Parschat Wa’jera

Von Rabbi Menachem Leibtag
Schiurimreihe Fraenkelufer

TEIL 1

Weshalb bekommt SEDOM in Sefer Bereschit so viel‚ Presse? Ganz einfach, weil Lot, Awrahams Neffe, zufällig dort wohnt?

Im Schiur dieser Woche werden wir sehen, wie Sedom in Tanach als Antithese zu Jerusalem erscheint – und weshalb. Im Teil zwei werden wir das gleiche Thema aus etwas anderer Sicht behandeln.

EINLEITUNG

In den beiden letzten Schiurim sind wir der Frage nachgegangen, WESHALB (zu welchem Zweck) Gott Awraham Awinu auserwählt hat, d.h. auserwählt zur Gründung eines Volkes, das die Menschheit zu einer gottnäheren Existenz führen wird [um den Fehler ‚wieder gutzumachen‘, den die Erbauer des Turms von Babel begangen haben]. Zu diesem Zweck versprach Gott Awrahams Nachkommenschaft („Sera“) ein besonderes Land („Aretz“) und bekräftigte dieses Versprechen in zwei Bünden. In Parschat WA’JERA lernen wir nun, WIE dieses Volk das gesetzte Ziel schließlich erreichen soll.

EINE BESONDERS LANGE ‚PARSCHIA‘

Halten wir, ausgehend von einem Tanach Koren, fest, daß die Geschichte ab Beginn von Parschat WA’JERA (18:1) bis zum Ende der Erzählung von Sedom (19:38) EINE einzige lange ‚Parschia‘ [Abschnitt] darstellt, die ZWEI anscheinend voneinander unterschiedene Themen behandelt:

1) Die Nachricht, daß Sara Jitzchak gebären wird;
2) Die Geschichte von Lots Errettung aus Sedom.

Die Thora behandelt beide dennoch als EIN Thema. Worin liegt ihre Verknüpfung? Die offensichtlichste Verbindung der beiden Geschichten liegt in den „Malachim“ [Engel], die an beiden Geschichten beteiligt sind. Aber mit dieser Antwort stellt sich dann genau dieselbe Frage! Weshalb müssen dieselben Engel, die Sedom zerstören werden, zunächst zu Awraham kommen, um ihm die Nachricht von Jitzchaks Geburt zu bringen?

[Sollten wir mit Raschi der Auffassung sein, daß jeder der Engel seine eigene Mission zu erfüllen hat, dann wäre die Frage: Weshalb müssen alle drei Engel zusammen unterwegs sein?]

Die Thora selbst beantwortet diese Frage, wenn sie erklärt, WARUM Gott Awraham befragen muß, bevor er Sedom zerstört:

„Der Ewige aber sprach: >Sollte ich vor Awraham verborgen halten, was ich tun will? Und Awraham wird ja zu einem großen und mächtigen Volk werden, daß mit ihm sich segnen sollen alle Völker der Erde, denn ich habe ihn ausersehn, auf daß er SEINEN KINDERN und seinem Haus nach ihm befehle, daß sie den Weg des Ewigen wahren, Gerechtigkeit und Recht zu üben …“ (siehe 18:17-19 / vgl. 12:1-3)

An dieser Stelle erklärt die Thora nicht nur, WESHALB (d.h. zu welchem Zweck) Gott Awraham Awinu auserwählt hat – auserwählt dazu, ein Volk zu werden, das ein Segen für andere Völker sein wird -, sondern sie erklärt auch, WIE das geschehen wird – indem er nämlich SEINE KINDER lehrt (die es ihre Kinder lehren werden), ZEDAKA u’MISCHPAT zu tun (siehe 18:19). Dieses Volk, charakterisiert durch eine Gemeinschaft von „Zedaka & Mischpat“, wird Gottes vorbildliches Volk sein.

Auch wenn Sedom eine ‚verlorene Sache‘ sein mag, weil es in der Stadt nicht genügend ‚Zadikim‘ gibt, hofft Gott doch, daß Awrahams Volk durch gutes Beispiel verhindern wird, daß je wieder solche verworfenen Städte entstehen. Jitzchak ist der Sohn, durch den diese Überlieferung weitergegeben wird, und daher ist es nicht ohne Bedeutung, daß dieselben Engel, die Sedom zerstören sollen, zunächst „den Samen ausstreuen“ müssen für die Verhütung künftiger Städte wie Sedom.

Diese Vorstellung widerspiegelt sich in Awrahams Bitte, Gott möge auf die Zerstörung von Sedom verzichten. Awraham bittet nicht einfach darum, daß Gott die

„Zadikim“ in Sedom retten möge. Er erfleht die Errettung der GANZEN Stadt um dieser „Zadikim“ willen! [Siehe 18:26.] Warum? Weil diese „Zadikim“ vielleicht das gesamte Volk von Sedom zur wahren „Teschuwa“ führen könnten, ebenso wie das Volk Awrahams dazu bestimmt ist, die ganze Menschheit zu Gott hinzuführen.

