Paraschat Ki Tissah – Das Goldene Kalb

Von Eli Erich Lasch
(„Let there be Freedom – The Bible Unveiled“, Logos Publication, 1989)

Diese Parascha handelt u.a. von einem der vielleicht am meist missdeuteten Themen der Bibel, dem Goldenen Kalb. Insbesondere in der christlichen Literatur wurde diese Episode als Beleg dafür gebraucht, dass die Juden seit jeher dem Mammon huldigen. Obwohl eigentlich das Gegenteil der Fall war: In Wahrheit gaben die Israeliten ihr Gold Aaron um einen Götzen zu schaffen – sie opferten alles, was sie hatten.

Alt-Ägypten war das Land, in dem Moses als Königssohn erzogen wurde und in dem die Söhne Israels 400 Jahre lang gelebt hatten, um schließlich als Sklaven zu enden. In diesem Land war das Goldene Kalb das Symbol für die aufgehende Sonne, das jeden Tag von der Himmelskuh aufs Neue geboren wurde. Die Sonne war, astrologisch gesehen, das Symbol für das Selbst und das Bewusstsein.

Fassen wir nun die biblische Geschichte, die uns die Vorgänge um das Goldene Kalb schildert, kurz zusammen:

Nachdem vierzig Tage – eine symbolische Periode – vorbei waren, und Moses nicht zurückkam, verlor das Volk seine Zuversicht und seinen Glauben, und bat Aaron ihm einen Gott zu schaffen: „Mach uns einen Gott, der uns vorausgeht.“. – Nachdem wir den Glauben verloren haben, machen wir, die Menschen, uns Götter.

Und was passierte dann? Wie schon erwähnt, bat Aaron alle Anwesenden, ihm ihr Gold zu bringen. Gold war in der Antike nicht so sehr ein Zahlungsmittel oder nur einfacher Schmuck, Sondern, insbesondere bei der Priesterkaste das Symbol der Sonne, des Lichtes und des Bewusstseins. Das war der Schmuck, den sie den Ägyptern abgenommen hatten, als sie das Land verließen – das Symbol ihres Sieges. Aaron nahm es aus ihren Händen – auf Hebräisch „mijadam“- auch zu lesen als „mei“= „Wasser (des)“ und „dam“= „Blut(es)“; d. h. er nahm „Blutwasser“, verwässertes Blut. Und in der Bibel ist das Blut der Seele des Tieres gleichgestellt -, legte es in ein „Cheret“= etwas, das Form gibt, und schuf damit ein gegossenes Objekt, welches traditionell als „Kalb“ bezeichnet wird. Das hebräische Wort, „jitzer“, das hier für „schuf“ benutzt wurde, ist dasselbe, das im zweiten Schöpfungsbericht die Erschaffung der äußeren Form der Tiere durch Gott und vor der Beseelung bezeichnet. Auch hier handelte es sich um die Erschaffung einer Form ohne Seele.

Die Kabbala nennt die zwei unteren Welten olam ha’jetzira und olam ha’asija, und das ist genau die Reihenfolge, die bei der Schöpfung des gegossenes Bildnisses benutzt wurde.

Es ist auch interessant, dass das Wort „jitzer“ im Wort Mitzraim, dem biblischen Namen für Ägypten enthalten ist, und „cheret“ im Wort Chartumim, der biblischen Bezeichnung für die Zauberer Ägyptens, die „Formgeber“.

Wenn wir nur den Satz noch einmal lesen, erkennen wir, dass Aaron möglicherweise ägyptische Blutmagie, die als sehr mächtig angesehen wurde, benutzt hat, um ein ägyptisches Götzenbild zu schaffen. Ist das der Grund, das der Satz, der gewöhnlich als: „Und Moses sah, dass das Volk wild war, weil Aaron es zuchtlos gemacht hatte“, übersetzt wird, die einzige Stelle in der Bibel ist, an der das Wort für „wild“ oder „zuchtlos“ dieselben Buchstaben enthält wie das Wort „Pharao“, und auch als solches gelesen werden kann. „Und Moses sah, dass Aaron Pharao war“ (Exodus 32, 25). Will uns die Bibel hier andeuten, das Aaron die Methoden Pharaos benutzt hat, um den àgyptischen Götzen zu erschaffen?

