Unser Wissen vertiefen – Ein liberaler Leitfaden durch den Seder

Von Rabbiner Walter Rothschild

1. Gedanken zum Seder

Der Seder ist jener Teil von Pessach, an den die meisten von uns sich von ihrer Jugendzeit her am besten erinnern, oder den sie einhalten – denn es ist ein Ritus, der zuhause stattfindet, ein Familienritual und wird beladen mit persönlicher, privater Bedeutung und Erinnerung. Das ist gut und sollte auch so sein – ABER …

Der Seder spricht Menschen auf ganz unterschiedlichen Ebenen an: Vom Gelehrten bis zum sehr Einfachen. Die „Vier Söhne“ illustrieren einen Teil dieser Vielfalt. Manche Juden können gelehrte Fragen stellen und mit gelehrten Antworten umgehen. Manche fühlen sich recht entfremdet von dem eigentlichen Vorgang, finden vielleicht den Seder eine langweilige Angelegenheit, die man eben über sich ergehen lassen muß und drohen es durch ihr Benehmen den anderen zu verderben – und müssen daher scharf ermahnt werden.

Manche können nur mit kindlichen Fragen und Antworten etwas anfangen. Und einige schließlich können nicht einmal eine intelligente Frage stellen – sie mögen zu jung, oder gestört oder aber behindert sein.

Das Problem ist, daß die meisten von uns den Seder, wenn überhaupt, dann in der Kindheit gelernt haben, und dann auch nur die kindlichen Versionen der Interpretation und Vorgehensweisen. Wenn wir nicht weitergehen und unser Wissen vertiefen und dem Seder und seine Traditionen als fragende Erwachsene begegnen, werden wir nur die kindlichen Antworten an unsere Kinder weitergeben können und könnten damit durchaus in die Situation geraten, daß wir dem Sechzehnjährigen dieselben Antworten geben wie dem Dreijährigen – Antworten, die wir selbst als unbefriedigend empfinden – und dabei wird uns doch in der Haggada ausdrücklich gesagt, daß jedes Niveau einer Fragen seine eigene Antwort verdient.

Um ein Beispiel aus einer anderen Religion heranzuziehen: Weihnachten ist mehr als Sankt Nikolaus, nur sind viele Eltern unfähig, ihren Kindern mehr über ihre Religion zu vermitteln, denn das ist auch alles was sie selbst gelernt haben! Wenn das Kind einmal nicht mehr an den Nikolaus glaubt, landet der ganze Glaube überhaupt auf dem Prüfstand, denn für das Kind ist es nicht offensichtlich, daß es noch etwas mehr zu lernen gibt…

Und genauso hat es auch mit dem Seder mehr auf sich als nur über den Maror das Gesicht zu verziehen oder nach Elias Ausschau zu halten, ob er denn seinen Weinbecher leert. Viel, viel mehr. Dieser kurze Leitfaden kann nur auf ein paar der Aspekte und Geheimnisse in der Haggada hinweisen.

2. Der Seder

Der Seder sollte Spaß machen. Es ist kein ernsthaftes, feierliches Ritual. Man gibt eine hinreißende Geschichte von Erlösung und Freiheit zum Besten, und pflügt nicht nur durch ein langatmiges Gebetbuch. Der Wein steht da, damit man ihn trinkt, nicht nur an ihm nippt oder mit ihm herumspielt. Es stimmt durchaus, daß Widersprüche in der Art bestehen, wie wir Pessach begehen. Zum Beispiel werden eine Menge der Speisen, die wir essen, nicht im Bibeltext erwähnt, und was tatsächlich in der Bibel erwähnt wird – Opfer – ist nun auf den symbolischen Knochen und das Ei reduziert.

An Pessach erinnern wir uns an eine hastige nächtliche Flucht – eine Vertreibung unserer Vorfahren, die unterdrückte Sklaven waren. Wir tun dies mit Hilfe eines beabsichtigten Kontrastes – wir nehmen uns Zeit für ein langes Mahl, lehnen uns zurück, singen Lieder bis spät in die Nacht…

Das Wort „Seder“ bedeutet natürlich „Ordnung“ und bezieht sich strenggenommen auf die „Gebetsordnung“ und weniger auf das Essen. Das Essen ist selbst ein Teil dieser Ordnung , deshalb laden Sie jemanden, wenn Sie ihn zu einem Seder einladen, auf ein ganzes Ritual ein und sollten daher nicht Teile durchschludern oder überspringen.

