Paraschath Vajigash

Von Rabbi Menachem Leibtag
Schiurimreihe Fraenkelufer

Planen Jaakow und seine Familie beim Aufbruch nach Ägypten „Jerida“? Anders gefragt: wollen sie sich dauerhaft in Ägypten niederlassen, oder planen sie nur einen ‚kurzen Besuch‘?

Bei der Beantworung dieser Frage legt der Schiur dieser Woche die thematische Basis für unsere Untersuchung des Übergangs von Sefer Bereschit zu Sefer Schemot.

EINLEITUNG / RÜCKBLICK

In unseren Schiurim zu Sefer Bereschit haben wir bis hierher gezeigt, wie das zentrale Thema der „Bechira“ sich mit jeder „Hitgalut“ weiter entfaltet, d.h. jedesmal, wenn Gott zu den Awot über ihre Zukunft sprach. Der Schiur dieser Woche konzentriert sich auf den letzten „Hitgalut“ in Sefer Bereschit, der auch Gottes letzte Worte an Jaakow enthält, als dieser Eretz Kenaan verläßt und sich auf den Weg hinunter nach Ägypten zu Joseph macht.

Wie wir zeigen wollen, enthält diese „Hitgalut“ einige sehr wichtige Informationen, die uns den ganzen Verlauf von Jetziat Mitzraim verstehen helfen. Um den Inhalt würdigen zu können, müssen wir zunächst auf das ganze Umfeld achten, d.h. auf Jaakows erste Reaktion, als er erfährt, daß Joseph noch am Leben ist:

„Und Jisrael sprach… mein Sohn Joseph lebt noch! Ich will hingehen und ihn sehen, bevor ich sterbe!“ (45:28)

In diesem Pasuk scheint es, Jaakow plane nur einen kurzen Besuch, um seinen ‚verloreren Sohn‘ wiederzusehen. Weshalb sollte er auch sein Heimatland aufgeben?!

JEDER HAT EINEN PLAN

Jaakow plant zwar nur einen ‚Abstecher‘, aber Josephs Plan sieht etwas anders aus. Er hatte seinen Brüdern aufgetragen, dem Vater folgendes zu sagen:

„… Eilt und zieht hinauf zu meinem Vater und sagt ihm: So spricht dein Sohn Joseph: Gott hat mich zum Herrn für ganz Ägypten gemacht, komm herab zu mir, säume nicht [in Kenaan]! Und du sollst im Land Goschen wohnen und mir nahe sein, du und deine Kinder … Und ich will dich dort versorgen, denn NOCH FÜNF JAHRE WIRD HUNGER SEIN, daß du nicht verarmst, du und dein Haus und alles, was dein ist.“ (45:9-11)

Auch Joseph will offenbar nicht, daß seine Familie aus Eretz Kenaan nach Ägypten auswandert. Er lädt die Familie ein, FÜNF Jahre zu bleiben, ein ‚langes Wochenende‘ gleichsam, solange die Hungersnot noch dauert! (Siehe 45:11: „…damit du nicht verarmst“!) Ist die Hungersnot aber vorüber und sind die wirtschaftlichen Umstände wieder entsprechend, dann wollen (und sollen) Jaakow und seine Familie wieder in ihr Heimatland zurückkehren.

Die Familie hat zwar nur sehr kurzfristige Pläne, aber später werden wir (zu unserer Überraschung) sehen, daß Jaakow und seine Familie nie zurückkehren werden. Statt dessen lassen sie sich dauerhaft im Land Goschen nieder – für Hunderte von Jahren! Gott scheint also einen ganz anderen Plan gehabt zu haben.

Um Gottes Plan zu verstehen, müssen wir uns genauer ansehen, wie Gott Jaakow seinen Plan bei Beer Schewa offenbart – eben, wie gesagt, in der ALLERLETZTEN „Hitgalut“ von Sefer Bereschit.