Es ist bezeichnend, daß Awraham diese Anstrengung zur Rettung von Sedom unternimmt, auch wenn sie vergeblich zu sein scheint. Seine Bitte widerspiegelt seine Sendung – die Tradition, zu deren Weitergabe an Jitzchak und an künftige Generationen er verpflichtet ist.

AWRAHAM ./. SEDOM

In Sefer Bereschit scheint Sedom den Gegensatz zu allem zu bilden, wofür Awraham steht. Wie wir in der vergangenen Woche erklärt haben, war Lots Entschluß, Awraham zu verlassen und nach Sedom zu ziehen (13:1-18), auf seinen Willen zurückzuführen, von Gott unabhängig zu sein. An dieser Stelle erfahren wir: „Die Leute von Sedom aber waren sehr böse und sündig gegen den Ewigen.“ (13:13)

Nach Lots Rettung vor den ‚vier Königen‘ (siehe Kapitel 14) weigert sich Awraham zudem, irgendwelchen Besitz aus Sedom zu behalten, womit er seinen Widerwillen gegen jene Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Zwar verdient er seinen ‚fairen Anteil‘ aus der gewonnenen Schlacht, aber Awraham Awinu will keinerlei Nutzen aus Sedom haben:

„Da sprach Awram zum König von Sedom: >Ich hebe meine Hand zum Ewigen, dem höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde: Ob ich, vom Faden bis zum Schuhriemen, etwas nehme von alledem, was DEIN ist! Du sollst nicht sagen: Ich habe Awram reich gemacht.<“ (14:23-24)

Aus der Verbindung dieser beiden Ereignisse (wie in Parschat Lech L’cha beschrieben) mit Gottes Aussage über Awrahams Mission, „Zedaka u-Mischpat“ zu lehren, bevor er Sedom zerstört (in Parschat WA’JERA/ 18:19), können wir schließen, daß Sedom eine Gemeinschaft völlig ohne „Zedaka u-Mischpat“ ist. Belegen wir diese Folgerung anhand der Geschichte, die in Kapitel 19 folgt.

KEINE GÄSTE ZUGELASSEN!

Wenn sich in Sedom auch „Mischpat“ finden, „Zedek“ sind sicher nicht in der Stadt. Das beste Beispiel dafür ist der Bericht der Thora über die Reaktion der Stadt Sedom auf die beiden Gäste Lots:

„Noch hatten sie [die beiden Gäste] sich nicht niedergelegt, da umringten die Männer der Stadt, die Leute von Sedom, das Haus, JUNG und ALT, das GANZE Volk von allen Enden; sie riefen nach Lot und sprachen zu ihm: WO sind die Männer, die heute Nacht zu dir gekommen sind? Führ sie HINAUS, daß wir sie ERKENNEN [w’naj’da’ejm].“ (19:4-5)

Die meisten von uns kennen nur die Auslegung Raschis, wonach es sich hier um eine kleine Gruppe der verworfensten Männer von Sedom handelt, die die Gäste – im biblischen Sinn – „erkennen“ wollen (vgl. hierzu über 19:8 und 13:13, siehe auch 4:1 und „weitere Ijun“ unten), aber „Pschat“ [die einfache Bedeutung des Textes] ist [wie Rasag & Ramban behaupten], daß die GANZE Stadt kam, um zu protestieren.

Weshalb haben sie protestiert? Wie Ramban so schön erklärt (siehe sein Pirusch zu 19:5), richtet sich der Protest gegen „hachnasat orchim“ – gegen die Aufnahme fremder Gäste!

In Sedom herrscht ein strenges GESETZ: KEINE GÄSTE ERLAUBT!

Der Grund dafür ist, wie Ramban erklärt, ein ideologischer – sie möchten unbedingt unter sich bleiben. Wenn Lot an diesem Abend Gäste beherbergt, werden am nächsten Tag noch mehr Gäste erscheinen [wie Katzen], und bevor der Monat um ist, werden die Straßen der Stadt von Durchreisenden und Bettlern nur so wimmeln. Sollte sich herumsprechen, daß es in Sedom‚ kostenlose Unterkunft‘ gibt, dann wäre ihre vollkommene Stadt erledigt. Und wenn sich niemand um die Bedürftigen kümmert, dann werden die Bedürftigen schließlich lernen, für sich selbst zu sorgen. Die Leute von Sedom sind entschlossen – im ‚besten Interesse‘ der Bedürftigen, dieses ‚vollkommene Gesetz‘ durchzusetzen.

