Paraschat Tasria-Mezora – Überlegungen eines Arztes

Von Dr. med. Eli Erich Lasch

Der Abschnitt dieser Woche fängt mit Vorschriften über die Joledet an, die Frau die ein Kind geboren hat.

Wenn eine Frau ein Kind auf die Welt bringt, dann wird sie unrein sein. Wenn es ein Sohn ist, wird sie eine Woche unrein sein, so wie nach einer Menstruation und danach wird sie drei und dreißig Tage zuhause und abgesondert sein, bis sie wieder unversehrt ist. Gebiert sie aber ein weibliches Kind, so wird sie zwei Wochen unrein sein und danach sechs und sechzig Tage zuhause und abgesondert sein, bis sie wieder unversehrt ist.

Unrein? Abgesondert? Was will uns hier die Torah sagen? Und warum dieser Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Kind?

Hier müssen wir uns fragen, was die Torah mit unrein meint. Im Gegensatz zum Deutschen hat der Begriff Tum’ah, Unreinheit; nichts mit körperlicher Sauberkeit zu tun. Es bedeutet nicht Mangel an Sauberkeit oder Reinheit, sondern etwas, das man als ein „Ding an Sich“ bezeichnen kann. Es gibt verschiedene Gründe für Tum’ah, aber alle haben etwas Gemeinsames: ein Zustand, in dem man gewisse Dinge nicht ausführen darf, wie z.B. den Tempel betreten oder Geschlechtsverkehr haben. Sehr oft muss ein Mensch, solange er sich im Zustand von Tum’ah befindet, auch von der Gemeinschaft abgeschieden leben.

Das erklärt unser Problem. Nach der Geburt braucht die Mutter Zeit, in der sie sich ganz sich selbst und ihrem Kind widmen kann. In der ihr Ehemann keine Forderungen an sie stellen kann, insbesondere keine sexuellen. Auch heute wird Partnern geraten, während sechs Wochen nach einer Geburt keinen Geschlechtsverkehr zu haben, weil bis dahin die Frau physisch geschwächt ist. Diese Vorschrift hat sich als ein wichtiger Faktor im Überleben jüdischer Gemeinden erwiesen.

Warum aber der Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Kind? Das ist mit den Gebräuchen der damaligen Zeit und mit dem Status der Frau verbunden. Bis heute zieht man im Orient Söhne vor und deswegen hängt der Status einer Frau von der Zahl der Söhne ab, die sie gebiert. Man muss bedenken, dass in einer Gesellschaft, in der es keine Altervorsorge gibt, die Absicherung für das Alter von der Zahl der Söhne abhängig ist, ebenso wie das Überleben der Familie und der Tradition. Im Gegensatz zu den Söhnen verlassen die Töchter die Familie und werden zu einem Teil einer anderen. Das trifft noch bis heute im Orient und in der traditionellen arabischen Geschichte zu: Wenn nicht genug Nahrung da ist, sind es immer die weiblichen Kinder, die darunter leiden . Das habe ich immer wieder in dem Kinderkrankenhaus, dessen Leiter ich war, bestätigt bekommen. Die meisten der unterernährten Kinder waren weiblichen Geschlechts.

Zurück zur Bibel. Wenn eine Frau einen Sohn gebiert, hat sie einen hohen Status und kann sich soviel Zeit nehmen, wie sie will. Schliesslich ist ihr Sprössling kostbar. Nicht so, wenn es sich um ein Mädchen handelt. Solch eine Frau hat keine Rechte, und muss deswegen von der Bibel beschützt werden. Wie sagen und wiederholen die Propheten ständig: Fügt den Schwachen keinen Schaden zu, sondern beschützt sie. Meiner Ansicht nach sehen wir hier ein wichtiges Beispiel für diese Einstellung.

Unser Abschnitt beschäftigt sich weiterhin mit der Handhabung der Krankheit, die mit „Aussatz“ übersetzt wird. Als erstes möchte ich klar stellen, dass es sich hier zwar um eine Hautkrankheit handelt, aber nicht um die Krankheit, die wir Lepra nennen. Die Symptome passen nicht und archäologische Untersuchungen von Skeletten aus der damaligen Zeit haben eindeutig bewiesen, dass es im antiken Nahen Osten keine Lepra gab. Von welcher Krankheit die Rede ist, wissen wir nicht; denn die Symptome, die in der Bibel beschrieben werden, passen zu keiner heute bekannten Krankheit. Nur eins ist klar: es handelt sich um eine ansteckende Krankheit

Die Frage, die immer wieder gestellt wurde, war, warum sich der Kranke an einen Priester wenden sollte, dessen Aufgabengebiet doch eher geistig-religiöser Art war und nicht medizinisch. Die Torah ist doch kein medizinisches Buch, wird behauptet. Das ist der Grund dafür, dass die Weisen des Talmuds den Begriff „mezora“ (so wird der Kranke in der Bibel genannt) von „laschon hara“ (Verleumdung) ableiten, derjenige, der Böses findet. Dieser Denkweise zu Folge wird also derjenige betroffen, der böse Reden über andere führt (Arachim 15b). Als Beleg wird eine Episode angeführt, in der Miriam von dieser Krankheit betroffen wurde, nachdem sie böse Reden über Moses geführt hatte. (Moses 4, 12, 1-10) Also keine organische Krankheit sondern eine Strafe Gottes.

