Einführung in das Buch Dewarim

Von Rabb. Dudley Weinberg s.l.* und Rabb. W. Günther Plaut
Aus: „Tora in jüdischer Auslegung“

Das Sefer Dewarim (Buch Deuteronomium, V. Buch Moses) präsentiert sich als eine Aneinanderreihung von Abschiedsreden Mosches und endet mit einer Beschreibung seines Todes, an den wir uns am 7. Adar erinnern.

Name

Das Deuteronomium ist das letzte der fünf Bücher der Tora. Sein Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet „zweites Gesetz“. So nämlich hat die Septuaginta den Ausdruck „Mischneh haTorah“ in Dtn 17,18 übersetzt (Mendelssohn übersetzte mit „Abschrift“). Wie bei den anderen Büchern der Tora ist der hebräische Name auch hier dem ersten Satz des ersten Kapitels entnommen. Das Buch trägt daher den Titel DeWaRIM, Worte, denn der Anfang des Buches heißt: Eleh haDewarim „Dies sind die Worte …“

Inhalt

Das Buch Deuteronomium präsentiert sich als eine Aneinanderreihung von Abschiedsreden Mosches und endet mit einer Beschreibung seines Todes. Mit wenigen Ausnahmen stellt das Buch ein einheitliches Ganzes dar, zusammengesetzt aus Erzählungen, Ermahnungen, Liturgie, Gesetzen und Dichtung. Die Adressaten der Reden sind das Volk Israel, als dieses an einem entscheidenden Punkt in seiner Geschichte steht: kurz vor dem Einzug in das verheißene Land. Das Buch zielt auf die Lösung nationaler Probleme, durch die gewährleistet werden soll, dass das Volk seine höchsten Ziele erreicht: Friede, Wohlstand und materielle wie spirituelle Sicherheit unter der Oberhoheit des einen Gottes.

Das Buch kann auf unterschiedliche Weise untergliedert werden. Eine Möglichkeit gründet sich auf vier Überschriften im Text selbst, in 1,1, in 4,44, in 28,69 und in 33,1. Häufiger aber unterscheidet man fünf Teile, so auch in diesem Kommentar:

Teil I: Ein Vorwort, das an die Vergangenheit erinnert und in einer ersten Predigt Israels Beziehung zu Gott betont (Kapitel 1,1 – 4,43;
Teil II: eine zweite lange Abhandlung, die rituelle und zivile Gesetze vorstellt und außerdem eine lange Liste mit Folgen enthält, falls diese Gesetze nicht eingehalten werden (Kapitel 4,44 – 11,25);
Teil III: eine dritte Abhandlung (Kapitel 11,26 – 28,69);
Teil IV: eine letzte Ermahnung und ein letzter Abschiedsgruß Mosches (Kapitel 29 – 33);
Teil V: ein kurzes Nachwort, das den Tod Mosches be schreibt (Kapitel 34).

Bei dieser Gliederung darf man nicht vergessen, dass die Menschen im Alten Orient ein anderes Verständnis von systematischer Anordnung hatten als wir heute. Dies liegt zum einen daran, dass wir heute die Inhalte lesen, während sie in frühen Generationen häufig in mündlicher Form weitergegeben wurden. Diese Form der Weitergabe erforderte Erinnerungshilfen wie Assonanzen, Wortspiele oder andere mnemotechnische Kunstgriffe.1 Außerdem konnte ein Text entscheidend durch seine Beziehung zu älteren, schon bestehenden Traditionen beeinflusst sein. In jedem Fall sollte man sich davor hüten, diese Dinge nur von einem modernen Standpunkt aus zu beurteilen. So ist zum Beispiel behauptet worden, dass Moschehs erste Predigt das erste Gebot näher ausführe und der übrige Text sich mit dem Rest des Dekalogs beschäftige. Eine solche Analyse befriedigt vielleicht den modernen Forscher, aber sie hat wenig mit der Struktur dieses antiken Textes zu tun.

Typische Merkmale

Der Text besitzt einige hervorstechende Merkmale und hebt bestimmte Themen hervor, die entweder nur im Deuteronomium vorkommen oder die ihm durch ihren Stil und ihre Hervorhebung eine besondere Stimmung verleihen.

Bund
Im Zentrum steht die Vorstellung eines Bundes: Am Chorew2 schloss Gott mit Israel einen Bund. Dieser Bund ist die Grundlage für alle gegenseitigen Verpflichtungen und alle gemeinsamen Absichten.

Gott ist einzig
Ein weiteres Thema des Deuteronomiums lautet: Gott ist einzig und herrscht über Israel; die Liebe und die ungeteilte Treue des Volkes sollen Gott gelten. Vor Götzendienst wird immer wieder aufs Schärfste gewarnt, ebenso vor Magie und dunklen Beschwörungskünsten. „Du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben“ (6,5) – dies ist Israels grundlegende Verpflichtung.

