.]

6. Gott schickt einen „Mal’ach“, um Jaakow entgegenzutreten.

7. Jaakow trifft auf Esaw und verbeugt sich zunächst sieben Mal vor ihm.

Bis zu diesem Punkt war Jaakows Leben davon bestimmt, daß er täuschen mußte, um zu erreichen, was ihm gebührte. In seinem Leben ist Jaakow ein Überlebensexperte geworden, aber ihm mangelte es an Erfahrung im ‚frontalen Kampf‘, worin Esaw wiederum sehr gut war.

Genau aus diesem Grund hatte Jitzhak ursprünglich Esaw den Segen erteilen wollen, denn er wußte, um ein Volk zu begründen, sind die Züge eines „Isch Sadeh“ unabdingbar, d.h. die Qualitäten, die man für eine Führungsrolle in weltlichen Dingen notwendig (siehe Schiur zu Parschat Toldot). In seiner Jugend mangelte es Jaakow, dem „Isch Tam“, an diesen Zügen. Sobald aber festgelegt war, daß Jaakow der EINZIGE auserwählte Sohn sein sollte, mußte er auch diese Charakterzüge entwickeln.

Bei seiner Rückkehr nach Eretz Kenaan muß Jaakow schließlich Esaw gegenübertreten. Aus Jaakows Strategie (siehe 32:13-21) wird jedoch ganz deutlich, daß er noch immer nicht bereit ist, Esaw als ein „Isch Sadeh“ gegenüberzutreten.

[Man könnte sogar annehmen, er plante, Esaw zu beweisen, daß er in Wahrheit niemals die Segnung für Wohlstand und Macht erhalten habe, die er zu stehlen versucht hatte. Indem er vor Esaw das Haupt beugt, will Jaakow zeigen, daß der ‚gestohlene Segen‘ für Wohlstand und Macht über seinen Bruder („hewei gwir l’achecha, jischtachavu l’cha bnei ij’mecha…27:29) in Wahrheit Esaw erteilt worden war. Ironischerweise greift Jaakow einmal mehr zur Täuschung, diesmal um seinem Bruder zu zeigen, daß seine ursprüngliche Trickserei zum ‚Diebstahl‘ des Segens bedeutungslos gewesen sei.

REALISMUS ODER TRÄGHEIT

Genau an diesem Punkt setzt Jaakows Ringen mit dem Mal’ach ein; NACH seiner Vorbereitung auf die Verneigung vor Esaw, aber VOR der tatsächlichen Konfrontation. Diese Abfolge der Ereignisse legt eine thematische Beziehung nahe zwischen diesem Kampf und jener Konfrontation.

Unter den Kommentatoren wird kontrovers diskutiert, ob Jaakow mit der völligen Unterwerfung unter seinen Bruder im Recht war. Manche sagen, Jaakow hätte seinem Bruder offen gegenübertreten und seinen Glauben ganz und gar in Gott setzen sollen, während andere der Meinung sind, daß seine zurückhaltende Strategie unter den gegebenen Umständen richtig war [diese ‚haschkafic‘-Kontroverse dauert bis heute an].

Unerachtet der ‚politischen Korrektheit‘ seiner Handlungen bleibt es dabei, daß Jaakow zur offenen Konfrontation mit Esaw nicht in der Lage ist. Dennoch hält Gott es für notwendig, daß Jaakow seine Fähigkeit zum Kampf unter Beweis stellt, falls ein Kampf in der Zukunft einmal sein muß. Jaakow muß nun beweisen, daß seine Unterwerfung unter Esaw eher seinem politischen Realismus als einer spirituellen Trägheit zu verdanken ist. Er muß beweisen, daß er kämpfen kann, wenn es darauf ankommt.

[Früher oder später wird es Kämpfe mit ähnlichen Menschen wie Esaw geben, soll es zur Begündung eines Volkes kommen.]

Vielleicht aus diesem Grund muß Gott Jaakows Kampffähigkeit auf die Probe stellen, BEVOR Jaakow auf Esaw trifft. Für Jaakow ist dieses Ringen mit dem „Mal’ach“ schwierig, denn er ist auf keinen Kampf vorbereitet; das Kräftemessen dauert die ganze Nacht fort, bis zum ‚Anbruch der Morgendämmerung‘. [Möglicherweise steht die Nacht für „Galut“, die ‚Morgendämmerung‘ für die Erlösung. Siehe Ramban, al atar.] Obgleich verwundet und hinkend, geht Jaakow doch siegreich aus dieser Konfrontation hervor und hat damit seinen neuen Namen verdient:

„Nicht Jaakow soll fortan dein Name heißen, sondern Jisrael (Gott kämpft), denn du hast mit göttlichen („Elokim“) und menschlichen Wesen GEKÄMPFT („anaschim“) und hast GESIEGT“. (32:29)

Der Name Jisrael widerspiegelt somit den Charakter eines in der Schlacht Siegreichen. Jaakows neuer Name ist bedeutsam, denn in ihm drückt sich seine Fähigkeit aus, sich kopfüber in den Kampf zu stürzen. Um zu einem Volk zu werden, ist dieser Zug, auf den der Name ‚Jisrael‘ hinweist, von entscheidender Bedeutung.

WESHALB ZWEIMAL?

