Die Kunst des Spendens

Von Zwi Braun

Zentrales Thema dieser Parascha ist die Sammelaktion für den Aufbau des Stiftzelts in der Wüste: „Sprich zu den Bnej Jisrael, dass sie für Mich eine Spende nehmen. Von jedermann, den sein Herz zur freiwilligen Spende bewegt, sollt ihr Meine Spende in Empfang nehmen“ (Schmot 25, 2).

Es ist kein Zufall, dass diesem Spendenaufruf der Wochenabschnitt Mischpatim vorangeht, in welchem fast ausschliesslich von Zivil- und Strafrecht die Rede ist. Rabbi Baruch Halevi Epstein, der Autor des Kommentars „Tora Temima“, sieht darin einen klaren Hinweis, dass nur auf ehrliche Art und Weise erworbenes Geld für einen solchen Zweck verwendet werden darf. Der Prophet Jeschajahu stellt ausdrücklich fest: „Denn Ich, der Ewige, liebe Recht und hasse gestohlenes Opfer“ (Jesch. 61, 8). Aus der Sicht der Tora heiligt der Zweck nicht die Mittel.

Auffällig ist die Verwendung des Zeitwortes „Nehmen“, wo wir eigentlich ein „Geben“ erwartet hätten. Eine mögliche Antwort bietet der Sfat Emet. Indem wir für eine gute Sache geben, beschenken wir gleichsam uns selbst. Gott bedarf des Stiftzeltes nicht, es kommt voll und ganz den Bne Jisrael zugute. Diesen Gedanken greift auch der Talmud auf und lässt Rabbi Jizchak bemerken: „Wer einem Armen eine Münze gibt, wird mit sechs Segnungen bedacht, und wer ihn mit Worten tröstet (weil er selbst kein Geld hat), wird mit elf Segnungen bedacht“ (Bawa Batra 9b).

Niemals soll in uns beim Spenden der Gedanke aufkommen, unser Vermögen verringere sich dadurch, im Gegenteil, wir stehen danach innerlich bereichert da, mit dem göttlichen Versprechen, dass es uns deshalb an nichts mangeln wird. Vielleicht deutet das Nehmen der Spende auch an, dass es zuerst einen inneren Widerstand zu überwinden gilt. Man nimmt die Spende, stellt sie bereit, löst sich von ihr und in einem zweiten Schritt übergibt man sie dem Empfänger. Dies würde auch die zweimalige Verwendung des Ausdrucks Nehmen in ein und demselben Passuk erklären.

Die Verwendung der Mehrzahl („sollt ihr Meine Spende in Empfang nehmen“) wird von Rabbi Jakow ben Ascher, dem „Baal Haturim“, dahin ausgelegt, dass das Einziehen der Spendengelder mindestens von zwei Personen durchgeführt werden soll. Dies wird auch halachisch im Talmud festgelegt: „Die Beiträge für die Armen-Kasse werden durch zwei Personen eingezogen und durch drei verteilt. Sie werden durch zwei eingezogen, denn man darf über die Gemeinde nicht weniger als zwei Beamte zur Verwaltung von Gemeindegeldern einsetzen. Woher wird dies gefolgert? Rabbi Nachman erwiderte, die Schrift sagt: ‚Sie sollen das Gold nehmen‘ (Schmot 28, 5)“ (Bawa Batra 8b).

Die gegenseitige Kontrolle, um Missbrach zu verhindern, ist bis heute gültiges Gesetz und im Schulchan Aruch festgehalten (Jore Dea 256, 3).

Das Ziel der Spendenaktion beschreibt die Tora mit den Worten: „Sie sollen Mir ein Heiligtum schaffen, so dass Ich unter ihnen wohnen werde“ (Schmot 25, 8).

„Unter ihnen“, das heisst in ihren Herzen, so versteht Rabbi Menachem Mendel von Kozk diese Worte. Wenn wir das Heiligtum in reiner Absicht, mit lauteren Mitteln errichten, so ist Gottes Platz im Herzen jedes einzelnen. So wie der Kozker einst auf die Frage „Wo wohnt Gott?“ antwortete: „dort wo man Ihn einlässt“.

Quelle: Zwi Braun, 3 Minuten Ewigkeit. Aktuelle Betrachtungen zum Wochenabscbnitt und zu den jüdischen Feiertagen, Morascha Zürich