Jerusalem – Mordorgie christlicher Fundamentalisten

Am 15. Juli 1099 (23.Tamus 4859 / D’ThThN“T), einem Freitag vor 900 Jahren, erlebte Jerusalem eines der schrecklichsten Massaker seiner Geschichte. Siegestrunkene Christen, Kreuzfahrer aus Europa, erschlugen in der gerade eroberten Stadt alle Menschen, derer sie habhaft werden konnten.

Fast 70.000 Muslime und Juden, Männer Frauen, Kinder, starben in der Schlächterei, so arabische Quellen. Christliche Chronisten halten sich etwas zurück, aber fünfstellig sind auch deren Zahlen.

„Knöchelhoch hat das Blut der Ermordeten gestanden und in Strömen ist es die heutige David- und Kettenstraße hinab geronnen“.

Wie war eine solche Mordorgie zu erklären? Keiner der Bewohner Jerusalems hatte Christen etwas angetan. Muslime und Juden lebten in völliger Eintracht in der Heiligen (Al-Kuds). Als die Ritter des ersten Kreuzzugs mit blutigen Schwertern und dem Ruf „Deus vult – Gott will es“ die Menschen Jerusalems schlachteten, standen sie am Ende einer dreijährigen Odyssee, die ganz anders verlaufen als geplant war.

Die fanatische Predigt des Papstes Urban auf dem Konzil von Clermont-Ferrand am 27.11.1095, während der er zur Befreiung der heiligen Stadt aus der Hand der Ungläubigen aufrief, hatte in Westeuropa ein mörderisches Klima entfacht. Historiker sprechen heute von einem der Höhepunkte weltlicher Macht des mittelalterlichen Papsttums. Die Saat einer fundamentalistischen christlichen Umkehr-, Erweckungs- und Erlösungsideologie, begonnen im Kloster Cluny, ging gleich nach dem Konzil in Frankreich auf und verbreitete sich, mit durch Endzeitvisionen untermauerter Dringlichkeit, bis hinauf in’s Reichsland Lothringen.

20.000 Fromme und Pilger, angesteckt vom Eifer des neuen Geistes, wollten nicht auf die Ritterheere warten und machten sich selbst, angeführt von begnadeten Predigern wie Peter dem Einsiedler und Walter Ohnegeld auf eine lange Reise. Keinen Widerspruch duldend begannen sie im Rheinland mit der Ermordung aller Juden, derer sie habhaft wurden, in Ungarn und auf dem Balkan hinterließen sie eine Spur der Verwüstung. Sie wurden aufgerieben sobald sie Kleinasien erreichten.

Anders die Ritterheere. Gottfried von Bouillon und sein Bruder Balduin führten lothringische und belgische Truppen heran, Ritter aus der Provence und Süditalien, Normannen auch aus Nordfrankreich und Flandern rundeten das Kreuzfahrerheer ab. Nach Chronistenberichten waren es 80.000 Kämpfer – eine gewaltige Streitmacht. Auf eine gemeinsame Führung konnten sich die Eiferer allerdings nicht einigen, in Konstantinopel leisteten sie unwillig dem byzantinischen Kaiser Alexios den Treueid – und zogen dann los: Ihr Ziel – Jerusalem.

Unterwegs besetzte Balduin Edessa am Euphrat und blieb dort. Bohemund von Tarent gewann durch Verrat die alte hellenistische Metropole Antiochia – und richtete sich dort ein. Mit gerade noch 1.300 bis 1.500 Rittern und 12.000 abgekämpften Fußtruppen kam das Heer vor Jerusalem an. Vor allem der eiserne Gottfried von Bouillon hatte den Haufen noch zusammengehalten. Am 13.Juni scheiterte der Versuch, die Stadt im Handstreich zu nehmen.

Erst als Geschäftemacher aus Genua und Venedig sechs Schiffe voller Bau- und Belagerungsmaterial im Hafen von Jaffa entladen konnten, wendete sich die Lage. Wie besessen begann der Bau von Belagerungstürme und Steinschleudermaschinen. Wasser wurde vom Jordan geholt, die Brunnen vor der Stadt waren von den Belagerten vergiftet worden. Als das Europäer-Heer drei Tage lang betend und fastend, angeführt von Priestern und Hetzern barfuß um die Mauern Jerusalems zogen, standen die Verteidiger auf den Zinnen und wussten nicht recht, was von diesem eigentümlichen Spektakel zu halten sei.

Der Angriff begann in der Nacht vom 13. zum 14.Juli. Fußtruppen schoben Belagerungstürme heran. Die Jerusalemer, Juden und Muslime, warfen brennendes Pech und Steine herab. Die hölzernen Türme waren jedoch mit nassen Fellen benagelt. Am Morgen des 15.Juli schob sich Gottfrieds Turm in Höhe des damaligen Blumentors (Sch’ar haPrachim) gegen die Nordmauer. Am Mittag schlugen sie eine Holzbrücke zur Mauerkrone. Zwei belgische Ritter, die Gebrüder Tournai, führten die erprobtesten Kämpfer hinüber. Sturmleitern schlugen an die Mauer. Die Verteidiger gaben auf – das Massaker begann.

Die Kreuzfahrer blieben nur 200 Jahre im Lande. Die Erinnerung an diese erste Eroberung Jerusalems durch eine Christenmacht gehört zu den grauenhaftesten Belegen christlicher Barbarei.

Quellen:
Dr. Heinrich Graetz: Volkstümliche Geschichte der Juden, I, O-Leiner 1914
Gilbert und Lilly Klapermann: Geschichte des jüdischen Volkes, I, Morascha
1958 Feldheim, Schulbuch auf traditioneller jüdischer Grundlage mit vielen Karten, Bildern und Fragen. 1958 Feldheim, Schulbuch auf traditioneller jüdischer Grundlage mit vielen Karten, Bildern und Fragen.
Band I: 220 S. / Band II: 300 S. / pro Band 29.- / im Set 50.- (SFr)
Rabbi Joseph Telushkin: Jewish Literacy, Morrow NYC 1991
Haim Hillel Ben-Sasson: Die Geschichte des jüdischen Volkes, Dvir 1969 / CH-Beck 1978