Gottes Gesetze
Näher ausgeführt wird diese Verpflichtung durch eine Reihe von Gesetzen, die das Volk sorgfältig befolgen muss. Wenn es Gott liebt und ihm gehorcht, wird Gott es über die anderen Völker erheben; dies nicht, weil Israel anderen Völkern überlegen wäre, sondern weil Israel eine besondere Lehre besitzt. Die Tora macht Israel einzigartig, und der Geber der Tora wird diesen unvergleichlichen Bundespartner beschützen. Sollte dieser seinen Treueeid allerdings brechen, hätte das schreckliche Folgen, und Himmel und Erde werden zu Zeugen für diese Furcht einflößende Drohungen aufgerufen.

Die Hilfen für ein Leben nach den Gesetzen
Der einzigartige Gott und sein einzigartiges Volk- dieses Thema ist nicht neu, denn darum ging es schon in der Offenbarung am Chorew-Sinai (Ex 19 und 20). Aber im Deuteronomium wird der Monotheismus zum zentralen Thema, und die Erwählten Gottes werden immer wieder daran erinnert, dass sie eine unvergleichliche Chance besitzen. Ihre Aufgabe ist nicht leicht, und sie ist zusätzlich belastet durch Warnungen, dass Missetaten bestimmt Fall vergolten werden. Das Volk treibt jedoch nicht hilflos auf dem Meer, es hat Richtlinien, die ihm helfen sollen.

1. Die Tora
Die erste und wichtigste Hilfe ist dieses Buch selbst, das für alle offen und zugänglich ist, die seine Lehren studieren wollen. Die Tora ist keine esoterische Lehre, die für das Volk unerreichbar wäre, „sondern das Wort ist dir ganz nahe. Du hast es im Mund und den Begriff davon im Herzen, wie solches zu beachten sei“ (30,14).

2. Moscheh

Eine weitere Hilfe für ein Leben nach Gottes Willen ist Mosche, der Freund und Vertraute Gottes, dessen Beauftragter er ist. Mosche ist mehr als nur ein Überbringer des göttlichen Wortes; er ist Prophet, Vermittler und eifernder Fürsprecher für sein Volk. Die Bücher Exodus und Numeri geben Hinweise auf seine besondere Stellung, die ihn manchmal beinahe wie einen Halbgott erscheinen lässt – ein Hinweis darauf ist zum Beispiel das Strahlen, das von seinem Angesicht ausgeht (Ex 34,29-33). Im Deuteronomium zeigen sich diese übernatürlichen Züge des Mosche weniger, aber seine Bedeutung als Anführer und als Vermittler wird stärker betont als in den anderen Büchern. Tatsächlich wird Mosche als Mensch dargestellt, der erstaunlich wenig zögert, seine eigene Autorität zu betonen.

3. Die Priester

Eine dritte Hilfe sind die Priester, die dem Volk in seinen Bemühungen um die göttliche Gunst zur Seite stehen. Sie gehören zur Familie Aarons, des Leviten, und sie erfüllen verschiedene Aufgaben. Die wichtigste besteht in dem besonderen Vorrecht, am zentralen Heiligtum Dienst tun zu dürfen. Das Volk soll seine Opfer nicht länger an verschiedenen Heiligtümern darbringen; nur ein Altar ist ihnen jetzt noch gestattet. Diese Konzentration des gesamten Kultes auf einen einzigen Ort (die so genannte Kultzentralisation) ist ein wichtiges Merkmal des Deuteronomiums. Die Frage nach den Gründen führt uns tief hinein in die Frage nach den Ursprüngen dieses Buches als Ganzem.

Abfassungszeit und Urheberschaft

Dieser Kommentar vertritt die Ansicht, dass das Deuteronomium, wie die gesamte Tora, das Ergebnis eines jahrhundertelangen Wachstumsprozesses ist, eine Verschmelzung verschiedener Quellen und Traditionen, die zunächst mündlich überliefert und erst später niedergeschrieben wurden. Diese Entwicklung kann nirgendwo deutlicher verfolgt werden als in der Komposition des Deuteronomiums, denn es ist das einzige der fünf Bücher der Tora, das sich mit einiger Sicherheit historisch einordnen lässt.2a

König Joschijahu 640-608

In II Könige 22 und 23 wird von einer radikalen religiösen Reform berichtet. König Joschijahu, der 640-608 in Juda regierte, führte diese im Jahr 621 v.d.Z. durch. Diese Reform weist eine erstaunliche Ähnlichkeit zu manchen Bestimmungen auf, die sich nur im Deuteronomium finden. Einige dieser Bestimmungen unterscheiden sich von den Gesetzen in den anderen Büchern der Tora oder wandeln sie zumindest leicht ab.
Zum Beispiel schaffte Joschijahu den alten Brauch ab, auf „den Kulthöhen“ Gottesdienst zu feiern und Opfer darzubringen und setzte fest, dass nur im Tempel in Jerusalem rechtmäßige Opfer dargebracht werden konnten. Das Deuteronomium ist das einzige Buch der Tora, das entsprechende Gesetze enthält.
Ebenso hatte Joschijahu die Verehrung der Himmelskörper aufs Schärfste verboten. Auch dies ist ein Problem, mit dem sich das Deuteronomium ausführlich beschäftigt (17,3).
Weiter verlangt Dtn 16,1 -8, dass Pessach an einem von Gott zu bestimmenden Ort gefeiert werden soll, während Exodus 12 vorsieht, dass es zu Hause begangen wird. Joschijahu ließ Pessach in Jerusalem feiern, in Übereinstimmung mit dem Gesetz im Deuteronomium; und II Könige 23,22f. berichten, dass das Pessachfest während der ganzen Zeit der Richter und der Könige, also fast vier Jahrhunderte lang, nicht in dieser Weise gefeiert worden war.

