Chanukka: Eine liberale Betrachtung

Von Rabbiner W. Rothschild

Chanukka ist eigentlich ein Fest von geringerer Bedeutung. Es ist aus nachbiblischer Zeit und hat keinen Bezug zum landwirtschaftlichen Jahr und seinem Ablauf. Die Gebote und Rituale sind deshalb alle späteren Ursprungs.
Zusätzliche Komplikationen bringt, daß dieses Fest mit seinen historischen, religiösen, nationalen und spirituellen Aspekten für unterschiedliche Gruppen von Juden unterschiedliche Bedeutungen hat: Manche sehen es als Symbol nationaler Befreiung, andere als Symbol eines zügellosen Militarismus. Wieder andere sehen den Aspekt religiöser Freiheit…

Um diesen Problemen auszuweichen, betrachten es viele Juden heutzutage als Fest für Kinder und heben stärker heidnische oder gefühlsbetonte Aspekte der Erzählungen über heroische Taten, Märtyrertum und religiösen Fanatismus hervor.

Heidnischer Hintergrund?

Es ist ein Winterfest – fällt fast in die Mitte des Winters, auf die Zeit der Wintersonnwende (d.i. im säkularen Kalender der 21. Dezember).
Es fällt auf den 25. Tag eines Monats (vgl. Weihnachtstag am 25. Dezember sowie die Saturnalien). Die meisten jüdischen Feste beziehen sich auf einen bestimmten Punkt des Mondzyklus, meistens auf Vollmond (den 14./15. Tag eines Mondmonats)
Licht: Mitten in der winterlichen Dunkelheit haben viele Kulturen Bräuche, die mit dem Entzünden von Lichtern zusammenhängen um „die Götter daran zu erinnern zurückzukommen“ oder um sich selbst zu vergewissern, daß nach der Dunkelheit des Winters wieder helle Zeiten kommen werden.
Heutzutage erleuchten wir die Zentren unserer Städte, um Kunden anzuziehen und ihre Kaufmotivation zu steigern!

Ein Problem im Hinblick auf die Quellenlage ist, daß es anscheinend Traditionen des Lichteranzündens gab, die unabhängig waren von den Traditionen über den Sieg der Makkabäer. Erst später wurden beide Traditionsstränge zusammengeführt. Dies wäre ein Hinweis auf eine – frühere – jedoch nicht biblische Praxis, die von heidnischen Nachbarn aufgenommen wurde.

Datum und Dauer: 25. Kislev – warum dauert das Fest acht Tage?

Die Tradition geht von der Dauer von acht Tagen aus, die nötig waren um neues Öl zu gewinnen.
Vergleiche: Die Christenheit zählt die Oktav vom 25. Dezember bis zum 1. Januar (Neujahr oder das Fest der Beschneidung): acht Tage

Das 2. Makkabäerbuch Kap 10,5-8 stellt einen Zusammenhang mit Sukkot (Laubhüttenfest) her:

„So fand die Tempelreinigung am gleichen Tag statt, an dem er von den Heiden entweiht worden war, nämlich am 25. des gleichen Monats Kislev. Voll Freude veranstalteten sie eine achttägige Feier wie am Laubhüttenfest. Da gedachten sie, wie sie noch vor kurzer Zeit das Laubhüttenfest begingen, als sie in den Bergen und Höhlen wie Wilde Tiere ihr Leben fristen mußten. Nun trugen sie deshalb efeubekränzte Stäbe, grüne Zweige und Palmen. Sie sangen ihm Lieder, der ihnen das Glück der Tempelreinigung bereitet hatte. Auch setzten sie durch gemeinsamen _Beschluß und Befehl die jährliche Feier dieser Tage für das ganze jüdische Volk fest“.

Stellenwert des Chanukkafestes

Chanukka ist kein biblisches Fest und auch in den rabbinischen Schriften ist nur wenig zu finden. Das Judentum mußte nun einen Weg finden, die religiöse Praxis zu „absorbieren“ und in Übereinstimmung mit dem Judentum zu bringen. Die (quasi-)historischen Texte des ersten und zweiten Makkabäerbuches wurden nur in den Apokryphen erhalten, ironischerweise ein christlicher Ausdruck für die Bücher, welche die Kirche erhalten haben wollte, ohne ihnen jedoch göttliche Inspiration zuzuschreiben – und außerdem in griechischer Sprache!