Um diese „Hitgalut“ besser verstehen zu können, müssen wir zuerst über den Grund sprechen, aus dem Jaakow auf seinem Weg nach Ägypten in Beer Schewa halt machte:

„So brach Jisrael auf mit allem, was sein war, und kam nach BEER SCHEWA, da schlachtete er „ZEWACHIM“ (Opfer) dem Gott Seines Vaters JITZHAK.“ (46:1)

Beim Lesen dieses Pasuk stellen sich mehrere Fragen:

a) Weshalb hält Jaakow gerade in BEER SCHEWA? – Weshalb macht er überhaupt halt, könnten wir uns auch fragen.

b) Weshalb bringt er diese Zewachim gerade dem Gott seines Vaters JITZHAK dar? Ist er nicht auch der Gott Awrahams?

[Siehe 32:9, wo Jaakow in einer ähnlichen Situation zum Gott sowohl von Awraham WIE von Jitzhhak betet!]

c) Weshalb hält er es an diesem Punkt für nötig, Korbanot darzubringen? – und warum gerade ZEWACHIM?

d) Weshalb wird in diesem Pasuk Jaakows neuer Name – Jisrael – verwendet?

Wir werden jede dieser Fragen einzeln beantworten, aber beachten Sie bei der Lektüre, wie jede Antwort mit der nächsten zusammenhängt.

WIE DER VATER, SO DER SOHN

Erinnern wir uns aus der Geschichte von „Mechirat Joseph“, daß Jaakow in Hebron lebt (siehe 37:14). Daher kommt er auf dem Weg nach Süden Richtung Ägypten an Beer Schewa vorbei. Erinnern wir uns auch, daß Beer Schewa an der südlichen Grenze von Eretz Kenaan liegt (siehe I Schmuel 3:20); er verläßt also bei Beer Schewa Eretz Kenaan.

Jaakows Vater Jitzhak war aber auch einmal in einer ganz ähnlichen Lage. Auch er plante während einer Hungersnot eine kurze Reise nach Ägypten, aber Gott erlaubte ihm nicht, das Land zu verlassen:

„Es kam aber Hunger ins Land … Es erschien ihm (Jitzhak) aber der Ewige und sprach zu ihm: Zieh NICHT nach Ägypten hinab, wohne in dem Land, das ich dir nennen werde …“ (siehe 26:1-3)

In dieser „Hitgalut“ an Jitzhak erklärte Gott auch den Grund für dieses Verbot:

„… Weile in diesem Land, ich werde mit dir sein und dich segnen, denn dir und deinem Samen will ich alle diese Länder geben und den SCHWUR erfüllen, den ich deinem Vater Awraham geschworen …“ (26:3-4)

Anders gesagt: weil Jitzhak der AUSERWÄHLTE Sohn Awraham Awinus war, mußte er im Land bleiben. Nun ist Jaakow der AUSERWÄHLTE Sohn Jitzhaks, und so sollte auch ihm nicht erlaubt sein, Eretz Kenaan zu verlassen.

Jaakow selbst hatte zwar einmal die Erlaubnis erhalten, Eretz Kenaan zu verlassen (in Parschat Wa’jetze, siehe 28:10-20), aber diese Situation war doch eine ganz andere – denn sein Leben war unmittelbar in Gefahr (siehe 27:42-43). Aber selbst in dieser Lage brauchte Jaakow die Zusicherung, daß Gott weiter mit ihm ist und ihn ZURÜCKFÜHREN WIRD, AUCH WENN er nun Eretz Kenaan verließ:

„So sieh, ich bin mit dir, und ich werde dich behüten überall, wohin du gehst, und DICH IN DIESES LAND ZURÜCKFÜHREN …“ (28:15)

[Beachten Sie, daß auch Jaakow bei seinem ersten Auszug aus Eretz Kenaan das Land über BEER SCHEWA verließ. (Siehe 26:10)!]

In Parschat Wa’jigasch nun ist Jaakows Situation etwas anders. Ein Überleben in Eretz Kenaan ist zwar schwierig, aber immer noch möglich: man konnte in Ägypten Nahrung kaufen und sie hierher transportieren. Zudem: wenn es für Joseph so wichtig war, seinen Vater zu sehen, weshalb konnte er ihn nicht einfach in Eretz Kenaan besuchen kommen? Mußte Jaakow denn zu diesem Zeitpunkt wirklich seine ganze Familie nach Ägypten bringen?

Als Jaakow also bei Beer Schewa vorüberkommt, bringt er Opfer dar, denn er muß sicher sein, daß Gott ihm erlaubt, das Land zu verlassen.