Lag die Aufgabe der Priester in der Antike wirklich nur auf der religiös-geistigen Ebene? Beschäftigte sich die Religion zu den Zeiten wirklich nur mit geistigen Fragen? Ich glaube, wenn jemand die Bibel mit Aufmerksamkeit liest, wird er sehr schnell vom Gegenteil belehrt. Es gibt kaum ein „religiöses“ Werk, das sich so viel mit allen Bereichen des tagtäglichen Lebens beschäftigt, wie gerade die Torah. Diese wunderbare Kombination des Geistigen mit dem Alltäglichen, von „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern werden und ein heiliges Volk.“ (Exodus 19, 6) bis zu „…damit ihr am Leben bleibet und euch mehret.“ (Deuteronomi 8, 1)

Um ein heiliges Volk zu sein, muss man erst einmal überleben. Deswegen waren in der Antike die Priester auch die Ärzte und diese Verbindung ist es, was in der Bibel zum Ausdruck kommt. Ist das nicht eine bessere Einstellung als die moderne, die den Menschen nur als Maschine ansieht? Der Verfasser der Torah wusste genau, dass es bei jeder Krankheit einen organischen sowie einen geistigen Anteil gibt und dass beide zur gleichen Zeit behandelt werden müssen.

Das bringt uns zurück zu unserem heutigen Abschnitt, der sich an erster Stelle mit der organischen Seite der Krankheit beschäftigt. Besonders interessant ist die Tatsache, dass der Erkrankte, sobald die Krankheit nachgewiesen wurde, außerhalb des Lagers isoliert wurde. Mit anderen Worten: Die Bibel wusste schon damals, dass es so etwas wie ansteckende Krankheiten gibt, die unmittelbar von einem Menschen zum anderen oder über einen Gegenstand, mit dem der Kranke in Berührung war, übertragen werden können.

Man ging in biblischen Zeiten sogar so weit, dass der Kranke nicht zum Priester gebracht wurde, sondern dass der Priester außerhalb des Lagers zu dem Kranken ging. Ebenso wurden alle Kleider und Gegenstände, mit denen der Kranke in Berührung gekommen war, verbrannt. Das galt auch, und sogar insbesondere, für Geschlechtskrankheiten, die ebenfalls in dieser Parascha angesprochen werden. Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert, wo sich die Ärzte noch nicht einmal zwischen zwei Patienten die Hände gewaschen haben, musste der Genesende ebenso wie der Priester, der mit ihm in Kontakt gekommen war, sich und seine Kleider gründlich mit Wasser waschen, bevor er wieder in die Gemeinschaft zurückkehren konnte.

Um zu demonstrieren, dass der Genesene nun nicht mehr ansteckend war, wurde am Ende eine religiöse Zeremonie durchgeführt. Unter anderem wurde ein Vogel ausgesandt, ähnlich wie der Sündenbock, zum Zeichen, dass der Kranke auch von seinen Sünden erlöst war. Interessanterweise wird eine weitere Zeremonie durchgeführt, die sehr ähnlich derjenigen war, die von Aaron und seinen Söhnen bei der Weihe zum Priester durchgeführt wurden. Dieser Akt hat eine sehr große Wichtigkeit, weil es sehr schwer ist, das Image eines Menschen zu verändern, insbesondere, wenn er eine ansteckende Hautkrankheit hatte. So ein Mensch war furchterregend und besondere symbolische Handlungen waren notwendig um klarzumachen, dass man vor diesem Menschen keine Angst mehr zu haben braucht.

Bei der Besprechung der „zara’at“ handelt sich also wahrscheinlich nicht um die Behandlung einer gewissen, klar definierten Krankheit, sondern um die Lehre, wie man mit ansteckenden und angsterregenden Krankheiten umzugehen hat. Betont wird die Möglichkeit der Ansteckung und ihre verschiedenen Formen sowie die Wichtigkeit dessen, was man heutzutage Vorbeugung oder Seuchenbekämpfung nennt.

Dieses war einer der Gründe, die es dem jüdischen Volk ermöglicht haben, bis zum heutigen Tag zu überleben – es war eben nicht nur der geistige Teil der dabei wichtig war sondern auch das, was man heute Hygiene nennt.

Ein gutes Beispiel: Als sich im Mittelalter in Europa die Pest ausbreitete, waren die jüdischen Gemeinden kaum betroffen. Wie wir heute wissen, wird die Pest von Flöhen übertragen, die einen toten Körper verlassen, sobald er erkaltet ist, und auf einen gesunden Wirt überspringen um in so zu infizieren. Bei den Juden wurden die Betroffenen sofort nach dem Tod gewaschen und in Leichentücher eingehüllt. So hat man auch zur gleichen Zeit die Flöhe getötet, oder zumindest isoliert. Da die Menschen, die im Mittelalter lebten, nicht viel auf Hygiene gaben, beschuldigen sie die Juden der Zauberkunst und der Vergiftung von Brunnen.