Es ist nicht schon für sich bedeutsam, daß Jaakows sich diesen Namen im Kampf mit dem „Mal’ach“ verdient. Der Name muß später erst von Gott bestätigt werden, zusammen mit seiner „Bechira“, und zwar in Bet El (genau dem Ort, wo ihm die „Bechira“ zuerst versprochen worden war.) Es scheint somit, daß die Segnungen, die Jaakow während der ganzen Geschichte seiner Täuschungen zuteil wurden, ihm nun erst in der richtigen Weise erteilt werden müssen. Zuerst nennt Gott Jaakow ‚Jisrael‘, womit die Züge der weltlichen Führerschaft symbolisiert werden (35:9-10). Dann bekräftigt Gott den Segen, den Jitzhak ihm erteilt hatte (28:1-4).

Achten wir auf die offensichtliche Parallele zwischen den beiden Segnungen:

VON JITZHAK, VOR ABREISE VON GOTT, BEI ANKUNFT

(28:3-4) (35:11-12)

[Gehe nach Padan Aram…] […Jisrael soll dein Name sein]

Möge „Kel Schaddai“ dich segnen, Ich bin „Kel Schaddai“:

Dich fruchtbar machen und mehren, Sei fruchtbar und mehre dich,

daß du zu einer Schar von Völkern wirst. Eine Schar von Völkern

Und er gebe dir wird von dir herkommen …

Den Segen Awrahams, Das Land aber, das ich Awraham

Dir und deinem Samen mit dir, gegeben, dir gebe ich es, und deinem

Daß du das Land… in Besitz nimmst. Samen nach dir gebe ich das Land.

Dieser Vergleich zeigt eindeutig, daß Gottes Segen für Jaakow in Bet El eine genaue Bekräftigung von Jitzhaks Segen an Jaakow nach dem Ereignis des gestohlenen Brachot ist. Daraus dürfen wir schließen, daß der Name Jisrael den Abschluß des „Bechira“-Prozesses und zugleich einen wesentlichen Zug benennt, der für Gottes späteres auserwähltes Volk erforderlich ist.

DIE ZUKUNFT

Jaakows weltliche Züge mögen zwar für Generationen verborgen bleiben, sie müssen aber in seinem Charakter angelegt sein, bevor seine „Bechira“ die letzte göttliche Bekräftigung erfährt. [Später wird Jaakow seine beiden fähigsten Söhne Jehudah und Josef mit der Führerschaft auf diesem Gebiet segnen (49:8-26).]

Im Rest von Chumasch ist der Name Jaakow mit dem Namen Jisrael austauschbar. Das zeigt, daß jeder der beiden Namen für einen anderen Aspekt von Jaakows Charakter steht. Manchmal muß ‚Am Jisrael‘ als Jaakow, der „Isch Tam“, handeln, und zu anderen Zeiten wird der aktivere und nationalistischere Zug von Jisrael gebraucht. Schließlich wird der Tag kommen, wie der Prophet Obadja sagt, an dem folgendes geschieht:

„Und hinansteigen werden Befreier den Har Zion, um Har EISAW zu richten, und des Ewigen wird das KÖNIGTUM sein.“ (1:21)

Mit diesem Verständnis der besonderen Bedeutung des Namens Jisrael könnte man nun einen Grund dafür annehmen, daß der Prozeß der „Bechira“ nach Jitzhak noch eine Generation weitergeht. [Oder anders gesagt: weshalb mußte Esaw verworfen werden, da doch seine weltlichen Eigenschaften so wichtig sind?]

Unsere ursprüngliche Annahme, wonach sowohl die Züge eines „Isch Sadeh“ wie auch die eines „Isch Tam“ zur Begündung eines Volkes notwendig sind, bleibt aber richtig. Wichtig ist nun, daß beide Züge nicht als gleich bedeutsam aufgefaßt werden. Der grundlegende Charakter von Am Jisrael muß der eines „Isch Tam“ (Jaakow) sein. Erst wenn diese Charaktereigenschaft fest verwurzelt ist, können die Züge eines „Isch Sadeh“ hinzukommen. Wäre Esaw in ‚Am Jisrael‘ eingeschlossen worden, hätten wir die Bedeutung des „Isch Sadeh“ vielleicht nicht mehr richtig wahrnehmen können. Eine überproportionale Betonung des ‚Nationalismus‘ und der Stärke hätte – obgleich diese Eigenschaften wichtig sind – die Wahrnehmung der Menschheit von Gottes auserwähltem Volk trüben können.

In der Entstehungsphase unserer nationalen Entwicklung muß unsere äußere Erscheinung als ‚Jisrael‘ von unserem inneren Charakter als ‚Jaakow‘ herkommen. Zuerst müssen wir mit der ‚Stimme Jaakows‘ sprechen (siehe Raschi 27:22), und erst dann dürfen wir ‚in Esaws Haut schlüpfen‘.

FÜR WEITERE IJUN

A. Chazal sagt, daß der „Mal’ach“ der „Sar Schel Esaw“ war – Esaws Schutzengel.

1. Erklären Sie diesen Midrasch auf der Grundlage des obigen Schiur.

2. Wenn dieser „Isch“ tatsächlich ein „Mal’ach“ war, warum, glauben Sie, besteht die

Thora darauf, ihn einen „Isch“ zu nennen? [Beachten Sie die Verwendung von „Isch“ in Schmot Perek Bet.]

3. Weshalb, glauben Sie, ist die Tatsache von Bedeutung, daß Jaakow bei dieser Begegnung verwundet wurde? Weshalb müssen wir uns an diese Begegnung erinnern, wann immer wir Fleisch essen (Mitzwat Gid-ha’Nasche)? [Könnte das mit den Zügen eines „Isch Sadeh“ zusammenhängen?]

4. Erklären Sie die Auseinandersetzung zwischen Jaakow und seinen Söhnen über deren militante Reaktion auf die Handlungsweise von Chamor ben Schchem in bezug auf den Hauptpunkt des obigen Schiur.