[Achten wir auch auf Gottes Antwort an Jaakow (siehe 46:1-3 “ … Fürchte nicht …“ ; Jaakow ist also eindeutig über seine Lage beunruhigt.]

BITTE UM EIN AUSREISEVISUM

Auf der Grundlage dieser Annahmen können wir nun vermuten, daß Jaakow die Befürchtung hegt, seine Ausreise nach Ägypten sei vielleicht gegen Gottes Willen, oder sie gefährde sogar seine „Bechira“. Daher hält Jaakow zunächst in Beer Schewa, um zu beten – ‚um Erlaubnis zu bitten‘, Eretz Kenaan verlassen zu dürfen.

Um unsere Antwort auf Frage (a) zu vervollständigen, müssen wir noch erklären, weshalb er gerade in Beer Schewa haltmacht! Die Kommentatoren bieten hierfür mehrere Erklärungen an:

* Raschbam (46:1) erklärt, daß Beer Schewa der Ort war, an dem sein Vater gebetet hatte [Siehe 26:25, wo Jitzhak eine Mizbajach in Beer Schewa errichtet. Beachten wir auch, daß Gott ihn an dieser Stelle beruhigt – siehe 26:24!]

* Ramban (46:1) fügt der Erklärung Raschbams noch hinzu, daß Jaakow Beer Schewa wählt, weil es hier eine Parallele gibt zum ersten Mal, da er Eretz Kenaan verließ (von Beer Schewa nach Charan /siehe 26:10).

* Radak betrachtet Beer Schewa als ‚offizielle‘ Südgrenze von Eretz Kenaan, und daher sei dies die angemessene Stelle für Jaakow, ‚um ein Ausreisevisum zu bitten‘. [Siehe auch Seforno 46:1 (wie Radak) und Chizkuni.]

Zwar zitiert jeder der Kommentatoren andere Quellen, um zu erklären, weshalb die Wahl gerade auf Beer Schewa fällt, aber alle sind sich einig, daß Jaakow tatsächlich über seinen Auszug aus Eretz Kenaan beunruhigt ist.

Genau dieser Grund beantwortet auch Frage (b). Jaakow betet gerade zum Gott JITZHAKS, weil Jitzhak sich einmal in der gleichen Lage befand wie er nun. Gott erlaubte ihm NICHT, Eretz Kenaan zu verlassen. Jaakow hofft, daß Gott ihm nun dennoch die Ausreise gestattet. [Siehe Radak & Seforno.]

[Beachten wir, daß Ramban einen anderen Ansatz hat (begründet auf dem, was er „Sod“ nennt). Ramban erklärt, Jaakow erkenne, daß seine Ausreise nach Ägypten in Wahrheit der Beginn des langen geschichtlichen Prozesses von Jetziat Mitzrajim ist. Er ahnt, daß dieser geschichtliche Abschnitt vielleicht schreckliche Leiden von „Midat ha’Din“ bringen könnte, und deshalb betet Jaakow gerade zu „Pachad Jitzhak“, dieser Erscheinung von Gottes Vorsehung – genannt „Midat ha’Din“ -, in der Hoffnung, daß seine Kinder so wenig wie möglich leiden werden.]

DER ERSTE ‚ZEWACH‘

Vor diesem Hintergrund wenden wir uns unserer dritten Frage (c) zu: weshalb bringt Jaakow gerade „Zewachim“ dar?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst darauf hinweisen, daß hier zum ERSTEN Mal explizit in Chumasch erwähnt wird, daß Gott ein „Zewach“ dargebracht wird. Wie Ramban (zu 46:1) unterstreicht, haben die Kinder Noachs (auch Awraham) bis hierher nur „Olot“ dargebracht.

