Parschat Bereschit

Von Rabbi Menachem Leibtag
Schiurimreihe Fraenkelufer

Wie viele Schöpfungsgeschichten gibt es in Parschat Bereschit, EINE oder ZWEI? Obgleich diese Frage öfter von Bibelforschern als von Jeschiwa-Schülern erörtert wird, verbirgt sich in ihr doch eine wichtige geistliche Botschaft. Der Schiur dieser Woche erörtert die Struktur von Parschat Bereschit und versucht damit, die Bedeutung der Schöpfungsdarstellung in der Thora verständlicher zu machen und gewissermaßen ‘die Bühne zu bereiten’ für unsere Diskussion des Gesamtthemas des Sefer Bereschit in den folgenden Schiurim.

PEREK ALEPH & PEREK BET
Aus literarischer Sicht läßt sich recht einfach zwischen zwei verschiedenen Abschnitten in der Schöpfungsdarstellung der Thora unterscheiden:

ABSCHNITT I – DIE SCHÖPFUNG IN SIEBEN TAGEN / 1:1-2:3

ABSCHNITT II – DER MENSCH IM GARTEN EDEN / 2:4 -3:24

ABSCHNITT I, besser als PEREK ALEPH bekannt, läßt sich seiner strengen Struktur wegen leicht eingrenzen; jeder Schöpfungstag folgt hier einem Standardmuster. Jeder Tag:

* Beginnt mit dem Ausdruck: „WA’JOMER ELOKIM…“, der eine neue Stufe der Schöpfung ankündigt (1:3,6,9,14,20,24);

* Fährt fort mit „WA’JAR ELOKIM ki tow“ (1:4,10,12,18,21,31);

* Schließt mit „WAJHI EREW WAJHI BOKER, JOM…“ (1:5,8,13,19,23,31).

Überdies lautet Gottes Name in diesem Abschnitt ausschließlich „schem Elokim“ (im Gegensatz zur Verwendung von „schem Hawaja“ im nächsten Abschnitt). Und schließlich ist auch die Verwendung des Verbs „bara“ (etwas ex nihilo erschaffen – etwas aus nichts) charakteristisch nur für diesen Perek.

Zudem weist nicht nur die besondere Struktur, sondern auch der INHALT von PEREK ALEPH darauf hin, daß dieser Abschnitt eine in sich geschlossene Einheit darstellt. Er enthält eine VOLLSTÄNDIGE Geschichte der Schöpfung mit einer klassischen Gruppe zusammenpassender Psukim (Versen) für Einleitung und Schluß. Der Abschnitt eröffnet mit:

„BERESCHIT (im Anfang), BARA ELOKIM – schuf Gott SCHAMAJIM und AREZ. [Zuvor] war alles ein TOHU WA’WAHU – völliges CHAOS, [dann]…“ (1:1-2).

Im Gegensatz zu diesem ursprünglichen Chaos finden wir am Ende der sechs Schöpfungstage ein DURCHSTRUKTURIERTES UNIVERSUM im Zustand vollkommener Ordnung. Daher:

„WAJCHULU ha’SCHAMAJIN w’ha’AREZ… Da segnete Gott den siebenten Tag … denn an ihm RUHTE er von all seinem Werk – „ascher BARA ELOKIM“ – das Gott zu wirken geschaffen.“ (2:1-3)

Diese Psukim (Versen) bilden einen angemessenen Abschluß dieses ersten Abschnitts.

ABSCHNITT II, besserer bekannt als PEREK BET (2:4-3:24), scheint eine gegensätzliche Darstellung der Schöpfungsgeschichte zu geben. Wir führen dafür mehrere Gründe an:

* In diesem ganzen Abschnitt lautet Gottes Name nicht mehr einfach ELOKIM, sondern vielmehr HASCHEM ELOKIM („schem Hawaja“).

* Im Gegensatz zu PEREK ALEPH, wo der Mensch das LETZTE Stadium der Schöpfung bildet, ist er in PEREK BET das ERSTE!