B. Es gibt einen Midrasch, der uns sagt: ‚Jaakow Awinu lo mejt‘ – Jaakow ist niemals gestorben.

1. Setzen Sie diesen Midrasch zu der Tatsache in Beziehung, daß der Prozeß der „Bechira“ mit Jaakow endet und daß alle seine Nachfahren auserwählt wurden.

2. Stellen Sie auch einen Bezug zu 49:33 im Vergleich zu 35:29 und 25:8 her.

C. Rachel stirbt zwar vorzeitig, und Reuwen verhält sich unangemessen, aber dennoch schließt die Einheit, die mit „Toldot Jitzhak“ begann (25:19), nun mit:

„Und die Söhne Jaakows blieben zwölf an der Zahl …“ (35:23-29)

1. Erklären Sie die Struktur des Abschlusses dieser Einheit auf der Grundlage des obigen Schiur.

D. TOLDOT ESAW

Jitzhak wurde auserwählt. Daher müssen wir der Toldot von Esaw folgen, ebenso, wie wir der Toldot von Jischmael & Lot folgen müssen.

1. Erklären Sie ausgehend von dieser Annahme Perek 36.

2. Weshalb glauben Sie auf der Grundlage des obigen Schiur, daß eine Betonung auf die Könige gelegt wird, die in Edom herrschten, bevor ein König über Bnei Jisrael herrschte (siehe 36:31)!

E. BRIT MILAH & GOTTES SEGNUNG JAAKOWS

Schon eine flüchtige Analyse von Gottes letzter Segnung Jaakows in Bet El (35:9-15) zeigt, daß dabei an Brit Milah gedacht wird (Bereschit perek 17). Der Name Kel Schaddai; Pru u’Rwu; Khal Goyim & Mlachim; Schem Elokim; und der Begriff der l’Hiyot lcha l’Elokim sind in Brit Milah zu finden.

  1. Beachten Sie, daß die Bracha von Brit Milah, die in Perek 17 damit begann, daß Kel Schaddai Awraham sagte: „hit’ha’lejch l’fa’nei – w’hejeh TAMIM“, nun an Jaakow – den ISCH TAM – erteilt wird. Versuchen Sie, die Bedeutung dieser Tatsache zu erklären.
  2. Vergleichen Sie sorgfältig Jitzhaks Bracha und die von Jaakow vor seiner Abreise nach Padan Aram (28:3-4) mit Gottes Segnung Jaakows in Bet El (35:9-13)! Beachten Sie, daß sie fast identisch sind. Setzen Sie dies zu den beiden letzten Schiurim in Beziehung.
  3. Beachten Sie, daß Gottes Name Bschem Hawaja Jaakow nicht mehr erscheint, nachdem er in Eretz Kenaan angekommen ist! Beachten Sie auch Gottes Versprechen an Jaakow in Bet El, bevor er nach Padan Aram aufbrach (28:13-15), ein Versprechen, das Bschem Hawaja gegeben wurde. Werden Aspekte dieser „Bracha“ in Bet El nach Jaakows Rückkehr wiederholt? Wenn ja, welche?
  4. Achten Sie darauf, wie Jaakow den Ausdruck Schem Hawaja in seinem Gebet vor der Konfrontation mit Esaw (32:9-12) verwendet. An welches Versprechen erinnert er Gott zu diesem Zeitpunkt? Wo ist die Quelle dieses Versprechens? Äußern Sie sich über die Beziehung (Bschem Hawaja) zwischen Brit Bein HaBtarim, der Bracha bei der Akejda und dieser Tfila. Achten Sie auf „Kochwei Ha’schamajim“ und „ascher lo Jisafer m’row“. In welchem Bezug steht dies zum nationalistischen Aspekt dieser Offenbarungen, d.h. zum Begriff von „Jerushat ha’Aretz“?
  5. Jaakow legte in Bet El ein Neder ab. Welchen Teil dieses Neder erfüllte er bei seiner Rückkehr, welchen ließ er unerfüllt? Beziehen Sie sich auf 35:14-15, beachten Sie HaSchems Namen in diesem Perek! Läßt sich daraus erklären, weshalb Jaakow kein Beit Elokim errichtet hat?
  6. Lesen Sie Ramban zu Bereschit 12:8. Er erklärt die Bedeutung der Errichtung eines Mizbajach und der Ausrufung von Bschem Hawaja. Ramban erklärt auch, weshalb Awraham und Jitzhak dies taten, nicht aber Jaakow. Setzen Sie Rambans Erklärung in Bezug zum obigen Schiur.
  7. Erinnern Sie sich an den letzten Schiur über den Unterschied zwischen Brit Bein Ha’btarim (Schem Hawaja), Brit Milah (Schem Elokim und Kel Schaddai). Beachten Sie den nationalistischen Aspekt von Brit Bein Ha’Btarim, und achten Sie auch darauf, daß es erst nach 4 Generationen und/oder vierhundert Jahren erfüllt werden sollte. Erklären Sie vor diesem Hintergrund, weshalb Schem Hawaja Jaakow nicht erscheint und weshalb statt dessen die Sprache von Brit Milah betont wird. Formulieren Sie daraus eine mögliche Erklärung dafür, weshalb Jaakow bei der Konfrontation mit Esaw zu diesem Zeitpunkt passiv bleibt.
  8. Könnte man aus einer nationalistischen Perspektive sagen, daß Jaakow, obgleich er aus Galut Aram zurückkehrte, in Eretz Kenaan nur einen Zwischenstop auf dem Weg hinunter nach Galut Mitzraim einlegte?

