Die Geschichte der Judenmission im Überblick

Von Inge Schott

Seit der Entstehung des Christentums gibt es Judenmission. Es ist nichts verwerfliches, Menschen mit offenen Armen in seinen Reihen aufzunehmen, um mit ihnen das Neue, das man errungen hat und die Sicherheit einer Gemeinschaft, die sich entwickelt, zu teilen. Diese Motivation mag wohl am Anfang der christlichen Judenmission gestanden haben, wenn sie auch unter Juden und Gerim nicht sehr erfolgreich war. Später wendet sich die christliche Mission dann fast ausschließlich an die Griechen (Heiden) und in der Folge an alle heidnischen Völker.

Im alten Rom wirken auch die Juden missionarisch und es konvertieren sehr viele Römer, die unzufrieden mit ihren eigenen religiösen Bräuchen und Inhalten sind. Fast ein Viertel der Bewohner des Mittelmeerraums bekehren sich in der damaligen Zeit zum Judentum, oder sie übernehmen zumindest die Grundlagen der jüdischen Morallehre. In einer Zeit der Dekadenz und des moralischen Verfalls gibt ihnen dies eine neue Orientierung sowohl im zwischenmenschlichen als auch im spirituellen Bereich.

Das Judentum gibt die Missionstätigkeit auf

In der Spätantike entwickelt sich zwischen Juden und Christen eine Missionskonkurrenz, die Techniken der Christen, die zunächst am jüdischen Prinzip der Nächstenliebe festhalten, verschärfen sich und die Juden ziehen sich zurück, vielleicht auch deshalb, weil sie diese aggressiver werdenden Missionstechniken des Christentums wie zum Beispiel Drohung, Diskriminierung und Zwangsbekehrung nicht mitmachen können, da diese der Morallehre des Judentums widersprechen. Aber auch ein anderer Punkt ist wesentlich bei dieser Entscheidung: Viele Christen hatten sich „scheinmissionieren“ lassen, um dem Judentum als Spitzel von innen nachhaltiger schaden zu können. So zieht sich das Judentum auf eine nicht-missionarische Religionsform zurück und erschwert es Konversionswilligen zunehmend, zum Judentum überzutreten. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Definition des Begriffs Mission

Der Begriff Mission bedeutet – neutral betrachtet – „ehrenvoller Auftrag“. Wörtlich übersetzt heißt es „Sendung“, eine Mission ist also das Gesendet-sein, um eine Sache zu vertreten, zu überzeugen, zu bekehren. Das ist erst einmal nichts Schlechtes, aber das Problem liegt in der Tatsache, dass die Ehrempfindung auf der einen Seite liegt, was sich auf der anderen Seite befindet, ist offen. Es kommt also immer darauf an, wie eine Mission erfüllt wird: In friedlicher Absicht mit Respekt vor dem Anderen oder in feindlicher Haltung, mit Mitteln der Unterdrückung, der Brutalität, des Krieges.

Mission als Werbestrategie

Man kann die Missionstechniken allgemein mit Werbestrategien vergleichen. Die einen werben für ihr Produkt mit Informationen über die Vorzüge, mit dem Aufzeigen positiver Eigenschaften, mit Lob für das eigene Produkt und sonstigen positiven Techniken. Die anderen werben mit der Angst, was passieren wird, wenn ich ihr Produkt nicht kaufe. Wenn ich Versicherung „XY“ nicht habe, dann werde ich im Falle des Ereignisses „XZ“ ins soziale Abseits gedrängt, meine Verteidigung vor Gericht wird schlecht sein, ich werde im Gefängnis landen, wo andere durch einen guten Rechtsanwalt wieder frei kämen, meine Familie wird zerstört werden, mein Haus gepfändet, ich werde auf der Straße leben müssen. Drohende Negativ-Visionen sollen mich von dem Produkt überzeugen. Die Ehre liegt in beiden Fällen beim Vertreiber des Produkts, der sie in Form von Provisionen dem Werber zu Teil werden lässt. In beiden Fällen ist die Mission selbst neutral: Verkaufe ein Produkt.

