Der Talmud ist der Kern des Judentums

Von Meir Seidler

Das Herz der jüdischen Eigenart und das Wesen des jüdischen Volkes liegt in einem Werk verborgen, das als Talmud bekannt ist. Der Talmud ist der Kern des Judentums. Verständnis des Talmud ist Verständnis des Judentums, Diffamierung des Talmud ist Diffamierung des Judentums, Abkehr vom Talmud ist Abkehr vom Judentum.

Der Zauber des Judentums und die Quelle der jüdischen Weisheit liegen im Talmud verborgen, und der „ewige“ Jude, der die Phantasie sowohl der Freunde als auch der Feinde des Judentums immer wieder beflügelt, ist eben immer auch und in erster Linie (in den Worten von Isaac Breuer, einem der letzten bedeutenden Repräsentanten des untergegangenen deutschen Judentums) ein „unverwüstlicher Talmudjude“.

Beim Talmud betritt der abendländische Leser Neuland. Es ist zwar richtig, dass auch der Talmud in einem gewissen Umfang im kollektiven Bewusstsein des Abendlandes schon mit bestimmten Werten (meist ebenfalls — da dem Christentum entspringend — negativer Art) besetzt ist, doch er bleibt Neuland in dem Sinne, als dass er in seiner Art einzigartig ist. Er ist auch einzigartiger als die Upanischaden der Hinduisten, die heiligen Schriften der Mahayana-Buddhisten oder die Scharia des Islam, einzigartiger als alle anderen östlichen oder westlichen religiösen Schriften, die man trotz aller Unterschiede alle doch irgendwie miteinander vergleichen kann. Der Talmud kennt keine Entsprechung in einer anderen, außerjüdischen Kultur. Die Einzigartigkeit des Talmud ist die Einzigartigkeit des Judentums. Wer dem Verständnis des Talmud näher kommt, der rückt auch dem Judentum näher. Und so kann man, auf dem „Umweg“ über den Talmud — einem „Umweg“, der sich letzten Endes als der direkteste Weg herausstellt — vielleicht doch ein Verständnis des Judentums erlangen, ein Verständnis, dem sich in unserer Zeit so viele Barrieren entgegenstellen.

Raw Adin Steinsaltz und das offene Buch

Das Buch „Talmud für Jedermann“ wurde von Raw Adin Steinsaltz verfasst. Der in Jerusalem lebende Rabbiner gehört zu den bekanntesten Gestalten einer neuen Generation israelischer Rabbiner. Als Gelehrter hochangesehen, besteht sein Lebenswerk in einer Neuausgabe des gesamten Talmud, die vor allem dem Iwrit (Neuhebräisch) sprechenden Israeli den Zugang zu diesem Werk erleichtern soll. Das Werk ist bei weitem noch nicht abgeschlossen, doch über die Hälfte aller Talmudbände ist schon in der Steinsaltz-Ausgabe erschienen, mit einer hebräischen Übersetzung aramäisch geschriebener Textpassagen, knappen Texterläuterungen, Worterklärungen sowie den traditionellen Talmudkommentaren des Raschi und der Tossafot. Der moderne Steinsaltz-Talmud hat — das kann man sicherlich ohne Übertreibung sagen — Berühmtheit erlangt und Eingang in sehr viele religiöse jüdische Häuser in- und außerhalb Israels gefunden.

Außer dem Talmudprojekt hat Raw Steinsaltz zahlreiche Bücher über das Judentum verfasst, von einem Wörterbuch talmudischer Ausdrücke über Persönlichkeitsanalysen berühmter biblischer und talmudischer Gestalten bis hin zu Interpretationen des chassidischen Klassikers „Sefer Hatanja“ und der mystischen chassidischen Erzählungen des Rabbi Nachman.

Das Buch „Talmud für Jedermann“, das zum ersten Mal in einer deutschen Übersetzung vorliegt, versucht eine breite Öffentlichkeit mit dem Talmud vertraut zu machen, gleichzeitig jedoch der Komplexität und Tiefe des Themas gerecht zu werden. Es richtet sich sowohl an den mit jüdischen oder gar „talmudischen Wassern“ gänzlich ungewaschenen, den es ohne unnötigen Balast in die Thematik einzuführen versteht, als auch an fortgeschrittene Talmudschüler, für die es ebenfalls zahlreiche neue Fakten zu erschließen und bisher unbeachtete Gesichtspunkte aufzuwerfen vermag.

In dieser bei Sachbüchern nur selten erreichten Kombination von Allgemeinverständlichkeit und Tiefe liegt die Stärke dieses heute wohl schon als Grundwerk anzusehenden Buches. Der Blick fürs Ganze ist in ihm auf außergewöhnliche Weise mit der Sicht für das Detail verwoben. „Talmud für Jedermann“ schöpft aus der Fähigkeit des Autors, traditionelle jüdische Gelehrsamkeit mit einer nüchternen wissenschaftlichen Sicht „von außen“ zu verbinden. Der Leser wird selbst beurteilen können, inwiefern diese seltene Kombination dem Verständnis des Judentums neue Wege bahnt.

Die Übersetzung wurde von Raw Steinsaltz durchgesehen und gutgeheißen. Unklarheiten oder missverständliche Formulierungen im hebräischen Original wurden, ebenfalls nach Rücksprache mit dem Autor, verbessert. Der Übersetzer hat sich erlaubt, bestimmte Ausdrücke, die beim hebräischsprachigen Leser zwar als bekannt, beim deutschsprachigen jedoch als eher unbekannt vorausgesetzt werden können, (meist in Klammern) zu erläutern. Im allgemeinen wurde vom Übersetzer —bei peinlicher Beachtung aller inhaltlichen Nuancen — die stilistische Flüssigkeit der Übersetzung einer allzu wörtlichen Wiedergabe vorgezogen.

Über den auch im hebräischen Original befindlichen Anhang mit der Aufzählung aller Talmudtraktate hinaus wurde noch ein Glossar mit den wichtigsten hebräischen Ausdrücken und Termini Technici hinzugefügt. Im Text selbst werden die (meist hebräischen) Fremdwörter bei der ersten Erwähnung kursiv gedruckt.

Aus dem „Vorwort des Übersetzers“ zum Werk „Talmud für Jedermann“ von Raw Adin Steinsaltz, erschienen beim Verlag Morascha.