Wenn also ein Bürger [„Chas w’SCHALOM“] einen Gast heimbringt, dann wird sofort zu einem öffentlichen Protest aufgerufen. [Siehe auch Sanhedrin 109a.]

Es mag in Sedom „Mischpat“ geben, aber unecht und verzerrt. In jedem Fall gibt es keine „Zedaka“.

[Chazals Bemerkung in Pirkei Awot zieht die soziale Norm in Erwägung: „scheli scheli, schelkha schelkha“ – meines ist meines, und deines ist deines –eine ‚Sitte in Sedom‘, die eben diese Auffassung widerspiegelt (siehe Pirkei Awot 5:10 „arba midot b’adam…“).]

ZEDEK U’MISCHPAT ./. SEDOM

Diese Interpretation erklärt, warum wir überall in Nviim Acharonim das Fehlen von „Zedek u’Mischpat“ mit Sedom verglichen finden. Tatsächlich vergleichen die drei berühmtesten Propheten von Nviim Acharonim, Jescha’jahu, Jirmejahu und Jeheskel, die alle die drohende Zerstörung voraussehen und vor ihr warnen, die verderbte Gesellschaft in Israel mit Sedom; daher steht auch ihre eigene Zerstörung bevor.

Beginnen wir mit einem Beispiel von Jeheskel, denn er bezieht sich auf genau diesen Punkt (in bezug auf „hachnasat orchim“):

„… und deine jüngere Schwester, die dir zur Rechten siedelt, Sedom … und bist nicht in ihren Wegen gewandelt, daß du getan nach ihren Greueln! Als wärs zu wenig des Ekels, triebst du’s noch ärger als sie in all deinem Wandel. (…) Sieh, das war Sedoms, deiner Schwester, Schuld: Stolz aus Brotes Überfülle und sichrer Ruh … und des ARMEN und ELENDEN Hand stützte sie nicht, sie taten stolz und trieben Greuliches vor mir, da TAT ich sie HINWEG, wie du gesehen.“ (siehe Jeheskel 16:46-50)

In Jesha’jahu ist die Verknüpfung zwischen dem Fehlen von „Zedek u’Mischpat“ und Sedom noch offensichtlicher. Wie wir uns alle aus der Haftara von Schabbat Chason erinnern, vergleicht Jesha’jahu die Taten von Am Yisrael mit dem Verhalten der Leute von Sedom & Amora:

„Hört an des Ewigen Wort, ihr Ratsherrn SEDOMS! Vernehmt die Weisung unseres Gottes, ihr Volk Amoras! Wozu ist mir eurer Schlachtung Fülle, spricht der Ewige … Wascht, reinigt euch, schafft eurer Taten Arg mir aus den Augen, Laßt Übeltat. Lernt gut tun, sucht Recht, bringt Heil Bedrängten, schafft Recht der Waise, führt Streit der Witwe! (…) Wie ward die treue Stadt, einst erfüllt von MISCHPAT ZEDEK, zu einer Stadt von Mördern.“ (Jesaja 1:10-17, siehe auch 1:3-9!)

Erinnern wir uns auch, wie Jesha‘jahu diesen N’wuah beendet:

„Zion b’MISCHPAT tipadeh, w’schaweha b’TZEDAKA – Zion wird durch unser Tun von „MISCHPAT“ erlöst sein, durch ihre Reue – durch unser Tun von „TZEDAKA“.

Später in Kapitel fünf, in Jesha’jahus berühmtem „Maschal Ha’Kerem“ [das Gleichnis vom Weinberg], lesen wir einmal mehr, daß Gott hoffte und wollte, daß Am Jisrael „Zedaka u’Mischpat“ vollbringe, und weil sie das Gegenteil taten, müssen sie nun schwer bestraft werden:

„wa-jikav le-MISCHPAT – we-hinej Mispach“ [Und er hofft auf Gerechtigkeit, und sieh da: Ungerechtigkeit], „l’TZEDAKA – w’hinej Za’aka.“ [auf Heil: „Zedaka“, und statt dessen: Wehgeheul).“ (Jesaja 5:7, vgl. das ganze Kapitel und auch 11:1-6.)

