Parschat Noah

Von Rabbi Menachem Leibtag
Schiurimreihe Fraenkelufer

Im folgenden finden Sie vier kurze Schiurim („vortlach“), die sich auf Parschat Noach beziehen (in Ergänzung des Schiur vom vergangenen Jahr). Ich hoffe, Sie haben Freude an dieser ‚kürzeren‘ Fassung.

TEIL I – ‚DIE PSCHAT VON DRASCH‘ über „HU’CHAL“

Erinnern wir uns, wie der erste Abschnitt von Sefer Bereschit [die Geschichte von Adam ha’rischon, Kapitel 1-4] mit einem äußerst fesselnden Pasuk endet:

„Und Schet, auch ihm wurde ein Sohn geboren, und er nannte seinen Sohn Enosch – AS [dann] HUCHAL [wird noch übersetzt]. Damals fing man an, den Namen des Ewigen anzurufen“. (siehe 4:26)

Auf den ersten Blick scheint die Übersetzung dieses Pasuk ganz einfach zu sein: HUCHAL bedeutet BEGANN, und deshalb sagt uns die Thora nun, daß der Mensch zu Enoschs Zeit anfing, ‚den Namen des Ewigen anzurufen‘. Und in der Tat erklären Raschbam und Ibn Ezra diesen Pasuk auf diese Weise. Aber die klassischen Kommentatoren (ebenso wie CHAZAL im Midrasch) interpretieren diesen Pasuk genau gegenteilig, denn Ihrer Ansicht nach bedeutet „HUCHAL“ eine Verunglimpfung von Gottes Namen (schoresch „chilul“ – siehe Tirgum Unkelos). Zum Beispiel:

  • Raschi – Der Mensch begann, GÖTZEN ZU VEREHREN, indem er bestimmte Gegenstände und/oder Personen mit Gottes Namen belegte.
  • Raw Saadyah Gaon – die Anrufung in Gottes Namen wurde BESCHMUTZT.
  • Ramban – Der Mensch LÖSCHTE [„bitul“] Gottes Namen aus.
  • Rambam – Der Mensch begann, GÖTZEN zu verehren [Hilchot Avodah Zara I:1]
  • Mesechet Schabbat 118b bedient sich der Generation von Enosch als

Musterfall der Götzenverehrung!]

Dieser ganze Ansatz scheint ziemlich merkwürdig. Schließlich finden wir in diesem Pasuk zum ersten Mal in Chumasch eine (anscheinend) POSITIVE Aussage in bezug auf den Fortschritt der Menschheit. Weshalb sieht also Chazal diesen Pasuk in einem solch NEGATIVEN Licht? Um diese Frage zu beantworten und Chazal besser zu vestehen, werden wir zeigen, daß diese ‚negative‘ Deutung auf zwei Schlüsselausdrücken gründet, die die Thora in diesem Pasuk verwendet.

1) „as huchal“

2) „l’kro b’schem Haschem“

Kämen diese beiden Ausdrücke nirgendwo sonst in Sefer Bereschit vor, dann würde sehr wahrscheinlich jedermann dieser ‚einfachen‘ Auslegung (wie von Raschbam vorgeschlagen) zustimmen, wonach der Mensch BEGANN, Gott anzurufen (oder zu ihm zu beten). Wir werden jedoch sehen, wie das Wort „hu’chal“ und der Ausdruck ‚den Namen des Ewigen anrufen‘ an vielen Stellen in Sefer Bereschit erscheinen, und deshalb müssen diese Quellen zur Erklärung unseres Pasuk in 4:26 berücksichtigt werden.

Beginnen wir mit „hu’chal“ und beachten wir, wie dieses Wort an allen anderen Stellen in Parschiot Bereschit und Noach einen NEGATIVEN Kontext hat.