Einige Legenden wurden zusammengetragen und in der sogenannten „Antiochusrolle“ oder „Hasmonäerrolle“ bewahrt, wahrscheinlich geschrieben in aramäischer Sprache vor dem 10. Jahrhundert. Wahrscheinlich sollte diese Rolle so zu Chanukka gelesen werden wie die Esther-Rolle an Purim.

Die Rabbiner führten den Brauch ein, einen Segensspruch über die Chanukka-Kerzen zu sprechen. Der Segensspruch beinhaltet die Worte „Gepriesen seist Du, Herr unser Gott, der uns geboten hat…“ obwohl, genaugenommen ein solches von Gott angeordnetes Gebot in den Büchern der Torah nicht zu finden ist. (Die gleiche rabbinische Regel ist anwendbar auf das Gebot die Megillah an Purim zu lesen, die Hallel Psalmen zu sprechen et. Siehe dazu maimonides: Mischne Torah: Hilchot Megillah v’ Chanukkah 3:2-5).

Aus dem Gesagten folgt, daß der Staturs von Chanukka ziemlich verwirrend ist: Es gibt keine spezielle Torahlesung, die sich auf dieses Fest bezieht (obwohl es den Brauch gibt, aus dem 4. Buch Mose das siebte Kapitel zu Lesen, da dieses die Einweihung des Altars beschreibt); die meisten Bräuche sind für den häuslichen und nicht den synagogalen Bereich; einige Hinzufügungen zum regulären Synagogengottesdienst – wie das Lesen der Hallelpsalmen – wurden gemacht, aber einen Festgottesdienst im eigentlichen Sinn gibt es nicht.

Gebote

(siehe auch im Siddur) Die wesentlichen Gebote beziehen sich auf die Lichter und auf „historische“ und „übernatürlich-wunderbare“ Aspekte. Es gibt andere Bräuche, wie etwa der Genuß von in Öl gebackenen Speisen (in Erinnerung an das Öl, das zum Entzünden der Lampen benutzt wurde) oder Spiele mit einem Kreisel (Dreidl). Diese haben eine Bedeutung bekommen, die ihnen eigentlich nicht zukommt…

Die Chanukka-Lichter

Ein spezieller Halter für die Lampen oder die Kerzen (beides kann verwendet werden – bis vor nicht allzu langer Zeit waren Öllampen mit Dochten die Regel) wird Chanukkia genannt.

Sie hat acht Halter (oder Lampen) sowie einen zusätzlichen für den Schammes (wörtlich „Diener“), der benutzt wird, um die anderen Lichter zu entzünden.

Die Kerzen oder Lichter sollen in einer Reihe gleich hoch angeordnet sein und soweit auseinander stehen, daß die Flammen sich nicht „vermischen“ (es ist wichtig, daß sie alle einzeln zählbar sind). Der Schammes kann/sollte so angeordnet sein, daß er sich von den anderen Kerzen / Lichtern in irgendeiner Weise unterscheidet (z.B. etwas tiefer).

Es wird immer als erstrebenswert betrachtet, ein Gebot so schön („mit Stil“) auszuführen, also so gut wie möglich. Deshalb ist es Brauch z.B. eine schöne aus Silber gearbeitete Chanukkia zu benutzen; dies ist jedoch nicht unabdingbar notwendig. Es gibt Chanukkiot in unterschiedlichen Größen, Materialien und Gestaltungsmöglichkeiten. Man kann auch eigene Lampen oder in einer Reihe angeordnete Kerzenhalter benützen.

In talmudischer Zeit gab es Debatten über den Brauch, am ersten Abend ein Licht zu entzünden, am zweiten Abend zwei usw. bis zum achten Abend als alle acht Lichter brannten (plus der Schammes). Der Schammes wird jeden Abend angezündet und brennt so lange wie die anderen Lichter. Dahinter steht folgende Idee: Die Chanukka-Kerzen dienen ausschließlich dazu, die Bedeutung von Chanukka sichtbar zu machen und werden nicht für Beleuchtungszwecke benutzt: Deshalb wird das Licht des Schammes benutzt, z.B. für das Lesen der Segenssprüche danach.

