Was ist jüdisch an der jüdischen Bildkunst?

Von Ursula SCHUBERT s.A.

Immer wieder wird in Diskussionen und wissenschaftlichen Abhandlungen die Frage aufgeworfen, ob man im strengen Sinn des Wortes von einer jüdischen Bildkunst sprechen könne, oder ob diese nicht richtigerweise der jeweiligen nationalen Kunst ihres Entstehungslandes zuzurechnen sei.

Auf den ersten Blick scheint die Frage bestechend zu sein, denn die Kunstwerke der verschiedenen Völker unterscheiden sich voneinander vor allem durch den ihnen eigentümlichen Stil und dieser findet sich in der selben Weise bei jüdischen wie nicht-jüdischen Denkmälern derselben Zeit in derselben Kunstlandschaft. Somit kann das Kriterium für eine Unterscheidung nicht im Stil gefunden werden, sondern muß in etwas begründet sein, das den unter den anderen Völkern lebenden Juden, soweit sie ihre Eigenständigkeit als Volk bewahrten, allein zugehört.

Um diesen, die jüdische Bildkunst konstituierenden Elementen auf die Spur zu kommen, empfiehlt es sich, von der jüdischen Religion auszugehen, die das jüdische Volk in die Zerstreuung unter die Weltvölker begleitete und es vor dem Untergang bewahrte. Die jüdische Religion aber beruht auf der Bibel, die von den rabbinischen Gelehrten im Laufe der Jahrhunderte in zahllosen Kommentarwerken ausgedeutet und durch weitere erzählerische Motive ergänzt wurde. Bei der Bibel musste daher auch die früheste jüdische Kunst 1 ihren Ausgang nehmen.

Nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem 70 n.d.Z. hatte das jüdische Bilderverbot (Ex 20, 4—5) seine politische Aktualität verloren2 und die jüdischen Gelehrten kämpften vergeblich gegen den Einfluss der heidnischen Umwelt, die in Bildern dachte und ihre Tempel mit Bildern schmückte. Nach einem über hundert Jahre währenden Kampf, dessen Spuren sich im zeitgenössischen jüdischen Schrifttum nachweisen lassen3, unterlagen die Gelehrten gegenüber den bilderfreundlichen Synagogenvorstehern4, die die ihnen unterstellten jüdischen Kulträume mit Malereien und zwar mit Darstellungen aus der Bibel5 auszuschmücken bestrebt waren.

Die Bibel war somit der Ansatzpunkt jeglicher Kunstentfaltung im Judentum. Da die Bibel die Geschichte der Menschheit und des jüdischen Volkes vom Anfang der Welt an in erzählendem Ton wiedergibt, bestimmte diese Erzählfreudigkeit auch die Umsetzung der Bibel in Bilder. Wenn auch an illustrierten Handschriften biblischer Stoffe wie beispielsweise paraphrasierter Bibelübersetzungen nichts erhalten ist, so lässt sich deren einstiges Vorhandensein aus den Wandmalereien der einzigen erhaltenen ausgemalten Synagoge der Spätantike erschließen. Es ist dies die Synagoge von Dura Europos am mittleren Euphrat aus der Mitte des 3. Jahrhunderts n.d.Z., deren vier Wände in drei Registerbändern übereinander mit bildartig gerahmten alttestamentlichen Darstellungen geschmückt sind. Die biblischen Ereignisse sind oft in großer Dichte gleichsam Bibelvers für Bibelvers wiedergegeben.6 Gerade diese Tatsache war es, die zu der Annahme von illustrierten Handschriften biblischer Stoffe als Vorlage für die Wandmalereien dieser Synagoge geführt hat. Eine solche erzählfreudige Darstellungsweise scheint den Schluß zu erlauben, daß das in der Bibel belegte, sehr charakteristische Verhältnis des jüdischen Volkes zu seiner eigenen Geschichte auch in seiner referierenden Kunst einen Niederschlag fand. Wenn somit O. Pächt7 den Ausgangspunkt der einfachen, fast naiven und mit „apokryphen jüdischen Legendenmotiven“ versehenen Darstellungsweise der alttestamentlichen Bilderzyklen der frühchristlichen Kunst in den juden-christlichen oder vielleicht „nicht einmal wirklich christlichen“ Gemeinden des Orients annahm, so scheint er in Wirklichkeit auf eine Eigentümlichkeit der jüdischen Bibelillustration der Spätantike gestoßen zu sein; sie wurde in der Folge auch von den christlichen Werkstätten übernommen und bestimmte den narrativen Charakter der christlichen Bibelillustration in Spätantike und Mittelalter8.

Auch die von O. Pächt erwähnten „apokryphen jüdischen Legendenmotive“, die auf der Kommentarliteratur der jüdischen Gelehrten zur Bibel fußen, stellen ein Merkmal der jüdischen Kunst dar. Schon in einzelnen Bilderzyklen der Synagoge von Dura Europos wurden Ereignisse dargestellt, die zum Teil weit über den kanonischen Bibeltext hinausgehen9. In den späteren Jahrhunderten fanden — in Übereinstimmung mit der ständig ergänzten und bereicherten schriftlichen Tradition – neue Stoffe auch in den Bilderkanon der jüdischen Kunst Eingang und bestimmten die mittelalterliche jüdische Bibelillustration.10 Auf welchen Wegen jüdisches Legendengut auch christliche mittelalterliche Malwerkstätten erreichte11, kann heute nicht mehr – oder vielleicht auch noch nicht – angegeben werden. Jedenfalls ist das Vorhandensein verschiedener Elemente der jüdischen Bildkunst auch in einer Reihe von christlichen Handschriften festzustellen.