– Bäume und Pflanzen wachsen erst, NACHDEM Adam erschaffen ist/ 2:5;

– Ebenso werden die Tiere erst danach erschaffen/2:18-21.

* Im Gegensatz zum konsistenten Gebrauch des Verbs „bara“ in PEREK ALEPH verwendet PEREK BET das Verb „ja’zar“ (Schöpfung ‚etwas aus etwas’/ vgl. 2:7,19).

Diese offensichtlichen Widersprüche lassen sich zwar miteinander vereinbaren (wie viele Interpreten das auch tun), aber es besteht kein Zweifel, daß dieser Abschnitt zumindest eine widersprüchliche Geschichte zu bieten scheint.

Weshalb stellt die Thora die Schöpfungsgeschichte auf diese Weise dar? Offensichtlich können wir nicht die Behauptung der Bibelforscher akzeptieren, wonach diese beiden Abschnitte zwei gegensätzliche Überlieferungen widerspiegeln, denn die gesamte Thora wurde Mosche Rabeinu am Har Sinai gegeben. Dieser einzigartige Stil muß also beabsichtigt sein, und wir müssen daher nach der prophetischen Bedeutung hinter dieser Art der Darstellung suchen.

Zwei prominente Thora-Gelehrte unseres Jahrhunderts haben sich ausführlich zu dieser Frage geäußert. Den analytischen Aspekt, den Ansatz von „schtei bchinot“ (zwei Perspektiven), hat Rabbi Mordechei Breuer in seinem Buch Pirkei Moadot und in zahlreichen Beiträgen in der Zeitschrift M’gadim erschöpfend dargestellt. Die philosophischen Implikationen wurden von Raw Soloveichik ZT“L in seinem Aufsatz ‚The Lonely Man of Faith‘ [Der einsame Mensch des Glaubens] (Adam I & Adam II) erörtert.

Eine Zusammenfassung dieser beiden Ansätze würde den Rahmen dieses Schiur sprengen (es wird empfohlen, die genannten Texte zu lesen). Statt dessen werden wir eine einfache Analyse von PEREK ALEPH & PEREK BET durchführen und einige Überlegungen zu ihrer Bedeutung anstellen.

PEREK ALEPH – DIE ERSCHAFFUNG DER NATUR

Chumasch ist ein Buch des „n’wuah“ (Prophezeiung) und KEIN historisches oder wissenschaftliches Werk, und deshalb können wir erwarten, daß seine Darstellung der Schöpfungsgeschichte sich in erster Linie auf die Beziehung des Menschen zu Gott konzentriert, auf das Wesen von n’wuah. Von hier ausgehend beginnen wir unsere Analyse.

Wir haben bereits gesagt, daß Perek Aleph eine sehr strenge Struktur aufweist; Gottes Handlungen werden in ähnlicher Weise dargestellt. Dennoch ist jeder Tag einzigartig, denn an jedem Tag wird etwas neues erschaffen. Um uns über das Fortschreiten des Schöpfungsprozesses von Tag zu Tag Klarheit zu verschaffen, müssen wir zunächst zusammenfassen, was an jedem Tag erschaffen wurde. Beginnen wir mit einer Aufstellung.

AM … TAG ERSCHUF GOTT …
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I. HELLE
II. „RAKIJA“ – Scheidung der MAJIM oben und der MAJIM unten.
III. AREZ (das Land) – das Pflanzen trägt
A. samentragende Pflanzen / „esew masria sera“
B. fruchttragende Bäume / „ez pri oseh pri“
IV. LEUCHTEN AM SCHAMAJIM (Sonne, Mond, Sterne etc.)
V. LEBENDE WESEN:
A. Vögel am RAKIJA SCHAMAJIM
B. Fische im MAJIM (Meer)
VI. LEBENDE WESEN, die auf AREZ leben (an Land)
A. Tiere – in allen Formen
B. Der Mensch – b’zelem Elokim, gesegnet von Gott, über
alle lebenden Wesen zu herrschen
C. Nahrung für diese lebendigen Geschöpfe:
1. Mensch – Grünes und Früchte (1:29)
2. Tiere – nur Grünes (1:30)
VII. SCHABBAT
Machen wir aus dieser Aufstellung nun eine Tabelle. Stellen wir die ersten drei den drei letzten Tagen gegenüber, so ergibt sich eine erstaunliche Parallele:

TAGE 1 -3 – TAGE 4 – 6
I. HELLIGKEIT – IV. LEUCHTEN am Himmel
II. RAKIJA SCHAMAJIM (oben) – V. Vögel am SCHAMAJIM
MAJIM (unten- das Meer) – Fische im MAJIM
III. AREZ (Land) – VI. Tiere auf AREZ
samentragende Pflanzen – Nahrung für die Tiere
früchtetragende Bäume – Nahrung für den Menschen

Es würde, wie gesagt, den Rahmen dieses Schiur sprengen, die volle Bedeutung dieser Ordnung zu erklären, aber die Parallele in der inneren Struktur von PEREK ALEPH liefert doch einen weiteren Beleg dafür, daß es als in sich abgeschlossene Einheit verstanden werden sollte. Davon ausgehend müssen wir uns nun fragen, was genau in diesen sechs Tagen erschaffen wurde.

GÖTTLICHE EVOLUTION

Wir haben schon erwähnt, daß PEREK ALEPH eine vollständige Geschichte des Schöpfungsprozesses enthält. Im Gegensatz zu einem Ursprungszustand des totalen Chaos finden wir nach sechs Tagen ein schön geordnetes Universum vor, das alle die verschiedenen Lebensformen enthält, die uns vertraut sind, einschließlich Pflanzen, Tiere und den Menschen.

Halten wir fest, daß die Thora betont, daß jede Lebensform so geschaffen ist, daß ihr Überleben gesichert ist, d.h. ihre Fähigkeit zur Reproduktion:

a. Pflanzen: „esew masria sera“ – samentragende Pflanzen „ez pri oseh pri“ – fruchttragende Bäume (1:11-12)

b. Fische und Vögel: „pru u’rwu“- fruchtet und mehrt euch (1:22)

c. Mensch: „pru u’rwu…“ –fruchtet und mehrt euch (1:28)

Dieses Ergebnis des Schöpfungsprozesses nennen wir NATUR – das genaue Gegenteil von TOHU WA’WAHU. PEREK ALEPH beschreibt dann Gottes Erschaffung der Natur, des gesamten materiellen Universums und seiner Erscheinungen. Wir lernen, daß es die Natur nicht immer gab, sondern daß ihre Erschaffung vielmehr ein Willensakt GOTTES war. Indem wir den Schabbat einhalten und am siebenten Tag ruhen, wie Gott es tat, bekräftigen wir unseren Glauben, daß Gott die Kraft hinter der Natur ist.

Diese Einsicht verhilft uns vielleicht zum besseren Verständnis der Verwendung des Verbs „bara“ in der Thora, genauer in PEREK ALEPH. Erinnern wir uns, daß „bara“ die Schöpfung ex-nihilo impliziert, die Erschaffung von etwas aus nichts. Achten wir nun darauf, an welchen Stellen „bara“ DREI MAL in PEREK ALEPH aktiv verwendet wird. Es sind genau die Stellen, an denen wir auf die Erschaffung jeder der grundlegenden Lebensformen stoßen (d.h. Pflanzen, Tiere und Mensch), worin sich drei grundlegende Stufen der evolutionären Entwicklung der Natur spiegeln:

* STUFE I – Alle Materie und Pflanzen –

„Breischit BARA Elokim et ha’SCHAMAJIM w’et ha’AREZ“ (1:1)

Das schließt alles in den SCHAMAJIM und auf AREZ ein, d.h. die Erschaffung aller „domem“ (unbelebten Gegenstände) und „zomejach“ (Pflanzen). Halten wir fest, daß dies während der ersten VIER Tage der Schöpfung geschieht.