Setzen Sie dies in Bezug zu „arami oved awi, wa’jered mitzraim…“ (Dewarim 36:3-10). Vergleichen Sie die Sprache dort mit Brit Bein Ha’btarim! Weshalb deuten Chazal diesen Pasuk so, daß sie sich auf Jaakow beziehen? Könnte die Tatsache daß Jaakow verstand, daß die Zeit für die Erfüllung von Brit Bein Ha’btarim noch nicht gekommen war, seine Zurückhaltung in der Konfrontation mit Esaw erklären?

Weshalb geht Jaakow bei seiner Ankunft in Eretz Kenaan nicht direkt nach Hause? Schließlich hat er seine Eltern seit über zwanzig Jahren nicht gesehen!

Und weshalb kehrt Jaakow nicht gleich nach Bet El zurück, um sein „Neder“ zu erfüllen? Schließlich hatte er Gott versprochen, ‚sollte er sicher heimkehren‘, würde er ein Bet Elokim in Bet El errichten (siehe 28:21-22)!

Statt dessen erwirbt Jaakow Grund und Boden und richtet seinen Haushalt in Schechem ein. Erst viel später zieht er nach Bet El weiter, erst NACH dem Zwischenfall mit Dina und erst, nachdem Gott es ihm befiehlt! [Siehe 33:18-35:1.]

Was geht hier vor?

Im Schiur dieser Woche schlagen wir eine ganz einfache Antwort auf der Grundlage einer recht komplizierten Analyse vor.

EINFÜHRUNG

Beginnen wir unseren Schiur mit einer Aufstellung des Themenflusses von ‚Parschia‘ zu ‚Parschia‘ innerhalb von Parschat WA’JISCHLACH.

PSUKIM ALLGEMEINES THEMA

—— —————

(A) 32:3-33:17 Jaakows Konfrontation mit Esaw bei seiner

Rückkehr nach Eretz Kenaan.

(B) 33:18-20 Jaakows Ankunft in Schechem.

(C) 34:1-31 Der Zwischenfall mit Dina in Schechem.

(D) 35:1-8 Jaakows Aufstieg nach Bet El auf der Flucht aus

Schechem und die Errichtung eines Mizbajach.

(E) 35:9-22 Gottes Segnung Jaakows in Bet El, gefolgt von

Rachels Tod und der Geburt Benjamins.

(F) 35:23-29 Überblick über Jaakows Kinder, gefolgt vom

Tod Jitzhaks.

(G) 36:1-19 TOLDOT Esaw…

Auf den ersten Blick scheint diese Abfolge der Ereignisse ganz logisch. Schauen wir jedoch sorgfältiger hin, stellen sich mehrere schwerwiegende Probleme:

VERSPRECHEN HALTEN

Als Jaakow Eretz Kenaan zum ersten Mal Richtung Padan Aram verließ, versprach Gott, ‚mit ihm zu sein‘ und für seine sichere Heimkehr zu sorgen (28:15). In Erwiderung auf dieses göttliche Versprechen legte Jaakow ein „Neder“ (Gelübde) ab, daß er im Fall, daß Gott sein Versprechen hielte, nach Bet El zurückkehren und ein Bet Elokim errichten werde (siehe 28:18-22). Nun kann kein Zweifel bestehen, daß Jaakows Rückkehr aus Padan Aram mit diesem „Neder“ in Zusammenhang steht, denn Gott selbst erwähnt es, als er Jaakow befiehlt ‚heimzukehren‘:

„Ich bin der Gott von Bet El, wo du eine Matzejwa gesalbt, wo du mir ein

NEDER getan hast; nun mach dich auf, ZIEH HINWEG aus diesem Land

und KEHRE in dein Geburtsland ZURÜCK.“ (siehe 31:11-13)

Daher sollten wir erwarten, daß Jaakow nach seiner Rückkehr gleich nach Bet El geht, um sein „Neder“ zu erfüllen. Aus irgendeinem Grund zieht Jaakow jedoch zuerst nach Schechem und bleibt dort.

EHRE DEINEN VATER …

Noch beunruhigender ist die Tatsache, daß Jaakow nicht zuerst heim nach Hebron geht, um seine Eltern wenigstens zu begrüßen, die er seit über zwanzig Jahren nicht gesehen hat! Um zu beweisen, daß Jaakow genau dies ursprünglich vorhatte, brauchen wir nur zu zitieren, wie die Thora seine Abreise aus Padan Aram beschreibt:

„Da machte sich Jaakow auf, hob seine Kinder und seine Frauen auf die

Kamele und führte all sein Vieh und alle seine Habe …, die er in Padan Aram

erworben hat, UM ZU SEINEM VATER JITZHAK in das Land Kenaan ZU

KOMMEN.“ (31:17-18)

Statt dessen läßt sich Jaakow aber in Schechem nieder. In der Tat spricht die Thora im Pasuk vor Jitzhaks Tod bloß von Jaakows Rückkehr in sein Vaterhaus (siehe 35:27-29)! Aus irgendeinem Grund erfahren wir keine Einzelheiten (und kein Datum) dieser Wiedervereinigung.

NUR EIN ‚ZWISCHENSTOP‘?

Wenn man nur flüchtig liest, könnte man diese beiden Fragen dadurch beantworten, daß man einfach erklärt, Schechem sei nichts als ein kurzer Zwischenaufenthalt auf Jaakows Reise nach Bet El; wegen des zarten Alters seiner Kinder und wegen seiner zahlreichen Besitztümer sei es nötig gewesen, langsam zu reisen (siehe 33:12-15!). Damit ließe sich Jaakows ‚kurzer Aufenthalt‘ in Schechem genauso erklären, wie sein anderer ‚kurzer Aufenthalt‘ in Sukkot (siehe 33:17).