In der Auseinandersetzung mit dem jüdischen Bilderverbot (Ex 20, 4-5), das man vor allem auf eine Wiedergabe des Menschen bezog, wurden mehrere Wege zur Umgehung des Gebotes gefunden. Der Ausgangspunkt der meisten von ihnen scheint in der Überzeugung bestanden zu haben, daß das Bilderverbot vor allem gegen die Wiedergabe des „ganzen“ Menschen12 gerichtet gewesen sei, und daß man daher nicht dagegen verstoßen habe, sobald nicht der ganze Mensch abgebildet wurde. Unter dem „ganzen“ Menschen verstand man vor allem die Wiedergabe des menschlichen Gesichts. Um eine solche menschliche Abbildlichkeit zu umgehen, wurden vier verschiedene Methoden entwickelt. Die erste und älteste bestand darin, daß man das menschliche Gesicht durch den mit Haaren bedeckten Hinterkopf und somit von hinten gesehen wiedergab, obwohl der übrige Körper von vorn dargestellt wurde13. Eine andere und wie auch die weiteren erst in der mittelalterlichen jüdischen Buchmalerei belegte Methode bestand darin, das Gesicht nur durch einen einfachen Strich im Gesichtsoval anzudeuten oder die gezeichneten Gesichtszüge nachträglich wieder auszukrat-zen. Jedoch am häufigsten behalf man sich damit, der menschlichen Gestalt einen Tier- oder Vogelkopf aufzusetzen, oder die Gesichtszüge koboldartig zu entstellen. Allen angeführten Umgehungsversuchen gemeinsam aber ist die Tatsache, daß sie alle spätestens ca. 100 Jahre nach dem ersten Auftauchen der mittelalterlichen jüdischen figürlichen Buchmalerei im 13. Jahrhundert schon wieder aufgegeben wurden, sodaß man ca. seit der Mitte des 14. Jahrhunderts den Menschen ausschließlich mit menschlichen Gesichtszügen darstellte. Eine Ausnahme bildet allerdings die Masora figurata, in welcher die einzelnen Zeilen des in Mikrographie geschriebenen Textes der Masora die Zeichenlinien ersetzen, sodaß auf diese Weise sowohl Gegenstände als auch Tiere und Menschen einerseits abgebildet, andererseits jedoch gleichzeitig als Texte geschrieben den Bibeltext begleiten. Der Gebrauch dieser Umgehung des Bilderverbotes wurde erst mit der Erfindung des Buchdruckes aufgegeben14.

Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten, der jüdischen Kunst eigentümli-chen Charakteristika – der narrativen Darstellungsweise und der Ausgestaltung biblischer Themen durch Midrasch-Motive — blieb jewede Unterdrückung einer vollen Abbildlichkeit auf die jüdische Kunst beschränkt und hat in der christlichen Kunst keinerlei Spuren hinterlassen.
Einen weiteren Ansatzpunkt für die Entwicklung der jüdischen Kunst neben der Bibelillustration bot der jüdische Kult. Allerdings bediente man sich auch in diesem Fall großteils der Darstellung biblischer Themen; diese wurden aber in der Regel nicht als narrative Folgen, sondern als Einzelszenen, und zwar vornehmlich für kerygmatische Aussagen, wiedergegeben.

Nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem entwickelte sich die Auffassung, daß jede Synagoge sowohl in der Diaspora als auch im Lande Israel nicht nur als Gebets- und Lehrstätte anzusehen sei, sondern vielmehr auch als eine Wohnung der Wesenheit Gottes, der Schechina, zu gelten habe. Daraus ergab sich, daß die Synagoge ein „heiliger Ort“ genannt wurde, eine Bezeichnung, die sich inschriftlich seit dem 3. Jahrhundert15 für eine Reihe von Synagogen findet. Dieser neuen Gegebenheit wurde auch der malerische oder musive Dekor der einzelnen Synagogen angepaßt. Das früheste und umfangreichste Beispiel für das Ausstattungsprogramm eines solchen heiligen Ortes bietet wieder die Synagoge von Dura Europos. Die endgültige Fassung des innerhalb von elf Jahren – gerechnet von der inschriftlich bezeugten Ausmalung bis zur Zerstörung der Synagoge durch die Sassaniden — dreimal neu gemalten Mittelbildes über der Toraschrein-Nische an der Schauwand der Synagoge zeigt ein rein messianisches Thema. In zwei Feldern übereinander ist einerseits im unteren Feld die Prophezeiung des endzeitlichen Messias aus dem Königsstamm Juda (Gen 49,10) und andererseits im oberen Feld dieser selbst auf seinem Thron inmitten seines himmlischen Hofstaates dargestellt16. Aber an die rechte und linke Seite dieses Messiasbildes wurden zwei Mosesszenen gesetzt, die beide eine Gottesvision des Moses zum Thema haben. Auf der einen Seite sieht man die Berufung des Moses auf dem Berg Horeb (Ex 3), auf der anderen Seite die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses auf dem Sinai (Ex 19). Es wurde hier von Juden ein Ausstattungsprogramm für einen heiligen Ort, eine Wohnung Gottes, entworfen, das sich ohne Schwierigkeiten auch auf einen heiligen Ort der Christen, d.h. eine Kirche, übertragen ließ. G. Kretschmer17 hat gezeigt, daß in zwei Kirchen des byzantinischen Kulturkreises aus dem 6. Jahrhundert dieselben beiden Mosesszenen neben bzw. über dem in der Apsis abgebildeten transzen-denten Christus angebracht wurden. Es sind dies einerseits San Vitale in Ravenna und andererseits die Kirche des Katharinenklosters auf dem Sinai. Sowohl in der Synagoge als auch in diesen beiden christliche Kirchen sind die zwei Mosesdarstellungen als Theophanieszenen mit dem Bild des endzeitlichen, nicht des irdischen Messias verbunden und bilden gleichsam den Übergang von der irdischen zur kommenden Welt.

