Die Hilchoth Teschubah: Die Regeln der Umkehr

Die Hilchoth Teschuwah, Teil des Sefer haMad’a, Teil der Mischne Torah, behandeln ein Gebot: Der Sünder, d.h. jener der einen Fehler begangen hat, soll umkehren von seinem Fehler gegen G’tt und ein Sündenbekenntnis ablegen, d.h. er soll seinen Fehler zugeben.

Die Erläuterung diese Gebots und die Grundsätze, die mit ihm zusammenhängen, finden sich in den 10 Abschnitten der „Hilchoth Teschubah“ des RaMBaM. Wir stellen hier den 2. Abschnitt dieses Werkes vor und wünschen Ihnen und uns allen

Der II. Abschnitt der Hilchoth Tschuwah

Raw Moscheh Ben Maimon

1. Was ist vollkommene Tschuwah?

Vollkommene Tschuwah ist, wenn die Gelegenheit, bei der sich jemand versündigt hat, sich wieder bietet, es läge nun in der Macht des Menschen, die Sünde wieder zu begehen, er hält sich aber von ihr zurück und führt sie um der Tschuwah willen nicht aus; weder Furcht noch man gelnde Kraft ist Motiv für die Unterlassung.
Ein Bei spiel: Hatte jemand eine Frau, die ihm religionsgesetzlich verboten war, begattet; nach einiger Zeit ist er wieder mit ihr zusammen, er liebt sie genau wie früher, ist noch im Besitz seiner Körperkräfte, auch befindet er sich in derselben Umgebung wie damals, hält er sich nun zurück und sündigt nicht, so ist er ein vollkommener B’al Tschuwah.1)
Das ist, was Salomo sagt: „Gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugend“. (Prediger 12,1). 2)

Kehrt der Mensch erst im Alter um, zu einer Zeit, da er das, was er getan hatte, gar nicht wiederholen könnte, so nützt ihm dennoch seine Tschuwah, obgleich sie keine „vollkommene“ sein kann, er ist als B’al Tschuwah zu betrachten. Ja, wenn der Mensch auch während seines ganzen Lebens gesündigt hatte und erst an seinem Todes tage Tschuwah tut und in Tschuwah-Gesinnung stirbt, so werden ihm all seine Sünden verziehen; denn so heißt es: „Bevor noch die Sonne sich verdunkelt, das Licht, der Mond und die Sterne und die Wolken nach dem Regen kommen“ (Prediger 12, 2). Dieser Vers will den Todestag andeuten. 3)
Es geht aus ihm also hervor, wenn man seines Schöpfers gedenkt und Tschuwah tut, bevor man stirbt, dann wird einem verziehen. 4)

2. Was ist nun Tschuwah?

Sie besteht darin, dass der Sünder seine Sünde lässt, sie aus seinem Denken und Sinnen entfernt und beschließt, sie nie wieder zu begehen; denn so heißt es: „Es verlasse der Schlechte seinen Weg und der Mann des Unrechts seine Gedanken“ (Jes. 55, 7.) Nach der Umkehr bereue man das Vergangene; denn so heißt es: „Nach meiner Umkehr bereute ich“. (Jer. 31, 18.) Der Allwissende wird dann für ihn Zeugnis ablegen, dass er die Sünde niemals wieder tun wird; 5) denn so heißt es: „Wir wollen nicht mehr sprechen „unser Gott“ zu dem Werk unserer Hände“ (Hosea 14, 4.) 6)
Ferner muss man ein Sündenbekenntnis in Worten ablegen und die Dinge aussprechen, die man im Herzen beschlossen hat.

3. Worte und Taten

Jeder, der ein Sündenbekenntnis in Worten ablegt und nicht entschlossen ist, das Unrecht zu lassen, gleicht einem, der ein Tauchbad nimmt und das tote Kriechtier noch in der Hand hat. Das Tauchbad kann ja erst nützen, wenn er das Tier vorher fortgeworfen hat; so heißt es auch: „Wer bekennt und unterlässt (die Sünde), wird Erbarmen finden“ 7) (Spr. 28, 13). Man muss die Sünde mit genauer Angabe der Einzelheiten bekennen, denn so heißt es: 0h dieses Volk hat eine große Sünde begangen, es hat sich goldene Götzen gemacht.“ (II. B. M. 32,. 31.) 8)

