Nichtjuden am Sedertisch

Die Pessachzeit ist wieder einmal in allernächster Nähe. Die Wohnung ist fast fertig geputzt, die Einladungen zum Seder sind verschickt und man ist dabei, das Menü für den ersten Abend zusammenzustellen. Man denkt an Familie X., die gute nichtjüdische Bekannte sind, und die man dieses Jahr eingeladen hat. Plötzlich kommt sie einem wieder in den Sinn, jene Frage, die sowohl Gastgeber als auch Gäste bisweilen ratlos bleiben lässt. Einem Juden ist der Sederabend ein „Muss“, eine Mizwa, die es zu erfüllen gilt. Wie verhält es sich jedoch mit dem nichtjüdischen Freund, den man zum Seder einladen möchte?

Juden wie Nichtjuden fragen sich, ob es einem Nichtjuden überhaupt erlaubt sei, am Sedertisch Platz zu nehmen und wenn die Frage mit „ja“ beantwortet werden kann, so stellt sich die sofort die nächste: in wie weit darf ein Nichtjude aktiv am Seder teilnehmen?

Was sagen jüdische Quellen zum Thema „Nichtjuden und Pessach“?
Worum drehte es sich ursprünglich bei diesem Thema?
Inwieweit hat sich die Sedergemeinschaft verändert und in welcher Weise?

In der Tora und in der Mischna finden wir mehrere Stellen, in denen die Vorschriften für das Tempelopfer diskutiert werden.

In Mischna Pessachim 5:3 lesen wir: „Hat man es (das Pessachlamm) für solche, die davon nicht essen können, für Unbeteiligte, für Unbeschnittene oder für Unreine geschlachtet, so ist es untauglich; wenn für solche, die davon essen, und für solche, die davon nicht essen können, für Beteiligte und Unbeteiligte, für Beschnittene und Unbeschnittene, für Reine und Unreine, so ist es tauglich.“

In Lev. 12, 3-4 findet man: Vs. 3: „Und sprecht zur ganzen Gemeinde Israel Folgendes: am 10. dieses Monats nehme sich jeder von ihnen ein Lamm für ein Haus (beit-awot, das Haus der Väter bzw. das Elternhaus), für jedes Haus ein Lamm.“
Vs. 4: „Wenn aber zu wenige sind im Haus für ein Lamm, so nehme er und sein Nachbar, der seinem Haus nahe ist, durch Hinzuzählung von Seelen, jedem gemäss dem, was er isst, sollt ihr zu dem Lamm hinzuzählen.“

Da die Tora in Lev. 12:10 sagt, dass vom Pessachopfer (bis zum nächsten Morgen) nichts übrig bleiben darf, d.h. daß alles vollständig verzehrt werden muss, schlossen die Rabbinen anhand des Textes aus Lev. 12, 3-4, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen eine Gruppe bilden konnten, um das Pessachopfer gemeinsam zu essen.

Wer durfte nun zur Gruppe hinzugezählt werden und wer nicht?

Die Mischna Pessachim 5:3 erklärt, wann ein geschlachtetes Lamm als Opfer Gültigkeit besitzt und wann nicht: Ein Lamm, das für eine Gruppe geschlachtet wird, die nur aus „ungeeigneten“ Personen besteht, ist ein ungültiges Opfer.
Die Mischna befindet zunächst jene Personen als ungeeignet, die „Essprobleme“ – nämlich Probleme mit dem Essen des Lammes – haben, d.h. Kranke, Invalide, Kinder und alte Menschen; des Weiteren werden Unbeschnittene als ungeeignet bezeichnet, denn sie sind nicht Teil des Bundes; außerdem jene, die ihr Lamm ursprünglich für ein anderes Opfer gebracht hatten, d.h. mit einer anderen Intention.

Ein Lamm, welches für eine „gemischte“ Gruppe geschlachtet wurde, besaß als Opfer die volle Gültigkeit: nämlich dann, wenn die Voraussetzung bestand, dass die Gruppe neben den „Ungeeigeneten“ auch „geeignete“ Personen enthielt, d.h. jene, die als „qualifiziert“ angesehen wurden, das Pessachopfer darzubringen: beteiligt, beschnitten, gesund, rein.

Der Toravers in Lev. (12, 3-4) wird einem Fall zugeordnet, in dem es um einen kanaanitischen Sklaven geht. Hier wird die Frage gestellt, wann und unter welchen Bedingungen er als Familienmitglied gilt. Rabbi Ovadja Bertino legt in seinem klassischen Kommentar zur Mischna diesen Sklaven als unbeschnittenen JUDEN und nicht als Nichtjuden aus.