Nachdem man die Ordnung verlesen oder gesungen hat, ist der erste Teil folgender:

3. Kadesch

Der Kiddusch – der Standardsegen über den Wein, kombiniert mit einer Festtagsversion des „Segensspruchs für den Tag“ und den relevanten Einschüben für Schabbat oder Hawdalah, wenn Pessach auf den jeweiligen Freitag- oder Samstagabend fällt.

Warum lehnen wir uns auf die linke Seite, wenn wir den Wein trinken? In griechisch-römischer Zeit gehörte es zur Etikette, sich beim Essen auf Sofas zurückzulehnen, dabei auf dem linken Arm und Ellbogen zu ruhen und das Essen mit der rechten Hand aufzunehmen (In vielen Gesellschaften ist die rechte Hand für die „sauberen“ Tätigkeiten vorgesehen und die linke für die „unreinen“. Ich weiß nicht, was die Leute taten, wenn sie Linkshänder waren!)

Am Seder glichen die Juden der Mischnazeit (d.h. Römerzeit) ihr Verhalten dem ihrer nichtjüdischen aristokratischen Nachbarn an, und nahmen diese Methode zu dem Zwecke an, um zu zeigen, daß in der Sedernacht, sie so frei und ungezwungen waren, wie alle anderen auch (und das war leider im übrigen Jahr nicht unbedingt so).

4. Ur’chaz

Wörtlich: „und wasche“ – vom Hebräischen R’chaz. Normalerweise würde man den passenden Segensspruch zum Waschen der Hände sagen – in diesem Falle aber ißt man nicht mehr als einen kleinen Appetithappen, und dadurch wird der Segen für die nächste Gelegenheit aufbewahrt, Schritt 6 der Ordnung, die Rachzah.

5. Karpass

Dieses eigenartige Wort taucht in den jüdischen Schriften nur drei oder vier Male, und zwar im Jerusalemer Talmud auf und soll „Petersilie“ oder „Sellerie“ heißen. Im ‘Schulchan Aruch’ wird Rettich empfohlen. Wie dem auch sei, der Karpas ist ein grünes Kraut oder Gemüse, das man als Aperitif in eine bittere Sauce – Essig oder Salzwasser – eintunkt. Und das nimmt auf jeden Fall den Weingeschmack!

Der Segensspruch ist der reguläre über Gemüse, es gibt keine spezielle Tradition, nach der Karpas überhaupt etwas repräsentiert und es ist wahrscheinlich einfach nur ein Überbleibsel alter Essensbräuche, in denen man mit einer „Vorspeise“ beginnt, um den Gaumen zu kitzeln und die Geschmacksknospen in Stimmung zu versetzen.

6. Jachaz

Drei Mazzot wurden oben auf den Tisch gestellt – die „rituellen“ Mazzot im Unterschied zu den übrigen, den die Menschen über den Abend hin und den Rest der Woche essen werden. Warum drei? Eine traditionelle Antwort ist, daß sie die drei Unterteilungen des jüdischen Volkes repräsentieren – „Cohen“, „Levi“ und „Israel“. Anschaulich zwar, aber relativ unwahrscheinlich mehr als ein Versuch, eine Verbindung mit einer weiteren Zahl drei herzustellen. Warum sollte schließlich eine „Levi“-Mazza entzweigebrochen werden? Wahrscheinlicher ist es, daß drei die Mindestzahl sein muß, um eine „mittlere“ zu haben. Alles was bisher geschieht, ist, daß derjenige, der den Seder leitet (in manchen Haushalten nennt man ihn den „Vater“ oder „Hausherrn“!, obwohl es keinen Grund gibt, warum eine Frau nicht ebenso den Seder leiten sollte), die mittlere Mazza in zwei Teile bricht. Eine Hälfte wird als Afikoman verwendet und im Verlaufe versteckt, um nach dem Essen gesucht zu werden.

7. Maggid

„Maggid“ bedeutet einfach „Erzählung“ – aus der selben Wurzel wie „Haggada“ – und die Erzählung dauert bis zu den symbolischen hors d’œuvres, die dem Mahl vorangehen. Die Mazza, das symbolische Brot der Armut (Deut. 16:3) ist die Erinnerung daran, daß wir einst arm und in Kummer waren. Es dient daher als Stimulus für das, was folgt. Der Satz „Ha Lachma Anja“ ist in Aramäisch und umfaßt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Armut und Gastfreundschaft, Sklaverei und Freiheit in vier kurzen Sätzen.

