Die Zehn Gebote

Zum Wochenabschnitt PARASCHAT JITHRO (Schmot 18.1 – 20.23)

Von Zwi Braun

Wie können wir Gott dienen? Das Kriat Schma, welches wir zweimal täglich im Morgen- und Abendgebet sprechen, gibt die Antwort: „Und du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und deinem ganzen Vermögen“ (Dew.6,5).

In der Sprache der Torah ist das Herz der Sitz unseres Fühlens, Denkens und Trachtens: „Und in das Herz jedes Sachverständigen habe Ich Weisheit gegeben“ (Schmot 31,6).
Gott mit dem Herzen dienen, bedeutet also auch, unser Denken in Seinen Dienst zu stellen.

Von der Seele des Menschen, Nefesch, ist bei der Erschaffung des Menschen die Rede: „Und so ward der Mensch zu einer lebendigen Seele“ (Ber.2,7).
Der aramäische Targum Onkelos übersetzt dies als „Sprechendes Wesen“. Das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist vor allem seine Fähigkeit, seine innere Gedankenwelt in Worte zu kleiden und mit der Umwelt zu kommunizieren. Mit unserer Sprache können wir Gott dienen, im Gebet, beim Torastudium und bei vielen anderen Gelegenheiten.

Bleibt noch das Vermögen, die finanziellen Mittel, welche es uns erlauben, viele Mizwot aktiv auszuführen, z.B. Zedaka (Wohltätigkeit spenden) etc.

Mit Denken, Reden und Handeln dienen wir Gott.

Diese drei Möglichkeiten finden wir in den Zehn Geboten wieder. Auf der ersten Tafel finden wir die Gebote, welche unsere Beziehungen zu Gott regeln. Das „Ehre Vater und Mutter“ leitet zur zweiten Tafel über, deren Gebote die zwischenmenschlichen Beziehungen betreffen.

  1. ICH bin “der Ewige“, dein G’tt, der dich herausgezogen aus dem Lande Ägypten, aus einem Sklavenhaus.
  2. Nicht sei dir andere G’ttheit vor mir. Nicht mache dir Statuen noch irgend ein Bild, sei es vom Himmel ringsoben, von der Erde ringsunten und vom Wasser ringsunter der Erde. Werfe Dich ihnen nicht hin, diene ihnen nicht, denn ICH “der Ewige“, dein G’tt bin ein eifernder G’tt, bedenke Verfehlung von Vaetern an Soehnen, am dritten und vierten Glied, meinen Hassern, aber in Liebe zugewandt ins tausendste, den mich Liebenden und meine Gebote wahrenden.
  3. Fuehre nicht den Namen “des Ewigen“ zur Nichtigkeit, denn nicht freispricht “der Ewige“ jenen, der seinen Namen zur Nichtigkeit fuehrt.
  4. Gedenke des Tages des Shabath, zu seiner Heiligkeit. Sechs Tage arbeite und tu Dein Werk – und der siebente Tag, der Shabath des “Ewigen“, Deines G’ttes, tu keine Arbeit, Du, Dein Sohn, Deine Tochter, Deine Arbeiter und Arbeiterinnen, Deine Tiere und Dein Fremder der in Deinen Toren. Denn sechst Tage machte “der Ewige“ den Himmel und die Erde, das Meer und alles, was in ihnen – und ruhte am siebenten Tage, darum segnete “der Ewige“ den Shabath-Tag und heiligte ihn.
  5. Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit von Bestand seien Deine Tage auf der Erde, die “der Ewige“ Dein G’tt dir gibt.
  6. Nicht morde
  7. Nicht untreue
  8. Nicht stehle
  9. Nicht sage aus gegen deinen Naechsten zur Luege.
  10. Nicht neide deinem Naechsten Haus, nicht neide deinem Naechsten Frau, Knecht, Magd, Ochsen, Esel, noch sonstiges was Deines Naechsten.