Handelte es sich aber wirklich um ein Kalb? Die Bibel benutzt das Wort „egel“, das auch als „agol“= „rund“ gelesen werden kann. Spricht die Bibel hier von einem Kalb oder von einem Bildnis von Re, dem ägyptischen Sonnengott, der in Alt-Ägypten als eine runde Scheibe dargestellt wurde. Die Sonne, die uns Licht gibt und bis heute als notwendig für das Leben auf Erden angesehen wird. War es das, was Aaron hergestellt hat? Als Moses ihn später zur Rechenschaft zog, erzählte Aaron ihm die Geschichte und fügte hinzu: „Ich warf das Gold ins Feuer, und das egel entstand. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich eine Scheibe oder Kugel gebildet hat als ein Kalb.

Im biblischen Glaubenssystem hingegen, und nur dort, wird die Sonne nicht als der Ursprung des Lichtes dargestellt! Im Schöpfungsbericht steht eindeutig, dass das Licht am ersten Tag erschaffen wurde, das Leben am dritten, und die Sonne am vierten! Heute wissen wir, dass nach dem Urknall das erste, was in unserem Universum entstand, Licht oder Photonen waren.

Alles andere kam später! Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass laut der Bibel das Leben vor der Erschaffung der Sonne entstanden ist.

Die Israeliten sind also zurückgefallen und verehren nun die Götter ihrer vorigen Herrscher. Wie sagt darüber der Rambam: „Ein einmaliges Erlebnis wird keinen Menschen von Grund auf verändern, nicht einmal das Vernehmen einer Botschaft, die direkt von Gott kommt, wird ihn urplötzlich von einem Götzendiener in einen Monotheisten verwandeln.“ (Lehrer der Verwirrten 3, Kapitel 32) . Wenn wir zum Augenblick der Offenbarung am Sinai zurückkehren, erkennen wir, dass die Kinder Israel nur eine donnernde Stimme, begleitet vom ständig anschwellenden Laut des Widderhorns gehört hatten. Da sie durch das gewaltige Schauspiel völlig überwältigt waren, konnten sie keines der ausgesprochenen Worte verstehen.

Nach der Bibel waren sie durch all dies so erschrocken, dass sie Moses baten zu ihnen zu sprechen und ihnen die Worte Gottes zu übermitteln. Für sie war Moses die Bezugsperson: „Wir wissen nicht, was mit Moses, der uns aus Ägypten herausgeführt hat, geworden ist. (Exodus 32,1) Sie haben in Ägypten gelernt, das ein Gott „etwas“ ist, das angesehen oder berührt werden kann, das einen Repräsentanten auf Erden hat. Für sie war ein unsichtbarer Gott noch unfassbar. Das ist erwas, was die Israeliten noch lange begleiten sollten, und die Tradition sagt sogar, dass der erste Tempel wegen Götzendienst zerstört wurde. Interessant ist hier zu erwähnen, dass am Anfang seiner Mission Gott Moses sagte: „Und du wirst Aaron zum Elohim sein.“ (Exodus4, 16) Auch Aaron konnte ohne die Vermittlung von Moses mit einem unsichtbaren Gott nicht umgehen.

An diesem Punkt ist es interessant sich den Dialog zwischen Gott und Moses anzuhören, als das goldene Kalb entdeckt wurde:

„Und der Herr sprach zu Moses: Geh, steige hinab, denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten herausgeführt hast, frevelt. Gar bald sind sie von dem Wege abgewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Egel erschaffen und haben es angebetet und ihm geopfert und sagten: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus dem Land Ägypten herausgeführt hat. Dann sprach der Herr zu Moses: ‚Ich sehe, dass dieses Volk ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn wider sie entbrenne und ich sie vertilge; dich aber werde ich zu einem großen Volk machen. Moses aber flehte Gott, seinen Herrn an und sprach: ‚Ach, Herr, warum entbrennt dein Zorn wider dein Volk, das du mit großer Macht und starker Hand aus dem Lande Ägypten herausgeführt hast. Warum sollen die Ägypter sagen: In böser Absicht hat er sie hinausgeführt, um sie im Gebirge umkommen zu lassen. Lass ab von der Glut deines Zornes und lass dich das Unheil gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke deiner Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen Du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen so zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und dieses ganze Land, von dem ich gesprochen habe, will ich euren Nachkommen geben und sie sollen es für immer besitzen. Und der Herr ließ sich das Unheil gereuen, das er seinem Volk angedroht hatte.“ (Exodus 32, 7-14)