8. Das zweite Glas

Das zweite Glas wird symbolisch auf und nieder gehoben, bevor es zum Trinken angehoben wird. Es ist auch jenes Glas, das dazu verwendet wird, um unsere Gefühle über die Plagen auszudrücken (Siehe Teil 14).
Traditionell wird roter Wein zum Seder verwendet – es gab aber Momente in der jüdischen Geschichte, in denen dies recht riskant sein konnte, insofern als mißtrauische Nachbarn denken konnten, es enthalte Blut. Entsprechend erlaubten und ermutigten die Rabbiner zum Gebrauch von Weißwein in Zeiten der Gefahr.

9. Die vier Fragen

Wirklich, es sollte dies die Mindestanzahl an Fragen sein, und die Anwesenden (besonders die Kinder) sollten dazu ermuntert werden, all das zu fragen, was sie möchten. Die Fragen selbst spiegeln eine Realität wieder, die sich von unsrer heutigen unterscheidet – zum Beispiel essen wenige von uns ihre Mahlzeiten regelmäßig mit Mazza (obwohl es während des Jahres frei erhältlich ist), oder lehnen sich bei einem normalen Abendessen gegen ein Kissen. Die Idee ist, daß man etwas bemerkt, was außerhalb des Normalen liegt – also hängt viel von dem ab, was normal ist. Und weiter noch: würden keine Fragen gestellt, so gäbe es kein Stichwort zur Antwort.

10. Die Antwort

Die Antwort beginnt mit einer sehr fundamentalen Feststellung: Wäre die Geschichte anders verlaufen, wäre auch die Gegenwart nicht das was sie ist! In unser aller Leben können wir an etwas denken, das geschehen oder nicht geschehen ist, von seltsamen Glücksfällen und Ereignissen, die unsere Eltern und vor ihnen unsere Großeltern zusammenbrachten….. Aber anstatt über unser eigenes Wissen und Taten stolz zu werden, ist es uns wichtig im Gedächtnis zu behalten, wie glücklich wir sind, am Leben zu sein und in der Lage, so frei über unsere Vergangenheit und unsere Hoffnung für die Zukunft zu reden.

Die Geschichte mit den fünf Rabbinern ist mysteriös, und man findet sie nirgendwo sonst in der rabbinischen Literatur. Weil sie in der Zeit des Bar Kochba Aufstandes lebten, wurde postuliert, daß die Geschichte eigentlich ein Verweis auf ein strategisches Treffen in Vorbereitung auf die Revolte ist und der Exodus war tatsächlich nur ein Code (sollten Spione horchen) für die politische Befreiung von den Römern, die geplant wurde. Daher kann die folgende Anekdote von Rabbi Elasar ben Asarja eine Anspielung an eine Philosophie sein, die verlangt, daß man die wunderbaren Kräfte Gottes nicht nur in guten Zeiten erinnert – „den Tagen“ – sondern auch in den schlechten- „den Nächten“ . Die anderen vier jedoch überstimmen ihn, indem sie den Terminus „alle Tage“ als einschließlich der messianischen Zeiten lesen – Bar Kochba wurde von vielen als der Messias gesehen und seine Revolte als der Beginn des messianischen Königreiches.

11. Die vier Söhne

Vielleicht ist es bedeutsam, daß wir ausgerechnet an dieser Stelle, wieder in ritualisierter Form einen Verweis auf die verschiedenen Arten, die Geschehnisse zu begreifen und zu interpretieren. Was für manche ein politischer Kampf gewesen sein mag, war für andere messianisch – und andere wiederum hätten sich gut und gerne davon ferngehalten. Wir sehen einen Widerhall dieser Debatten noch heute in den verschiedenen Positionen, die verschiedene Juden noch immer zur Wiedergeburt des Staates Israel einnehmen.
Der weise Sohn möchte alles wissen und ihm kann man alles ganz sorglos anvertrauen, selbst bis zu mystischen, esoterischen Details über den Afikoman.

Der böse Sohn (wichtig – nicht der „Dumme“) möchte sich von den Abläufen distanzieren, und wird scharf angeredet, so nach dem Motto: „Diese Haltung hätte dir aber in der Vergangenheit wenig genutzt und tut es auch jetzt nicht!“

Der einfältige Sohn ist der, der mit allzu komplexen Dingen nicht umzugehen weiß, der aber noch immer eine gesunde Neugier besitzt, die befriedigt werden muß, damit er sich als Teil des Ganzen fühlen kann.
Der noch nicht fragen kann – ja, warum eigentlich kann er nicht? Traditionell sehen wir ihn als kleines Kind – aber er kann behindert oder stumm sein oder aber unfähig zu verstehen, was passiert und ist deshalb zu schüchtern, um irgendeine Frage zu verstehen…. aber selbst er muß in die Runde eingebunden werden.