Am heftigsten drückt sich in diesem Zusammenhang jedoch Jirmejahu aus. In seiner wortgewaltigen Anklage gegen das Haus David [dessen Linie nicht nur auf Jehuda zurückgeht, sondern auch (und das nicht zufällig) auf Rut, die Moabiterin, die zur Nachkommenschaft von Lot gehört!] erklärt Jirmejahu sehr deutlich, was Gott vom König erwartet:

„Höre das Wort des Ewigen, König von Jehuda, der du auf Davids Thron sitzt … Tue MISCHPAT U’ZEDAKA … Fremdling, Waise und Witwe drückt nicht…“ (Jirmejahu 22:1-5) [siehe auch 21:11-12]

Wenn Jirmejahu später den rechtschaffenen König Joschijahu mit dessen verderbtem Sohn Jehojakim vergleicht, erklärt er:

„… dein Vater (Joschijahu)… vollbrachte ZEDAKA U’MISCHPAT, da war ihm wohl. Er sprach dem Armen und Elenden Recht … Heißt nicht das mich KENNEN [l’daat oti], ist des Ewigen Spruch! Doch dir (Jehojakim) stehen Augen und Herz auf nichts als auf deinen Gewinn … “ (siehe 22:13-17)

Halten wir fest, daß das Tun von „Zedaka & Mischpat“ für Jirmejahu die Art und Weise ist, auf die wir „Gott erkennen“ [„l’daat et Hashem /(vgl. Bereschit 18:19)]!
Wenn Jirmejahu schließlich vom idealen König spricht, der die Erlösung bringen wird, erscheint genau das selbe Thema wieder:

„Sieh, Tage kommen, erklärt Hashem, da will ich David erstehen lassen in einem GERECHTEN Sproß, der wird als König herrschen und weise handelnund MISCHPAT und ZEDAKA im Land üben. In seinen Tagen wird Jehuda Hilfe werden und Jisrael in Sicherheit wohnen …“ (23:5-6). [siehe auch Secharja 7:8, 8:8,16-17, II Schemuel 8:15!]

Dieser Grund für die Wahl des Königtums Davids entspricht dem Grund für Gottes Auserwählung von Awraham Awinu. Wie wir schon wiederholt erklärt haben, wählte Gott Awraham nicht als BELOHNUNG für sein Verhalten aus, sondern vielmehr ZU EINEM BESTIMMTEN ZWECK – um ein vorbildhaftes Volk zu schaffen, charakterisiert durch „Zedek u-Mischpat“, das die ganze Menschheit Gott näher bringen wird. Aus genau dem gleichen Grund wählt Gott eine königliche Familie aus, um über dieses Volk zu herrschen: das Haus David. Auch sie werden auserwählt, UM das Volk die Wege der Zedaka u’Mischpat zu lehren.

Aber auch ohne die rechte Führung bleibt dies unser ewiges Ziel, die Verantwortung jedes Einzelnen. Um das zu beweisen und dieses Thema zusammenzufassen, brauchen wir nur einen letzten Pasuk aus Jirmejahu zu zitieren (& einmal mehr nicht zufällig den letzten Pasuk der Haftara für Tischa B’aw):

„So spricht der Ewige:

Nicht rühme sich der CHACHAM [der Weise] seiner Weisheit; Nicht rühme sich der GIBOR [der Starke] seiner Stärke; Nicht rühme sich der ASHIR [der Reiche] seines Reichtums. Sondern des rühme sich, wer sich rühmen mag: Klug zu sein und mich zu ERKENNEN [haskel v’YADOAH oti] – Daß ich, der Ewige, CHESED [Liebe], MISCHPAT und ZEDAKA bin – denn daran habe ich Gefallen.“ (siehe Jirmejahu 9:22-23) /[Siehe auch Rambam in seinen Schlußbemerkungen im letzten Kapitel von Moreh N’wuchim!]

Einmal mehr sehen wir: Gott ERKENNEN heißt, seinen Wegen nacheifern, d.h. nach Art von ZEDEK u’MISCHPAT handeln. Wenn das ganze Volk so handelt, dann wird unser Ziel erreicht sein.

Was zunächst wie eine bloße Nebenbemerkung Gottes (in bezug auf Awraham) vor der Zerstörung Sedoms aussieht (in Bereschit 18:19), erweist sich so als zentrales Thema im ganzen Tanach!

Schabbat Shalom
Menachem

FÜR WEITERE IJUN

1. Der Protest vor dem Haus.

Raschis Erklärung, den Männern vor dem Haus sei es um „Mischkaw Sachar“ gegangen, gründet auf 19:8, wo Lot den Männern statt der Gäste seine Töchter anbietet ( und wahrscheinlich auch die Parallelgeschichte von Pilegesch b’giwah in Sefer Schoftim). Lots Rede könnte jedoch auch verstanden werden als Bitte, seine Gäste behalten zu dürfen. Lot sagt ihnen vielleicht, die Mitzwa der Sorge um seine Gäste sei ihm ebenso wichtig wie die Sorge um seine beiden Töchter, auch wenn er gar nicht wirklich beabsichtigt haben sollte, dem Mob seine Töchter auszuliefern. Er weist ganz einfach darauf hin, wie wichtig es ihm ist, seine Gäste behalten zu dürfen. Hätte die Menge die Männer zu „Mischkaw Sachar“ verlangt, dann hätte sich nicht die ganze Stadt versammeln müssen, „m’naar w’ad saken“. Beachten wir auch, daß Raschi „anshei Sedom“ erklärt als Dawka, die Männer, und zwar als nur die schlimmsten von ihnen. Ähnlich erklärt er „kol ha’am m’kaze“ – alle Leute in der Stadt hielten sie nicht auf, aber sie waren auch nicht alle vor Lots Haus.