Der Fund eines Buches

Dem Bericht in II Kön 22 und 23 zufolge gründete Joschijahus Reform auf der Entdeckung eines Dokumentes, das „das Buch der Weisung“ (Sefer haTorah) genannt wurde. Dieses „Buch der Weisung“ fand der Hohepriester Chilkijahu zufällig, als der Tempel auf Befehl des Königs repariert wurde (II Kön 22,8). Worum es sich bei diesem gefundenen Buch genau handelte, wird nicht gesagt. Die verblüffende Übereinstimmung von Joschijahus Reform und dem Buch Deuteronomium wird jedoch noch dadurch verstärkt, dass der Ausdruck „Buch der Weisung“ nur im Deuteronomium vorkommt, und dort bezieht er sich auf das Deuteronomium selbst (29,20).

Joschijahus religiöse Reformen

II Kön 23,1-2 beschreiben, wie König Joschijahu die Anführer und das Volk von Juda versammelte und wie sie in einen Bund mit Gott eintraten und sich dazu verpflichteten, sich treu an die Regeln zu halten, die in dem gerade entdeckten Buch aufgestellt waren. Die Sprache dieses Abschnitts erinnert stark an einige Abschnitte im Deuteronomium, in denen die Menschen aufgefordert werden, Gott ihre Verehrung und liebevolle Treue zu versprechen (z.B. 10,12-11,32 und 29,9-30,20).

Das Deuteronomium und Joschijahu

Was war dieses „Buch der Weisung“, das zu Joschijahus Regierungszeit entdeckt wurde und das die Grundlage für seine religiöse Revolution 621 v.d.Z. darstellte? Bibelwissenschaftler stimmen im Großen und Ganzen darin überein, dass Joschijahus „Buch“ zwar nicht genau denselben Text enthielt wie das uns heute bekannte Deuteronomium, dass es aber zwischen den beiden eine nicht von der Hand zu weisende Verbindung gibt.
Moderne Gelehrte spekulieren über den genauen Inhalt von Joschijahus „Buch“, die meisten stimmen aber darin überein, dass es den Kern dessen enthielt, was in der Folge in einem langen Prozess von Hinzufügungen und Bearbeitungen schließlich zu unserem Buch Deuteronomium wurde.

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass der Bericht über den Fund des Buches der Tora in II Könige 22,8 historisch korrekt ist (oder zumindest eine wahre historische Begebenheit widerspiegelt), stehen wir vor einigen offenen Fragen: Wie war es dazu gekommen, dass das Buch, das der Hohepriester Chilkijahu während der Reparaturarbeiten im Tempel „entdeckte“, „versteckt“ wurde? Wann und von wem wurde es geschrieben? Ein wichtiger Hinweis findet sich in dem biblischen Bericht über eine frühere Reform, die der des Joschijahu ähnelte. Diese Reform fand mit Unterstützung des Königs Chiskijahu statt, der von 715-687 v.d.Z. regierte.3

Auch er hatte einen Sturmangriff gegen den Götzendienst und gegen Orte und Objekte der Götzenanbetung geführt (II Kön 18,22). Auch er hatte versucht, den Kult im Jerusalemer Tempel zu zentralisieren (II Kön 18,22). Chiskijahus Reform könnte der Anlass dafür gewesen sein, ein Buch der Tora abzufassen oder zumindest mit der Abfassung zu beginnen – das Buch der Tora, dessen Entdeckung später König Joschijahus Reform veranlasst und deren Programm bereitgestellt hat.

Die Vorgeschichte

Möglicherweise hat der Fall Samarias und des Nordreichs wenige Jahre vor Chiskijahus Thronbesteigung manches zu der Reform des Monarchen beigetragen. Bewohner des Nordreichs könnten ein erstes Schriftstück mitgebracht haben, als sie nach Jerusalem flohen – denn tatsächlich zeigt das Deuteronomium eine Nähe zur Tradition der Quelle E, von der man annimmt, dass sie aus dem Norden stammt. Die Zentralisation des Kultes, die eigentlich das Heiligtum von Sichern hervorheben sollte, konzentrierte sich nach dem Untergang des Nordreichs auf Jerusalem.4

Außerdem standen Chiskijahus Reformen in enger Verbindung zu seiner Außenpolitik: Sie waren Bestandteil seiner Auflehnung gegen die assyrische Herrschaft – eine Auflehnung, die 701 v.d.Z. zum Einmarsch des assyrischen Königs Sanherib in Juda führte. So hatte Chiskijahu durch seine Kultzentralisation beispielsweise einen besseren Zugang zu großen Geldsummen aus dem Tempelschatz, was ihn wiederum nach größerer politischer Unabhängigkeit streben ließ; während jedoch sein Aufstand von den Assyrern niedergeschlagen wurde, blieben seine religiösen Reformen zu seinen Lebzeiten in Kraft.