Das fünfte Gebot nimmt deshalb eine Zwischenstellung ein, weil nach den Worten unserer Weisen drei an der Schöpfung neuen menschlichen Lebens beteiligt sind; Mutter, Vater und Gott (Kidduschin 30b). Die ersten zwei Gebote fordern unser Denken. Nicht mehr der ägyptische Pharao ist Herrscher über das jüdische Volk, Gott ist nun der alleinige König und neben Ihm und außer Ihm haben keine anderen Götter und Ideologien — die modernen Götzen — einen Platz. Den Namen Gottes nur im richtigen Moment auszusprechen verlangt von uns, unseren Redefluss zu kontrollieren. Schließlich folgt der Schabbat, dessen Heiligung unseres aktiven Handelns bedarf. So leiten wir ihn mit dem Kiddusch ein und verabschieden wir uns mit der Hawdala von ihm.

In der Reihenfolge der Gebote liegt eine Steigerung der an uns gestellten Ansprüche. In unserem Inneren Gott zu dienen, mit dem Herzen an Ihn zu glauben, dies erfordert eine geringere Anstrengung als die tagtägliche Erfüllung der uns mitgeteilten Mizwot. Judentum ist eben nicht so sehr Religion des Glaubens, als vielmehr eine Religion des Handelns. Natürlich verfügen wir über Glaubensgrundsätze. Sie hat z.B. Maimonides in den 13 Glaubensartikeln formuliert. Doch ist es nicht der Glaube an seligmachende Dogmen, der für den Juden im Mittelpunkt seines Lebens steht, sondern die gottgewollte Tat, das Erfüllen der Mizwot, die den jüdischen Menschen von der Wiege bis zur Bahre, vom morgendlichen Aufstehen bis zum nächtlichen Zubettgehen begleiten, ihn fordern — und ihm physische und geistige Befriedigung geben.

Das Gebot Vater und Mutter zu ehren verlangt ebenfalls aktives Handeln von uns: „Worin besteht das Ehren der Eltern? Sie mit Speise und Trank, mit Kleidung und Schuhen zu versehen, sie beim Verlassen des Hauses zu begleiten und sie zurückzuführen“ (Kidduschin 31b).

Die zweite Tafel mit den fünf letzten Geboten beginnt mit dem Verbot zu morden, Unzucht zu begehen und zu stehlen.

Diese Gebote verbieten uns Handlungen, eine Aufforderung, welcher gesittete Menschen durchaus in der Lage sind zu folgen. Nicht zu lügen, keine falschen Aussagen gegen den Mitmenschen zu treffen, dies fällt schon schwerer.

Das letzte Gebot schließlich betrifft unser Denken. Neid, Missgunst, all diese Gefühle und Gedanken sollen wir nicht in uns aufkommen lassen, ein schwerwiegendes und schwer zu erfüllendes Verlangen.

Der Aufbau der Zehn Gebote folgt einem symmetrischen Schema. Sich gegenüber Gott im Denken, Reden und Handeln zu bewähren, gegenüber dem Mitmenschen im Handeln, Reden und Denken. Auf beiden Tafeln erscheinen zuerst die „leichteren“ Forderungen, beide gipfeln in den Geboten, die uns das meiste abverlangen: die Realisierung des Schabbat und Ehrfurcht vor den Eltern, sowie die Beherrschung unserer Eifersucht auf andere. Mit dem göttlichen „Anochi“, Ich, beginnt der Dekalog und endet mit „Lere’echa“, dem Nächsten. Liebe und Furcht vor Gott führen uns zur Liebe und Respekt vor den Mitmenschen.

Bitte beachten Sie: Viele der hier wiedergegebenen Texte sind heilig – der hebräische Text enthält u.U. den Namen G’ttes. Wenn Sie sich diese Seiten ausgedruckt haben, werfen Sie sie nicht weg. Bewahren Sie sie an einem reinen Ort oder geben Sie sie beim nächsten Rabbinat ab.

Quelle: Zwi Braun, 3 Minuten Ewigkeit. Aktuelle Betrachtungen zum Wochenabscbnitt und zu den jüdischen Feiertagen, Morascha Zürich