2. Im Pasuk – „Ki YeDA’ATIV lema’an ascher jezaweh et banaw…

we-schamru derekh Haschem la’assot Zedaka u-Mischpat…..“. (18:19), haben wir übersetzt: denn ich habe ihn auserwählt. Buchstäblich müßte man übersetzen: denn ich habe ihn ‚erkannt‘. Die Verwendung des Wortes YEDA’ATIV scheint jedoch merkwürdig. Wenn hier einfach nur gemeint ist: Gott ‚weiß‘, daß Benei Jisrael „Zedek u-Mischpat“ tun wird, wie ‚weiß‘ Haschem das?

Welche Garantie gibt es dafür, daß Awrahams Kinder diese Mitzwa eher als andere halten werden? Gibt es denn keine Bechira Chofschit – Entscheidungsfreiheit?

(Überdies sollte das hebräische Wort „yeda’ati“ sein – siehe Mefarschim al atar.) Raw Joel bin Nun hat vor einigen Jahren erklärt, das Wort „jeda’atiw“ sollte nicht als ‚jeda‘ – erkennen/wissen verstanden werden, sondern vielmehr als „je’ud“ (wobei die beiden letzten Buchstaben vertauscht werden wie in kewes-kesew; salma-simla). Je’ud, (ein ähnliches Schoresh) bedeutet: zu einem bestimmten Zweck vorgesehen sein, eine raison d’etre, eine Bestimmung haben. Somit würde „jeda’atiw“ nicht ein ‚Wissen‘ Gottes beinhalten, sondern vielmehr soviel heißen wie: „Gott bestimmte sie zu dem Zweck …, nämlich zu dem Zweck, Zedaka und Mischpat zu halten)“. Gott WEISS nicht, daß Benei Awraham Zedaka & Mischpat tun wird: Vielmehr hat Gott Awraham auserwählt, auf daß seine Kinder Zedaka & Mischpat tun!

3. Parschat WA’JERA sagt uns nicht nur etwas über die Geburt von Jitzchak, sondern auch über die Geburt verschiedener anderer Enkel und Urenkel TERACHs. [Siehe 19:30-38, 22:20-24]

Weshalb halten Sie diese Geschichten für einen integralen Bestandteil von Sefer Bereschit?[ Setzen Sie die Tatsache, daß wir eine Überschrift „ajleh Toldot Terach“ finden und daß später in Sefer Bereschit niemals „ajleh Toldot Awraham“ auftaucht, in Beziehung zu 11:26-32. Stellen Sie auch eine Beziehung zu unserem Schiur über Parschat Noach her.]
Welche Nachfahren von Terach ’schleichen‘ sich später zurück in die Familie von Awraham Awinu? Ist dies bedeutsam?
Achten Sie auf die Anzahl (und Art) der Frauen und Kinder, die Nachor geboren werden (in 22:20-24)! Welchem Awot ähnelt das? Wer hat in Sefer Bereschit außerdem noch zwölf Kinder?
4. Gehen Sie die Geschichte der Akejda (Kapitel 22) durch und achten Sie darauf, welchen „Schem“ die Thora verwendet [Elokim oder Schem Hawaja], um Gottes verschiedene Befehle an Awraham zu beschreiben. Ist ein Muster zu erkennen?

5. Am Ende der AKEJDA macht Gott gegenüber Awraham Awinu ein weiteres Versprechen in bezug auf die Zukunft seiner Nachkommenschaft (siehe 22:15-19). Welchen früheren Versprechen an Awraham Awinu ähnelt dieses am meisten?

Ist dieses Versprechen bloß eine Wiederholung, oder kommt hier etwas Neues hinzu? Falls ja, was ist das Neue und wie steht es zur Akejda in Beziehung?

[Denken Sie an „Brit Bein Ha’Btarim“.]

[Siehe Ramban 22:16, & Radak 22:16.]

TEIL 2

[Teil Zwei enthält zwei sehr kurze Schiurim, die den ersten Teil vervollständigen.]

A. ‚MIZAR‘ – Ein trauriges, aber passendes Ende

Im Zusammenhang mit Lots ‚Flucht‘ aus Sedom finden wir eine sehr interessante Geschichte über ZOAR. Worum geht es dabei?

Eine kurze Erinnerung vorweg.

