Der historische Brief des Lubawitscher Rebben Menachem M. Schneerson, s“l vom 7.Adar 5713 (1953)
Die Geschichte von Purim, wie das Buch Esther sie erzählt, gibt uns eine klare Analyse des „jüdischen Problems“.
Da die Juden über 127 Provinzen und Länder verstreut lebten und ihr eigenes Land noch in Ruinen lag, gab es zwischen ihnen gewiss große Unterschiede, was Sitten, Kleidung und Sprache betraf, so wie es auch heute bei den Juden in den verschiedenen Ländern der Fall ist.
Obwohl es Juden gab, die ihre jüdische Herkunft verbargen, erkannte Haman, der Feind der Juden, die wesentlichen Eigenschaften und Merkmale, die alle Juden, selbst gegen ihren Willen zu „einem Volk“ machten, denn „ihre Gesetze unterscheiden sich von denen aller anderen Völker“.
Darum versuchte der heimtückische Haman, „alle Juden, junge und alte, Kinder und Frauen“ zu vernichten. Zwar gab es auch in jener Zeit Juden, die sich streng an die Torah und an die Mizwot hielten, und andere, deren religiöse Bindung an ihr Volk schwach war oder die versuchten, in anderen Völkern aufzugehen; doch keiner konnte verhindern, dass er diesem „einen Volk“ zugeordnet wurde. Hamans grausamer Erlass erfasste jeden Juden.
Hamans hat es immer gegeben, aber wir haben sie, G-tt sei dank, überlebt. Worin liegt das Geheimnis unseres Überlebens? Das folgende Beispiel möge die Antwort geben. Wenn ein Wissenschaftler die Gesetze bestimmen will, denen ein bestimmtes Phänomen folgt, oder wenn er die Eigenschaften eines Elements entdecken möchte, muss er eine Reihe von Experimenten unter unterschiedlichen Bedingungen machen. Man kann keine Gesetzmäßigkeit aus einigen wenigen Versuchen ableiten, weil diese keine schlüssige Auskunft darüber geben, was wichtig, nebensächlich und unwichtig ist.
Das gleiche Prinzip ist auf unser Volk anwendbar. Es ist eines der ältesten auf der Welt, und seine Geschichte beginnt mit der Offenbarung am Berg Sinai vor rund 3300 Jahren. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Volk unter äußerst unterschiedlichen Bedingungen und an verschiedenen Orten gelebt. Wenn wir untersuchen, warum unser Volk existiert und warum es so einzigartig stark ist, müssen wir zu dem Ergebnis kommen, dass der Grund nicht in seinen körperlichen oder geistigen Eigenschaften, nicht in seiner Sprache oder in seinen Sitten (im weitesten Sinne) und auch nicht in rassischen Gegebenheiten zu suchen ist (zu Beginn unserer Geschichte und auch im Mittelalter kam es z.B. dazu, dass ganze ethnische Gruppen und Stämme sich zum Judentum bekehrten und Teil unseres Volkes wurden.)
Das entscheidende Merkmal, das unsere „verstreuten Menschen“ eint und zu „einem Volk“ macht, sind die Torah und die Mizwot, die jüdische Lebensweise, die unser Volk unzerstörbar macht, und zwar trotz aller Massaker und Pogrome und trotz aller Versuche fremder Kulturen, uns spirituell zu vernichten.
Wir verdanken Purim eine uralte Lehre, die sich zu unserem Kummer erst vor kurzem wieder bewahrheitet hat: Keine Assimilation, selbst wenn sie sich über mehrere Generationen erstreckt, kann uns vor den Hamans und vor den Hitlers schützen, und es nützt keinem Juden, wenn er versucht, das Band zu seinem Volk zu durchtrennen. Im Gegenteil: Unsere Erlösung und unsere Existenz hängen davon ab, dass unsere Gesetze „sich von denen aller anderen Voelker unterscheiden“.
Purim erinnert uns daran, dass die Stärke unseres Volkes als Ganzes und die Stärke jedes Juden und jeder Jüdin die enge Bindung an unser uraltes spirituelles Erbe ist. Dieses enthält das Geheimnis eines harmonischen und somit gesunden und glücklichen Lebens. In unserem spirituellen und profanen Leben darf nichts der Grundlage und dem Wesen unserer Existenz widersprechen; wir müssen alles so einrichten, dass daraus die höchste Harmonie entsteht und unsere körperliche und spirituelle Kraft vergrößert wird – beides geht im jüdischen Leben Hand in Hand.
Mit den besten Wünschen für ein fröhliches Purim. Mögen wir bald eine Welt erleben, die frei von Hamans und Amalekitern aller Art ist!
Quelle: Chabad München