[Siehe weitere Ijun betreffs Jaakows Aufenthalt in Sukkot.]

Akzeptieren wir jedoch diese Annahme, dann müßten wir zu dem Schluß kommen, daß sich der ganze Zwischenfall mit Dina binnen weniger Tage nach Jaakows Ankunft in Schechem ereignete – ein Folgerung, die sich aus zwei Gründen nur schwer halten läßt.

1) Jaakow legte den Weg von Padan Aram nach Har ha’Gilad in nur sieben Tagen zurück (siehe 31:21-23, lesen Sie sorgfältig). Nun ist dieser Weg viel weiter als der von Gilad nach Bet El. [Schauen Sie auf einer Landkarte nach.] Daher scheint es keinen Grund zu geben, weshalb Jaakow den Rest seines Weges nicht in zwei oder drei Tagen zurücklegen kann, in einer Woche allerhöchstens!

2) Selbst wenn Jaakow in Schechem keine ‚Pause‘ für einige Tage plant, weshalb sollte er ein Stück Land kaufen? Zudem vermittelt Abschnitt 34 insgesamt den Eindruck, daß Jaakow und sein Familie sich in Schechem so gut wie niedergelassen haben (siehe 34:7, 34:10, 34:21 etc.). Wenn wir „Pschat“ folgen und uns das Alter der Personen vergegenwärtigen, dann sind wir fast zu dem Schluß gezwungen, daß der Zwischenfall mit Dina mehrere JAHRE nach Jaakows Ankunft in Eretz Kenaan stattfand!

Erklären wir die Gründe dafür:

BAR-MITZWAH – JUNGEN ODER ERWACHSENE?

In der Beschreibung, die die Thorah von dem Vorfall mit Dina in Schechem gibt (34:1-31), (zumindest nach „Pschat“), müssen Schimon & Lewi mindestens schon Teenager sein und auf die zwanzig zugehen, während Dina mindesten zwölf Jahre alt sein muß. [Obgleich sie in Schechem einmal als „Jaldah“ bezeichnet wird (siehe 34:4), nennt die Thora sie konsequent eine „Na’arah“ (siehe 34:3,12).]

Rechnen wir uns kurz das Höchstalter der Kinder Jaakows bei der Ankunft in Eretz Kenaan aus:

Jaakow lebte zwanzig Jahre bei Laban (siehe 31:41), heiratete Leah aber erst nach sieben Jahren Arbeit (siehe 29:18-23), d.h. dreizehn Jahre vor seiner Heimkehr. Daher kann Reuwen nicht älter als 12, Schimon erst 11, Lewi 10 usw. sein. Zudem kann Dina – Leahs siebtes Kind (& denken wir daran, daß es zwischen Jehuda und Yisachar ein Pause gegeben hat/ siehe 30:9) – nicht viel älter als 5 Jahre sein, wahrscheinlich sogar jünger!

Selbst wenn wir dem Midrasch darin folgen, daß Jaakow 18 Monate in Sukkot blieb (siehe Raschi 33:17), stehen wir doch vor einem großen Problem.

Hat es überhaupt Sinn, daß der Vorfall mit Dina sich ereignet, als Dina noch im ‚Kindergarten‘ ist und Schimon, Lewi und die anderen Brüder erst noch das Alter für die ‚Bar-Mitzwah‘ erreichen müssen?

Diese Berechnung zwingt uns fast zu dem Schluß, daß sich der Vorfall in Schechem mindestens fünf Jahre später ereignet! Wenn das aber der Fall ist, wird unsere ursprüngliche Frage noch schwieriger. Kann es sein, daß Jaakow über FÜNF Jahre in Schechem bleibt, ohne nach Bet El zurückzukehren, ohne zu seinen alten Eltern nach Hause zu gehen?!

Beide Versionen sind kaum zu akzeptieren.

‚EIN RUF NACH ORDNUNG‘

Immer wenn man vor einem Dilemma wie dem obigen steht, liegt die Versuchung nahe, die chronologische Ordnung der Erzählung zu ‚korrigieren‘. In Chazal kennt man das als Prinzip „ein mukdam u’muchar ba’Torah“ – d.h. die Erzählung in Chumasch folgt nicht unbedingt immer der chronologischen Ordnung. Das Prinzip „ein mukdam u’muchar“ bedeutet jedoch nicht, daß die Geschichten in Chumasch willkürlich angeordnet sind, und man darf dieses Prinzip auch nicht als ‚Freibrief‘ zur Lösung von Schwierigkeiten in Pschat mißverstehen. Dennoch zeichnet die Thora gewisse Parschiot manchmal tatsächlich ‚außerhalb der chronologischen Reihenfolge‘ auf, und zwar aus thematischen Gründen. [Wie oft das geschieht, darüber streiten sich die Kommentatoren.]

Wichtig festzuhalten ist, daß wir im Fall von „ein mukdam u’muchar“ nicht vergessen, daß diese Fälle sich nur auf der Ebene der ‚Parschia‘ abspielen. Das heißt, INNERHALB einer bestimmten ‚Parschia‘ werden wir nicht finden, daß die Ereignisse chronologisch ungeordnet aufgezeichnet sind, jedoch kann es an bestimmten Stellen sein (und zwar aus thematischen Gründen), daß eine GANZE ‚Parschia‘ – deren Ereignisse sich früher abgespielt haben – später aufgezeichnet ist (und umgekehrt). [Man spricht hier manchmal von „Smichut Parschiot“.]