Nachdem sie Lot aus Sedom weggebracht hatten, befehlen die „Malachim“ Ihm, ‚ins Gebirge‘ zu fliehen [„he’hara hi’malet“ /siehe 19:17]. Lot zögert und behauptet, ‚das Gebirge‘ könnte SCHLECHT für ihn sein; statt dessen bittet er darum, daß die „Malachim“ eine kleine Stadt für ihn vor der Vernichtung retten. Lot erklärt, daß diese Stadt für ihn ein „MIZAR“ sein wird – d.h. ein „Geringes“, ein kleiner Zufluchtsort, der seine Seele retten wird. Die Thora sagt uns dann, daß diese Stadt deshalb ZOAR genannt wird (siehe 19:17-22).

Weshalb dieses Detail?

Um diese Geschichte zu verstehen, müssen wir zur Erzählung in Chumasch über Sedom zurückkehren, als Lot sich für KIKAR HA’JARDEN entscheidet, statt bei Awraham Awinu im Gebirge zu bleiben.

Erinnern wir uns aus unserem Schiur über Parschat Lech L’cha, daß Lots Wahl eine Entscheidung für das gute Leben‘ in KIKAR HA’JARDEN war (keine Abhängigkeit von Gott, was die Wasserversorgung angeht), im Gegensatz zu Awrahams Leben im GEBIRGE (abhängig von Gott, der über den Regen und damit über die Wasserversorgung bestimmt).

Sehen wir uns den zentralen Pasuk [Verse] dieser Erzählung genauer an, in dem Lots Wahl beschrieben wird. [Ich empfehle, diesen Pasuk im hebräischen Original zu lesen, um die Schlüsselausdrücke besser würdigen zu können. Achten Sie auch auf das Wort „kol“]:

„Da hob Lot seine Augen und sah KOL KIKAR HA’JARDEN – das GANZE Jordantal – daß es ÜBERALL BEWÄSSERT war … wie ein Garten des Ewigen, wie das Land Mizraim (Ägypten), BIS NACH ZOAR hin“ (13:10)

Der letzte Ausdruck dieses Pasuk – BO’ACHA ZOAR – scheint überflüssig. Wozu brauchen wir schließlich zu wissen, wo genau der KIKAR endet?

Erwägen wir jedoch den Namen dieser Stadt – ZOAR – in der Geschichte von Lots Flucht aus Sedom, dann gewinnt dieser kurze Satz eine ganz besondere Bedeutung, denn die Thora scheint eine zynische ‚Übereinstimmung‘ mit Lot zum Ausdruck zu bringen. Lot wollte ALLES – „et KOL Kikar Ha’Jarden“ [sie auch 13:11:

„Da wählte sich Lot KOL KIKAR HA’JARDEN…“, und aus diesem Grund entschied er sich für Sedom. Als aber alles vorbei ist, fleht Lot die „Malachim“ um einen kleinen Zufluchtsort an, ein MIZAR (und zwar in der Stadt, die ZOAR heißen soll). Lot will ALLES – KOL Kikar HA’JARDEN – und hat schließlich ‚fast nichts‘ mehr – BO’ACHA ZOAR! [Ich danke noch einmal meinem guten Freund Danny Berlin – isch Karmei Tzur, Gusch Etzion – für seine Einsichten.]

Vor diesem Hintergrund können wir nun Lots Gespräch mit den „Malachim“ bei seiner Flucht aus Sedom besser verstehen. Achten wir darauf, was sie Lot ursprünglich befohlen hatten:

„Es war nun, als sie sie hinausgeführt hatten [aus Sedom], da sprach der:>Flüchte um dein Leben! Schau nicht hinter dich und mach nicht halt in dem ganzen B’KOL HA’KIKAR – ins GEBIRGE rette dich, damit du nicht fortgerafft wirst!<“ (19:17) Achten wir einmal mehr auf den thematischen KONTRAST zwischen KIKAR HA’JARDEN und dem GEBIRGE. Lot wird befohlen, ins GEBIRGE zurückzukehren – In das Gebiet Awrahams – zurück in die Gegend, die er gar nicht hätte verlassen sollen. Aber Lot ist nicht zur Rückkehr bereit. Er weiß, wenn er ins GEBIRGE zurückkehrt, wird er im Schatten von Awraham Awinu nicht überleben können. Er wird nicht länger der Rechtschaffene unter vielen Verderbten sein. Statt dessen bittet er um einen Zufluchtsort: „Da sprach Lot zu ihnen: >Nicht doch, o Herr! Sieh, dein Knecht hat Gunst gefunden in deinen Augen … ich aber kann mich nicht ins GEBIRGE flüchten, das Verderben könnte mich ereilen, daß ich sterbe. Sieh, da ist diese Stadt [am Rande von Kikar HA’JARDEN], und sie ist MIZAR – ein Geringes; laß mich doch dahin fliehen … daß ich am LEBEN bleibe!< [Sie geben Lots Bitte nach] Daher nennt man jene Stadt ZOAR. Die Sonne ging gerade über der Erde auf, da kam Lot nach ZOAR…“ (siehe 19:18-24)