Unterhalb des Toraschrein-Bildes der Synagoge von Dura Europos unmittel-bar über der Toraschrein-Nische befindet sich noch eine weitere alttestamentli-che Szene, deren heilsgeschichtliche Aussagekraft kaum hinter der Komposition darüber zurückbleibt; allerdings ist die hier intendierte Symbolik der Szene für christliche Kirchen ohne Belang, sodaß sie in diesem Kontext auf die Ausstattung der Synagogen beschränkt blieb. Es ist die Darstellung des Isaak-Opfers, die sich neben den Bildern von Kultsymbolen und Tempelfassade unmittelbar über der Toraschrein-Nische befindet18 . Nach jüdischem Verständnis (2 Chr 3,1) war der Berg Moria, auf dem das Isaak-Opfer stattfand, mit demjenigen Berg, auf dem Salomo den Tempel errichtete, identisch. Wenn daher das Bild des Isaak-Opfers neben dasjenige der Tempelfassade gesetzt wurde, so sollte damit zweifellos die Identität des Ortes ausgedrückt werden. Daß sich über dieser Tempelfassade das Bild des Herrn der kommenden Welt befand und damit das Tempelbild an endzeitliche Dimensionen rührte, mag schon im Programmentwurf der Synagoge von Dura Europos mitbedacht worden sein. Als aber dieselbe Symbolik in derselben Bildersprache am Anfang des 6. Jahrhunderts auf dem Mosaikfußbo-den der Synagoge von Bet Alpha19 zur Darstellung kam, war das Bild der Tempelfassade, bzw. der Toraschrein-Nische, als Veranschaulichungsmöglichkeit für den Thron Gottes schon ein gängiges Motiv der Synagogenausstattung geworden.20 In Bet Alpha setzte man allerdings das Symbol für den Berg Moria und dasjenige für den Tempelberg nicht einfach nebeneinander, sondern man deutete dadurch, daß man die einzelnen Elemente der Gesamtkomposition des Mosaikfußbodens in drei Feldern übereinander anordnete, den Aufstieg des Beters von der irdischen in die himmlische Sphäre an. Es war somit ein Aufstieg vom Berg Moria bzw. Tempelberg durch die himmlischen Sphären, symbolisiert durch den Sonnenwagen inmitten der zwölf Tierkreiszeichen21, bis hin zu Gottes Thron, welcher unter dem Bild des Toraschreins mit den Cheruben und neben den beiden brennenden Menorot in diesem Sinn zu verstehen war. Dieses Bild des Thrones Gottes vor der Toraschrein-Nische der Synagoge von Bet Alpha veranschaulichte somit das Ziel der Reise, die auf dem Berg Moria beim Eingang der Synagoge begonnen hatte; es war fürwahr ein Bildprogramm, das der Bedeutung eines „heiligen Ortes“ angemessen war22 . Somit können die beiden Darstellungen des Isaak-Opfers aus dem 3. und aus dem 6. Jahrhundert als Belege für die Existenz einer eigenständigen jüdischen Kunst in Anspruch genommen werden, auch wenn die Art der Darstellung deutlich vom jeweiligen Lokalstil geprägt ist.

Am Übergang von der Spätantike zum Mittelalter scheint die Vorstellung von der Synagoge als heiliger Ort aufgegeben worden zu sein, da keine entsprechende inschriftliche Erwähnung mehr bekannt ist. Wenn man daher die Bildkunst im jüdischen Kult des Mittelalters aufspüren will, empfiehlt sich das Studium von jüdischen Gebetbüchern, einerseits solcher für den synagogalen Gottesdienst, andererseits vor allem derjenigen für die Feier des Sederabends im Kreis der Familie.

Das Gebetbuch für die häusliche Feier des Sederabends, die Pesach-Haggada, wurde im späten Mittelalter als eigenes Buch zum Nutzen und zur Freude der Frauen und Kinder mit zahlreichen Bildern ausgestattet. Diese Bilder befinden sich entsprechend dem Gebrauch des Herstellungslandes der Pesach-Haggada entweder als Randillustrationen neben dem Text oder als ganzseitige Bilderfolgen dem Text der Pesach-Haggada voran- oder nachgestellt. Aufgrund der Tatsache, daß der Text der Pesach-Haggada vier verschiedenen Themenkreisen gewidmet ist, kamen auch vier verschiedene Gruppen von Bildthemen zur Darstellung23. Da die Erinnerung der Israeliten an den Auszug aus Ägypten unter Führung des Moses Bedeutung und Sinn des Pesach-Festes ausmachen, widmete man in der Regel die größte und umfangreichste Gruppe von Bildern dieser Thematik; bisweilen wurde sie aufgrund eines nur vagen Textbezuges durch Szenen aus dem Buch Genesis ergänzt. Die Darstellungsweise entspricht der schon oben vorgestellten narrativen Methode der Bibelillustration, ist häufig mit Midrasch-Motiven bereichert und im deutschsprachigen Raum anfänglich von den oben dargelegten Ausweichmöglichkeiten gegenüber dem Bilderverbot geprägt.