Sehen wir nun zu, ob wir dieses Prinzip anwenden können, um die Probleme im obigen Schiur zu lösen.

Wir beginnen damit, daß wir einen logischen Grund (und einen thematischen Zweck) für die verschiedenen Stadien von Jaakows Reise vorschlagen.

AUF DER SPUR VON AWRAHAM AWINU

Eigentlich hätten wir unseren Schiur mit einer grundlegenderen Frage beginnen sollen: Weshalb macht Jaakow überhaupt in Schechem halt? Weshalb zieht er nicht direkt von Sukkot nach Bet El oder nach Hebron?

Die Antwort liegt in der offensichtlichen Parallele zur ersten Reise von Awraham Awinu von Aram nach Eretz Kenaan. Auch er macht Schechem zu seinem ERSTEN Halt und errichtet dort eine MIZBAJACH:

„Und Awram durchzog das Land bis zur Stätte von SCHECHEM …

Da erschien der Ewige Awram und sprach: >Deinem Samen

will ich dieses Land geben.< Da erbaute er dort eine MIZBAJACH

dem Ewigen, der ihm erschienen.“ (12:6-7)

[Vergleiche auch 12:5 mit 31:17-18!!]

Auf ganz ähnliche Weise legt auch Jaakow in Schechem seinen ersten Halt ein, und auch er errichtet dort eine MIZBAJACH (siehe 33:18-20). Im Gegensatz zu Awram erwirbt Jaakow aber AUCH Land, d.h. er kauft ein Feld (siehe 33:19). Wir werden gleich den Grund dafür erklären.

Wenn Jaakow tatsächlich in die Fußstapfen seines Großvaters tritt (wie man aus seiner Ankunft in Schechem schließen kann), dann sollte er auch direkt nach Bet El weiterziehen, wie Awraham Awinu das getan hat (siehe 12:7-8). Und zwar nicht nur, um es Awraham nachzutun, sondern auch, um sein „Neder“ zu erfüllen. Und gleich danach sollte er seine Eltern besuchen.

Weshalb bleibt er also in Schechem? Bloß, weil er dort ‚Grund und Boden‘ erworben hat?

Man könnte auch genau das Gegenteil annehmen. Jaakow BLIEB NICHT IN SCHECHEM! Er machte dort nur halt, um eine MIZBAJACH zu errichten und damit Gott für seine sichere Ankunft zu danken. [Lesen Sie 33:18 („Schalem“) und 33:20 („Kel Elokei Israel“) sorgfältig!] Immerhin kaufte er mit Blick auf seine Zukunft ein Stück Land (siehe 33:19), aber gleich nach diesem Kauf zog er weiter nach Bet El, genau wie Awraham Awinu, und genau, wie er es in seinem „Neder“ gelobt hatte.

Aus einem bestimmten Grund (den wir gleich erklären werden) verzeichnet die Thora jedoch diesen Teil seiner Reise erst viel später (in 35:9). [Ich empfehle, vor der Lektüre dieser Psukim darauf zu achten, wie in einem Tanach Koren eine NEUE ‚Parschia‘ begonnen wird]:

„Und Gott [war schon /“od“? / oder ‚wieder‘] Jaakow BEI SEINER ANKUNFT

aus Padan Aram erschienen und hatte ihn gesegnet, indem er sprach …

dann errichtete Jaakow eine MATZEJWA an dieser Stelle … und nannte

den Namen des Ortes BET EL. Dann zogen sie gen Efrat“ [d.h. in Richtung

Hebron], und Rachel gebar schwer [und starb]… (vgl. 35:9-19)

Wir behaupten nun, daß diese ganze ‚Parschia‘ (35:9-22) sich tatsächlich gleich nach Jaakows Ankunft aus Padan Aram vollzog (wie der Pasuk am Anfang nahelegt / vgl. 33:18!), damit aber mehrere Jahre VOR dem Zwischenfall mit Dina in Schechem (d.h. 34:1-35:8).

Ein sehr starker Beleg für diese Behauptung findet sich in Jaakows Worten selbst (an Josef gerichtet) vor seinem Tod:

„… als Ich AUS PADAN KAM, starb mir Rachel im Land Kenaan auf dem Weg

nach Efrat, und ich begrub sie daselbst auf dem Weg nach Efrat … “ (48:7)

Hier sagt Jaakow selbst, daß Rachel auf der ursprünglichen Reise von Padan nach Eretz Kenaan starb. Diese Aussage hätte keinen Sinn, wäre Rachel gestorben, NACHDEM Jaakow mehrere Jahre in Schechem verbracht hatte.

Und weiter: warum zog Jaakow von Bet El südwärts Richtung Efrat? Sehr wahrscheinlich, weil er auf dem Weg war, seinen Vater in Hebron zu besuchen! Anders gesagt: Jaakow besuchte WIRKLICH sofort seinen Vater, genau wie wir es von ihm erwartet hätten.

[Aus irgendeinem Grund teilt uns die Thora keine Einzelheiten über diese

Begegnung mit. Aber die Frage bleibt, ganz gleich, wie wir die Anordnung der

‚Parschiot‘ erklären, denn erst in den letzten, zusammenfassenden Psukim

(35:27-19) erfahren wir, daß Jaakow zu Jitzhak zurückgekehrt war, und zwar,

wie es dort aussieht, um ihn zu begraben. Ganz offensichtlich muß Jaakow

seinen Vater schon viel früher besucht haben.]