[Der technische Unterschied zwischen „Olah“ und „Zewach“ ist ganz einfach. In Sefer Wajikra lernen wir, daß ein „Olah“ auf dem Mizbajach vollständig verzehrt wird (Kap. 1). Das Fleisch des „Zewach“ dagegen – auch als „Schlamim“ bezeichnet (siehe Wajikra 3:1, 7:11) – wird von seinem Besitzer gegessen, während nur ein kleiner Teil davon auf dem Mizbajach dargebracht wird. Aus thematischer Sicht beinhaltet der Ausdruck „Schlamim“ jedoch ein gewisses „Schlajmut“ – Fülle oder Vollständigkeit, d.h. ein freiwilliges Opfer, das ein Gefühl der ‚Vollständigkeit‘ in der Beziehung zu Gott ausdrücken kann. Es ist zwar nicht ganz deutlich, ob Jaakow zu diesem Zeitpunkt die „Zewachim“ verzehrt hat, aber von Bedeutung bleibt doch, daß die Thora hier von einem „Zewach“ spricht.]

Auch wenn hier zum ersten Mal in Chumasch „Zewach“ erwähnt wird, finden wir doch später drei Schlüsselereignisse, in deren Zusammenhang gerade ein „Zewach“ dargebracht wird:

1) Der KORBAN PESACH (an Jetziat Mitzrajim)

2) Brit NA’ASSE W’NISHMA (an Ma’amad Har Sinai)

3) YOM ha’SHMINI (die Widmungszeremonie der Mischkan)

Auf den ersten Blick bilden diese drei Beispiele freudige Gelegenheiten, genau das Gegenteil zu Jaakows derzeitiger Situation (in der er beim Verlassen von Eretz Kenaan beunruhigt ist). Sehen wir aber etwas genauer hin, weisen alle drei einen ‚gemeinsamen Nenner‘ auf, mit dessen Hilfe wir besser verstehen können, weshalb Jaakow zu diesem Zeitpunkt „Zewachim“ darbringt.

Sehen wir uns die Sache kurz an und achten wir darauf, wie jedes der Ereignisse den ABSCHLUSS eines wichtigen Prozesses bildet:

1) Der KORBAN PESACH, bezeichnet als „ZEWACH Pesach l’Haschem“ (siehe Schemot 12:27), markiert die VOLLENDUNG des Prozesses von Jetziat Mitzrajim. [Siehe Schemot 11:1->12:14./ Beachten Sie auch, daß Chazal Korban Pesach unter die allgemeine Kategorie von „Schlamim“ subsumieren.]

2) An Ma’amad Har Sinai bringen Bnei Jisrael die besonderen „Zewachim“ als Teil derjenigen Zeremonie dar, in der sie die Mitzwot akzeptieren:

„Und Mosche schrieb alle Worte des Ewigen nieder und machte sich des Morgens früh auf und erbaute einen „Mizbajach“… und sie brachten ZEWACHIM, SCHLAMIM dar …“ (Schemot 24:4-5)

Hier sehen wir die VOLLENDUNG des Zweckes von Jetziat Mitzrajim, d.h. Bnei Jisraels Bereitschaft, Gottes Befehlen zu gehorchen.

3) An YOM ha’SCHMINI, bei der VOLLENDUNG der Widmungszeremonie der Mischkan, bringt Bnei Jisrael einen besonderen Korban „Schlamim“ dar:

„Es war aber am achten Tag, und Gott befahl Mosche [besondere] Korbanot darzubringen… und einen Ochsen und einen Widder als SCHLAMIM – l’ZW’BOACH – …“ (siehe Wajikra 9:1-4)

Wie der Ausdruck „Schlamim“ impliziert [„Schalejm“ = Vollendung, Fülle], beinhaltet ein ZEWACH SCHLAMIM gewöhnlich den Abschluß eines wichtigen Prozesses. Aber welcher ‚Prozeß‘ findet seinen Abschluß, als Jaakow hinunter nach Ägypten zieht? Weshalb bringt Jaakow Davka ZEWACHIM dar?!

Man könnte annehmen, Jaakows Opfer von „Zewachim“ weise uns eine ganz andere Richtung. Jaakow mag zwar unsicher und ängstlich sein, was seine Reise nach Ägypten betrifft, aber er ist Gott auch sehr DANKBAR dafür, daß Joseph tatsächlich noch lebt und er ihn nun besuchen kann. Diese „Zewachim“ könnte man als DANKOPFER verstehen! [Beachten Sie, daß „Korban TODAH“ auch eine Kategorie der „Schelamim“ ist (siehe Wajjikra 7:11-12).]

