Gedanken zu Sukkot – Flucht, Wanderschaft und Rast

WANDERSCHAFT UND RAST

Franz Rosenzweig

Das Volk darf nicht unter dem bergenden Schatten des Sinai, mit dem es Gott umhüllte, dass es mit ihm allein sei, verweilen. Es muss aus der verborgenen Zweisamkeit mit seinem Gott hinaus in die Welt; es muss die Wüstenwanderung antreten…

Das Hüttenfest ist das Fest der Wanderung zugleich und der Ruhe; zum Gedenken an die einstige lange Wanderung, die dort endlich zur Ruhe führte, vereinen sich da die Hausgenossen zum heiteren Mahl nicht in den gewohnten Räumen des Hauses, sondern unter leichtem, schnell gebautem Dache, das den Himmel durchscheinen lässt. Da mag sich das Volk erinnern, dass auch das Haus des jeweils heutigen Tags, mag es noch so sehr zur Ruhe und zum sichern Wohnen verlocken, doch nur ein Zelt ist, das vorübergehende Rast erlaubt auf der langen Wanderung durch die Wüste der Jahrhunderte.

DIE UNSICHERHEIT DES LEBENS

Irving Greenberg

Wenn Juden für eine Woche in die Sukka ziehen, hinterfragen sie die festen Wände und die kontrollierbare Sicherheit. Das ist kein Verzicht auf Selbstschutz, aber eine Anerkennung seiner Grenzen. Man sollte seine Verletzlichkeit annehmen und intensiver leben, anstatt dicke Mauern zu bauen, die uns vor Verletzungen schützen sollen, uns aber letztlich vom Leben abschneiden. Die Sukka leugnet den Wert eines soliden Zuhauses oder menschlicher Anstrengungen nicht. Einundfünfzig Wochen lang ist es den Juden erlaubt, in Häusern zu wohnen, und sie werden ermutigt, die Welt aufzubauen und Sicherheit und Wohlergehen zu fördern. Aber die Sukka lehrt uns, dass diejenigen, die die Häuser bauen, fähig sein sollten, sie aufzugeben oder auszuziehen, wenn es nötig ist. Verzicht ist das Geheimnis der Beherrschung.

Am Laubhüttenfest feiert man das Vorrecht, sich auf den Weg zur Freiheit machen zu können. Es wird nicht darauf ankommen, ob man diese Aufgabe beendet, sehr wohl aber darauf, ob man sich überhaupt auf den Weg gemacht hat.