Taufe oder Tod

Die christliche Kirche geht mit ihren Werbestrategien seit dem frühen Mittelalter, als sie merkt, dass die Judenmission für sie relativ erfolglos verläuft, noch einen Schritt weiter: Sie macht die Drohungen, die sie für die Werbung nutzt, selbst wahr. Der Jude, der sich nicht freiwillig bekehren lässt, um zum versprochenen Heil zu gelangen, wird zumindest in diesem Leben nicht mehr heil bleiben. Wenn er schon nicht die Heilszusagen für das Jenseits annimmt, dann soll er auch im Diesseits nicht mehr glücklich werden.

Christentum funktionierte oft und lange Zeiten nach dem Prinzip der Schutzgelderpressung der Mafia. Wer sich nicht bekehren lässt, wird zwangsgetauft, dessen Synagogen werden zerstört, dessen Heilige Bücher werden verbrannt, der wird seiner Existenzgrundlage beraubt, er wird verfolgt, gequält und ermordet. Diese Art der Missionstätigkeit zieht sich mit regelmäßigen Wiederholungen bis in das Zeitalter der Emanzipation.

Juden als Feindbild der Christen

Das sog. Neue Testament liefert reichlich Aussprüche, um die Juden zum Feind des Christentums zu erklären. Das seinen Machtbereich ausweitende Christentum entwickelt das Bild von den G-ttesmördern, den Ausgestoßenen, den treulosen Juden, denen G-tt den Bund aufgekündigt habe und behandelt sie entsprechend. Sie werden sozial und wirtschaftlich in die Enge getrieben, und ihre Situation, von den Christen hervorgerufen, wird zum Beweis für ihr Versagen vor G-tt erklärt. Die Prophezeiungen der Christen für das jüdische Volk werden selbst in die Tat umgesetzt, da G-tt mit der Bestrafung der Juden auf sich warten lässt. Die Kirche erklärt sich zum verlängerten Arm G-ttes und so ist die Ordnung wieder hergestellt: G-tt selbst hat durch die Macht der Kirche die treulosen Juden abgestraft.

Als treulos wird derjenige definiert, der sich treu an den Bund Awrahams hält, und der sich weigert, die neue Lehre anzunehmen, die den Bund Awrahams durch etwas Neues ersetzt.

Treulos und verworfen ist der, der sich an die Gebote hält und sie erfüllt, der nicht glauben mag, dass ein Mensch in der Lage ist, die Gebote mit einem Handstreich aufzuheben. Ausgestoßen und verworfen sind die, die sich weigern, das Erste Gebot zu missachten, das G-tt dem Volk Israel gegeben hat.

Mit dem Bittgebet «Oremus et pro perfidis Judaeis» gehörte der Topos von den «treulosen Juden» bis kurz vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 zur Karfreitagsliturgie der katholischen Kirche. (Zit.: Urs Altermatt: Der Antijudaismus und seine Weiterungen)

Heinrich Bolfing meinte 1941 in einem Artikel der «Schweizerischen Kirchenzeitung»: «Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit des Volkes wird am gesamten Volke bestraft; zur Ausführung solcher Strafgerichte bedient sich Gott oft anderer Völker als seiner Werkzeuge […]. So lehrt uns das A.T. [= Altes Testament], die furchtbaren Geschehnisse der heutigen Zeit zu begreifen.» (Zit.: ebd.)

Ursprung dieser Verurteilung der Juden durch die Christen sind die judenfeindlichen Äußerungen im sog. Neuen Testament:

  • „Als aber die Juden die Menge sahen, wurden sie neidisch und widersprachen dem, was Paulus sagte, und lästerten“, (Apg. 13,45)
  • „Aber die Juden hetzten die gottesfürchtigen vornehmen Frauen und die angesehensten Männer der Stadt auf und stifteten eine Verfolgung an gegen Paulus und Barnabas…“ (Apg. 13,50)
  • „Aber die Juden ereiferten sich und holten sich einige üble Männer aus dem Pöbel, rotteten sich zusammen und richteten einen Aufruhr in der Stadt an…“ (Apg. 17,5)
  • „die Juden den Herrn Jesus getötet haben“, (1. Thess. 2,15)
  • Jesus zu den Juden: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun. Jener war ein Menschenmörder von Anfang an und stand nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben.“ (Joh. 8,44)
  • „haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen feind“ (1. Thess. 2,15)
  • „Euer Blut komme über Euer Haupt“ (Apg. 18,6)
  • „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist – denn es steht geschrieben: `Verflucht ist jeder, der am Holz hängt! , damit der Segen Abrahams in Christus Jesus zu den Nationen komme, damit wir die Verheißung des Geistes durch den Glauben empfingen.“ (Gal. 3, 13-14)

… um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Kurz: Treulos und verworfen ist der, der G-tt anerkennt, ihm dient und sich weigert den Bund G-ttes mit Israel zu verraten.