Die erste Kerze wird ganz rechts plaziert (von der Hauptblickrichtung aus gesehen), die zweite wird links davon plaziert usw. Sie werden aber immer von links entzündet (die neueste Kerze zuerst) – also die Kerze, die den gegenwärtigen Tag von Chanukka repräsentiert, wird zuerst gezündet, dann mit der Kerze rechts von dieser weiter gemacht usw. Zum Schluß wird der Schammes an seinen Platz gestellt.

Da der Zweck des Kerzenanzündens „Pirsum HaNes“ ist, also das Wunder zu zeigen, sollte das Anzünden – wenn möglich – öffentlich stattfinden und die Chanukkia so aufgestellt werden, daß sie öffentlich zu sehen ist, also z.B. auf einer Fensterbank. Zu Zeiten umschlossener Höfe wurden die Lichter außerhalb des Eingangstores aufgestellt.

Die Wunder

Traditionellerweise wird das Gebet Al HaNissim gesagt, und zwar eingeschaltet in die Amidah, oder getrennt beim Entzünden der Lichter (vgl. Siddur). Dies bezieht sich auf die historische und spirituelle Bedeutung des Sieges von Wenigen über Viele, von Schwachen über die Starken, – und so dem Bedürfnis, niemals in Hoffnungslosigkeit zu versinken, immer am Glauben an Gott und eine bessere Zukunft festzuhalten, selbst in Zeiten der Dunkelheit…

Historischer Hintergrund und Quellenlage

Das 1. Makkabäerbuch

Ursprünglich geschrieben in Hebräisch, aber jahrhundertelang nur in anderen Sprachen überliefert, wurde es vermutlich im ersten Jahrhundert n.d.Z. zusammengestellt. In 16 Kapiteln schreibt der Autor über die Geschichte der Epoche in einem gemäßigten, an Tatsachen orientierten Stil aus einem Blickwinkel, der die Makkabäer als Helden sieht. Die Datierung ist sorgfältig und verschiedene offizielle Dokumente – wie Briefe oder Verträge – werden zitiert.

Der Bericht setzt mit dem Niedergang Alexander Alexander des Großen ein, geht dem Verlauf des Zerfalls nach (323 v.d.Z.) und zwar in zwei Hauptregionen, die von den Ptolemäern (ehemals ägyptischer Bereich) und den Seleukiden (ehemals babylonischer Bereich) beherrscht wurden. Dies war das Ergebnis der Rivalität der beiden Generale Ptolemäus und Seleukus im Jahr 312 v.d.Z. . Die Situation von Syrien und dem Mittleren Osten zwischen diesen beiden Supermächten war komplex. Syrien wurde Teil des seleukidischen Herrschaftsgebiets. Im Jahr 175 v.d.Z. übernahm Antiochus Epiphanes (eigentlich Antiochus IV, aber er gab sich den Titel „Theos Epiphanes“, was „Gott erscheint“ bedeutet) den Thron. Seine Regierungszeit dauerte bis 164 v.d.Z. und war gekennzeichnet durch Feldzüge gegen die Ptolemäer in Ägypten. 168 v.d.Z. wurde ein Angriff gegen die Ägypter von den Römern vereitelt. Als er zurückkehrte bestrafte er Jerusalem für eine vermutete Rebellion. Eine der Gegenmaßnahmen um – aus seiner Sicht – weitere Aufstände zu vermeiden, war ein Gesetz, das eine „Standardform“ der Anbetung (nämlich seiner Person) anordnete, eine Art Loyalitätserweis.

Die jüdische Gemeinschaft war in zwei Lager gespalten: Diejenigen, die sich an die griechische bzw. hellenistische Kultur anpassen wollten und diejenigen, die sich an die Traditionen halten wollten. Bei lezteren verursachte das Gesetz einen vorbehaltlosen Aufstand. Dieser begann in Modin und wurde von einem Priester angeführt, Mattathias und seine Söhne Jochanan, Judas, Simon, Eleazer und Jonathan. Der Spitzname von Judas war „Makkabäus“, auf hebräisch „der Hammer“. Zwischen 157 und 164 v.d.Z. wurden verschiedene blutige Feldzüge ausgefochten, teilweise gegen die bewaffneten Streitkräfte von Antiochus, teilweise gegen andere Juden, denn bis zu einem gewissen Grad handelte es sich um einen Bürgerkrieg zwischen zwei Bevölkerungsgruppen.