Unter der Regierung seiner Nachfolger Menasche und Amon veränderte sich die Lage grundlegend, besonders, da Assyrien unter König Assarhaddon zu großer Macht gekommen war und seinen Einflussbereich im Westen und Süden bis nach Ägypten und im Osten bis Elam ausgedehnt hatte.5 Vielleicht wollte sich Menasche stärker an die religiösen Bräuche seiner Herren anlehnen (obwohl diese offenbar keine derartige religiöse Anpassung von ihren Vasallen erwarteten); vielleicht spielten auch seine und Amons persönliche Neigungen eine Rolle – unter ihrer Herrschaft wurden jedenfalls wieder götzendienerische Bräuche eingeführt, und im Tempel wurde sogar ein Götzenbild aufgestellt.

Menasche unterstützte die Assyrer zuerst vorsichtig, dann mit aller Macht, und sein Sohn Amon führte seine Politik fort. Zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung wurde Amon ermordet, vielleicht von religiösen Traditionalisten, vielleicht von einer antiassyrischen Verschwörung, vielleicht von einem Bündnis dieser Kräfte. In der Folge wurde Joschijahu König, und dieser reformierte schrittweise den Kult und konnte sich gleichzeitig von Assyrien distanzieren, für das jetzt eine Zeit der politischen Schwäche anbrach. Der Höhepunkt der Reform Joschijahus war die Entdeckung des Deuteronomiums und die Verbreitung seines Gedankenguts bis hinein in Städte des ehemaligen Nordreichs Israel. Dies war möglich, weil Assyrien zu der Zeit bereits die Kontrolle über Juda und die benachbarten Gebiete verloren hatte.

Fazit

Was können wir also über die Zeit sagen, in der das Deuteronomium entstanden ist? Man kann annehmen, dass einige Traditionen in dem Buch recht alt sind und dass sie im Laufe der Zeit immer wieder umgeformt wurden, um den jeweiligen Bedürfnissen der sich verändernden Verhältnisse zu begegnen. So könnte die Kultzentralisation in Jerusalem unter Chiskijahu eine Folge der Zerstörung des Nordreichs gewesen sein, die 721 v.d.Z. stattfand, wenige Jahre vor Chiskijahus Thronbesteigung. Die Gewichtung des aaronitischen Priestertums könnte die Folge eines Machtkampfes zwischen verschiedenen priesterlichen Familien sein. Und die deutlichen Ermahnungen an das Volk, nur den einzigen Gott zu verehren, stammen vielleicht aus einer „Untergrundbewegung“ während der Regierungszeit Menasches und Amons. Zu Joschijahus Regierungszeit, gut hundert Jahre nachdem das Nordreich zerstört und seine Bevölkerung von den Assyrern ins Exil geführt worden war, verbanden sich eine religiöse Wiederbelebung und günstige politische Umstände derart miteinander, dass ein Dokument entstehen konnte, das dann vielleicht zum Kern dessen wurde, was wir heute als das Buch Deuteronomium kennen.6

Die Rolle Mosches

Das Buch Deuteronomium beginnt mit der Aussage, Mosche habe vor dem Volk seine letzte zusammenfassende Rede im Land Moab (dem heutigen Königreich Jordanien) gehalten, als die Israeliten kurz davor standen, den Jarden zu überqueren und das Land in Besitz zu nehmen, das ihnen seit so langer Zeit versprochen war und in dem Israel endlich Ruhe und Sicherheit finden würde.

Diese Aussage, die im Deuteronomium mehrfach wiederholt wird, ist eindeutig ein erzählerisches Mittel, keine historische Begebenheit. Mosche ist nicht der Redner oder Prediger des Deuteronomiums, auch wenn vieles, was in diesem Buch gesagt wird, von ihm angeregt wurde und auf ihn zurückgehen könnte. Die Hörer des deuteronomischen Predigers sind auch nicht die Überlebenden der Wüstenwanderung, die jetzt ihren Höhepunkt in Israels Heimkehr finden sollte. Allerdings bringt jede Fiktion immer auch eine eigene Wahrheit zur Sprache, und in diesem Sinn ist sie keine Fiktion.

