Exodus, Kapitel 10-13 / Paraschat Bo
Von Eli Erich Lasch
(„Let there be Freedom – The Bible Unveiled“, Logos Publication, 1989)
Die Ägypter schienen unter dem Einfluss jeder Plage nachzugeben, aber sobald diese vorüber war, kehrten sie zu ihrer früheren Orientierung zurück, zur Orientierung auf den Tod. Und so passt es nur, dass sie nach den neun Plagen, die die neun Monate der Schwangerschaft symbolisieren, den Tod gebären, den Tod der Zukunft, die durch den Erstgeborenen verkörpert wird. In diesem Augenblick erkannte Pharao endlich den Kampf als das, was er wirklich war und ergab sich.
„Geht, steht auf und geht eures Weges. Aber betet auch für mich. Und Ägypten eilte, das Volk aus dem Lande zu weisen. Und sie sagten: Wir sind alle des Todes.“ (Exodus, 12, 31-34) Pharao hat endlich verstanden, dass die Kräfte, die das Leben fördern und die Kräfte, die den Tod fördern, nicht beieinander wohnen können. Dass man nicht das Leben dafür benutzen kann, um dem Tode zu dienen. Denn was bauten die Ägypter anderes als Paläste zu Ehren des Todes? Sie hatten das Leben zurückgewiesen und sich dem Tod zugewandt. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass Leben ständige Veränderung bedeutet; dass das einzig Beständige im Leben die Veränderung ist, die fortwährende Zerstörung und Neuschöpfung.
Veränderung allerdings war genau das, was die Ägypter am meisten fürchteten, und deshalb wählten sie den Tod. Tod bedeutet die vollkommene Stabilität. Tod ist Vollkommenheit. Und so bauten sie in unwandelbarem Stein, balsamierten ihre Toten ein, verschönerten ihre Gräber und errichteten sie so weit wie möglich vom Leben spendenden Wasser entfernt. Sie hatten sich für eine versteinerte Ewigkeit entschieden. Da die Kinder Israel dazu bestimmt waren, zum Leben wieder geboren zu werden, wurden sie von den Plagen nicht betroffen, und als die Ägypter in der Dunkelheit wandelten, wandelten sie im Licht. Als die Plagen den Tod gebaren, wurden sie durch das Prinzip des Lebens beschützt, durch das Blut, mit dem sie ihre Türpfosten und Schwellen bestrichen.[i] Wie wir bei der ersten Plage gesehen haben, bewirkte Blut bei den Ägyptern genau das Gegenteil. Für sie war das Blut eine Plage und erfüllte sie mit Angst.
Wo kam dieses Blut her?
„Am zehnten Tage dieses Monats nehme sich ein jeder ein Lamm … ein fehlloses, männliches, einjähriges Lamm soll es sein; von den Schafen oder Ziegen sollt ihr es nehmen … Am vierzehnten Tage dieses Monats soll die ganze Gemeinde Israels es schlachten um die Abendzeit. Und sie sollen von dem Blute nehmen und die beiden Türpfosten und die Schwelle an den Häusern, in denen sie es essen, damit bestreichen, das Fleisch aber sollen sie in derselben Nacht noch essen und ungesäuertes Brot mit bitteren Kräutern dazu“ (Exodus 12, 3-8).
Das Lamm, der junge Widder, hatte aber eine ganz besondere Bedeutung in der ägyptischen Religion. Sein Name war Chnum, er war der Schöpfergott des Lebens und Former der Menschen. Die Menschen stellte er als Töpfer auf einer Töpferscheibe her. Für die Ägypter war deswegen das Verzehren eines Lammes der grösste mögliche Gräuel. Alleine diese Tat symbolisierte den Sieg des Gottes Israels über die ägyptischen Götter. Zugleich symbolisierte sie aber auch die Befreiung von der ägyptischen Herrschaft. Zur Erinnerung dieses Tages essen die Juden bis heute ein gebratenes Lamm während des Pessachabends, als Erinnerung an den Auszug aus Ägypten.
Es gibt aber noch ein wichtigeres Symbol: das des ungesäuerten Brotes.