Nach verschiedenen Guerillia-Feldzügen wurde Jerusalem „wiedererobert“ von den Untergrundkämpfern der Makkabäer und der Tempel wurde gereinigt und wiedereingeweiht „am 25. Tag des 9. Monats, der Kislev heißt“ im Jahr 164 (1. Makk.4,52).

Der Rest des Buches besteht aus Berichten über Feldzüge der Makkabäer gegen syrische Gegenangriffe, Angriffe gegen lästige Nachbarn …

Das 2. Makkabäerbuch

Ursprünglich in griechischer Sprache verfaßt, zwischen 150 v.d.Z. und der Zeitenwende, ist es eine Zusammenstellung und Bearbeitung eines ursprünglich fünfbändigen Werkes von Jason von Cyrene, und zwar aus dem Blickwinkel, die Sympathie des Lesers für die heroischen Persönlichkeiten, die in der Erzählung dargestellt werden, zu gewinnen.

Das Buch enthält einiges an nicht-historischem Material und einige Begebenheiten finden sich in anderer Anordnung als im 1. Makkabäerbuch. Auch hier werden bestimmte Briefe und Dokumente zitiert. Es finden sich verschiedene grausame Geschichten von schrecklichen Martyrien und Massaker.

Josephus: Jüdische Altertümer (Buch XII) – ein jüdischer Autor, der auf griechisch für eine römische Leserschaft gegen Ende des ersten Jahrhunderts schrieb.

Talmud: Traktat Schabbat, 21b, eine der wenigen Bezugsstellen für Chanukka in den rabbinischen Schriften – erwähnt das Wunder des Ölkrugs, der eine für einen Tag ausreichende Ölmenge enthielt, das dann acht Tage brannte bis neues Öl für den Leuchter im Tempel gepreßt werden konnte (diese Geschichte erscheint nirgends in den oben erwähnten Büchern! Dies war möglicherweise ein behutsamer Versuch der Rabbiner, die Aufmerksamkeit von den Makkabäern und ihren hasmonäischen Nachfolgern abzulenken).
Bedeutung von Chanukka – eine reformjüdische Sichtweise
Die obigen Darlegungen beschreiben eine Vielfalt an Bedeutungen von Chanukka. Als Reformjuden beziehen wir uns nicht vorzugsweise auf die Zugänge, die Gewalt oder legendäre übernatürliche Wunder in den Mittelpunkt stellen, sondern auf die Idee, daß religiöse Freiheit wertvoll und ein notwendiger Bestandteil unseres Lebens ist – so wertvoll, daß man dafür – wenn nötig – auch kämpft und auch den Glauben nicht verliert, selbst in dunklen und schwierigen Zeiten.

(Rabbiner Walter Rothschild, Berlin; Übertragung: Iris Noah)

Chanukka-Gebet aus einem reformierten Siddur:

Gott, du Schöpfer und Herrscher aller Dinge, auf dein Wort hin entsteht Licht aus der Dunkelheit und Ordnung aus dem Chaos. In deiner Weisheit hast du uns die Kraft gegeben, gegen Unwahrheit und Unterdrückung zu kämpfen und durch diesen Kampf Freiheit und Wahrheit zu gewinnen.

Du hast Israel zum Verfechter der Gerechtigkeit und zum Wächter über deine Lehre berufen. Heute erinnern wir uns in Freude und Dankbarkeit an den Mut der Makkabäer und an ihren Sieg über die Tyrannei. Deine Dienerinnen und Diener bewahrten dein Haus vor der Zerstörung und deine Thora vor der Schändung. Sie weihten den Tempel in Jerusalem wieder neu und zeigten dadurch vor der ganzen Menschheit, daß ihr Glaube an dich den letzten Sieg davongetragen hatte. Mit Ehrerbietung rufen wir uns ihre Treue ins Gedächtnis und danken dir für die Wunder, die du durch sie für uns getan hast. Mögen ihr Beispiel und ihr Opfer in der vor uns liegenden Zeit niemals in Vergessenheit geraten.

Während die Chanukka-Lichter ihren Schein in unseren Häusern verbreiten, mögen sie in uns selbst die Flamme der Treue entzünden. Mögen sie uns helfen, uns tapferer für Gerechtigkeit und Wahrheit einzusetzen, und mögen sie uns hinführen zu dir, dem immerwährenden Licht. Amen.