Man sollte bedenken, daß in einem liberalen Kontext auch die Töchter in diesen Teil gehören.

12. Die Zeit des Seder

Dieser Abschnitt illustriert nur die Art und Weise rabbinischen Denkens und deduktiver Logik, die immer auf jene Dinge angewandt wird, indem man von kleineren Details im geschriebenen Text ausgehend arbeitet.

13. „Unsere Vorfahren waren Götzenanbeter“

Nicht gerade schön, das zuzugeben – aber genau deswegen wird es hier unterstrichen. Die ganze patriarchale Zeit wird mit ein paar kurzen Sätzen wiedergegeben, dann wird die Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten der Unterdrückung in Ägypten gelenkt, und das wiederum wird als nur ein Beispiel für ein Problem gesehen, das in jeder Generation existiert hat. Die Verse von Deuteronomium 26:5-8 werden mit Erläuterungen ausgereizt und einem Verweis auf das direkte Eingreifen von Gott selbst, und keines Abgesandten. Exodus 12:12 bildet dazu die Grundlage.

14. Die Plagen

Sie sind immer ein Problem für viele Menschen gewesen. Es scheint nicht recht zu sein, wenn wir mit Fröhlichkeit von den Leiden, die andere überkamen berichten. Und außerdem: Wenn Pharao Ägypten als Autokrat regierte, warum mußte dann der Rest der Bevölkerung für etwas leiden, das sie nicht verhindern konnte?
Es gibt mehrere mögliche Antworten auf dieses Problem:

Erstens bleibt festzuhalten, daß wir uns nicht vollkommen an den Plagen erfreuen. Sie werden als historischer Fakt im Zusammenhang mit der Geschichte des Exodus gesehen, eine unglückliche Notwendigkeit (wie jeder Todesfall in einem Krieg). Aus diesem Grunde verschütten wir absichtlich einen Tropfen Wein beim Erwähnen jeder einzelnen Plage – so daß unser eigener „Kelch der Freude“ nicht voll ist.

Zweitens, wenn man den Text genau betrachtet, scheint Pharao eine Menge Unterstützung im Volk gehabt zu haben was seine repressiven Maßnahmen gegen die Israeliten angeht (Siehe Ex. 1:8-14; 3-7; 5:10-14 etc.). Dies kann natürlich die Leiden der Tiere und Kinder nicht erklären.

Die dritte Annäherung soll darauf hinweisen, daß die ersten neun Plagen zwar Unannehmlichkeiten und Ärgernis bedeuteten, aber nicht lebensbedrohlich waren. (Einzige Ausnahme war der Hagel, aber selbst in diesem Fall gab es eine Warnung, im Hause zu bleiben – so daß nur diejenigen, die sich nicht daran hielten eigentlich litten. Ex. 9:18-21, 25)

Eine vierte Antwort sieht die Plagen als Teil einer theologischen Auseinandersetzung, in der Gott selektiv die ägyptischen Gottheiten entweder absetzt oder zerstört, als wollte er sagen: „Traut den Nil-Gottheiten nicht – es lohnt nicht – ich kann den Fluß in Blut verwandeln, das Symbol eher von Tod als von Leben. Huldigt nicht dem Skarabäus – es lohnt nicht. Ich kann das ganze Land in Finsternis versenken und er kann nichts dagegen tun!“ und so weiter…… Einer nach dem anderen werden die ägyptischen Götter von Gott lächerlich gemacht, bis zum Schluß die Erstgeborenen ausgelöscht werden. Die Erstgeborenen sind nicht unbedingt „unschuldig“ oder zufällige Opfer. Die Erstgeborenen wären den verschiedenen Tempeln geweiht worden, entweder als Priester oder als Opfer. Also zeigt Gott, daß Er das gesamte heidnische System zerstören kann, wenn er will.

Rabbi Jehudas Abkürzung der Anfangsbuchstaben der Plagen als mnemotechnisches Zeichen wird von manchen als Kode verstanden. Ein mittelalterlicher Priester erklärte, es stehe für das hebräische „Wir haben alle Blut eingefordert, wie uns in den Tempelzeiten befohlen“, und die Rabbinen gaben ihm als Antwort, daß sie für Folgendes stünden „Die Worte unserer Unterdrücker sind Verleumdung, die Anschuldigungen über das Blut sind falsch. Die Kinder Abrahams sind unschuldig“.