„Da sprach Moses zum Volk: Gedenket dieses Tages, da ihr aus Ägypten gezogen, aus dem Land der Sklaven. Denn mit starker Hand hat euch der Herr von dort herausgeführt. … Sieben Tage lang sollt ihr ungesäuertes Brot essen und am siebenten Tag ist ein Fest des Herrn. … Und es soll … bei dir nichts Gesäuertes und kein Sauerteig zu sehen sein in deinem ganzen Gebiete. Und du sollst deinem Sohn an jenem Tag erklären und sagen: Es geschieht um dessen Willen, was der Herr für mich getan hat, als ich aus Ägypten zog.“ (Exodus 13,2-10)
Der Ursprung dieses Gebotes scheint sehr klar zu sein: Als die Kinder Israels aus Ägypten verjagt wurden, war ihr Teig noch ungesäuert: „Und sie buken aus dem Teige, den sie aus Ägypten mitgebracht, ungesäuerte Brotkuchen. Denn er war noch ungesäuert, als sie aus Ägypten vertrieben worden waren und nicht länger hatten zögern können. Auch hatten sie keine Wegzehrung bereitet.“ (Exodus 12, 39)
Dass sie keine Zeit haben, den Teig säuern zu lassen, ist gut verständlich. Es stellt sich nur die Frage, warum sie mit diesem Teig ihr Brot backen mussten. Nachdem sie Ägypten verlassen hatten, hatten sie bestimmt genug Zeit den Teig aufgehen zu lassen. Die Antwort ist einfach, dass man in der Wüste kein mit Sauerteig getriebenes Brot aufbewahren kann; in wenigen Stunden ist es vollständig ausgetrocknet. Da die Kinder Israel innerhalb von Minuten von einer Lebensart in eine ganz andere katapultiert worden waren, mussten sie sich so schnell wie möglich an die neue Umgebung anpassen. Sie mussten all ihre bisherigen Vorstellungen und Handlungsweisen hinter sich lassen und sich dem Leben in der Wüste anpassen. Und in der Wüste essen die Menschen auch heute noch ungesäuertes Fladenbrot. Sie kneten den Teig und backen ihn sofort auf einer flachen Oberfläche über einem offenen Feuer.
Das Gebot jedes Jahr sieben Tage lang ungesäuertes Brot zu essen ist aber nicht nur als ein Akt der Erinnerung gedacht. In der Antike wurde Brot mit Sauerteig gebacken, wie es auch heute noch zum Teil üblich ist: Man legt einen Teil des Rohteigs beiseite, um am nächsten Tag den neuen Teig damit zu säuern. Der Glaube war, dass auf diesem Weg der Geist oder die Seele des Brotes weiter gegeben wird. Das ist genau, was Moses verhindern wollte. Er wollte nicht, dass der Geist der Sklaverei im Brot fortdauert. Der Geist, der während der Knechtschaft in den Teig eingedrungen war. Dies ist die Bedeutung des Satzes, der bis heute an jedem Pessachabend wiederholt wird: „Dieses ist das Brot der Bedrängnis, das wir in Ägypten gegessen haben.“ Die Bedrängnis war die Knechtschaft: „Und sie bedrängten die Kinder Israel mit schwerer Arbeit.“ Durch diesen symbolischen Akt wollte Moses einen neuen Anfang ermöglichen. Das ist der wahre Hintergrund dieses Gebots. Moses erkannte, dass die grösste Gefahr für die Menschheit die Routine ist, die ewige Wiederholung desselben Musters, das Verfallen in den Alltagstrott. Und so entschied Moses diesen Fluss jedes Jahr durch eine symbolische Handlung zu unterbrechen. Einmal im Jahr soll der Fluss des „Geistes des Brotes“, des Hauptnahrungsmittels unterbrochen werden. Einmal im Jahr wird die Menschheit angewiesen, einen neuen Fluss, einen neuen Zyklus zu beginnen. Dieses erklärt auch die Worte, welche die Väter bei der Belehrung ihrer Söhne benutzen sollen: „Es geschieht um dessen Willen, was Gott für mich getan hat, als ich aus Ägypten zog.“ Nicht, was er für meine Vorfahren getan hat, sondern für mich. Jedes Jahr sollten wir den Akt des Verlassens der Sklaverei für die Freiheit erneuern. Einmal im Jahr sind wir angewiesen die Sklaverei der Vorurteile und Vorstellungen, die Sklaverei der Traditionen und der Worte, die nichts sagen, verlassen. Einmal im Jahr wird uns die Chance gegeben den Alltagstrott, in dem wir uns befinden, zu verlassen und ein neues Leben anzufangen.
Dies ist natürlich eine ganz andere Sicht als die der Opferrolle, die das jüdische Volk während der letzten 2000 Jahre angenommen hat. Dieses ist aber das Ethos, das dem Staate Israel zu Grunde liegt.
„Und die Kinder Israel sassen in Ägypten 430 Jahre“: genau die Zeit zwischen der Ankunft der Hyksos und der Herrschaft von Ramses II, wie es vorausgesagt wurde. „An eben diesem Tag“ , dem 15. Nissan, dem Tag, an dem die Israeliten Ägypten verliessen, wurde der Überlieferung zufolge der Bund zwischen Abraham und Gott geschlossen. Ebenso soll an diesem Datum Isaak geboren sein.
„ … zogen alle Heerscharen des Herrn aus dem Lande Ägypten hinweg.“ (Exodus 12, 40-41) Einer Überlieferung zufolge handelte es sich dabei um die Engelscharen, die sich mit den Israeliten in Ägypten befanden und sie überwachten.
[i] Neuere Sprachforschungen haben ergeben, dass das hebräische Wort pessach nicht zwingend übergehen bedeutet, sondern auch beschützt sein. Deshalb hat das Blut an den Torpfosten Gott nicht veranlasst die Häuser zu übergehen, sondern veranlasste Gott, die ewige Lebenskraft, die Häuser zu beschützen.
Übersetzung: der Verfasser und Cornelia Fuchs (Jesaja, 5.2). Alle Bibelzitate sind der Übersetzung von Buber/Rosenzweig entnommen.