Die übrigen drei Themengruppen sind ebenfalls vom Text der Pesach-Haggada bestimmt, der erstens die Anweisungen für die rituellen Vorbereitun-gen zum Fest, zweitens den Text für den Ritus des Seder-Abends und schließlich Angaben über die endzeitlichen Hoffnungen des Judentums für diesen Abend enthält. Zu den rituellen Vorbereitungen gehörte vor allem das Schlachten und Braten des Pesach-Lammes und das Backen der ungesäuerten Brote. Während es aber in der Spätantike in der Regel jüdische Bildformulierungen oder jüdische Motive gewesen waren, die dann von christlichen Werkstätten übernommen wurden, sind es jetzt verschiedene, in christlichen Handschriften vorgegebene Themen und Bildtypen, die von den jüdischen Illustratoren aufgegriffen wurden.24 Anders verhält es sich mit den Illustrationen zu den rituellen Texten, da hier keine direkten Entlehnungen aus christlichen Handschriften möglich waren. Im Falle der Übernahme einer Vorlage war man gezwungen, diese den Voraussetzungen des Textes25 anzupassen; anderenfalls war man auf eigenständi-ge Erfindungen angewiesen, die dann wegen ihrer speziellen Aussage26 auf die jüdischen Werkstätten beschränkt blieben. Ebenso fanden sich auch für eschatologische Szenen wie beispielsweise das Öffnen der Haustüre für den Propheten Elias27 keine entsprechenden Vorlagen in christlichen Handschriften, da solche Vorstellungen ebenfalls auf die jüdische Tradition und das jüdische Brauchtum beschränkt sind28.

Eine eigene Gruppe bilden jene – nicht im Text der Pesach-Haggada verankerten – Darstellungen, die die versteckte Polemik der jüdischen Maler oder Auftraggeber gegenüber ihren christlichen Verfolgern zum Thema haben. Neben der häufig wiederkehrenden Darstellung vom Bad des Pharao im Blut von 150 jüdischen Knaben29 oder des von Jäger und Hunden gehetzten Häschens bzw. der Hirschkuh30 gibt es Illustrationen, in denen mit dieser versteckten Sprache auch die eschtalogischen Hoffnungen des Judentums ausgedrückt wurden. So setzte man beispielsweise über die Darstellung von der Fronarbeit der Israeliten in Ägypten und ihrer Bedrängung durch den ägyptischen Fronvogt als bescheidene Randszene das Bild eines Häschens auf einem goldenen Thron, dem ein ehrfürchtig heranschreitender Hund seinen Tribut — zwei goldene Kelche – überreicht31. Wenn derartige feinpointierte Angriffe auch in ungefähr zeitgleichen christlichen Handschriften eine geistesgeschichtliche Parallele32 haben, so bleiben Thematik und Motiv der Darstellungen doch auf den jüdischen Bereich beschränkt.

Was die mit figürlichen Szenen ausgestatteten großformatigen mittelalterlichen Machzorim33 betrifft, so sind es hier häufig biblische Szenen, die – zu einer Gesamtkomposition auf einer Seite zusammengefasst – zur Ausschmückung des Initialwortes eines Gebetes oder Piyyuts dienen.34 Auf der anderen Seite wurden einer Abfolge von Bibelszenen, wie sie beispielsweise die zum Purimfest gelesene Ester-Megilla begleiten, verschiedene über den kanonischen Bibeltext hinausgehende Bilder hinzugefügt. Manche von ihnen illustrieren das zeitgenössische Brauchtum bestimmter jüdischer Gemeinden, wofür das Leipziger Machzor ein gutes Beispiel35 bietet. Andere sind dem Legendenschatz entnommen, wie beispielsweise das Motiv der Beschmutzung des Haman durch seine eigene Tochter, die diesen mit Mordechai verwechselte und irrtümlicherweise mit unreinem Wasser übergoss. Auch diese Darstellung findet sich erstmalig im Leipziger Machzor, ist aber auch in vielen barocken Ester-Rollen belegt.36

Schließlich aber ist die Zugehörigkeit vieler früher mittelalterlicher Machzorim, wie zum Beispiel auch des Leipziger Machzor, zum jüdischen Kunstbereich auch durch den Austausch der menschlichen Gesichter gegen entstellende Kobold-, in anderen Machzorim wieder Vogelgesichter, gekennzeichnet. Alle diese für die mittelalterlichen jüdischen Gebetbücher artspezifischen Eigentümlichkeiten erlauben es, auch hier von einer jüdischen Kunst zu sprechen; denn obwohl nirgends ein eigenständiger jüdischer Stil vorliegt, verweisen Thematik, Motive und Verwendungszweck diese Handschriften in den Bereich der jüdischen Kunst.