Bevor er sich auf den Weg nach Ägypten macht, will Jaakow Gott für die Wiedervereinigung seiner Familie DANKEN. Deshalb bringt er in Beer Schewa ZEWACHIM dar – genau an dem Ort des MIZBAYACH, wo sein Vater Jitzhak ebenfalls Korbanot dargebracht hatte (siehe 26:25/ siehe auch Raschbam 46:1).

Denken wir auch daran, daß der Zweck von Jaakows Reise nach Ägypten nicht nur ein Besuch bei Joseph ist, sondern auch der WIEDER-VEREINIGUNG seiner zwölf Söhne gilt, dann läßt sich diese Reise auch als VOLLENDUNG des „Bechira“-Prozesses betrachten. Ohne Joseph war der „Bechira“-Prozeß nicht vollendet, und zwar, weil ein sehr wichtiger „Schevet“ (Stamm) fehlte.

Durch die Darbringung von „Zewachim“ dankt Jaakow nun Gott dafür, daß der die Familie wieder zusammenführt und den „Bechira“-Prozeß VOLLENDET.

Wir könnten diesen Gedanken sogar noch einen Schritt weiterführen und folgendes annehmen: Jaakow bittet um die göttliche Erlaubnis zum Verlassen von Eretz Kenaan und opfert dabei „Zewachim“, um zu erklären, WARUM er das Land verläßt, nämlich UM die zwölf Stämme wieder zusammenzuführen und damit den Prozeß der „Bechira“ zu vollenden.

Diese Antwort auf unsere dritte Frage beantwortet auch unsere vierte (d), weshalb die Thora nämlich Jaakows besonderen Namen JISRAEL verwendet.

Wie wir in unserem Schiur zu Parschat Wa’jischlach erklärt haben, widerspiegelt der Name JISRAEL Gottes Auserwählung Jaakows als LETZTES Stadium des „Bechira“-Prozesses. Anders gesagt: im Gegensatz zu früheren Generationen, in denen jeweils nur ein Sohn auserwählt wurde, wurden ALLE Kinder Jaakows zu Gottes auserwähltem Volk erkoren. Wenn Jaakow nun nach Ägypten hinunterzieht, um seine zwölf Söhne zu vereinigen, nennt ihn die Thora ganz zu Recht JISRAEL!

ENDE UND ANFANG …

Jaakows „Zewachim“ mag zwar ein Dankopfer sein, aber dennoch ist Jaakow noch immer über die möglichen Folgen seiner Ausreise aus Eretz Kenaan beunruhigt.

Gottes Antwort auf Jaakows Opfer fügt nun seiner Abreise eine ganz neue Dimension hinzu, eine Dimension, die Jaakow wahrscheinlich völlig überrascht:

„Und Gott redete zu JISRAEL … Fürchte nicht, nach Ägypten hinabzuziehen, denn zu einem GROSSEN VOLK werde ich dich dort machen. Ich werde mit dir hinabziehen und dich WIEDER VON DORT HERAUFFÜHREN …“ 46:2-4)

Jaakow mag, wie wir erklärt haben, bloß einen ‚kurzen Besuch‘ im Sinn haben, um seine Familie zusammenzuführen. Joseph wollte, daß die Familie einige Jahre bleiben sollte, um die Hungersnot zu überstehen. Gott jedoch offenbart nun einen ganz neuen Plan. Jaakow und seine Familie machen sich auf eine Reise von MEHREREN HUNDERT JAHREN. Sie werden nicht zurückkehren, bevor sie nicht in Ägypten ein großes VOLK geworden sind! Gott wird sie hinführen, aber sie müssen bleiben, bis sie zu einem Volk geworden sind. Und Gott wird sie schließlich auch wieder aus Ägypten herausführen.

Wenn Jaakow nun also nach Ägypten zieht, erfüllen sich nicht nur die prophetischen Träume Josephs, sondern auch Gottes Versprechen an Awraham Awinu bei Brit Bein Ha’Btarim – der lange und schwierige Prozeß von Jetziat Mitzrajim (siehe Bereschit 15:13-18) hat begonnen.