An Schabbat Sachor, einem der vier besonderen Schabbatot vor Pessach beginnen wir das dritte Buch der Tora, Levitikus. Dieses Buch behandelt unter anderem zu einem grossen Teil die Gebote bezüglich der Opfer. Gleich zu Beginn, in Ex. 1,2, heisst es „(daber el bnej-jisrael we’amarta alehem) adam ki jakriw mikem korban (…) „(Sprich es aus zu Jisraels Söhnen und erläutere es ihnen): ein Mensch, wenn er von euch ein Opfer G’tt nahebringen will (…)“. Samson Raphael Hirsch geht in seinem Kommentar eingehend auf diese Stelle ein, und erläutert, dass zwar zuerst die Bnej Jisrael bezüglich der Opfer im Mischkan angesprochen werden, dass dann jedoch „dieser Tempel allen – nicht nur den jüdischen Menschen – (mit dem Wort adam, Mensch) geöffnet wird.“ Er bekräftigt diese Behauptung mit einem Zitat aus Jes. (56, 7).

In den Diskussionen im Talmud werden bezüglich dieser Textstelle dem Ben Jisrael lediglich strengere Gebote auferlegt. Er muss gewisse Bedingungen erfüllen: er darf kein „Abtrünniger“ (mumar) sein, er darf also nicht „in den Gegensatz“ zum Judentum getreten sein“ (Hirsch), aber ein Nichtjude dürfe sein Opfer bringen, selbst wenn er unbeschnitten sei.
Im Talmud gibt es drei Stellen, die sich direkt auf diesen Satz beziehen:
In BT Chullin 13 b findet man eine Diskussion, in der in der Mishna das Geschlachtete von Nichtjuden nicht akzeptiert wird, wie in den oben zitierten Stellen.
In der Gemara folgt dann: „R. Uquaba b. Hama erwiderte: hinsichtlich der Annahme ihrer Opfer (…) Dies schließt Nichtjuden mit ein, dass auch sie gleich den Jisraeliten (Opfer) geloben und freiwillig spenden können.“
In BT Chullin 5a ist zu lesen: „Jeder darf schlachten, auch ein Samaritaner, auch ein Unbeschnittener, auch ein abtrünniger Israelit. Wie ist nun der Schlusssatz zu erklären? … Man wandte ein: Von EUCH (mikem), nicht von euch allen (Ex. 1,2), ausgenommen der Abtrünnige; von EUCH, bei euch habe ich diesen Unterschied gemacht, nicht aber bei den übrigen Völkern“.

Das Verbot für den Unbeschnittenen, am Pessachopfer teilzunehmen und die Frage nach der Legitimität seiner Teilnahme an den „Hinzugezählten“ ist heute, da es kein Tempelopfer mehr gibt, irrelevant geworden. Dem Nichtjuden, der an einem Seder teilnimmt, ist dies erlaubt, dennoch ist er durch seine Teilnahme keineswegs verpflichtet, wie dies ein Jude ist, und dies bedeutet, dass aus dem religiösen Blickwinkel seine Teilnahme keine Bedeutung im Sinne der Erfüllung einer Mizwa haben kann: „Ein Nichtjude kann keinen Juden in der Erfüllung einer Mizwa vertreten.“ (BT Gittin 10b)

Seit Jitro’s Tagen haben Nichtjuden eine besondere Beziehung zum Auszug aus Ägypten, zum Thema Exodus.
„Und Mosche erzählte seinem Schwiegervater alles, was G’tt dem Pharao und den Ägyptern getan hatte um Israels willen, alles, was ihnen auf dem Wege an Furchtbarem widerfahren war, und wie G’tt sie gerettet hatte. Und Jitro freute sich über all das Gute (…) Und Jitro sprach: ‚Gepriesen sei G’tt, der euch aus der Hand Ägyptens gerettet hat und aus der Hand Pharao‘s, der das Volk aus der Gewalt Ägyptens gerettet hat.‘“ (Ex. 18:8-12)

Noam Zion schreibt in seiner Einleitung zu „A Different Night“ (Shalom Hartman Institute1997), dass wegen dieser Segnung Jitro‘s Nichtjuden an der Sedertafel teilnehmen dürfen und dies sogar aktiv. Nichtjuden dürfen die Psalmen und die Lieder mitsingen, sie dürfen an den Diskussionen teilnehmen und dürfen die symbolischen Speisen essen. Sie müssen also keineswegs rein passive Zuschauer bleiben. Noam Zion weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass christliche Interpretationen – des Seders als Letztes Abendmahl beispielsweise – an diesem jüdischen Feiertag, an dem an die nationale Erlösung erinnert wird, vollkommen unangebracht sind. Ein nichtjüdischer Gast, der seinen Glauben an Jesus predigt, ist nicht nur unhöflich, sondern erinnert Juden auch an die Anstrengungen der Christen – nicht zuletzt in der Osterzeit – Juden zu missionieren, zu drangsalieren und auch wegen ihres Glaubens zu töten. Dies ist unbedingt zu vermeiden.

Uns „erinnernd, dass es Pharao’s Tochter war, die das im Nil ertrinkende Baby Moses rettete, schulden wir gerechten Nichtjuden Dank, und dies im Besonderen während der Pessachzeit“. (Noam Zion).

umko