Wenn es stimmt, was die moderne Wissenschaft über die Entstehungszeit des Deuteronomiums annimmt – und historische und archäologische Beweise scheinen diese Annahme zu bestätigen -, dann geht es in dieser „Fiktion“ durchaus um eine reale Lebenssituation, aber eben um eine Situation in einer späteren Zeit im Königreich Juda. Diese Lebenssituation wird allerdings in Worte aus alten Traditionen gekleidet, die weit über die unmittelbare Situation hinausreichen. Und das war eine entscheidende Voraussetzung für die Rolle, die das Deuteronomium in der Entwicklung des biblischen und nachbiblischen Judentums spielte.

Die „Fiktion“ des Deuteronomiums wurde zu einem Aufruf, Gottes Willen zu tun, wann immer man ihn hörte; und so konnte eine Lehre aus der Vergangenheit in der Gegenwart eine Antwort hervorrufen.
Die Regierungszeit des Joschijahu war, genau wie damals die Situation der Israeliten in der Ebene von Moab, durch radikale Erneuerung, Hoffnung und Veränderung geprägt. Auch Joschijahus Zeit erschien wie die Erfüllung einer Verheißung, und sie wurde sicherlich von denjenigen so verstanden, die diese Zeit erlebten und die im Nachhinein versuchten, ihre Bedeutung zu verstehen.

Gleichzeitig blieb Mosche tief im Bewusstsein des Volkes und im Bewusstsein der Sammler und Bewahrer seiner Traditionen präsent. Dies allein schon gibt der Überzeugung großes Gewicht, dass der reale und historische Mosche, wie schwer sich seine eigentliche Biographie auch rekonstruieren lässt, tatsächlich die Religion Israels entwickelt und das Volk Israel gegründet hat, dass er das inspirierte Genie war, dessen Einsichten und dessen Laufbahn in vielerlei Hinsicht nicht nur zu einem jüdischen Ideal geworden sind, sondern zu einem Ideal der gesamten westlichen Welt. Wenn das Deuteronomium auch nicht direkt aus der Hand Mosches stammt, so ist es doch in Teilen seinem Geist entsprungen. Warum sonst hätten die tatsächlichen Autoren des Deuteronomiums ihm ihr Buch der Tora zuschreiben sollen? Warum sonst hätten diejenigen, die schließlich den Text der gesamten Tora zusammenstellten, gerade Mosche als deren irdischen Urheber darstellen sollen und als Gottes erwählten Boten, dessen Aufgabe es war, Gottes Einzigartigkeit und Einheit zu verkünden und Israel in einen Bund mit Gott allein hineinzuführen?

Die Bedeutung Mosches wird durch eine historisch-kritische und literarische Analyse des biblischen Textes nicht geschmälert. Sein Format wird dadurch eher noch vergrößert, und auch wenn wir wenig über die Einzelheiten wissen, spielt sein Leben doch eine große Rolle in der Geschichte und besonders im Bewusstsein seines Volkes, für das er „Mosche Rabbenu“ wurde, „Mosche, unser Lehrer“.

Welche Rolle kommt aber Gott bei der Entstehung des Textes zu? Diese Frage wurde in unserem Kommentar zu Exodus 19 und in der allgemeinen Einführung in die Tora (im ersten Band dieses Kommentarwerks) bereits ausführlich diskutiert.
Wir vertreten die Ansicht, dass die Tora Israels Bemühen dokumentiert, Gott zu begegnen und Gottes Willen zu verstehen. In Jahrhunderten des Suchens, des Findens und des Vergessens, der Inspiration und der Verzweiflung hat Gott die Seele seines Volkes angerührt, und die Funken dieser Begegnung leuchten in den Seiten der Tora immer wieder auf.

Das Deuteronomium ist eine Aufzeichnung solcher Begegnungen, und mehr als die anderen Bücher der Tora steht es deutlich in der Tradition der Propheten Israels. Wenn die Propheten verkündeten: „So spricht der Ewige“, dann war das keine überflüssige Hinzufügung des Sprechers, sondern wurde als ein Teil der Realität wahrgenommen. Und nicht zuletzt: Mit der Zeit hatte sich der Glaube, dass Gott wirklich durch Mosche gesprochen hatte, fest verwurzelt; dieser Glaube entwickelte seine eigene Dynamik und formte das Schicksal eines glaubenden Volkes. Die Israeliten wussten, was Gott von ihnen verlangte, und sie versuchten, Gottes Willen so gut wie möglich zu erfüllen.

Das Deuteronomium und die anderen Bücher der Tora

Waren die anderen Bücher der Tora bereits ausformuliert, als das Deuteronomium entstand? Diese Frage kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden; es gibt nirgends größere Meinungsverschiedenheiten unter den Wissenschaftlern als bei der Datierung der verschiedenen Traditionsstränge, die in die Entstehung der Tora eingeflossen sind.7