Gott teilt Jaakow also mit, daß seine Reise nach Ägypten, auch wenn er damit Eretz Kenaan verläßt, keinen Bruch des Göttlichen Bundes mit seiner Familie bedeutet. Vielmehr wird nun ein kritisches Stadium Seines großen Plans erreicht, Jaakows Familie von ’siebzig Seelen‘ zu Gottes auserwähltem Volk zu machen.

[Die vollere Bedeutung dieser letzten „Hitgalut“ von Sefer Bereschit werden wir in unserem einführenden Schiur zu Sefer Schemot erörtern.]

VON „TOLDOT“ ZU „SCHEMOT“

Kehren wir nun zu den Psukim in Parschat Wa’jigasch zurück, über die wir gesprochen haben (46:1-4), d.h. zu Gottes Versprechen, mit Jaakow und seiner Familie zu sein, während sie in Ägypten sind.

Gleich nach dieser letzten „Hitgalut“ an Jaakow beschreibt die Thora die tatsächliche Reise der ganzen Familie nach Ägypten (siehe 46:5-7). Die Thora zählt dann in besonderen ‚Parschia‘ die siebzig Seelen von Jaakows Familie auf:

„Dies aber sind die Namen [„w’ajleh Schemot“] von Bnei Jisrael, die nach Ägypten kamen …“ (46:8).

Diese besondere ‚Parschia‘ – „w’ajleh SCHEMOT…“ – markieren den Abschluß des „Bechira“-Prozesses von Sefer Bereschit, denn aus diesen siebzig „Nefesch“ (Seelen) wird das Jüdische Volk hervorgehen. Der Prozeß der „Bechira“, der durch Gottes Wahl bestimmter „TOLADOT“ voranging, ist nun vollendet. Die auserwählte Familie wird uns nun als „SCHEMOT“ vorgestellt.

Das mag erklären, weshalb Sefer Schemot mit genau dem gleichen Ausdruck beginnt, und die eröffnenden Psukim (1:1-4) fassen diese ‚Parschia‘ (d.h. 46:8-27) zusammen. Beachten wir, daß das vorrangige Thema von Sefer Schemot Gottes Erfüllung von Brit Bein Ha’Btarim ist – der Geschichte, wie diese siebzig Seelen sich vermehren, unzählig werden, versklavt und schließlich befreit werden usf.

Der Rest von Sefer Bereschit (46:28-50:26) bringt noch Einzelheiten über die Beziehungen zwischen den Brüdern, ihren Aufenthalt in Ägypten und Jaakows und Josephs Tod etc. Sefer Schemot, in dem Gottes Erfüllung von Brit Bein Ha’Btarim erörtert wird, beginnt mit „w’ajleh SCHEMOT Bnei Jisrael…“ – genau dort, wo das vorrangige Thema von Sefer Bereschit abgeschlossen wurde. Aus diesen siebzig Seelen wird Gottes auserwähltes Volk hervorgehen.

FÜR WEITERE IJUN

A. In Sefer Bereschit werden an mehreren Stellen Korbanot dargebracht. „Olot“ werden von Noach (8:20) und von Awraham (bei der Akejdah /siehe 22:13) dargebracht. Es gibt auch viele Beispiele für die Errichtung eines Mizbajach und die Anrufung von Gottes Namen. Aber wir finden an keiner Stelle „Zwachim“. Beachten Sie, daß „Zewach“ in 31:54 ein gemeinsames Fest von Jaakow und Lawan bedeutet, aber kein Opfer an Gott.

B. HI’NAJ’NI …

Beachten Sie, wie die letzte „Hitgalut“ an Jaakow in Sefer Bereschit beginnt:

„Und Gott redete zu Jisrael im nächtlichen Gesicht und sprach: JAAKOW, JAAKOW, und er sprach: „HI’NAJ’NI“ (hier bin ich) … Fürchte nicht, nach Ägypten hinabzuziehen …“ (siehe 46:2-3)

Achten wir auf die ganz besondere Art, in der Gott Jaakow anspricht. Wir haben hier eine sprachliche Parallele vor uns, die uns sowohl (A) zurückverweist auf die Akejdah, als auch (B) voraus zu Mosche am brennenden Dornbusch.