„Dam zrichim kulanu, al derech Sche assu Beoto Isch Hachamim Bijeruschlajim“ oder
„Diwrej Zerorenu Kazaw; Alilot Dam Scheker; Benej Awraham halila besot“.

Trotz der ethischen Zweifel, die oben erwähnt sind, gehen wir zu einem Teil über, der rabbinische Denkweisen anwendet, um die Anzahl der Plagen noch zu erweitern und dann zu einem Teil, der unterstreicht, daß dies nicht tatsächlich wichtig ist, denn selbst ein kleiner Teil von Gottes Erlösung wäre genug gewesen.

15. Dajjenu

Dieses Lied wird dem Hohepriester Jason im zweiten vorchristlichen Jahrhundert zugeschrieben. Die Botschaft ist einfach – wir wären für einem Bruchteil der Hilfe, die wir erhielten schon dankbar genug gewesen. Um wieviel dankbarer sollten wir sein, daß wir sie so reichlich bekommen haben! Die Sequenz beginnt mit dem Exodus und geht dann weiter zur Erbauung des Tempels.

16. Rabban Gamliel

Welches sind die grundlegenden Teile des Seder? Wenn wir ihn mit dem (Lamm)-Knochen in Verbindung bringen, was können wir dann mindestens einhalten? Gamliel bietet eine Antwort: Alles andere ist ein möglicher Zusatz, aber diese drei Symbole sind das Kernstück und müssen erklärt werden. Und das werden sie in den nachfolgenden Paragraphen.

17. Hallel

Der Hallel-Teil im Seder ist, offiziell, Nummer dreizehn, aber vor der Mahlzeit werden die ersten zwei Psalmen – 113 und 114 – gelesen oder gesungen. Besonders der Letztere bezieht sich auf den Auszug aus Ägypten.

18. Rachzah

Weil man nun mit Essen umgehen wird, sagt man den normalen Segensspruch über diese Handlung (also „al Netilat Jadaim“).

19. Mozi Mazza

Der normale Segensspruch über Brot ist HaMozi Lechem Min Ha’Arez. Weil Mazza eine Art Brot ist, sagen wir genau das. Weil uns auch im Besonderen befohlen wird, Mazza zu essen (d.h. Ex.12:15), fügen wir diesem besonderen Gebot auch den noch spezifischeren Segen hinzu.

20. Maror

Der bittere Geschmack repräsentiert die Bitterkeit der Sklaverei und des Leidens. In manche Familien findet man den Brauch, ein kleines Stück Meerrettichwurzel oder etwas ähnlich Scharfes zu essen. In anderen, in denen Meerrettichsauce verwendet wird, ist es schwerer, dies in den Charosset zu tauchen, also muß ein Stück Mazza als Stütze genommen werden.

21. Korech

Vom aramäischen Begriff Karach „einwickeln/umhüllen“. Dieser Gang ist symbolisch und eine eher wortwörtliche Lesart des Gebotes aus Ex. 12:8 – „Weil es heißt, wir sollen „a“ mit „b“ und „c“ – offensichtlich sollen wir alles zusammen essen“. Also geht Hillel als der Erfinder des Club-Sandwiches in die Geschichte ein. Und doch, bedenken Sie, weil wir das Pessach-Lamm nicht mehr haben, werden heute nur zwei der drei Ingredienzen gebraucht!

22. Der Sederteller

Bevor man zum Essen schreitet, ist jetzt ein guter Moment, zu sagen, was noch auf dem Sederteller zu finden ist. Der Lammknochen (manche verwenden einen Hühnerknochen) repräsentiert natürlich das Opferlamm an Pessach. Das geröstete oder angebrannte hartgekochte Ei repräsentiert das im Tempel dargebrachte Festopfer – das Chagiga. Es gibt keine formale Vorstellung des täglichen Opfers im Tempel – des Tamid – denn dieses wird heute weitgehend durch den Gottesdienst selbst ersetzt. Charosset wird nirgendwo in der Bibel erwähnt, ist jedoch zu Mischnahzeiten allseits bekannt. Das Salzwasser ist ebenfalls kein Bestandteil des festgelegten Gedenkens, obwohl es ein alter Brauch ist, Gemüse in solch eine Flüssigkeit zu tauchen. Schließlich haben einige Sederteller Platz für Chaseret – Salat oder ein anderes breitblättriges grünes Gemüse. Er wird nicht verwendet, sondern ist lediglich ein Verweis auf die vorherige Verwirrung über den Karpass.