Wie oben schon angedeutet8, geht dieser Kommentar von der Annahme aus, dass große Teile der Quellen J, E und P bereits bestanden, als die Deuteronomium-Texte (Quelle D) formuliert wurden. Diese erweiterten zum Teil die älteren Traditionen, wichen aber manchmal auch von ihnen ab.9 Es ist möglich und sogar wahrscheinlich, dass der Kern des Deuteronomiums (Kapitel 5-26 und 28) schon als Buch niedergeschrieben wurde, bevor die anderen vier Bücher der Tora als eigene Dokumente ausformuliert worden sind. Als diese niedergeschrieben wurden, entstand ein „Tetrateuch“ (d.h. vier Bücher), der eine selbständige Stellung neben dem Deuteronomium hatte. Letzteres wurde dann erweitert durch einen Prolog (Kapitel 1-4), eine Einfügung (Kapitel 27) und einen Schlussabschnitt (Kapitel 29-34). In dieser Form wurde das Deuteronomium schließlich mit dem Tetrateuch zum Pentateuch (d.h. fünf Bücher) oder der Tora verbunden; so hatte man alle großen Traditionen über Mosche in einem großen Werk vereinigt.10

Literarische Aspekte

Gattungen

Die literarischen Gattungen des Buches sind, wie bereits gesagt, Erzählung, Ermahnung, Liturgie, Gesetz und Poesie.

Die Erzählungen finden sich am Anfang und am Ende des Buches sowie in Kapitel 27, Poesie nur in den Kapiteln 32 und 33.
Manchmal hat eine Ermahnung einen erzählerischen Bezugspunkt, wie in dem Abschnitt, in dem Israel aufgefordert wird, immer dessen zu gedenken, was Amalek getan hat, und in diesem Fall erzählt der Text kurz die wichtigsten Ereignisse (25,17-19).
Es gibt liturgische Abschnitte, wie etwa das Ritual für ein Erntedankfest samt der Worte, die dabei vorgetragen werden sollen (Kapitel 26), oder den Nachvollzug einer Bundesschlusszeremonie, die durch Segens- und Fluchsprüche bestimmt ist (Kapitel 27).

Alle diese Materialien, einschließlich vieler Gesetze, sind in einer Sprache formuliert, die sich von der Sprache der anderen Bücher der Tora unterscheidet. Die Sätze bestehen aus mehr Nebensätzen, und die Wendungen haben oft poetische Qualität und weisen eine Art poetisches Metrum sowie Assonanzen auf, die dem Text einen besonderen Rhythmus und eine gewisse Feierlichkeit verleihen.11

Stil

Der Stil ist sehr rhetorisch, der Sprecher bittet und drängt, droht und tröstet, ermahnt und ruft schließlich die Himmel selbst zu Zeugen auf.12

Der Text weist alle typischen Merkmale einer Predigt auf und verwendet eine ganze Reihe von Schlüsselbegriffen wie:
„Höre, Israel“; „Stellt den Ewigen nicht auf die Probe!“; „Gebt Acht!“; „Seid bedacht!“; „Gedenkt!“; „Hütet euch!“.

Die Sätze sind bisweilen lang und wiederholen sich, doch das erhöht die rednerische Wirkung des Ganzen. Spezielle grammatische Formen – wie etwa die Endung -un im Imperfekt in der dritten Person Plural – tragen zu einer Atmosphäre des Besonderen bei.
Die engsten Parallelen finden sich im Prosastil bei Jeremia und in den so genannten „vorderen Propheten“, also in den Büchern Jehoschua bis Könige. Die Nähe dieser Schriftengruppe zum Deuteronomium hat manche Wissenschaftler zu der Annahme geführt, dass diese Schriften aus einer „deuteronomistischen Schule“ stammten, die andere theologische Interessen und manchmal auch andere Ansichten hatte als diejenigen, die den Tetrateuch (Genesis bis Numeri) anfertigten.13
Hier endet jedoch der wissenschaftliche Konsens. Einige vertreten die Meinung, dass die deuteronomistische Schule in ländlichen Gegenden unter den Leviten ihr Zentrum hatte, während andere aufschlussreiche Parallelen zur „Weisheitssprache“ feststellen, wie sie am Königshof und in der Stadt bekannt war.14

Kasuistisches und apodiktisches Recht

Der Kern des Deuteronomiums (Kapitel 5-26) besteht aus Gesetzen, die Parallelen in anderen Gesetzeskorpora des Alten Orients haben.

Solche Gesetze umfassen kasuistisches und apodiktisches Recht, wobei sich ersteres häufiger findet. Hier wird konkret festgelegt, in welchen Fällen und unter welchen Bedingungen ein Gesetz gilt, zum Beispiel: „Wenn du gegen deine Feinde zu Felde ziehst…“ (20,1).
Apodiktisches Recht gilt ohne jede Bedingung, wie es etwa im Dekalog und an anderen Stellen der Fall ist: „Halte in deiner Tasche nicht zweierlei Gewicht“ (25,13), oder „Du sollst das Böckchen nicht in seiner Mutter Milch kochen“ (14.21).15

Das Deuteronomium und der Rest der Tora

In welcher Beziehung stehen diese Gesetze zum Bundesbuch, das allgemein als das älteste Gesetzeskorpus der Tora angesehen wird (Exodus 21-23)?