Nachdem schließlich Sedom und alle anderen Städte des KIKAR zerstört sind, will Lot selbst kein weiteres Risiko eingehen, und er verläßt von selbst ZOAR (siehe 19:25-30). Lot und seine Töchter gehen nun sogar ins GEBIRGE zurück (siehe 19:30), aber statt Awraham gegenüberzutreten, VERSTECKEN sie sich in einer HÖHLE . Der Rest ist Geschichte – d.h. die Geschichte von AMON & MOAB, deren Nachkommen nicht einmal mehr den Anstand haben, Am Jisrael (ihren Landsleuten) Brot und Wasser zu reichen, wenn sie auf ihrer Reise durch die Wüste von Ägypten nach Eretz Kenaan in der Nähe vorüberkommen (siehe Dewarim 23:4-5). Es ist kein Zufall, daß sie niemals die Lektion von „hachnasat orchim“, die Begrüßung von Gästen gelernt haben. Sedom wurde zerstört, aber das ‚Erbe‘ Sedoms dauerte unglücklicherweise fort.

Ein Funken Güte kommt schließlich doch noch durch Moab. Rut, die Moabiterin, wird vom Stamm Juda in einem Akt von „Chessed“ angenommen (siehe Megillat Rut). Ihr Urenkel – David ben Jischai- wird König von Israel.

Und es ist auch kein Zufall, daß wir in Sefer Schmuel, wo über seine Herrschaft zusammenfassend gesprochen wird, folgendes lesen:

„Und David war König über ganz Jisrael, und David schaffte MISCHPAT und ZEDAKA seinem ganzen Volk.“ (II Schmuel 8:15) [Denken wir daran, wie David selbst sich früher in einer Höhle am Toten Meer verborgen hatte (En-Gedi), wo er einen Akt von „Chessed“ vollbringt, indem er Saul verschont – siehe I Schmuel 24:1-15, insbesondere 24:12-15! Siehe auch Jirmijahu 22:1-5!]

Durch Malchut David finden wir ein „Tikun“ für den Samen Lots, denn sein Königtum ist charakterisiert durch ZEDAKA & MISCHPAT – das genaue Gegenteil von Sedom.

B. LOKALE ‚PSCHAT‘ VS. GLOBALE ‚PSCHAT‘

Erinnern wir uns, wie Raschi und Ramban über die Bedeutung von „w’nejda otam“ gestritten haben (siehe 19:5 – wo das Volk von Sedom von Lot die ‚Herausgabe‘ seiner Gäste verlangt).

Raschi erklärte „Mischkaw Sachar“ – daß die Männer von Sedom sie ‚erkennen‘ wollten, erkennen im biblischen Sinn (siehe 4:1 & Chizkuni über 19:5), während Ramban erklärte, daß sie um deren ‚Identität‘ wissen wollten, um sie ‚aus der Stadt zu vertreiben‘, weil die Stadt Sedom keine Gäste zuließ.

Diese Kontroverse dient als klassisches Beispiel für zwei verschiedene Herangehensweisen an die „Parschanut“ (Exegese)

Raschi konzentriert sich gewöhnlich auf das, was wir ‚lokale PSCHAT‘ nennen, d.h. die einfachste Übersetzung auf der Grundlage des Kontextes in den benachbarten Psukim, während Ramban gewöhnlich andere Stellen in Tanach berücksichtigt, an denen das gleiche Wort oder der gleiche Begriff erwähnt werden, was wir hier als ‚globale PSCHAT‘ bezeichnen.

Raschi erklärt „w’najda otam“ im ‚biblischen Sinn‘ [d.h. Mischkaw Sachar], denn es scheint keine andere logische Erklärung dafür zu geben, weshalb das Volk kommt, um an Lots Tür zu pochen. Auch Lots Angebot, ihnen seine beiden Töchter statt der Gäste zu überlassen, sowie Lots Erwähnung von „ascher lo JA’DU isch“ (siehe 19:8) stützen seine Interpretation.

Auf der anderen Seite bezieht Ramban Psukim aus Jeheskel ein, (und zwar ganz explizit, wahrscheinlich hat er auch Kap. 1 von Jesha’jahu berücksichtigt), wo deutlich gesagt wird, daß Sedoms [hauptsächliche] Sünde sich auf die Unwilligkeit bezog, den Armen und Bedürftigen zu helfen. Nehmen wir dazu noch die thematische Erwägung der ZEDEK U’MISCHPAT von Awraham im Gegensatz zu Sedom (siehe 18:17-19), dann wird ziemlich deutlich, weshalb Ramban einen thematischeren Ansatz zur Erklärung von „v’najdah otam“ bevorzugt.

