TU biSchwat – und der Vegetarismus

Von Richard H. Schwartz

Tu be Schewat ist der jüdische Feiertag, der die meisten Verbindungen zu Konzepten und Themen des Vegetarismus aufweist:

1. Der Tu be Schewat-Seder, bei dem Früchte und Nüsse gegessen werden, Lieder gesungen werden und biblische Texte rezitiert werden, die sich auf Bäume und Früchte beziehen, ist die einzige rituelle Mahlzeit, deren Bestandteile ausschließlich aus pflanzlichen Produkten gegessen werden. Dies weist eine Übereinstimmung mit den Speisegewohnheiten im Garten Eden auf, so wie sie im ersten Gebot Gottes, das umfassende vegetarische Standards aufweist, zum Ausdruck kommen:

Und Gott sprach: „Seht, ich gebe euch alles Kraut, das Samen sämt, das auf der ganzen Erde ist, und alle Bäume, die sämende Baumfrucht tragen; euch sei es zur Nahrung“ (1Mose 1,29)

2. Der Talmud bezieht sich auf Tu be Schewat als das „Neue Jahr der Bäume“. Es wird als das Datum betrachtet, an dem sich das Schicksal der Bäume für das kommende Jahr entscheidet. In den letzten Jahren war einer der Schwerpunkte es zu begehen, speziell in Israel, das Pflanzen von Bäumen.

Vegetarische Lebensweise ist auch Ausdruck der Anteilnahme und des Interesses für Bäume. Einer der Hauptgründe für die Zerstörung tropischer Regenwälder heutzutage ist die Gewinnung von Weideland und Flächen, die die Aufzucht von riesigen Viehherden ermöglichen. Um 10 Pfennige bei jedem in Amerika produzierten Hamburger zu sparen, werden Waldgebiete in Ländern wie Brasilien und Costa Rica, wo mindestens die Hälfte der auf der Welt lebenden Tier- und Pflanzenarten beheimatet sind, zerstört, womit auch das Gleichgewicht des Klimas auf der Erde beeinträchtigt wird. Es gibt Schätzungen, die besagen, daß jeder Vegetarier pro Jahr einen Morgen Land (etwa 0,4 Hektar) rettet.

3. Sowohl Tu be Schewat als auch Vegetarismus stellen eine Verbindung zu Anliegen des Umweltschutzes her. Viele Juden unserer Zeit sehen Tu be Schewat als „Tag für die Erde“ und sehen einen Tu be Schewat-Seder als Chance, zu diskutieren, wie die Umsetzung jüdischer Werte dazu beitragen kann viele der ökologischen Bedrohungen unserer Zeit zu reduzieren.

Als Gott die Welt schuf, konnte er sagen: „Es ist sehr gut“ (1 Mose 1,31). Alles war in Harmonie – wie Gott es geplant hatte. Die Gewässer waren sauber, die Luft war rein. Was aber denkt Gott über die Welt heute?

Was denkt Gott darüber

  • daß der Regen, den er sendet, damit Pflanzen Nahrung haben, oft saurer Regen ist wegen der vielen Chemikalien der Industrien?
  • daß die Ozonschicht, die Himmel und Erde trennt, zu einem großen Teil durchlöchert ist
  • daß die Artenvielfalt der Pflanzen und Tiere, die er schuf, ausgerottet wird, sei es in tropischen Regenwäldern aber auch in anderen Lebensräumen, bevor wir überhaupt in der Lage waren sie zu katalogisieren.
  • wenn der fruchtbare Boden, den Er gegeben hat, durch Überweidung erschöpft oder von Erosion bedroht ist.
  • wenn die klimatischen Rahmenbedingungen, die Er auf unsere Bedürfnisse abgestimmt hat, durch globale Überwärmung bedroht sind?

Vegetarismus steht – aus jüdischer Sicht – im Einklang mit diesen wichtigen Umweltbelangen, da die moderne Massentierhaltung zu vielen der gegenwärtigen Umweltproblemen beiträgt, einschließlich der Erosion von Boden und dessen Überweidung und auch der Wasserverschmutzung, der Zerstörung von Lebensräumen und potentiell der globalen Überwärmung.