Gleichsam als letzter Repräsentant der mittelalterlichen jüdischen Buchkunst ist erst in allerjüngster Zeit die bisher verschollen geglaubte Bilderbibel des jüdischen Malers Moses dal Castellazzo zwar nicht im Original als Holzschnittfolge, aber durch eine Kopie in Form von schlecht und nur zum Teil kolorierten Federzeichnungen bekannt geworden37. Die zu Anfang der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts in Venedig, Mantua und vielleicht auch anderen Städten Norditaliens angebotenen Holzschnitte dieser Bilderbibel waren von Moses dal Castellazzo von verschiedenen Bildvorlagen einerseits jüdischer, andererseits aber auch christlicher Provenienz zusammengestellt worden. Die von einer jüdischen Bildvorlage übernommen Themen lassen sich unschwer daran als solche erkennen, dass die in diesen Illustrationen zur Darstellung kommenden Bildmotive nicht aufgrund des kanonischen Bibeltextes, sondern nur mit Hilfe der rabbinischen Kommentarliteratur befriedigend erklärt werden können. Da dieselben Bildmotive häufig auch in verschiedenen, vor allem aschkenasischen Pesach-Haggadot des vorangehenden Jahrhunderts belegt sind, beweist dies, dass Moses auf einen vorhandenen jüdischen Bilderkanon zur Bibel zurückgreifen konnte. Vielleicht war ihm dieser durch seinen Vater, einen aus Deutschland nach Italien eingewanderten rabbinischen Gelehrten vermittelt worden. Moses versah jedes Blatt seiner Bilderbibel mit Bibelversen in hebräischer Sprache sowie mit – zumindest entsprechend der erhaltenen Kopie – in italienischer Sprache verfassten Bildlegenden; das führt zu der Annahme, dass der von Moses angepeilte Käuferkreis einerseits die Bewohner der jüdischen Gemeinden von Norditalien, andererseits vielleicht aber auch christliche Humanisten waren, denen er das Gedankengut seines Volkes nahebringen wollte. Somit berechtigen Thematik, Motive und Verwendungszweck der Bilderbibel des Moses dal Castellazzo, auch in diesem Fall von einer eigenen „jüdischen Bildkunst“ zu sprechen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die hier vorgestellten jüdischen Bildwerke zwar in ihrer Stil- und Formensprache mit analogen christlichen Denkmälern derselben Zeit und derselben Kunstlandschaft übereinstimmen, dass sie sich aber von diesen aufgrund ihrer Thematik, ihrer Motive und ihres Verwendungszweckes unterscheiden. Es stellt sich somit die Frage, ob die jüdische Kunst nicht mit mehr Berechtigung der „christlichen“ Kunst statt einer beliebigen nationalen Kunst gegenüberzustellen wäre; Thematik, Motive und Verwendungszweck der christlichen Kunst wurden zwar in ihrem Erscheinungsbild im Lauf der Jahrhunderte durch die jeweiligen orts- und zeitbedingten Gegebenheiten abgewandelt, sind aber aufgrund ihrer in der Religion verankerten Aussagen festgelegt und konstant. Allerdings versteht es sich von selbst, dass in einer christlichen Welt wie es die abendländische ist, die christliche Kunst zur Trägerin der verschiedenen lokalen und zeitbedingten Kunstkriterien wurde, welche die einzelnen Stilphasen kennzeichnen. Vor anderen Voraussetzungen stand die christliche Kunst jedoch im außereuropäischen Raum, wo sie sich nach anderen Gesetzen entfalten mußte als in Europa. In diesen Ländern bekommt der Begriff „christliche Bildkunst“ einen eigenen Stellenwert im Rahmen der verschiedenen zeitbedingten Stilphasen des jeweiligen Landes, z. B. Indiens oder Chinas. Auf der anderen Seite muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass auch in Europa in Zusammenhang mit Vincent van Gogh ebenso wenig von einer „christlichen Kunst“ gesprochen werden kann wie von einer „jüdischen Kunst“ in Zusammenhang mit Max Liebermann.