Beachten wir auch, wie Raschi das Problem löst, WER sich vor Lots Haus versammelte, indem er behauptet, nicht die ganze Stadt habe sich versammelt, sondern nur die ‚Verbrecher von Sedom“ [„Anschei Sedom“], während die anderen, jung und alt, nicht gegen dieses unmoralische Verhalten einschritten und daher mitverantwortlich sind. Raschi muß 19:4 auf diese Weise ‚neu auslegen‘, denn anders ergäbe es keinen Sinn, daß so viele Leute verschiedenen Alters die Herausgabe der beiden Männer für „Mischkaw Sachar“ verlangten.

Ramban selbst ist auch der Meinung, daß Lot tatsächlich seine beiden Töchter als Ersatz anbietet, um seine Gäste zu schützen, aber er versteht diesen Pasuk als Kritik an Lot. Man könnte jedoch annehmen, daß Lot seine Töchter gar nicht wirklich anbietet, sondern die Männer nur auf sehr deutliche Weise abweist [musar]. Lots Äußerung könnte man verstehen als Bitte an die Protestierenden, seine Gäste behalten zu dürfen, indem er ihnen zu verstehen gibt, daß die Mitzwa der Sorge um seine Gäste für ihn so wichtig ist wie die der Sorge für seine Töchter, auch wenn er gar keine wirkliche Absicht hat, dem Mob seine Töchter auszuliefern. Er macht nur einfach klar, wie wichtig es ihm ist, daß sie ihm seine Gäste lassen. ‚Eher würde ich euch meine Töchter als meine beiden Gäste geben …‘ [Etwa so, wie man sagt: nur über meine Leiche …]

[Hätten die Leute von Sedom die Männer für „Mischkaw Sachar“ gefordert, dann hätte es keinen Sinn, daß sich die ganze Stadt versammelte, „m’naar w’ad zaken“. Halten wir auch fest, daß Raschi „Anshei Sedom“ – Dawka als die Männer erklärt, und zwar nur die schlimmsten von ihnen. Ganz ähnlich erklärt er „kol ha’am m’katze“ – alle Leute der Stadt hielten sie nicht auf, aber sie standen auch nicht alle vor Lots Haus. Rasag (über 19:4) ist anderer Meinung und belegt mit „naar w’zaken“ aus 19:11, daß „katan ad gadol“ sich vor Lots Haus versammelt hatten.]

Um diese Auslegung zu stützen [daß Lot ihnen MUSAR gibt und

keinen ‚Handel macht‘], können wir uns in 19:6-8 die Reaktion des Mobs

auf dieses Angebot von Lot ansehen. Die Menge nimmt Lots Angebot weder an, noch weist sie es zurück; statt dessen reagiert sie ganz anders:

„So einer ist als Gast hierhergekommen – wa’jischpot scha’fot – und will nun den RICHTER machen. Nun wollen wir’s DIR noch SCHLIMMER tun [schlimmer als wir ursprünglich beabsichtigt hatten] als jenen!“ (siehe 19:8) [Es ist, als ob sie sagten: ‚HE, du bist in unserer Stadt bloß ein Zugereister, was bildest du dir eigentlich ein!? Nichts da – jetzt werfen wir dich zusammen mit deinen Gästen aus der Stadt!]

Wie könnten sie nun sagen, Lot wolle sie RICHTEN, wenn Lot bloß einen Handel vorschlüge? Verstehen wir Lots Angebot aber als unausgesprochenen MUSAR – dann bezieht sich „wa’jishpot schafot“ genau hierauf.

[Vgl. die ähnliche Bedeutung von „schafot“ in I Schmuel 12:7!] Niemand läßt sich gern vorschreiben, was er zu tun hat, besonders nicht von ‚Neulingen‘. Beachten wir auch, daß Lot seine Töchter nicht mit vor die Tür bringt, als er sein sogenanntes ‚Angebot‘ macht. Er schließt vielmehr die Tür hinter sich (siehe 19:6). Hätte Lot die Menge wirklich mit seinen Töchtern ‚beruhigen‘ wollen, hätte er sie mit nach draußen bringen sollen!

Wenn unsere Interpretation zutrifft, dann kann es sein, daß die einzige Sünde von Sedom „hachnasat orchim“ war und überhaupt nicht „arajot“ (wie Jeheskel 16:48-49 nahezulegen scheint). Das mag für uns etwas schwer zu schlucken sein, aber wir sollten diese Auffassung ernsthaft in Erwägung ziehen, wenn wir über unsere eigenen Wertsetzungen für unser Leben und unsere Gemeinschaft nachdenken.

Schabbat Schalom,
Menachem

Ein Projekt der Synagoge Fraenkelufer-Berlin