Obwohl der Deuteronomist mit dem Bundesbuch vertraut ist, weicht er doch deutlich davon ab. Vergleichen wir zum Beispiel, wie ein hebräischer Sklave behandelt werden soll. Exodus 21,2-6 und Deuteronomium 15,12-18 stimmen darin überein, dass ein solcher Sklave nach sechs Jahren freigelassen werden muss. Aber sie sind nicht einer Meinung in der Frage, ob der Sklave ein Recht auf eine Wiedergutmachung hat.
Exodus sagt: Nein, das Deuteronomium sagt: Ja, und es weitet dieses Gesetz auch auf Sklavinnen aus.

Hier und an ähnlichen Stellen verändert der Deuteronomist eindeutig ältere Gesetze, besonders solche, die moralisch oder religiös untermauert sind.16

Die meisten Fall-Gesetze – also kasuistische Rechtssätze – aus Exodus werden im Deuteronomium überhaupt nicht erwähnt, wahrscheinlich, weil sie zu einem Gesetzeskorpus gehörten, das allen Völkern in dieser Region gemeinsam war und von dem der deuteronomische Kreis annahm, dass er ohnehin in Geltung bleiben würde.17

Die grundlegende Struktur des Bundes ähnelt nämlich sehr stark den hethitischen Souveränitätsverträgen aus dem zweiten Jahrtausend sowie neuassyrischen Verträgen aus der Entstehungszeit des Deuteronomiums.18

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Deuteronomium ist ein Erbe alter Traditionen. Es hat sie umgeformt, sodass sie neuen sozialen und politischen Bedürfnissen entsprachen.

Dies geschah in einem prophetischen Geist, was ihm die Dringlichkeit religiöser Imperative verlieh. Diese typischen Merkmale haben sich mit der Zeit besonders in die Seele Israels eingeprägt. Denn sie haben deutlich gemacht, dass selbst die kleinste Regel dazu dient, Gottes Volk zu läutern, und dass das gesamte Volk gemeinsam eine Verantwortung für die Zukunft trägt.

Die volltönenden Satzfolgen hielt man für die Worte Mosches, der bedeutendsten Persönlichkeit in Israels Vergangenheit, und dadurch gewannen sie noch zusätzlich an Bedeutung. Man sah Gott selber hinter dem Anführer und hinter dem Gesetz.

Als das Deuteronomium schließlich mit dem Tetrateuch (Genesis bis Numeri) verbunden wurde und dadurch zum fünften Buch der Tora wurde, führte es die Geschichtserzählung weiter, die mit der Schöpfung begonnen hatte, die dann weiter zur Entstehung des Volkes Israel geführt hatte und die nun, mit dem Tod des Mosche, den ersten Akt einer universalen Geschichte abschloss.

Israel als Gottes Mitarbeiter sollte immer dazu bereit sein, den Schöpfer zu unterstützen, das Werk seiner Hände zu vervollkommnen. Die Tora war der Weg dazu, und ein bereitwilliges Volk hatte mit ihr den Schlüssel zu seinem eigenen Schicksal und zur Zukunft der Welt in der Hand.

Bestellen? Die Tora, Hebräisch-Deutsch, 5 Bde.: Bd.1, Genesis / Bd.2, Exodus / Bd.3, Leviticus / Bd.4, Numeri / Bd.5, Deuteronomium

*) Als Rabbiner Dudley Weinberg 1976 starb, hinterließ er den Entwurf einer Einführung zu dem Deuteronomium-Kommentar, den er geplant hatte. Ich habe viele seiner Notizen in dieser Einführung verarbeitet, zum Andenken an einen guten Freund und an einen einzigartigen geistlichen Leiter.

Anmerkungen:

1 – Zum Beispiel beschäftigt sich 22,13-29 mit dem tatsächlichen oder vermeintlichen Verlust der Jungfräulichkeit und ähnlichen Umständen des sexuellen Verkehrs. Inmitten dieser Gesetze (Vers 22) wird kurz auf das Thema des Ehebruchs eingegangen, dann kehrt der Text zu seinem früheren Thema zurück.
2 – Im Deuteronomium wird der Gottesberg im Allgemeinen Horeb und nicht Sinai genannt. In den anderen Büchern der Tora lässt sich der Name Horeb auf die Quelle E zurückführen, Sinai dagegen auf die Quellen J und P. Auch an anderen Stellen lässt sich die enge Beziehung des Deuteronomiums zu der (aus dem Nordreich stammenden) Quelle E beobachten. Vergleiche dazu auch die Fußnoten 5 und 10.
2a – [Das Folgende beschreibt die klassische bibelwissenschaftliche Position der 60er bis 80er Jahre, die heute zwar nach wie vor von einigen vertreten wird, jedoch umstritten ist.]