4. Tu be Schewat und Vegetarismus bringen den Auftrag der Torah zum Ausdruck, daß wir nicht unnütz etwas Wertvolles verschmutzen und zerstören dürfen. Es ist interessant, daß dieses Verbot, das „Bal taschchit“ („du sollst nicht zerstören“) bezeichnet wird, seine Grundlage in der Sorge um fruchttragende Bäume hat, so wie es eine Aussage in der Torah verbietet, in Kriegszeiten Frucht tragende Bäume zu zerstören (5 Mose 20,19-20)

Bal taschchit steht in Übereinstimmung mit Vegetarismus, denn wenn man eine auf pflanzlichen Produkten basierende Lebensweise mit der auf Tierprodukten basierenden vergleicht, so erfordert letztere mehr Land, Wasser, Energie und andere landwirtschaftliche Ressourcen.

5. Tu be Schewat bezieht auch die Belange zukünftiger Generationen mit ein. In früheren Zeiten war es ein Brauch, einen Zedersetzling anläßlich der Geburt eines Jungen oder einen Zypressensetzling anläßlich der Geburt eines Mädchens zu pflanzen. Die Zeder symbolisierte Kraft und Größe des Mannes, wohingegen die Zypresse den Wohlgeruch und die Sanftheit einer Frau symbolisierte. Waren die Kinder alt genug, so war es ihre Aufgabe, für die Bäume, die ihnen zu Ehren gepflanzt worden waren, Sorge zu tragen. Zweige von beiden Baumarten sollten Bestandteil der Chuppah (Traubaldachin) sein wenn die Kinder heirateten.

Vegetarismus bezieht auch die Zukunft in die Betrachtung mit ein, da eine solche Ernährungsweise der Erde und ihren Ökosystemen ein Minimum an Belastungen auferlegt, denn es werden weit weniger Wasser, Land, Energie und andere knappe landwirtschaftliche Ressourcen gebraucht als bei einer auf Tierprodukte orientierten Ernährungsweise.

6. Üblicherweise werden an Tu be Schewat Psalm 104 aber auch andere Psalmen gelesen, die aufzeigen, daß Gottes Fürsorge sich auf alle Kreatur bezieht – und die illustrieren, daß Gott die ganze Erde als Einheit in einer ökologischen Balance geschaffen hat.

Der sendet frei die Quellen in die Bäche, daß zwischen Bergen sie dahinziehn; sie tränken all des Feldes Tiere, die wilden Esel löschen ihren Durst. Auf ihnen wohnt des Himmels Vogelvolk… Der tränkt aus seinen Söllern das Gebirge; von deiner Werke Frucht wird satt die Erde… Gras läßt er sprießen für das Vieh und Kräuter bei des Menschen Arbeit um Brot hervorzubringen aus der Erde…Wie viel sind deiner Werke Ewiger; sie alle hast in Weisheit du geschaffen, voll ist die Erde deiner Schöpfungen … (Psalm 104)

Vegetarismus bezieht auch die Belange der Tiere und aller von Gott geschaffenen Kreaturen ein, da viele Menschen es ablehnen sich an einem System zu beteiligen, das eine grausame Behandlung von Tieren und das Schlachten von 9 Milliarden Tieren jährlich nur in den Vereinigten Staaten beinhaltet, und wie oben bereits dargestellt eine große Belastung der Erde und ihrer Ressourcen darstellt.

7. Sowohl Tu be Schewat als auch Vegetarismus werden heutzutage immer populärer: Tu be Schewat wegen einem steigenden Interesse an Fragestellungen zu Natur- und Umweltschutz; Vegetarismus wegen eines steigenden Gesundheitsbewußtseins, dem Wissen, wie Tiere behandelt werden und auch dem Anliegen, daß eines umweltgerechten und angemessenen Umgangs mit natürlichen Ressourcen.

Da die Ökosysteme der Welt bedroht sind wie nie zuvor, ist es wichtig, daß Juden in steigendem Maße die Bedeutung ökologischer Botschaften von Tu be Schewat entdecken. Gleichzeitig ist es ebenso dringend, daß Juden und andere erkennen, daß eine Umorientierung zu einer vegetarischen Ernährungsweise – also der Ernährung, wie sie an Tu be Schewat praktiziert wird, nicht nur eine wichtige individuelle Wahl darstellt, sondern zunehmend auch ein jüdischer Imperativ sind, da die Bedingungen moderner intensiver Massentierhaltung und des Konsums von tierischen Produkten mit vielen zentralen jüdischen Werten nicht übereinstimmen. Auch in gesellschaftlicher Hinsicht ist dies aufgrund ökonomischer und ökologischer Stabilität geboten.

Richard H. Schwartz
Professor Emeritus, Mathematics College of Staten Island

Übersetzung: Iris Noah
Photos: Marion Keunecke, Berlin