(A) „HI’NAJ’NI“ – ZURÜCK ZUR AKEYDAH

Gottes Antwort erinnert an seinen ersten Satz bei der Akejda:

„… da prüfte Gott Awraham und sprach zu ihm: ‚AWRAHAM‘, und er sprach: ‚HI’NAJ’NI“ (siehe 22:1)

Die Akejda symbolisiert auch den absoluten Gehorsam gegenüber Gott, und sie schließt auch mit einem Göttlichen Schwur, daß Jitzhak der Erbe früherer Bünde und Versprechen sein werde, die Gott Awraham Awinu gegeben hat. Das mag erklären, weshalb Gott in seiner Antwort auf Jaakows Korbanot an den ‚Gott JITZHAKS‘ den tieferen Zweck von Jaakows Reise nach Ägypten bekräftigt, d.h. die Erfüllung dieses früheren Schwurs gegenüber Awraham Awinu.

(B) HI’NAJ’NI – ZUM BRENNENDEN BUSCH

Eine ähnliche sprachliche Parallele wie bei Gottes Ruf an Awraham, auf den „hi’naj’ni“ bei der Akejdah geantwortet wird, finden wir auch in Gottes Ruf an Mosche Rabeinu beim brennenden Busch:

„… da rief ihm Gott aus dem Dornbusch zu und sprach: ‚MOSCHE, MOSCHE, und er sprach: „hi’naj’ni“ (Schemot 3:4)

Aber Gottes „Hitgalut“ an Mosche beim brennenden Dornbusch enthält mehr als nur eine sprachliche Parallele. Sie ist Gottes ERSTE Offenbarung an den Menschen seit der Zeit von Jaakows Auszug aus Eretz Kenaan! Anders gesagt: die Prophezeiung ‚macht da weiter, wo sie aufgehört hatte‘!

Beachten wie den Vergleich zwischen diesen beiden Offenbarungen, denn sie weist auf eine thematische Verbindung hin:

JAAKOW (verläßt Eretz Kenaan) / MOSHE (am brennenden Busch)
(Bereschit 46:2-4) / (Schemot 3:4-8)
———————- ————————
Gott rief Jisrael in einem Gesicht: / Gott rief Mosche:
„JAAKOW, JAAKOW, / „MOSCHE, MOSCHE,
wa’jomer hi’naj’ni“ / wa’jomer hi’naj’ni“
Und er sprach: / Und er sprach:
Ich bin der Gott deines Vaters … / Ich bin der Gott deines Vaters…
Fürchte nicht, nach Ägypten / Ich habe das Leid
zu ziehen, denn dort will ich / meines Volkes in Ägypten gesehen,
dich zu einem großen Volk machen / und ich habe ihr Weinen gehört…
Ich will mit dir nach Ägypten / Ich bin HERAB gekommen, sie
HINABZIEHEN, und / Ich will wieder aus Ägypten zu erretten,
mit dir HINAUFZIEHEN … / um dich aus diesem Land
in das Land … / HINAUFZUBRINGEN
[Es wird empfohlen, diese Psukim in Hebräisch zu vergleichen.]

Genauso offensichtlich wie die sprachliche Parallele ist die thematische: Bei Gottes „Hitgalut“ an Mosche (am brennenden Busch) weist Er Mosche an, Bnei Jisrael zu sagen, daß Gott gekommen ist, den Bund von Brit Bein Ha’Btarim zu erfüllen, d.h. sie aus der Sklaverei zu führen, damit sie ein selbständiges Volk werden und das Gelobte Land erobern sollen.

C. Die emotionale Konfrontation zwischen Jehuda und Joseph am Beginn des Parscha dieser Woche steht symbolisch für künftige Auseinandersetzungen zwischen Schevet Jehuda und Schevet Joseph.

1. Beachten Sie, daß sie im Parscha dieser Woche über Benjamin streiten. Wie stehen die „Nachalot“ der Schvatim für diese Auseinandersetzung?

2. Setzen Sie dies in Bezug zum Ort der Mikdasch in der „Nachala“ von Benjamin. Stellen Sie auch einen Bezug zu Jehoschua 18:11 her.

3. Beziehen Sie dies auf den Bürgerkrieg gegen Benjamin, wie er in Kap. 20 von Sefer Schofetim beschrieben wird.

Schabbat Schalom,
Menachem

Ein Projekt der Synagoge Fraenkelufer-Berlin