VOR DER FLUT

Gleich nach der Einführung Noachs (6:1-4) finden wir in der Thora eine weitere interessante Verwendung von „hu’chal“:

„va’yhi ki HE’CHEL ha’adam…“ – Es war nun, als die Menschen anfingen, sich zu mehren und ihnen Töchter geboren wurden … “ (6:1)

Dieser Pasuk führt in die Geschichte des MABUL mit Gottes Zorn über das Verhalten des Menschen ein (daher die Begrenzung seiner Lebenszeit auf 120 Jahre). [Beachten Sie Raschi, der erklärt, daß sich die 120 Jahre auf die Flut selbst beziehen!]

Selbst wenn „he’chel“ ganz klar einen ‚Anfang‘ beinhaltet (siehe Ibn Ezra), kann doch kein Zweifel bestehen, daß dieser Pasuk den Anfang eines NEGATIVEN Prozesses markiert! [Siehe Ramban.]

NACH DER FLUT

Beachten wir, wie die Thora auf ganz ähnliche Weise gleich nach der Flut eine Beschreibung Noachs und Kanaans einführt (als Noach berauscht wird/ siehe 9:20-27):

„VA’YACHEL Noach isch ha’adama“ – Und Noach BEGANN als Mann des Ackers und pflanzte Weinland …“ (siehe 9:20)

Wieder finden wir hier den BEGINN eines ‚Abwärts-‚ Prozesses. Auch wenn Rasag und Seforno „va’yachal“ als ‚begann‘ erklären, erklärt Raschi (er zitiert dazu den Midrasch) „va’yachel“ als „chulin“ – daß er sich selbst beschmutzte.

VOR MIGDAL BABEL

Im nächsten Kapitel, in dem die Thora die Genealogie der Enkel Noachs aufführt, finden wir noch eine weitere Verwendung des Wortes „ha’chel“ in der Beschreibung von Nimrod:

„Und Kusch zeugte Nimrod, HU HA’CHEL – er BEGANN – ein GIBOR [Held] auf Erden zu sein .. Und das Erste seines Reiches war: Babel.“

Hier enthält „ha’chel“ ganz klar die Bedeutung eines ‚Anfangs‘, aber wie wir alle wissen (und worauf der Pasuk mit der Erwähnung von Babel anspielt), ist es sehr wahrscheinlich Nimrod, der als führender Kopf hinter dem Turmbauprojekt von Babel steht. [Siehe Raschi 10:8, beachte auch schoresch „mered“ [Aufstand] in seinem Namen „nimrod“/ beachte gleichfalls Ibn Ezra über diesen Pasuk!]

Einmal mehr sehen wir hier den Beginn einer ‚Abwärts-‘ Entwicklung.

AM MIGDAL BABEL

Wenn Gott schließlich ‚herabsteigt‘, um die Erbauer von MIGDAL BABEL zu bestrafen (siehe 11:1-9), finden wir eine weitere Verwendung von „hu’chal“:

„Da stieg der Ewige herab, um die Stadt und den Turm zu sehen …

Da sprach der Ewige: >Sieh, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle, … w’seh HA’CHILAM la’asot – und dies ist der ANFANG ihres Tuns …

Wolan, wir wollen hinabsteigen …“ (siehe 11:5-6)

Ein weiteres Mal verwendet die Thora genau dieses Wort, um den Beginn eines Prozesses zu bezeichnen, der gegen Gottes Willen ist!

ZURÜCK ZU ENOSCH

Ausgehend von diesen vier Beispielen der Verwendung des Wortes „hu’chal“ zur Beschreibung des ANFANGS eines ABWÄRTS-Prozesses in der Thora wird es kaum erstaunen, daß Chazal in 4:26 eine ganz ähnliche Erklärung anbieten, daß nämlich die Generation von ENOSCH begann, Gottes Namen zu ‚beschmutzen‘ statt zu preisen.

Schon diese Analyse allein kann Chazals ’negative‘ Interpretation dieses Pasuk erklären, aber der zweite Ausdruck -„l’kro b’schem Haschem“ – hilft uns vielleicht noch besser zu verstehen, weshalb dieser Pasuk so grundlegend für die Geschichte der ‚Götzenanbetung‘ wird.