4. Ehrliche Änderung

Zu den Verhaltungsweisen der Tschuwah gehört, dass der Bußfertige immer mit Tränen und in Innigkeit vor Gott bete, nach seinem Vermögen Wohltaten übe, sich vollkommen von der Sache fernhalte, durch die er sich versündigt hatte, seinen Namen ändere, um damit gewissermaßen zu sagen, ich bin ein Anderer geworden und bin nicht mehr der Mensch, der jene Handlung begangen hatte. Alle seine Verhaltensweisen soll er nach der guten Seite hin ändern und immer nur den geraden Weg wählen. Ferner wandere er von seinem Heimatort aus, denn Verbannung sühnt Schuld, da sie den Menschen veranlasst, sich zu erniedrigen, bescheiden und demütig zu werden. 9)

5. Das Verhältnis des Menschen zum Nebenmenschen

Für den, der Tschuwah tun will, ist es ein großer Vorzug, wenn er seine Sünden öffentlich bekennt und den Leuten die Sünden mitteilt, die das Verhältnis des Menschen zum Nebenmenschen betreffen. Er soll zu ihnen sagen: „ich habe mich, meinem Nebenmenschen … gegenüber versündigt, indem ich ihm dies und das angetan habe, ich will mich aber bessern und bereue mein Verhalten.“ Ein jeder, der hochmütig ist und seine Sünden nicht bekannt macht, sondern sein Unrecht verbirgt, dessen Tschuwah ist keine vollkommene; denn so heißt es: „wer seine Sünden verbirgt, hat kein Ge lingen“ (Spr. 28, 13) (d. h. er findet keine Verzeihung.). Das gilt aber nur, wenn es sich um Sünden zwischen Mensch und Nebenmenschen handelt, aber bei Sünden, die das Verhältnis des Menschen zu Gott angehen, da braucht man seine Sünden nicht bekannt zu machen, ja, es wäre Frechheit, wenn er sie öffentlich bekennen wollte. Vor Gott allein soll er umkehren und seine Sünden genau angeben. Öffentlich soll er nur ganz allgemein bekennen, dass er gesündigt habe. Es ist etwas Gutes für ihn, wenn er seine Sünde nicht öffentlich aufdeckt; denn so heißt es: „Heil dem, der Sünde trägt, wenn er Sünde bedeckt.“ (Ps. 32, 1). 10)

6. haJamim hanoraim

Obgleich Tschuwah und Gebet immer angebracht sind, so sind sie es besonders in den 10 Tagen zwischen Rosch haSchanah und dem Versöhnungstag und werden an ihnen sofort angenommen; denn so heißt es: „suchet Gott, wenn Er gefunden wird“ (Jes. 55, 6) 11).
Das gilt aber nur von der Tschuwah und dem Gebet des Einzelnen, die Gemeinde aber wird zu j e d e r Zeit er hört; denn so heißt es: „Wer ist wie unser Gott, zu dem wir zu jeder Zeit beten.“ (V. B. M. 4, 7.) 12)

7. Der Versöhnungstag ist die Zeit der Tschuwah

Der Versöhnungstag ist die Zeit der Tschuwah für Alle, für den Einzelnen und für die Gesamtheit; er ge währt Israel die vollkommene Vergebung und Verzeihung. Alle sollen darum am Versöhnungstag Tschuwah tun und ein Sündenbekenntnis ablegen. Die Pflicht der Sündenbekennung beginnt schon am Rüsttag des Ver söhnungstages, bevor man die Hauptmahlzeit einnimmt, man könnte nämlich beim Essen ersticken, ehe man seine Sünden bekannt hat. Obgleich man vor dem Essen ein Sündenbekenntnis ausgesprochen hat, wieder holt man es am Abend und bei den vier Hauptgebeten des Versöhnungstages. Der Einzelne sagt es nach dem Hauptgebet, der Vorbeter in der Mitte des 4. Abschnitts. 13)

8. Fürwahr, wir haben gesündigt

Das Sündenbekenntnis, das in ganz Israel ge bräuchlich ist, lautet: „Fürwahr, wir haben gesündigt.“ In diesem Satz besteht sein Hauptinhalt. Die Sünden, die man schon am vergangenen Versöhnungstag bekannt hatte, bekennt man am folgenden Versöhnungstag noch mals, obgleich er sie nicht noch einmal begangen hat; denn so heißt es: „Meine Sünden erkenne ich, und meine Schuld ist mir immer vor Augen.“ (Ps. 51, 5.) 14)