DIE NEUE ORDNUNG

Bevor wir fortfahren, wollen wir uns noch einmal die Abfolge der Ereignisse und ihre Logik (und damit die Ordnung der ‚Parschiot‘) nach dieser Auslegung vergegenwärtigen.

Nach seiner erfolgreichen Begegnung mit Esaw setzt Jaakow seine Reise nach Eretz Kenaan fort, wobei er zunächst in Schechem halt macht, um eine MIZBAJACH zu errichten und Gott zu danken, wie auch Awraham Awinu es getan hatte. In Schechem kauft er ein Stück Land zum ‚künftigen Gebrauch‘ in der Hoffnung, daß er eines Tages mit seiner Familie in diese Gegend zurückkehren wird. Nachdem er das Feld gekauft und die Mizbajach errichtet hat, zieht Jaakow weiter nach Bet El, um sein „Neder“ zu erfüllen. Dort bekräftigt Gott nicht nur seinen „Bechira“-Segen, sondern ändert auch seinen Namen von Jaakow in Israel (siehe 35:9-12), [wie vom „Malach“ nur einige Tage zuvor gesegnet!/ siehe 32:26-28]. Obgleich er zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage ist, wirklich das versprochene Bet Elokim zu bauen, bekräftigt er dieses Versprechen doch, indem er die MATZEJWA einmal mehr mit Öl salbt und die Stätte Bet El nennt (siehe 35:14-15). [Vgl. den Abschnitt Weitere Ijun für eine ausführlichere Erörterung.]

Als nächstes zieht Jaakow Richtung Hebron, um seine Eltern zu besuchen. Auf dieser Reise stirbt Rachel und wird am Weg begraben. Dann schlägt Jaakow seine Zelte in Migdal Eder auf (siehe 35:21), sehr wahrscheinlich in einem Gebiet, das nicht zu weit von Jitzhaks Wohnort liegt. Während der Zeit dort ereignet sich der Vorfall mit Reuwen & Bilha. Sehr wahrscheinlich verstößt Jaakow Reuwen für dessen Verhalten, aber aus irgendeinem Grund beendet die Thora diese Geschichte abrupt mitten im Satz! [Siehe 35:22! / vgl. auch 49:4!]

Einige Zeit später, vielleicht nach einem oder zwei Jahren (vielleicht sogar nach fünf) zieht Jaakow mit seiner Familie nach Schechem – schließlich hatte er dort zu diesem Zweck Land erworben. Nun sind die Kinder schon älter – alt genug für den Vorfall mit Dina (wie in Abschnitt 34 berichtet). Jetzt hat es auch Sinn, daß das Volk von Schechem Jaakow als einen dauernden Nachbarn betrachtet (und Heiraten vorschlägt), und nicht länger bloß als Durchreisenden. Schließlich erklärt sich so auch, weshalb gerade Schimon & Lewi zu dieser Zeit Führungsrollen übernehmen. Reuwen war dies wahrscheinlich wegen seines Verhaltens gegenüber Bilha ‚verwehrt‘ worden.

Nachdem die Brüder die Leute von Schechem getötet haben, fürchtet Jaakow die Rache der benachbarten Bevölkerung. Daher befiehlt Gott ihm, zu seinem SCHUTZ von Schechem nach Bet El zu ziehen (siehe 35:1-7). Genau wie Bet El ein Schutzort für Jaakow gewesen war, als ihm ernst Gefahr durch seinen Bruder Esaw drohte, ist Bet El auch nun wieder ein Zufluchtsort für Jaakow! [Beachten Sie, wie auf diesen Punkt – Gefahr von Esaw – in dieser ‚Parschia‘ immer wieder hingewiesen wird (35:1-8, siehe 35:1,3,7!). Beachten Sie auch, daß Jaakows Lager in diesen Psukim enorm angewachsen zu sein scheint (siehe 35:6 – „w’chol ha’AM ascher imo“ & 35:2 – „w’et kol asche imo“). Daraus erklärt sich vielleicht auch, weshalb Jaakow die Neuankömmlinge ermahnen muß, ihre Götzenbilder aufzugeben, bevor sie nach Bet El hinaufkommen.]

Nun verlegt Jaakow seinen permanenten Wohnsitz nach Bet El, und nun kann er dort auch seine MIZBAJACH errichten (siehe 35;1,3,7), denn es stand schon lange fest, daß Bet El der Ort für Jaakows Bet Elokim sein sollte. [Es hat Sinn, daß die MATZEJWA, die den Ort bezeichnet, VOR der Mizbajach errichtet wird, denn die Matzejwa ist das Symbol für Gottes Gegenwart, und die Mizbajach wird genau vor ihr errichtet (siehe Schmot 24:4!). [Auch das paßt ganz gut zusammen, wenn wir 35:9-15 vor 35:1-8 setzen!]

Machen wir uns die ‚neue Ordnung‘ der Parschiot wieder mit Hilfe einer Tabelle klar:

PSUKIM ALLGEMEINES THEMA

—— —————

(A) 32:3-33:17 Jaakows Konfrontation mit Esaw bei seiner

Rückkehr nach Eretz Kenaan.

(B) 33:18-20 Jaakows Ankunft in Schechem. [kauft ein Feld]

(E) 35:9-22 Jaakow kommt in Bet El an, erhält seinen Segen,

erfüllt sein „Neder“, Rachel stirbt auf der Reise

zu Jitzhak in der Nähe von Hebron.

(C) 34:1-31 Jaakow kehrt nach Schechem zurück; Vorfall mit

Dina, Schimon & Lewis Rache.

(D) 35:1-8 Jaakow kehrt auf der Flucht aus Schechem

nach Bet El zurück und errichtet eine Mizbajach.