Anmerkungen

1 Ernst Cohn-Wiener, Die jüdische Kunst – Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1929, enthält einen Abschnitt über „Die Zeit der Könige“, 29—58. Doch sollte man hier mit der Bezeichnung, Jüdisch‘ eher zurückhaltend sein. Sicherlich erhielten zwar die zwei Keruben im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels (1 Kg 6,23) und das auf 12 Rindern ruhende ,Eherne Meer‘ (1 Kg 7,25) eine Sinngebung mit Bezug auf den Jahwe-Kult, das gesamte Baukonzept bestand aber aus kanaanäisch-syrischen Elementen, so daß man den „Tempelbau als den Höhepunkt der Kanaanisierung der Jahwe-Religion bezeichnen“ muß. Kurt Schubert. Die Kultur der Juden, Teil I, Israel im Altertum, Wiesbaden 1970/1977, 83.
2 Vor der Zerstörung des Tempels 70 n.d.Z. mußte das Bilderverbot im umfassenden Sinn verstanden werden, da man nicht gut Kaiserbilder im Tempel verbieten aber andere Bilder gestatten konnte. So berief man sich z.B. nach Josephus Bellum 2, 10, 4 mit Erfolg auf das Bilderverbot, um die Aufstellung einer Statue des Caligula im Tempel zu verhindern. Nach der Tempelzerstörung aber fand um etwa 100 n.d.Z. Rabban Gamaliel IL nichts mehr daran, ein öffentliches Bad zu benützen, in dem eine Statue der Aphrodite aufgestellt war (Abhoda Zara III, 4). Man unterschied also zwischen wertfreien Bildern und solchen, die kultische Funktionen hatten. Kurt Schubert, Das Problem der Entstehung einer jüdischen Kunst im Lichte der literarischen Quellen des Judentums, Kairos 16 (1974), 1-13.
3 Vgl. Kurt Schubert, a.a.O., bes. 6-8.
4 In einer ursprünglich an der Decke der Synagoge von Dura Europos Mitte 3Jh. n.d.Z. angebrachten Inschrift sind in der sowohl aramäisch als auch griechisch abgefaßten Bauinschrift die für den Bau und damit auch die Ausmalung der Synagoge verantwortlichen Gemeindemitglieder namentlich genannt, an ihrer Spitze der ,Archon‘ bzw. ,Presbyter der Juden‘, „der Priester Samuel, Sohn des Idaeus“. Vgl. GH. Kraeling, The Synagogue, New Haven 1956, 263-277. Offensichtlich legten die Honoratioren der Gemeinde auf Anbringung ihres Namens an diesem bevorzugten Platz Wert.
5 Auf eine – allerdings nur in der ersten Schicht der Malereien über der Toraschreinnische in der Synagoge von Dura Europos (Kraeling, a.a.O. 40. 61 f.) belegte – Berücksichtigung des Bilderverbotes wird weiter unten eingegangen werden, vgl. Anm. 13.
6 Z.B. die Bilderfolge von der Kindheit des Moses, Ex 1,18-2,9, oder die Wiederbelebung der Toten im Tal von Dura, Ez 37,1-10. Abbildung in: Ursula Schubert, Spätantikes Judentum und frühchristliche Kunst, Studia Judaica Austriaca II (1974) Abb. 1. 7. 8.; Judentum im Mittelalter, Katalog zur burgenländischen Landesausstellung im Schloß Halbturn, Eisenstadt 1978, Abb. 1. 2.
7 Otto Pächt, The Rise of Pictorial Narrative in 12th Century England, Oxford 1962, 4.
8 Z.B. Wiener Genesis, Wien, Österr. Nationalbibliothek Cod. theol. gr. 31, 6. Jh., herausgegeben zuletzt von Otto Mazal, Facsimile-Ausgabe des Codex theol. gr. 31 der Österr. Nationalbibliothek in Wien, Frankfurt/M. 1980. Bilderbibel aus Padua, Rovigo, Accademia dei Concordi, Ms 212 und London, British Library Add. 15277, hsgg. von G Folena und GL. Meilini, Bibbia Istoriata Padovana della Fine del Trecento, Venedig 1962.
9 Auf den Einfluß der rabbinischen Legendentradition auf die Wandmalereien in der Synagoge von Dura Europos wurde schon mehrfach hingewiesen. Die ältere Literatur verwertet bei Schubert (Anm. 6), 35-64; Joseph Gutmann, Programmatic Painting in the Dura Synagogue, in: Joseph Gutmann (Hsgbr.), The Dura Synagogue – A Re-Evaluation (1932-1972), Missoula 1973, 137-154; Kurt Schubert, Die Bedeutung des Bildes für die Ausstattung spätantiker Synagogen – dargestellt am Beispiel der Toraschreinnische der Synagoge von Dura Europos, Kairos 17 (1975), 11-23.
10 Ein Beispiel dafür ist das messianische Gastmahl der Gerechten in einer aus Süddeutschland stammenden illustrierten Riesenbibel aus dem 13. Jh., die sich heute in der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand befindet (B 32 inf., 136r). Unter den drei eschatologischen Tieren Livjatan, Behemot und Ziz sitzen mit Tierköpfen die Gerechten vor einem prächtig gedeckten Tisch, während ihnen Musikanten zum Mahle aufspielen. Die rabbinische Quelle dafür ist u.a. das ,Alphabeth des Rabbi Akiba‘ (Adolf Jellinek, Bet ha-Midrasch, Jerusalem 1967, 12-64, bes. 34). Das Bild wurde schon mehrfach veröffentlicht, z.B. Bezalel Narkiss, Hebrew Illuminated Manuscripts, Jerusalem 1969, 90, Plate 25; Judentum im Mittelalter, (Anm. 6), Abb. 9; Die Zeit der Staufer, Katalog zur Ausstellung aus Anlaß des 25-jährigen Bestehens des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 1977, Bd. II, Abb. 194; Kurt Schubert, Die Kultur der Juden, Teil II, Judentum im Mittelalter, Wiesbaden 1979, Farbtafel II (nach S. 92); Ursula und Kurt Schubert, Jüdische Buchkunst, Bd. I, Graz 1983, Abb. 2.
11 Vgl. u.a. Joseph Gutmann (Hsgbr.), No Graven Images, New York 1971; O. Mazal (Anm. 8), 183-186; Kurt Schubert, Die Miniaturen des Ashburnham Pentateuch im Lichte der rabbinischen Tradition, Kairos 18 (1976), 191-212; ders., Die Illustrationen in der Wiener Genesis im Lichte der rabbinischen Tradition, Kairos 25 (1983), 1-17.