* STUFE II – Das Tierreich

„wa’JIWRA Elokim – und Gott schuf die TANINIM und alle lebenden Wesen … nach ihrer Art“(1:21)

Eingeschlossen sind Vögel, Fische, auf der Erde lebende Wesen etc., die am fünften und sechsten Tag erschaffen werden.

* STUFE III – Mensch

„wa’JIWRA Elokim et ha’ADAM…“ (1:27)

Die Erschaffung des Menschen b’zelem Elokim, in Gottes Bild.

WARUM HIER BEGINNEN?

Weshalb beginnt die Thora damit, dem Menschen zu sagen, daß die Erschaffung der Natur ein Willensakt Gottes war?

Der Zweck von n’wuah ist, wie wir erklärt haben, die Beziehung des Menschen zu Gott zu definieren. Die grundlegendste Beziehung des Menschen ist die zur Natur, d.h. zu seiner Umgebung und seiner Umwelt. Der Mensch braucht Gott nicht, um sich darüber klar zu werden, daß die Natur existiert; sie fällt ihm tagtäglich ins Auge. Der Mensch kann der Natur nicht ausweichen, vielmehr muß er über sie nachdenken und mit ihr ringen.

Ohne die Thora könnte man leicht schließen, daß die Natur die Manifestation vieler Götter ist, wie der frühe Mensch glaubte. Die Natur wurde einem Pantheon von Göttern zugeschrieben, die oftmals miteinander in Streit lagen. Der moderne Mensch gelangt gewöhnlich zu einer genau entgegengesetzten Folgerung – daß die Natur sich nämlich auf überhaupt keinen Gott bezieht. Chumasch MUSS mit der Schöpfungsgeschichte beginnen, denn die Beziehung des Menschen zu Gott gründet auf seiner Einsicht, daß die Natur in der Tat der Akt eines einzigen Gottes ist. Er erschuf das Universum und wacht weiter über es.

Zudem ist die Verwendung des Verbs „bara“ in der Thora zur Beschreibung der Erschaffung des Menschen äußerst wichtig. Wer die Natur und seine Beziehung zum Tierreich wahrnimmt, könnte leicht schließen, daß er im Grunde ein Teil des Tierreichs ist. Er mag fortgeschrittener oder weiter entwickelt sein als der ‚durchschnittliche Affe‘, aber biologisch unterscheidet er sich nicht von ihm. Die Verwendung des Verbs „bara“ zur Beschreibung der göttlichen Erschaffung des Menschen sagt uns, daß der Mensch eine völlig neue Art in der Schöpfung darstellt. Er ist „b’zelem Elokim“ erschaffen, im Bild Gottes, d.h. er besitzt, anders als jede andere Form der Natur, ein geistiges Potential. [Siehe den Rambam ganz am Anfang von Moreh N’wuchim (I.1), wo er „zelem Elokim“ als das Charakteristikum des Menschen definiert, das ihn vom Tier unterscheidet.]

DER MENSCH – IN PEREK ALEPH

In Perek Aleph erscheint der Mensch nicht nur als Höhepunkt der Schöpfung, sondern als deren HERR:

„Und Gott segnete sie und sprach: >Fruchtet und mehrt euch und füllet die Erde und zwingt sie nieder und gewältigt die Fischbrut des Meeres und das Vogelvolk des Himmels und alles Getier, das sich regt auf der Erde!<“ (1:28). Diese Segnung des Menschen ist KEIN Befehl, sondern definiert vielmehr die Natur des Menschen. Ebenso wie die Pflanzen natürlich wachsen und die lebenden Dinge sich vermehren, ist es für den Menschen ‚natürlich‘, seine Umwelt zu beherrschen, es wird ihm zum Instinkt. Perek Aleph lehrt den Menschen anzuerkennen, daß seine Beherrschung aller lebenden Dinge ebenfalls im Willensakt der göttlichen Schöpfung angelegt ist. Er muß sich jedoch die Frage stellen: „Zu welchem Zweck?“ Hat Gott den Menschen bloß geschaffen, oder unterhält er zu seiner Schöpfung weiterhin eine Beziehung? Entzieht sich das Schicksal des Menschen seiner Kontrolle, oder besteht eine Verbindung zwischen dem Tun des Menschen und Gottes „haschgacha“ (Vorsehung) über ihn? Die Antwort auf diese Frage liegt in PEREK BET! PEREK BET – DER MENSCH IM GARTEN EDEN Perek Bet erzählt die Geschichte der Schöpfung aus einer ganz anderen Sicht. Zwar steht am Anfang ein Pasuk (Verse), der diese beiden Geschichten verknüpft (2:4), aber dann wird der Mensch in einer Umgebung beschrieben, die völlig verschieden von der in PEREK ALEPH ist. In PEREK BET steht der Mensch im Mittelpunkt des gesamten Schöpfungsprozesses. Beinahe jeder Akt Gottes geschieht hier um des Menschen willen: * Keine Pflanzen können vor der Erschaffung des Menschen grünen (2:5); * Gott pflanzt einen besonderen Garten, in dem der Mensch leben soll (2:8); * Gott ‚beauftragt‘ den Menschen, den Garten ‚zu bebauen und zu bewachen‘ (2:15); * Gott erschafft die Tiere im Versuch, ihm einen Gefährten zu schaffen (2:19/ vergleiche 2:7!); * Gott schafft ein Weib für den Mann (2:21-23). Im Gegensatz zu Perek Aleph, wo die Aufgabe des Menschen in der Beherrschung von Gottes Schöpfung besteht, muß der Mensch in Perek Bet gehorsam sein und für Gott arbeiten, indem er sich um den Garten kümmert: „Da nahm der Ewige, Gott, den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden – L’OWDAH w’l’SCHOMRAH – daß er ihn bebaue und bewache.“ (2:15) Am wichtigsten ist, daß der Mensch in PEREK BET in eine Beziehung zu Gott eintritt, die BELOHUNG und STRAFE enthält, d.h. daß er nun verantwortlich für sein Tun ist. Zum ersten Mal in Chumasch hören wir, wie Gott dem Menschen BEFIEHLT: „Und der Ewige, Gott, gebot dem Menschen und sprach: >Von allen Bäumen des Gartens DARFST DU ESSEN; aber vom Baum des Wissens um Gut und Böse SOLLST DU NICHT ESSEN, denn an dem Tag, da du davon ißt, MUSST DU STERBEN … “ (2:16-17)

Diese ganz besondere Beziehung zwischen Mensch und Gott im Garten Eden gibt das Muster vor für andere Beziehungen, die sich später in Chumasch zwischen Mensch und Gott finden (z.B. in Mischkan).

Gottes Name in PEREK BET – HASCHEM ELOKIM (besser bekannt als „schem HAWAJA“) – widerspiegelt genau dieses Verständnis. Der schem HAWAJA kommt von der schoresch (Wurzel) – „l’hijot“ (sein, d.h. gegenwärtig sein). Dieser Name unterstreicht, daß der Garten Eden eine Umgebung ist, in der der Mensch Gottes GEGENWART erkennen und in dem er folglich eine Beziehung zu ihm haben kann.

Gehorcht der Mensch Gott, so kann er im Garten bleiben und ein enges Verhältnis zu Gott genießen. Gehorcht er aber nicht, muß er sterben. Im nächsten Kapitel wird diese ‚Todesstrafe‘ in die Verbannung des Menschen aus dem Garten Eden umgewandelt. In biblischen Worten heißt das: sich von Gott entfernen, ist gleichbedeutend mit dem Tod. [Siehe Dwarim 30:15-20.]