Erinnern wir uns, wie in Parschat Lech L’cha genau der gleiche Ausdruck verwendet wird, als Awraham Awinu in Bet-El ankommt (und dorthin zurückkehrt):

„und er baute dort einen Altar dem Ewigen und rief den Namen des Ewigen an [va’yikra b’schem Haschem]“ (siehe 12:8)

[Siehe Ramban über diesen Pasuk, vgl. auch 13:3-4 und 21:33.]

[Siehe auch den vorgesehenen Schiur dieser Woche über Parschat Noach.]

Wie der Prophet Zefania später selbst erklärt, wird dieser Begriff zum höchsten Ziel der Jüdischen Nation: „Ja, dann erwandle ich den Völkern entsühnte Lippe, daß alle BEI DES EWIGEN NAMEN RUFEN – l’kro kulam b’schem Haschem – ihm dienen mit vereinter Schulter“ (siehe Zefania 3:9/ vgl. auch I Könige 8:41-43).

Wenn unsere Deutung richtig ist, daß Awraham Awinu auserwählt ist, die Sünden von Migdal Babel wiedergutzumachen und die Menschheit auf den rechten Pfad zurückzuführen, dann hat es thematisch durchaus Sinn, den Pasuk in bezug auf die Generation von Enosch (4:26) als negativen Schritt zu erklären.

Awraham wird nicht nur auserwählt, die Sünde von „w’naaseh lanu SCHEM“ (siehe 11:4) zu sühnen, sondern auch, um die Menschheit zu lehren, was sie seit der Zeit Enoschs falsch verstanden hatte, nämlich die Sünde „as hu’chal…“.

Wenn Sie eine vollständigere Erklärung wünschen, lesen Sie einfach das ganze erste Kapitel des Rambam in Hilchot Awoda Sara (in Sefer MADA). Wenn Sie diesen Rambam sorgfältig lesen, werden Sie bemerken, wie das gesamte Kapitel seine Auslegung von Sefer Bereschit wiederspiegelt!

[Schauen Sie sich auf jeden Fall auch Sefornos Einführung zu Sefer Bereschit an. Sie ist einfach ein Meisterstück. Beachten Sie, wie er sich auf den obigen Pasuk aus Zefania 3:9 bezieht!]

TEIL II – TOLADOT BNEI NOACH

Kapitel zehn zeichnet die Genealogien von Schem, Ham und Jefet auf, aber wenn Sie sich dieses Kapitel aufmerksam ansehen, werden Sie merken, daß es sehr viel mehr enthält als nur eine Liste von Namen. Denken Sie zunächst daran, wie aus JEFET Europa wird (d.h. Griechenland etc.). Aus Ham wird Ägypten (Mizrayim, Kusch, etc.) und die sieben Stämme von Erez Kanaan einschließlich Kanaan selbst und die Grenzen seines Landes (siehe 10:15-20, beachten Sie, wie daraus eine eigene ‚parschia‘ wird!). Aus SCHEM schließlich wird Mesopotamien (und Asien).

Die Beschreibung von Bnei JEFET ist ziemlich geradlinig. In der Beschreibung HAMS finden wir jedoch einen Schwerpunkt auf Nimrod, weil dieser sehr wahrscheinlich zum Erbauer von Migdal Babel wird und in das Land Mesopotamien einzieht (siehe 10:10-12/ beachten Sie Raschi and Ramban!).

Wir sehen auch, daß auf Kanaan besonders eingegangen wird, denn Chumasch wird später erklären, wie Gott Awraham das Land Kanaan gibt (beachten Sie 15:18-20).