12 Bezalel Narkiss, On the Zoocephalic Phenomenon in Mediaval Ashkenasi Manuscripts, in: Norms and Variations in Art, Essays in Honor of Moshe Barasch, Jerusalem 1983, 49-62. Um die Mitte des 13. Jh’s formulierte der jüdische Apologet Joseph Hammeqanne, daß sich das biblische Bilderverbot nur auf die Darstellung des „ganzen Menschen, an dem sich alle Körperteile befinden“, bezieht (Judah Rosenthal, Sepher Joseph Hamekane, Jerusalem 1970, 48, Nr. 29a). Zur innerjüdischen Diskussion im Mittelalter vgl. U. u. K. Schubert (Anm. 10), 70-73.
13 Erstmals bei der Darstellung des Abrahamsopfers über der Torascheinnische der Synagoge von Dura Europos (diese Darstellung gehört als einzige figürliche Szene zur ersten Schicht über der Toraschreinnische, vgl. Anm. 5). K. Schubert (Anm. 9), Abb. 13. Die früheste Darstellung des Abrahamsopfers im Mittelalter (1236/38) im 1. Bd. der Ambrosianischen Riesenbibel in Mailand, Abbildungen in: Judentum im Mittelalter (Anm. 6), Abb. 8. In derselben Bibel sind auch Adam und Eva zwar frontal, aber mit von Haaren verhängten Gesichtern, dargestellt. Abgebildet in: U. u. K. Schubert, (Anm. 10), Abb. 1.
14 Leila Avrin, in: C. Sirat, La lettre hebraique et sa signification – L. Avrin, Micrography as Art Jerusalem 1981, bes. 54.
15 Kurt Schubert, Sacra Sinagoga – Zur Heiligkeit der Synagoge in der Spätantike, BiLi 54 (2982), 27-34 (daselbst die ältere Literatur verwertet).
16 U. Schubert (Anm. 6), 55-58; Kurt Schubert (Anm. 9), 18-20.
17 G. Kretschmar, Ein Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Kunst in der Antike, in: J. Gutmann (Anm. 11), 156-184.
18 K. Schubert (Anm. 9), 12-15.
19 Eliezer L. Sukenik, The Ancient Synagogue at Beth-Alpha, Jerusalem 1932.
20 U. Schubert (Anm. 6), 65.
21 Günter Stemberger, Die Bedeutung des Tierkreises auf Mosaikböden spätantiker Synagogen, Kairos 17 (1975), 23-56; Kachel Hachlili, The Zodiak in Ancient Jewish Art: Representation and Significance, BASOR 228 (1977), 61-77.
22 Nach Meyer Schapiro, Vorwort S. 10, zu: Israel, Frühe Mosaiken, Einleitung von Michael Aviyonah, Unesco-Band, München 1961, „kündigt dieser Fußboden die Kunst des christlichen Mittelalters mit ihren systematischen Programmen einer monumentalen Theologie an“.
23 The Golden Haggadah, A Fourteenth Century Illuminated Hebrew Manuscripts in the British Museum, Einleitung von Bezalel Narkiss, London 1970, 62.
24 Z.B. das Motiv des Backofens, in den ein Mann Brot hineinschiebt oder das Motiv der um einen gedeckten Tisch sitzenden Tischgesellschaft als Randillustration in christlichen Psalterhandschriften, Stundenbüchern und Brevieren des späten 13. und 14. Jh‘s. Vgl. Lilian M.C. Randall, Images in the Margins of Gothic Manuscripts, Berkeley 1966, z.B. Abb. 67 und 74.
25 Z.B. das Suchen und Entfernen des Gesäuerten in der Früh des 14. Nisan. U.a. in First Cincinatti Haggadah, 4r: Abbildung in: B. Narkiss (Anm. 10), 130, Plate 45; Jacob Allerhand, in: Judentum im Mittelalter (Anm. 6), 232.
26 Z.B. die Schüler, die die fünf die Nacht über diskutierenden Weisen von Bne Braq aufmerksam machen, daß schon die Zeit für das Morgengebet gekommen sei, z.B. Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Cod Or 28, 3v. Felicitas Heimann, Die Illustrationen in der 2. Darmstädter Pesach Haggada, Kairos 25 (1983), 18-35, bes. 24 (und Abb. im Abbildungsteil).
27 Ein häufig dargestelltes Motiv ist das Öffnen der Haustür für den Propheten Elias während des Seder-Rituals, z.B. Washington Haggadah, 19v. Abbildung in: B. Narkiss (Anm. 10), 140, Plate 50.
28 Z.B. in der Vogelkopfhaggada, Jerusalem, Israel Museum 180/57, 47r befindet sich als letztes Bild eine Darstellung des Stadttores des endzeitlichen Jerusalem, in dem ein Mann mit Judenhut steht und auf vier Männer hinunterdeutet, die von unten mit erhobenem Arm hinaufweisen: Mosch Spitzer (Hsgbr.), The Bird‘s Head Haggada of the Bezalel National Art Museum in Jerusalem, Jerusalem 1967, darin: H.L.C. Joffe, Description of the Illustrations, 33-88, u. Bezalel Narkiss, The Ikonography of the Illustration , 89-110. In der Haggada von Sarajevo, S. 32, befindet sich die Darstellung des endzeitlichen Tempels von Jerusalem, dessen Tore geöffnet sind und in dem man die Bundeslade und die durch Flügel angedeuteten Keruben sieht: Cecil Roth, Die Haggadah von Sarajevo, Leipzig2 1967.
29 Ein vom 15. Jh. bis hin in die gedruckten Pesach-Haggadot häufig belegtes Motiv ist das Bad des aussätzigen Pharao im Blute israelitischer Kinder. Z.B. Paris, Bibliotheque Nationale, Ms hebr l333, 12v, Abbildung in: Klaus Lohrmann (Hsgbr.), 1000 Jahre österreichisches Judentum, Eisenstadt 1982 Abb. 88; Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod hebr 37, 27v, Abbildung in: Judentum im Mittelalter (Anm. 6), Abb. 22; U. u. K. Schubert (Anm. 10), Abb. 31. Weitere Belege bei: Kurt Schubert, Das jüdische Element in der Illustration der Pesach-Haggadot des 17. u. 18. Jahrhunderts (in diesem Heft, bes. Anm. 34).