In der Umgebung des Gartens Eden sieht sich der Mensch vor einem Konflikt zwischen seinem „taawa“ (Begehren) und seiner Pflicht zum Gehorsam gegenüber Gott. Die „nachasch“ (Schlange), die diese Schwäche erkennt, fordert den Menschen dazu heraus, schon die Existenz dieser göttlichen Beziehung in Frage zu stellen (3:1-4). Folgt der Mensch seinen Begierden und gehorcht Gott nicht, wird er aus dem Garten Eden verbannt.

Ob der Mensch in diese ideale Umwelt zurückkehren kann oder nicht, das wird später zu einem wichtigen biblischen Thema werden.

EINE DOPPELTE EXISTENZ

Aus PEREK ALEPH lernen wir, daß Gott tatsächlich der Schöpfer der Natur ist, daß aber diese Einsicht noch nicht notwendig dazu führt, daß der Mensch eine persönliche Beziehung zu Ihm entwickeln kann. Die in PEREK BET geschaffene Umwelt, obgleich in ganz physischen Begriffen beschrieben, ist von eher spiritueller Art, denn in ihr hat Gott alles für den Menschen geschaffen. Er muß Gott jedoch gehorchen, um diese besondere Beziehung zu genießen. In dieser Umgebung hängt das Schicksal des Menschen direkt von seinen Taten ab.

Welche Schöpfungsgeschichte ist also die richtige, PEREK ALEPH oder PEREK BET? Eindeutig beide, denn im täglichen Leben befindet sich der Mensch sowohl in einer körperlichen wie in einer geistigen Umwelt.

Eindeutig lebt der Mensch in einer körperlichen Welt, in der er der Natur gegenübertreten und seinen Daseinszweck in ihrem Rahmen finden muß (PEREK ALEPH). In dieser Welt muß er mit der Natur ringen, um zu überleben. Aber der Mensch lebt auch in einer spirituellen Umwelt, die ihm erlaubt, eine Beziehung zu seinem Schöpfer zu entwickeln (PEREK BET). In dieser kann er ein geistiges Leben finden, indem er Gottes Befehlen gehorcht, während er nach Vollkommenheit strebt. Erkennt er die Existenz dieser Möglichkeit nicht, verfällt er dem spirituellen Tod, der größten Strafe für den Menschen.

Weshalb beginnt die Thora mit der Schöpfungsgeschichte? Wir brauchen nur den Ramban zu zitieren (in Erwiderung auf diese Frage, die durch die ersten Raschi von Chumasch aufgeworfen wird):

„Es besteht eine große Notwendigkeit, die Thora mit der Schöpfungsgeschichte zu beginnen, denn sie ist die ’schoresch ha’emunah‘, die Wurzel unseres Glaubens an Gott.“

Die Einsicht in die Möglichkeit des Menschen, eine Beziehung zu Gott zu entwickeln, das erste Thema von Sefer Bereschit, ist ein Ziel des Chumasch und des Judentums.

Schabbat schalom, menachem

*

FÜR WEITERE IJUN
Beachten Sie, daß Gottes Name in Perek Aleph („Elokim“) im Plural steht!

Weshalb soll ‚ein‘ Gott einen Namen im Plural haben?

Kann sich das Wort Elokim in Chumasch auf etwas anderes als Gott beziehen? Wenn ja, geben Sie Beispiele.
Setzen Sie Elokim zum Wort ‚Macht‘ in Beziehung.

Worauf bezog der frühe Mensch die Naturkräfte? (wie viele Götter?) Setzen Sie dies zum obigen Schiur in Beziehung.
Sehen Sie sich Raw Jehuda haLewi’s Erklärung sowohl von Schem Elokim wie von Schem Hawajah in Kusari ma’amar r’vii an.

Schabbat Schalom,
Menachem

Ein Projekt der Synagoge Fraenkelufer-Berlin