23. Schulchan Orech

Der Gedeckte Tisch, das Mahl ist kein Zusatz zum Sedergottesdienst, sondern ist ein integraler Bestandteil! Mehrere Bräuche existieren zum Inhalt des Mahls und alle Gruppierungen innerhalb des Judentums haben ihre Lieblingsrezepte. Es ist gebräuchlich, mit einem hartgekochten Ei in Salzwasser getaucht zu beginnen – das Ei repräsentiert Leben und Fruchtbarkeit, die Beigabe Bitternis und vielleicht die Flüchtigkeit des Lebens. Manche Familien essen Lamm in Erinnerung an das Opfer. Andere wiederum meiden aus eben diesem Grunde Lammfleisch!

24. Barech

Dies ist wirklich das Standard -„Birkat HaMason“, enthält aber den Einschub Ja’ale wejawo, den man normalerweise an besonderen Tagen einfügt, hier in der für Pessach gerechten Wortwahl.

25. Der dritte Becher

Am Ende des Dankgebetes wird der dritte Becher geleert und der vierte eingeschenkt. An diesem Punkt wird die Tür geöffnet und Sfoch Hamatcha gelesen. Es ist dies eine Kombination von Psalm 79, Vers 6-7, Psalm 69, Vers 25 und Ejcha (Klahelied), Kapitel 3, Vers 66. Er drückt Bitterkeit und Zorn aus gegen die Menschen, unter denen die Juden zu leben hatten – und das Öffnen der Türe ist wahrscheinlich nicht so sehr, um „Elias einzulassen“, wie man häufig den Kindern erzählt, sondern ein Überbleibsel der Notwendigkeit, vor der Türe nachzusehen, ob irgendwelche Feinde dort auf der Lauer lagen, oder gar ein Leichnam vor dem Hause abgelegt worden war, um einen Anlaß für ein Pogrom zu geben.

„Der Becher des Elias“ ist gleichfalls kein Becher, den Elias austrinken muß, sondern ein Relikt eines alten Streites, ob man nun vier oder fünf Becher in der Sedernacht trinken solle. Der einmal gefundene Kompromiß besagte, daß vier Becher zwingend waren und der fünfte als Frage an Elias belassen wurde, die er lösen sollte, wenn er kommt…

26. Hallel

Die zweite Hälfte der Hallel-Psalmen folgt, mit Psalmen 115, 116, 117 (sehr kurz – nur zwei Verse!) und 118. Diesem folgt wiederum Psalm 136, der im Talmud (Pessachim 118a) „Hallel HaGadol“, ‘das Große Hallel’ genannt wird, um ihn von Psalmen 113 bis 118 anzusetzen, die bekannt sind als „ägyptisches Hallel“. Es enthält den regelmäßigen Refrain „Seine Gnade währet ewiglich“.

27. Nischmat-Gebet

Ein Teil des normalen Gottesdienst folgt nun. Das Nischmat Gebet ist sehr alt (ein Teil davon wird im Talmud erwähnt. Berachot 59b und Ta’anit 6b), und ist ein Teil eines Gebetes um Regen. (Die Regentropfen werden als die „zahllosen Gnaden“ gesehen, mit denen Gott aufwartet). In Pessachim 118a wird empfohlen, die Haggada mit einem „Gesungenen Segen“ abzuschließen und dieser ist bekannt als Nischmat.

28. Lieder

Verschiedene Lieder sind heute Teil der Haggada. Ihr Hintergrund ist ganz unterschiedlich. Manche kommen vor, andere wieder nach dem:

29. Der vierte Becher und Nirza

Der Segen nach dem vierten Becher blickt erwartungsvoll auf die zukünftige Erlösung. Das Gedicht „Zuende ist der Seder“, geschrieben von Joseph Tow Elam, wurde im 11. Jahrhundert in die Haggada eingefügt.
Der Seder ist nun vorüber – man kann jetzt bis zum Einschlafen weitersingen!

30. Schluß

Dieser Leitfaden durch den Seder ist nicht allzu tief auf den mystischen Symbolismus eingegangen, der hinter dem Afikoman, oder vielen andere Teilen versteckt ist, aber er wird hoffentlich Ihnen helfen, den Seder besser zu verstehen und Ihnen dabei helfen, diese Nacht „anders als alle Nächte“ werden zu lassen.

Chag Sameach!