Schließlich ist ziemlich klar, daß der Schwerpunkt von Bnei SCHEM auf EWER liegt, seinem Urenkel! Beachten Sie den Pasuk am Anfang:

„Und SCHEM, auch ihm wurden Söhne geboren, er [SCHEM] ist der [Vor]Vater ALLER der Kinder von EWER, und [er SCHEM] ist der ältere Bruder von JEFET.“ (Siehe 10:21)

Dann führt die ‚parschia‘ rasch alle eigenen Kinder SCHEMS auf, wobei das Hauptaugenmerk auf AR-PA-CHSCHAD liegt – der SCHELAH zeugt – der Ewer zeugt. (vgl. 10:22-25). Über EWER wird dann ausführlich gesprochen, seine zwei Söhne werden genannt: PELEG und JOKTAN, gesprochen wird über den Grund für PELEGS Namen, über die Kinder von Joktan und darüber, wo sie lebten (siehe 10:25-30). Es wird ziemlich deutlich, daß EWER der wichtigste Nachfahre ist, und deshalb sollte es nicht überraschen, wenn CHAZAL von der YESCHIVA von SCHEM & EVER sprechen.

Sehr wahrscheinlich beziehen sich spätere Verweise auf einen „iwri“ in Chumasch, wie in „Awram ha’iwri“ (siehe 14:13), auf die Nachkommen von EWER.

Wir sehen also, daß Kapitel 10 nicht nur die Nachfahren Noachs beschreibt, sondern auch ein ‚Vorspiel‘ für die folgenden Geschichten in Chumasch ist, etwa so, als ob hier die Schauspieler eingeführt würden. [Vergleichen Sie auch Schemot 6:14-28, „w’akmal“.]

Klar ist auch, daß Kapitel 10 die Geschichte von Migdal Babel einleitet, was sich schon mit dem Verweis auf 10:5,10,20,31,32 belegen läßt. [Was die ‚richtige‘ chronologische Reihenfolge der Kapitel 10 und 11 angeht, ist Radak über 10:32 zu beachten, siehe auch Raschi & Ramban über 11:1.] 

TEIL III – SCHEM & HAM

Wie viele von Ihnen sicher wissen, gibt es in Chumasch das sehr interessante Phänomen, daß ein Schlüsselwort innerhalb einer ‚parschia‘ SIEBEN Mal wiederholt wird (oder ein Vielfaches von Sieben). [Klassische Beispiele sind das Wort „schewa“ in Bereschit 21:22-34, das Wort „wa’yischma“ in Parschat Jitro (Schmot Kapitel 18) und das Wort „wa’yar“ in Parschat Balak.]

Einer meiner Schüler hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß dies auch für die Geschichte von Migdal Babel gelten könnte (siehe 11:1-9), wo das Wort „schin.mem“ sieben Mal in Erscheinung tritt, manchmal als „schem“ (Name) und manchmal als „scham“ (dort).

Beachten Sie, wie es auch hier SIEBEN Mal erscheint und noch einmal

die Wichtigkeit des Wortes SCHEM in Chumasch unterstreicht!

 TEIL IV – SIEBEN B’HEYMOT T’HOROT

Da wir gerade von ’sieben‘ sprechen. Mein guter Freund Danny Berlin sprach heute morgen ein hübsches ‚vort‘ mit mir, um zu erklären, weshalb Gott Noach befahl, gerade SIEBEN reine Tiere in die Arche zu bringen. Er erklärte das wie folgt:

2 Tiere für den Standard „sachar u’nekaweh“, männlich und weiblich,

4 Tiere, die als Korbanot OLAH nach dem MABUL dargebracht werden,

eines für ihn selbst und je eines für seine drei Söhne. [vgl. Ijow 1:5!] und

1 Tier zum Verzehr! Erinnern wir uns, daß Gott dem Menschen nach dem MABUL erlaubt, Tiere zu verzehren – siehe 9:2-5! Und Noach aß natürlich nur koschere Tiere.

Macht 7 insgesamt.

Schabbat Schalom,
Menachem

Ein Projekt der Synagoge Fraenkelufer-Berlin