30 Das Motiv der Hasen-bzw. Hirschenjagd wurde von den jüdischen Illustratoren häufig benutzt, um die Situation des verfolgten Judentums darzustellen, besonders deutlich in der spanischen Haggada der John Ryland‘s Library in Manchester, Ms. Heb. 6, fol. 29v. Der den Hasen beißende schwarz-weiße Hund ist hier eindeutig eine Anspielung auf die Dominikaner, denn in dieser Weise stellten sich die die Ketzer verfolgenden Dominikaner als Domini Canes selbst dar, z.B. in der Kapelle am Chiostro Verde von Sta. Maria Novella in Florenz. Abbildung in: B. Narkiss, (Anm. 10), 66, Plate 13. Die Szene ist wohl auch ein versteckter Hinweis auf die Inquisition. In allen Darstellungen gelingt es dem gehetzten und oft auch schon verwundeten Tier, seinen Verfolgern zu entkommen. Solche Bilder sind somit auch Ausdruck für die messianschen Hoffnungen des Judentums.
31 Diese Umkehrung des Motivs der Hasenjagd findet sich in der Pesach-Haggada der British Library, Add 14761, 30v. Das polemische Element ist hier besonders deutlich fol 20v, wo sich hinter dem Jäger, der seine Hunde auf den flüchtenden Hasen hetzt, eine Teufelsgestalt befindet. Abbildung in : U. u. K. Schubert (Anm. 10), Abb. 46. 47; K. Schubert (Anm. 10), 39 u. Abb. 23. 24.
32 So findet sich im Oscott Psalter, London, British Library, Add 50.000, 146v zu Ps 97 als Illustration in der Initiale C (antate) eine Darstellung von drei singenden Mönchen, am unteren Rand derselben Seite das Bild eines vor einem Notenpult singenden Hahnes, auf den ein Fuchs zuschleicht, um ihn zu verschlingen. Letzteres ist ein Anspielung auf die Predigt des Odo von Chariton (gest. 1247) gegen die Schlemmer, die ihre Beichtväter verschlingen wollen wie der Fuchs den Hahn. Vgl. Laitan M.C. Randall, Exempla as a Source of Gothic Marginal Illustration, Art Bulletin 39 (1957), 97-107, bes. 105 u. fig. 10.
33 Gabrielle Sed-Rajna, Le Mahzor Enluminé, Leiden 1983.
34 Die Initialwortillustrationen zu den liturgischen Dichtungen in den Machzorim müssen als jüdische Schöpfungen verstanden werden. Beispielsweise findet man am Beginn des Jotzergebetes zum ersten Tag von Schabhu‘ot, da die Gabe der Tora an Israel gefeiert wird, im Dresdner Machzor, Dresden, Landesbibliothek, A 46a, fol 202v ebenso wie auch in anderen Machzorim eine Darstellung der Gesetzgebung auf dem Sinai. Eine eigenwillige Wiedergabe dieses Themas im Laud-Machzor, Oxford, Bodleian Library, Laud Or 321, 127v verrät den Einfluß der rabbinischen Exegese, da hier als Illustration zu Ex 24, 6-8 in Übereinstimmung mit dem Pentateuchkommentar des Raschi zu Ex 24, 6 Moses zwei Schüsseln mit Opferblut in seinen beiden Händen hält, während der Bibeltext nur von einer Schüssel und „der Hälfte des Blutes“ der geopferten Stiere spricht. An dieser Unklarheit setzte Raschi mit seinem Kommentar an. Wenn am unteren Rand desselben Bildes ein Mann Brot in einen Backofen schiebt, so dürfte das wohl ein Hinweis auf das Brotopfer sein, das als Erstlingsgabe zu Schabhu‘ot dargebracht wurde (Lev 23,17). Abbildung in: U.u.KSchubert, (Anm. 10), Abb. 25. JB. Narkiss (Anm. 10), 94, Plate 27; G Sed-Rajna (Anm. 33), Abb. 39.
35 Leipziger Machzor, Bd. I, 131r. Hier ist als Illustration zum Jotzer-Gebet am ersten Tag von Schabhu‘ot eine Einführung der Kinder in das Studium der Tora gezeigt. Die Kinder halten ein Ei und einen runden Fladen in ihren Händen, ein aschkenasischer Brauch, der die Einführung der Kinder in das Studium der Tora symbolisiert. Elias Katz, Machsor Lipsiae, 68 Faksimile-Tafeln der mittelalterlichen hebräischen illuminierten Handschrift aus dem Bestand der Universitäts-Bibliothek Leipzig, Hanau 1964, 21f. In derselben Einleitung zur Faksimileausgabe des Leipziger Machzor Bezalel Narkiss, Erläutende Einführung in den Machsor Lipsiae, 31-59, bes. 43f. Abbildung in: K. Schubert (Anm. 10), Abb. 44.
36 Leipziger Machzor, Bd. I, 51v. Abbildung in U. u. K. Schubert (Anm. 10), Abb. 19; Joseph Gutmann, Buchmalerei in hebräischen Handschriften, München 1978, 86, Nr. 24; Stefan Schreiner, Das Lied der Lieder von Schelomo, mit 32 illuminierten Seiten aus dem Machsor Lipsiae, Leipzig 1981, Abb. 8. Zum Weiterwirken des Motivs bis in die barocken Esther-Rollen vgl. Bezahl Narkiss, Kaniel Megillah-Esther Rolle. Vollständige Faksimile Ausgabe im Originalformat aus dem Besitz von Michael Kaniel. Kommentar: Michael Kaniel, Bezalel Narkiss, Graz 1984.
37 Bilder-Pentateuch von Moses dal Castellazzo, Venedig 1521; Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex 1164 aus dem Besitz des Jüdischen Historischen Instituts Warschau, Hrsg. Kurt Schubert, Wien 1986. Einige Bilder in: Kurt Schubert, Midrasch-Exegese in der Bilderbibel des jüdischen Instituts in Warschau Nr. 1164 aus dem 16Jh., in: Meqor Hajjim, Festschrift für Georg Molin zum 75.Geburtstag, Graz 1983, 323-336; Ursula Schubert, Die verschollene Bilderbibel des Moses dal Castellazzo aufgefunden: Die Gemeinde, Wien, l.Mai 1983, 35f; dies., Angebliche Pesach-Haggadah von 1480 – Teil einer Bilderbibel von 1520, in: Les Juifs au regard de l‘histoire, Melanges en l‘honeur de B. Blumenkranz, ed. Gilbert Dahan, Paris 1985, 263-266; dies., Die einzige Kopie der verschollenen Bilderbibel des Moses dal Castellazzo entdeckt, in: XXV. Internationaler Kongress für Kunstgeschichte. CIHA. Wien 4.-10.9.1983, Wien 1985, 95-100, Abb. 33-38.

Quelle: http://david.juden.at/kulturzeitschrift/70-75/73-schubert.htm, Unveränderter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Kairos Heft 3-4 (1985), S. 269-278 von Frau Eva Schubert und des Verlags Otto Müller.