Wer sich aber zu der Lehre der Kirche „bekehrt“, der ist gerettet, ihm wird zumindest im Diesseits ein gewisses Maß an versprochenem Heil zuteil: Er darf weiter existieren.

Wer hat Recht?

Im 13. Jh. zwingt die Kirche die Rabbinen zu öffentlichen Talmuddisputationen, um den Juden zu beweisen, dass der Talmud ein Lügenbuch ist. Es gelingt ihnen nicht, aber die Juden „geben sich geschlagen“, um das jüdische Volk vor Verfolgung und Mord zu schützen. Zur gleichen Zeit setzt die Kirche Zwangspredigten und materielle Unterstützung von Konvertiten ein, um weitere „Seelen“ zu gewinnen.

Marranen

In Kastilien finden seit Ende des 13. Jh. Massentaufen statt, aber die Zwangsbekehrten halten zu einem großen Teil an ihren Riten fest. Sie erhalten den Namen „Marranen“, Schweine. Der Name ist in doppelter Hinsicht beleidigend für Juden. Etwa 100 Jahre später fallen die Marranen zu einem großen Teil der Inquisition zum Opfer. Wer z.B. am Freitag kocht, ist automatisch verdächtig, ein Marrane zu sein, ein Jude also, der trotz Konversion zum Christentum an jüdischen Bräuchen festhält. Er ist praktisch des Todes, wenn er entdeckt wird.

Missionspause und Wiederaufleben der Missionstätigkeit

Seit dem Ende der Inquisition bis zum Beginn des 19. Jh. verringern sich die Missionsbemühungen der Kirchen gegenüber den Juden. Das Interesse der Kirchen verlagert sich zunehmend auf die Heiden ferner Länder. Das Feindbild bleibt indes bestehen, verlagert sich jetzt allerdings mehr auf den gesellschaftlichen und den rassistischen Bereich.

Im 19. Jh. verstärken die christlichen Kirchen ihre Missionstätigkeit unter den Juden wieder, es kommt aber kaum zu Konversionen, es sei denn aus gesellschaftlichen Gründen.

Mission heute

Im 20. Jh. endlich kommt es zu einer klaren Stellungnahme der katholischen Kirche gegen die Judenmission. Das Zweite Vatikanische Konzil anerkennt die Juden als das Volk G-ttes, das seinen eigenen Weg zu G-tt gehen kann, wobei aber auch der Hoffnung Ausdruck verliehen wird, dass am Ende der Zeiten auch die Juden Jesus als den Messias anerkennen werden.

Die evangelischen Kirchen tun sich auf Grund ihrer weitverzweigten Strukturen und ihrer dezentralen Leitung schwer, eine einheitliche Stellungnahme zum Thema Judenmission abzugeben. Viele Freikirchen, evangelikale und pietistische Gruppen, charismatische Gemeinden und ihnen angeschlossene sog. Messianische Juden haben sich ganz der Judenmission verschrieben. Nur wenige Landeskirchen, u.a. die Rheinische Landeskirche, haben sich mehr oder weniger deutlich von der Judenmission distanziert. Ihnen fehlt aber die innerstrukturelle Macht, judenmissionarische Gruppen der eigenen Reihen zu kontrollieren und zu bremsen.

Engagierte Juden und Christen, die sich seit 50 Jahren dem christlich-jüdischen Dialog widmen, sehen die zarte Pflanze der Verständigung durch missionierende Christen und messianische Juden in großer Gefahr und es stellt sich die Frage, ob und wie eine Verständigung unter den gegebenen Vorzeichen überhaupt noch möglich sein soll.