Wir haben hier einen interessanten Streit zwischen dem Drang, aus Wut und Frustration ein Unternehmen abzubrechen, das anscheinend verloren ist und der vernünftigeren Überlegung, die uns dazu bringt die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist und allem zum Trotz weiterzumachen. Dies ist der allen kreativen Unternehmungen innewohnende Kampf und ist typisch für die Schwierigkeiten, denen Menschen gegenüberstehen, die sich in einem kreativen Prozess befinden. Nur wenn man diese Versuchungen überwindet, können Ergebnisse erzielt werden. Auch die verwendeten Ausdrücke sind typisch für eine solche Diskussion. Zu Beginn gibt Gott Moses alle Schuld – „dein Volk“, „das Volk, das du aus dem Land Ägypten gebracht hast.“ Als hätte Gott vergessen, dass Er es war, der die Kinder Israel herausgeführt hatte. Als hätte Er vergessen, dass Moses anfangs nicht so erpicht darauf war, die Aufgabe zu übernehmen. Dann kommt die Versuchung: „Ich will ein großes Volk aus dir machen,“ gefolgt von der vernünftigeren Haltung: „Was werden die Ägypter sagen?“ Und schliesslich die Einwilligung weiterzumachen: „Denke an Abraham …“

Als er vom Berg herabstieg, erkannte Moses, dass die Kinder Israels noch nicht für den nächsten Schritt reif waren; und so zerbrach er die ersten Tafeln, nämlich diejenigen, die von Gott selbst geschrieben waren und das göttliche Licht unverdünnt enthielten. Er war nicht so böse auf das Volk, sondern auf sich selbst, weil er die Macht des transformativen Prozesses überschätzt hatte. Er verstand plötzlich, dass es letztendlich nur er war, der Gott am brennenden Busch begegnet war und dass nur er diese transformative Erfahrung durchlebt hat. Diese Sicht oder vielmehr dieses Urteil ist die Grundlage vieler kabbalistischer Glaubenssysteme. Eine der vielen Erklärungen des berühmten Lebensbaumes ist, dass seine Sephirot das göttliche Licht von keter bis zu malchut verdünnen, bevor es die Menschen verbrennt. Diese Symbolik wurde später in der lurianischen Kabbalah des 16. Jahrhunderts wieder aufgegriffen. Dieser Lehre zufolge, war das göttliche Licht, das in die Welt eindrang, zu stark, und zerbrach deshalb die Gefässe, die es aufnehmen sollten: die Menschen.

Um genau das zu vermeiden, zerbrach Moses die Tafeln, die dieses Licht enthielten. Und was geschah mit den zerbrochenen Tafeln? Befanden sie sich auch in der Bundeslade? Wie uns das Buch der Könige I (8-9) zeigt, ist die Antwort darauf negativ. Sie befinden sich unter dem Berg ![i] – und dort warten sie bis heute,- so lange, bis der Mensch die nötige Reife erreichen wird um sich dem Licht nähern zu können, ohne zu verbrennen. Die zweiten Tafeln waren das Werk von Moses selbst, und der Auffassungsgabe der Menschen angepasst. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass selbst im Altertum niemand wusste, wo sich dieser besondere Berg wirklich befindet. Der heutige „Moses-Berg“ hat mit diesem Berg nichts zu tun. Er wurde nach einem frühchristlichen Mönch namens Moses benannt.

Aber das ist nur der erste Teil der Geschichte. Nachdem Moses zurückgekehrt war, nahm er das Kalb, das Aaron erschaffen hatten, verbrannte es (das „goldene“ Kalb!) im Feuer, zermalmte es (wörtlich: „mahlte“ es), bis es ganz fein war, streute es aufs Wasser und tränkte damit die Kinder Israel. Er nahm also die Form, die durch ägyptische Zauberei entstanden war und tat mit ihr etwas, was nach dem damaligen Wissensstand unmöglich war; denn eine grosse goldene Figur kann nicht verbrannt und nur sehr schwer zu Pulver zermahlen werden. Er hat es aber trotzdem getan und zeigte dadurch aufs Neue, dass die göttliche Macht, die ihm zur Verfügung stand, grösser war als die schon ziemlich degenerierte und gottlose der damaligen ägyptischen Zauberer: eine Wiederholung der Szene mit den Schlangen bei der ersten Konfrontation zwischen Moses und Pharaos Zauberern.

Dann streute er das zermahlene Gold aufs Wasser und tränkte damit das Volk. Das hat schon nichts mehr mit dem Machtkampf zwischen dem Gott Israels und den Zauberern Ägyptens zu tun. Dieser war längst entschieden. Dieses war auch wahrscheinlich eine der wenigen Taten, die Moses von sich aus durchführte und nicht auf Geheiß Gottes.

