Parschat Bo: Sie sehen nicht ins Herz!

Chabad Lubawitsch München

Haben Sie je darüber nachgedacht, wie oft es zu Unklarheiten oder Missverständnissen kommt, wenn Menschen miteinander reden? Wenn ja, sind Sie wahrscheinlich sehr vorsichtig, bevor Sie eine Bemerkung machen.

Wie oft haben Sie sich mit anderen darüber gestritten, wer gestern was gesagt und gemeint hat? Waren Sie schon einmal der Meinung, jemand habe gelogen, um später herauszufinden, dass er die reine Wahrheit gesagt hat? Oder haben Sie jemandem Spott unterstellt, obwohl er es ernst meinte?

Wir können der Versuchung nur sehr schwer widerstehen, zu erraten, was andere Menschen im Herzen bewegt. Wir tun es, weil es zu unseren sündhaften Neigungen gehört, andere falsch zu beurteilen.

In Bo, dem Torah-Abschnitt dieser Woche, bittet Mosche den Pharao immer wieder, die Kinder Israel gehen zu lassen. Jedes Mal stimmt der Pharao scheinbar zu und nimmt sein Wort dann zurück. Genau das hat G–tt dem Mosche vorausgesagt; dennoch scheint Mosche dem Pharao zu glauben.

Wir wissen, warum Mosche nie an G–ttes Plan zweifelt: Er hat Glauben. Nicht erklärt wird, warum Mosche den Pharao nie wegen seiner Doppelzüngigkeit kritisiert. Glaubt er, der Pharao sei nur G–ttes Marionette? Das wäre keine jüdische Auffassung. Wir müssen uns mit der greifbaren Wirklichkeit auseinandersetzen.

Aber was meint G–tt, wenn er sagt, er werde „das Herz des Pharao verhärten“? Er meint, dass er weiß, was geschehen wird. Dennoch bleibt es ein Rätsel, warum Mosche den Pharao anscheinend beim Wort nimmt.

Die profane Antwort lautet: Mosche war gezwungen, den Pharao respektvoll zu behandeln. Der wahre Grund könnte sein, dass Mosche meint, er habe kein Recht, Vermutungen darüber anzustellen, was im Herzen eines anderen vorgeht. Das überlässt er G–tt, und wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen. Erst als der Pharao sich mehrfach weigert, sein Versprechen zu halten, und als die Ägypter unter den Plagen leiden, wiederholt Mosche seine Forderung. Doch als der Pharao sagt: „Ich lasse euch ziehen mit euren Kindern“, geht Mosche wortlos. Er weiß — und wir wissen es —, dass der Pharao lügt.

Aber wissen wir genau, ob ein Freund lügt? Ob der Ehemann oder die Frau etwas verbirgt? Was unsere Kinder wirklich denken? Wir wissen es nicht. Darum dürfen wir nicht über andere richten. Vielleicht lernen sie dann, nicht über uns zu richten.

Der Standpunkt des Rebbe:
Gedanken und Einsichten des Lubawitscher Rebbe

Ein scharfer Intellekt findet seine eigene Wahrheit. Ein demütiger Geist findet eine Wahrheit, die größer ist als er. Die Wahrheit ist nicht das Eigentum der Intellektuellen, sondern jener Menschen, die über ihr ICH hinausgehen können.

Leitgedanken

„Das soll dir ein Zeichen auf deiner Hand sein und Stirnbänder zwischen deinen Augen“ (13:16).

Frage: Warum haben die tefillin schel jad (Hand-Tefillin) nur ein Kästchen, die tefillin schel rosch (Kopf-Tefillin) jedoch vier?

Antwort: Die tefillin schel rosch werden am Kopf angebracht, dem Sitz des Intellekts. Die tefillin schel jad werden an der Hand getragen, mit der wir etwas tun.

Die Menschen haben viele verschiedene Fähigkeiten. Manche lernen leicht, andere schwer. Manche dringen tief in die Materie ein, andere bleiben an der Oberfläche. Darum, um die Unterschiede zwischen den Köpfen anzuerkennen, werden die Torah-Texte der tefillin schel rosch in verschiedenen Kästchen untergebracht.

Die Mizwot müssen wir jedoch alle gleich befolgen, einerlei, ob wir mehr oder weniger intelligent sind und ob wir mehr oder weniger verstehen. Darum haben die tefillin schel jad nur ein Kästchen, denn wenn es um die Mizwot geht, haben alle Juden gleiche Pflichten.

Warum ziehen wir die Hand-Tefillin vor den Kopf-Tefillin an? Das ist ein Symbol des großen, grundlegenden Prinzips der jüdischen Religion: Die Praxis muss vor der Theorie kommen. Wir müssen zuerst die g–ttlichen Gebote erfüllen, ohne Fragen zu stellen; erst dann dürfen wir versuchen, ihren Sinn so gut wie möglich zu verstehen.

Die Himmelsleiter

Ein Mann besuchte den Rebbe und klagte über sein schweres Leben. Er hatte Probleme zu Hause und im Beruf, und so sehr er sich auch bemühte, sie zu lösen, er machte keine Fortschritte.

Der Rebbe erklärte ihm, der Bibelvers über Jakobs Traum enthalte die Antwort: „Jakob träumte, eine Leiter stehe auf der Erde und ihre Spitze reiche bis zum Himmel. G–ttes Engel stiegen hinauf und hinab. Plötzlich sah Jakob G–tt über sich stehen, und G–tt sagte: Ich bin bei dir.“

Der Rebbe machte eine Pause und sah den Mann an. „Warum stiegen die Engel zuerst hinauf und dann hinab — sie kommen doch vom Himmel?“ fragte er ihn. „Weil ein Mensch zuerst eine Leiter bauen muss. Das heißt, er muss sein materielles Leben verlassen und hinauf zur Spiritualität steigen. Dann heiligt sein Tun sein ganzes Leben und erschafft Engel, die hinaufsteigen. Und wenn sie wieder hinabsteigen, kommt G–tt mit ihnen und erhört deine Gebete.“