Kitnijot (Hülsenfrüchte) an Pessach

Eine Tschuva des Vaad Halacha
(Conservative), Israel – (O.H. 453:1)

Rabbi David Golinkin

Frage:

Wäre es im Licht des „Einsammelns der Verstreuten“ aus dem Exil nicht möglich, den aschkenasischen Brauch, an Pessach keine Hülsenfrüchte zu essen, abzuschaffen?

Responsum:

1. Nach unserer Meinung ist es erlaubt (wenn nicht gar geboten), diesen Brauch abzuschaffen. Er befindet sich in direktem Widerspruch zu einer expliziten Entscheidung im Babylonischen Talmud (BT Pessachim 114b) sowie im Widerspruch zur Meinung aller Chachamim der Mischna und des Talmud, mit einer Ausnahme (R. Jochanan ben Nuri, Pessachim 35a und Parallelen).
Er widerspricht der Theorie und Praxis der babylonischen und palästinensischen Amoraim (Quellen: Pessachim und andere), der Geonim (Scheiltot, Halachot, Pesukot, Halachot G’dolot etc.) und den meisten der frühen mittelalterlichen Autoritäten verschiedenster Länder (alles in allem fünfzig Rischonim!).

2. Dieser Brauch wird zum ersten Mal in Frankreich und der Provence am Beginn des 13. Jahrhunderts erwähnt ­ von R. Ascher von Lunel, R. Samuel von Falaise und R. Peretz von Corbeil. Von hier aus verbreitete sich der Brauch in verschiedenste Länder und die Liste der verbotenen Speisen verlängerte sich kontinuierlich. Der Grund für den Brauch blieb unbekannt – dies führte dazu, dass einzelne Rabbiner eine Anzahl von „mindestens elf“ Gründen für ihn benannten. Daraufhin nannte ihn R. Samuel von Falaise, einer der ersten, der ihn erwähnt, einen „missverstandenen“ Brauch und R. Jerucham nennt ihn einen „törichten“ Brauch.

3. Die wichtigste halachische Frage ist hier diejenige, ob es erlaubt ist, einen missverstandenen oder „törichten“ Brauch abzuschaffen. Viele rabbinische Autoritäten haben entschieden, dass dies erlaubt ist, wenn nicht gar geboten (R. Abin in J Pessachim, Maimonides, Rosch, RiBaSch und viele andere).

Zusätzlich gibt es viele gute Gründe, diesen „törichten“ Brauch nicht weiter zu befolgen:
a. Er limittiert die Freude des Festtages durch ein Verringern der erlaubten Speisen
b. Er verursacht exorbitante Preissteigerungen, welche zu einem „grösseren finanziellen Velust“ führen
c. Er betont das Nebensächliche (die Hülsenfrüchte) und ignoriert das Wichtige (das Chametz aus den an Pessach verbotenen fünf Getreidearten)
d. Er verursacht den Spott der Menschen über die Gebote im Allgemeinen und über das Verbot von Chametz im Besonderen ­ wenn dieser Brauch keinen Zweck hat und trotzdem eingehalten wird, gibt es keinen Grund, andere Gebote einzuhalten
e. Zuguterletzt führt dieser Brauch zu unnötigen Trennungen zwischen Israels verschiedenen ethnischen Gruppen.
Es gibt nur einen Grund, diesen Brauch einzuhalten: Das Bedürfnis einen alten Brauch zu bewahren. Dieses Bedürfnis ist jedoch kein stärkeres halachisches Argument als die oben gelieferten.

4. Zweifelsohne wird es Aschkenasim geben, die diesen Brauch „ihrer Vorfahren“ nicht aufgeben werden, selbst wenn sie wissen, dass es erlaubt ist, an Pessach Hülsenfrüchte zu essen. Ihnen sei ans Herz gelegt, dass sie in der Tradition auf das Essen von Reis und Hülsenfrüchten verzichten, jedoch den Verzehr von Ölen aus Hülsenfrüchten und anderen Speisen, die sich mit der Zeit als „verboten“ entwickelt haben, geniessen. Diese Arten von „verbotenen“ Speisen sind Bohnen, Knoblauch, Senf, Sonnenblumenkerne, Erdnüsse und sofort.
So ist es ihnen möglich, Hunderte von Produkten zu essen, die das Label „Koscher-Le-Pessach fpr diejenigen, die Hülsenfrüchte essen“ tragen. Dies wird ihr Leben erleichtern und der Pessachobservanz Freude und Genuss hinzufügen.