9. Zwischen Mensch und Gott

Tschuwah und der Versöhnungstag können nur die Sünden zwischen Mensch und Gott sühnen, wenn man zum Beispiel etwas Verbotenes gegessen hatte, ver botenen geschlechtlichen Verkehr geübt hatte usw.
Sünden aber, die den Nebenmenschen angehen, wenn man ihn zum Beispiel verwundet hatte, ihm geflucht hatte usw., etwas derartiges kann einem nicht verziehen werden, bevor man dem andern das gegeben hat, was man ihm schuldig geworden war, und ihn besänftigt hat. Obgleich man dem andern bezahlt hat, was man ihm schuldig geworden war, muss man ihn dennoch besänftigen und um Verzeihung bitten. Selbst dann, wenn man den andern nur durch Worte erzürnt hatte, muss man ihn besänftigen und in ihn dringen, dass er verzeihe.

Will der Beleidigte keine Verzeihung gewähren, so soll der Beleidiger drei seiner Freunde schicken, damit sie ihn bitten, er solle doch verzeihen. Wird er durch sie nicht besänftigt, so schicke man ein zweites und drittes Mal zu ihm. Will er auch dann noch nicht verzeihen, so lässt man ihn. Derjenige, der nicht vergeben wollte, ist dann der Sünder. Zum Lehrer aber muss man sogar tausend Mal hingehen, bis er Verzeihung gewährt. 15)

10. Leicht zu versöhnen und schwer zu erzürnen

Der Mensch darf nicht hartnäckig sein, indem er sich nicht besänftigen lassen will; er sei vielmehr leicht zu versöhnen und schwer zu erzürnen. Wird man um Verzeihung gebeten, so gewähre man sie gern und aus vollem Herzen. Selbst dann, wenn man tief verletzt worden ist und einem viel Unrecht zugefügt worden ist, soll man sich nicht rächen und nichts nachtragen. So zu handeln, ist Art des jüdischen Herzens, die Nichtjuden sind darin anders, sie bewahren ihren Zorn ewiglich auf. So heißt es auch von den Gibeonitern, da sie ein ihnen zugefügtes Unrecht nicht verzeihen wollten: „Die Gibeoniter gehören nicht zu den Kindern Israel.“ (II. 5. 21, 2). 16)

11. Über den Tod hinaus

Hat man sich gegen jemanden versündigt und der Betreffende ist gestorben, ehe man ihn um Verzeihung gebeten hatte, so bringe man 10 Männer an das Grab des Verstorbenen und sage in ihrer Gegenwart: „ich habe mich gegen Gott, den Gott Israels, versündigt und gegen diesen Toten, indem ich so und so gegen ihn gehandelt habe.“ War man dem Verstorbenen Geld schuldig, so gebe man es den Erben; kennt man die Erben nicht, so deponiere man das Geld beim Gericht und lege dabei ein Sündenbekenntnis ab. 17)

Die Hilchoth Teschubah und die Hilchoth Deoth des Maimonides
Ins Deutsche übertragen und mit kurzen Noten versehen von Bernhard S. Jacobson, ©Morascha Verlag Reprint 1988.

  1. Joma 86b.
  2. Der Zusammenhang des Vorhergehenden mit dem Schriftvers ist in folgendem zu sehen: das Gedenken an Gott, das Zurückfinden zu Gott, die volle Wiedergewinnung der Gottesnähe ist nur in der Jugend möglich, da dann die Ver fehlungen durch eine „volllkommene“ Tschuwah noch wieder gut gemacht werden können.
  3. Vgl. Note 1 dieses Abschnitts.
  4. Sabbat 151 b.
  5. Hier wäre auch noch eine andere Auffassung möglich: „Man nehme sich den Allwissenden zum Zeugen.“ Vgl. die Kommentatoren zur Stelle.
  6. Der Zusammenhang zwischen Behauptung und Beweis durch den Schriftvers ist nur lose. Vgl. die Kommentatoren zur Stelle.
  7. Taanith 16a.
  8. Joma 86b.
  9. Rosch haSchanah 16 b.
  10. Joma 86b.
  11. BeHaMZEU wird im Talmud Rosch haSchanah 18 dahin er klärt, dass es sich auf die 10 Tage zwischen Rosch haSchanah und dem Versöhnungstag bezieht.
  12. Rosch haSchanah 18 a.
  13. Joma 87b.
  14. Joma 86b.
  15. Joma 87a.
  16. Dieser Vers wäre eigentlich überflüssig, seinen Sinn erhält er erst durch die im Text von Maimonides geschilderte Weise. Über die Schuld den Gibeonitern gegenüber siehe II. 5. Kap. 21.
  17. Joma 87a.