Wenn wir die persönliche Geschichte von Moses zurückverfolgen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass er in die tiefsten Mysterien Ägyptens eingeweiht war, die Mysterien, die nach vielen Überlieferungen im Pentateuch niedergelegt sein sollen. Dieses sind die Mysterien , welche die drei mystischen Ströme der westlichen Welt und des Islams, die Kabbala, die Alchemie und die Astrologie versuchen wieder zu entdecken. Alle drei sehen die Torah als ihr wichtigstes Lehrbuch an, den Brunnen des esoterischem und mystischem Wissens. Das Pardess.

Vom europäischen Mittelalter an bis zum heutigen Nordafrika gibt es Anhänger dieser Künste, die die Alchemie als den praktischen Aspekt der Kabbala ansehen, und es ist auch heute akzeptiert, dass die Kabbala nichts anderes ist, als eine mystische Auslegung der Bibel, insbesondere der Torah. Die mögliche Verbindung mit der Astrologie ist nicht so eindeutig, trotzdem in beiden Systemen die Nummer 12 eine große Rolle spielt und das Jahr im April beginnt.

In all diesen drei Disziplinen spielt das Gold eine wichtige, ja sogar eine Schlüsselrolle, und laut den Alchemisten soll ein Goldtrank(!), auch der „rote Löwe“ genannt, sogar das ewige Leben verleihen. Im Gegensatz zu unserer vergänglichen Welt ist Gold, genau wie das Lebensprinzip selbst, unveränderlich und unzerstörbar.

Moses hingegen, kam gerade von einem Treffen mit der wahren Ewigkeit und die Botschaft, die er mit sich brachte war auch ewig. Als er den Tanz um das goldene Kalb sah, verstand er, dass es noch niemanden gab, der für die Botschaft, reif war, die sich auf den ersten Tafeln befand. Er brauchte einen „Bewahrer dieses Wissens“. Deshalb war es für ihn sehr wichtig, dass das Volk, dem er das Wissen anvertrauen sollte, sich von den anderen Völkern absonderte und unsterblich wurde. Durch den Goldtrank, der aus dem Symbol der Sonne entstand, verinnerlichte er bei den Kindern Israels das Bewusstsein (oder die Sonne), und so wurde das Volk vom äußeren Sonnenzyklus unabhängig. Ein Volk bekam eine Aufgabe, um das es nicht gebeten hat und der es nicht entfliehen kann. So bekam das Volk den Segen – oder den Fluch, der Unsterblichkeit.

Nicht umsonst sagt man, dass Israel „keinen Stern hat“, dass es nicht den Sternen und damit den äußeren Energien unterworfen ist Das ist auch der Grund, dass die Astrologen das Geheimnis der Unsterblichkeit in der Bibel suchten. Sie verstanden aber nicht, dass das Volk als ein Ganzes diese Transformation durchgegangen war und nicht die Individuen. Wenn wir die jüdische Geschichte überprüfen. sehen wir , dass im Gegensatz zu allen anderen Völkern das jüdische Volk unzerstörbar und unsterblich ist, und dass sein Bewusstsein von der Umwelt kaum beeinflusst wurde. Zudem zeigt die Geschichte des jüdischen Volkes, dass all seine Versuche sich anzupassen mit einer Tragödie endeten: So war es zu Zeiten Roms, so war es in Spanien und letztens in Deutschland.[ii]

So führte dieses Erlebnis zu einer Kettenreaktion im Bewusstseinswandel: Verlust des Glaubens – Suche nach einem äußeren Gott – Zerstörung des äußeren Gottes und damit der Abhängigkeit von äußeren Geschehnissen – Verinnerlichung des Bewusstseins – ewiges Leben

Ist die besondere Aufgabe des jüdischem Volkes vollbracht? Das kann nur die Zukunft zeigen.

[i] und nicht „am Fusse des Berges“ wie es gewöhnlich übersetzt wird.
[ii] Die Zerstörung des Tempels in Jerusalem geschah im Jahr 70 A.D., die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahre 1492 und die berüchtigte „Wannsee Konferenz“, in der die „Endlösung der Judenfrage in Europa“ konzipiert und verabschiedet wurde, hat im Jahr 1942 stattgefunden. Die Zahlen für Spanien und für Deutschland sind dementsprechend identisch, und ihre Zusammenfassung ergibt die (mystische) Zahl sieben, und ist deshalb identisch mit dem Datum der Zerstörung durch Rom. Noch ein Beispiel der Zahlenmystik und ihren Einfluss auf unsere Welt!

Übersetzung: der Verfasser und Cornelia Fuchs (Jesaja, 5.2). Alle Bibelzitate sind der Übersetzung von Buber/Rosenzweig entnommen.