3 – Das Jahr seiner Thronbesteigung ist allerdings strittig; manche Wissenschaftler nehmen einen früheren Zeitpunkt an.
4 – Diese Ansicht vertritt Jacob Milgrom (HUCA 47 (1976), 1-17) auf der Grundlage linguistischer Terminologie. Seiner Rekonstruktion zufolge wurde das Buch von P überarbeitet (nachdem Menasche sich davon abgekehrt hatte); in dieser überarbeiteten Form wurde es dann unter Joschijahu staatliches Recht. M. Or, Beth Mikra 73 (1978), 218-220, fügt die Beobachtung hinzu, dass das Sefer, das von Chilkijahu gefunden wurde, höchstwahrscheinlich Kapitel (Rollen) aus dem Buch Exodus enthielt.
5 – Diese Entwicklung kann man in dem Aufsatz von Carl D. Evans verfolgen: Judah’s Foreign Policy from Hezekiah to Josiah, in: Scripture in Context: Essays on the Comparative Method, hg. CD. Evans, W.W. Hallo; J.B. White (Pittburgh Theological Monograph Series 34), Pittsburgh 1980.
6 – Das Dokument, das Chilkijahu und Schafan zu Joschijahu brachten, muss viel kürzer gewesen sein als das heutige Deuteronomium, denn es wurde an einem Tag zweimal oder vielleicht sogar dreimal verlesen (II Könige 22,8-10; 23,1-2).
07 – Eine genaue Übersicht findet sich in: Kenneth A. Kitchen, Ancient Orient and Old Testament, London 1966, S. 112-138; Roland de Vaux, The Bible and the Ancient Near East, Darton 1972, S. 31 – 48. Moshe Weinfeld, Anchor Bible Dictionary Bd. II, S. 168-183. Zum Deuteronomium siehe Mosche Weinfeld, Encydopaedia Judaica Bd.V, Kol. 1574ff.; N. Lohfink, Interpreters’s Dictionary of the Bible, Supplement S. 229ff.
08 – Siehe die allgemeine Einführung in die Tora im ersten Band dieses Kommentarwerks, S.19ff.
09 – Die Ausformulierung des Schabbatgebots (5,15) ist eine Erweiterung; die Erlaubnis, bei profanen Anlässen und ohne ein Opfer Fleisch zu essen, weicht von dem früheren Brauch ab.
10 – Im Deuteronomium bezieht sich das Wort hr:/T allerdings auf das Deuteronomium selbst, nicht auf den Pentateuch, den es in dieser Form ja noch gar nicht gab.
11 – Lohfink Interpreter’s Dictionary of the Bible, S. 229. In klassischen Sprachen nennt man das „Kunstprosa“.
12 – Der Fachausdruckhierfiir ist „Paränese“ (von dem griechischen Wort ainos, Rede); das ist eine Form der Ermahnung.
13 – Vergleiche besonders M. Weinfeld, Deuteronomy and the Deuteronomic School, Oxford 1972. Peake’s Commentary on the Bible, London 1962, S. 269 sagt: „Just as Genesis to Numbers is the P-Bible, so Deuteronomy to II Kings is the D-Bible.“
14 – Die erste Ansicht wird von Gerhard von Rad vertreten, letztere von George E. Mendenhall.
15 – Zum kasuistischen und apodiktischen Recht siehe A. Alt, Essay on Old Testament History and Religion, Garden City 1968 und die Übersicht von R. Sonsino, Journal of Reform Judaism (Sommer i61979),S. 117-123.
16 – Schon Raschi erkennt in seinem Kommentar zu den Abschnitten in Exodus an, dass das deuteronomische Gesetz einen erweiternden Charakter besitzt.
17 – Der revolutionäre Charakter des deuteronomischen Gesetzes wird dargelegt von Weinfeld, Deuteronomy, passim. Er ist der Meinung, dass das Deuteronomium die älteren Gesetze ersetzt und nicht ergänzt hat. Es können noch zwei weitere radikale Theorien erwähnt werden: Ellis Rivkins, The Shaping of Jewish History, New York 1971, sieht das Deuteronomium als einen Versuch, prophetische Privilegien aufzuheben und Mosche als den einen, unvergleichlichen Propheten einzuführen, dessen Worte unveränderlich sind. Diese Revolution scheiterte zwar, da Jeremia und Ezechiel den göttlichen Willen auch weiterhin selbständig auslegten. Eine andere, spätere Revo-1 – lution hatte jedoch Erfolg: Eine Gruppe anonymer Anführer setzte die Aaroniten als einzige Priester Gottes ein. Sie taten dies, indem sie den Pentateuch schufen und dadurch eine sich in der Auflösung befindliche Religion retteten. (S. 17-41) Morton Smith, Palestinian Parties and Politics That Shaped the Old Testament, New York 1971, dagegen glaubt, dass das Deuteronomium ein religiöser und politischer Erfolg war. Es repräsentierte die „Gott allein“-Gruppe, die Gottes eifersüchtige Liebe zu Israel lehrte. Dabei veränderte es ältere Traditionen, erklärte Israel zu einem ausgesonderten Volk und führte den Monotheismus als Religion Israels ein (S. 48-56).
18 – Dieser Aspekt wird im folgenden Aufsatz von William W. Hallo genauer besprochen. Dort findet sich auch eine Erörterung des Königtums im Deuteronomium.