(F) 35:23-29 Überblick über Jaakows Kinder, gefolgt vom Tod

Jitzhaks.

(G) 36:1-19 TOLDOT Esaw…

So brauchen wir bloß die chronologische Anordnung eines einzigen ‚Parschia‘ zu ändern, und fast alle unsere Fragen sind beantwortet. Nun stellt sich jedoch eine viel schwerwiegendere Frage: WARUM wird diese ‚Parschia‘ (35:9-22) nicht dort aufgezeichnet, wohin sie gehört? Wie wir oben schon sagten, muß es immer einen thematischen Grund für die Anwendung des Prinzips „ein mukdam u’muchar“ geben.

Wie gewohnt, müssen wir zum vorrangigen Thema von Sefer Bereschit zurückkehren – zum Prozeß von „Bechira“ & „Dechiya“, wenn wir diese Frage beantworten wollen.

Erinnern wir uns, wie sich das Thema von Sefer Bereschit mit jeder Gruppe von Sifrei TOLADOT fortentwickelt. In jeder Gruppe von „Toladot“ wird jemand ‚auserwählt‘, andere werden ‚verworfen‘. Erinnern wir uns auch, daß Parschat WA’JISCHLACH noch immer unter dem Generalthema „Toldot Jitzhak“ steht (siehe 25:19). Es ist ziemlich klar, daß „Toldot Jitzhak“ mit den ‚Parschia‘ von 35:23-29 sein Ende erreicht [(F) in der obigen Tabelle], da sie ja Jitzhaks Tod beschreibt. [Achten wir auch darauf, daß „Toldot Esaw“ (36:1) gleich darauf folgt.]

Daher MUSS ‚Parschia‘ 35:23-29 (F) genau dort bleiben, wo sie ist, nämlich am Schluß von „Toldot Jitzhak“. Diese ‚Parschia‘ beginnt jedoch mit einer sehr bedeutsamen Aussage:

„Und die Söhne Jaakows waren ZWÖLF… “ (siehe 35:23-26)

Anders als bei Awraham oder Jitzhak sind ALLE Kinder Jaakows auerwählt, AUCH seine Kinder von den Mägden, SOGAR Reuwen, der sehr wahrscheinlich verflucht war. Aus thematischer Sicht ist diese ‚Parschia‘ von großer Bedeutung. Man könnte annehmen, die Thora ordne diese ganze ‚Parschia‘ – die mit dem Vorfall um Reuwen & Bilha endet (der sich wahrscheinlich schon viel früher ereignet hatte) und mit Absicht hier steht – NEBEN der Schlußaussage von 35:23 ein, nach der ALLE Kinder Jaakows auserwählt sind, AUCH Reuwen! [Siehe Ramban 35:22! Siehe auch Raschi, Chizkuni & Radak 35:22.]

Diese Interpretation kann auch erklären, weshalb 35:22 mitten im Satz endet. Eigentlich sollte der Pasuk mit Jaakows Fluch über Reuwen enden, wie es nach 49:4 aussieht. Da es jedoch darum geht zu zeigen, daß Reuwen auserwählt bleibt, wird die zweite Hälfte des Satzes ‚abgeschnitten‘ und die ganze ‚Parschia‘ der Aussage angefügt, „und die Söhne Jaakows waren zwölf – die Kinder Leahs: der Erstgeborene Jaakows = REUWEN, und Schimon, Lewi…“ (35:23-24).

[Man könnte auch annehmen, sobald die Thora uns gesagt hat, daß

Jaakow ein Stück Land in Schechem gekauft hat (33:19),

gehe Chumasch mit dem weiter, was sich später in Schechem ereignet,

weil Jaakow dieses Stück Land gekauft hat, d.h. mit 34:1-35:8.

Und dann, nach Abschluß dieser Geschichte, wendet sich Chumasch wieder der

Geschichte von Jaakows erster Rückkehr nach Bet El zu (35:9-22), die sich

viel früher ereignet haben kann.l

Zum Schluß muß ich zugeben, daß ich ernste Zweifel an der Richtigkeit der Schlußfolgerungen dieses Schiur hege; auf jeden Fall enthält er ein wenig ‚Gedankennahrung‘, an der man sich abarbeiten kann. Anmerkungen von Ihrer Seite sind mir willkommen.

Schabbat schalom,
Menachem

FÜR WEITERE IJUN

A. Beachten Sie Raschi zu 33:17, der den Midrasch zitiert, dem zufolge Jaakow 18 Monate in Sukkot blieb! Das scheint aber nicht „Pschat“ zu sein. Wenn dieser Pirusch jedoch wahr ist, dann wird die Frage nur noch drängender, weshalb Jaakow nicht früher zurückgekehrt ist, auch wenn auf dieser Grundlage Jaakows Kinder etwas älter sein können und damit die Geschichte von Dina & Schechem etwas plausibler wird.

B. Unklar bleibt, ob Jaakow das in 28:21 versprochene Bet Elokim je tatsächlich errichtet. Vergleiche Mforschim zu diesem Pasuk, die sich mit dieser Frage befassen; siehe auch die Mforschim zu 35:14.

Dennoch weist die Salbung der MATZEJWA und die Benennung des Ortes mit dem Namen Bet El (siehe 35:14-15) deutlich auf seine Absicht hin, auch wenn die Zeit zum Erreichen des letzten Ziels vielleicht nicht reif ist, bevor Bnei Israel zur Zeit Jehoschuas Eretz Kenaan erobern. Siehe Dewarim 12:8-12, „w’akmal“.

Ein Projekt der Synagoge Fraenkelufer-Berlin